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Streiten

Hello, Freunde des Streitens,

endlich wird gestritten, das ist in Deutschland ein Fortschritt. Doch wie: endlich wird gestritten – indem man den Streit verweigert? Der Pöbel läuft in gellender Stummheit an Mikrofonen und Kameras vorbei. Vorbildlich demokratisch.

Die Medien gerieren sich als beleidigte Leberwürste, weil der Pöbel, den sie viele Jahre domestiziert haben, ihnen das Gespräch verweigert, das sie mit ihm nie geführt haben. Noch demokratischer.

Die Parteien züngeln an dem Streit, um en passant ihre Lieblingsgegner zu versenken. An einer Analyse des Streits sind sie nicht interessiert. Am demokratischsten.

Cem Özdemir und CSU-Herrmann hatten bei Illner nur sich selbst im Visier, der Rest der Gruppe war für sie Staffage.

Jauch hielt es für richtig, für die etablierten Parteien und gegen die AfD zu agitieren; dafür wird er fürstlich bezahlt – Vorsicht: Verschwörungstheorie. Die fremdenfeindlichen Äußerungen der Regierungspolitiker wurden ignoriert, die verräterischen Äußerungen des belanglosen Herrn Lucke akribisch aufgetischt. Da wundern sich die Vertreter der GAGROKO (der ganz großen Koalition), dass der Pöbel sich nicht verstanden fühlt.

Mehr als einladen könne man nicht, erklärte Jauch die Abwesenheit des Dresdner Pöbels. Doch, kann man. Dorthin gehen, wo der Pöbel lebt, webt und ist – und vor Ort ohne Kamera und Mikrofon debattieren. Das kommt den Eliten nicht in den Sinn. Sie leben in sichtbaren und unsichtbaren gated communities. Nur wo

sie sind, spielt die Hochzeit.

Es steht schlecht ums Streiten in deutschen Landen. Warum können die Deutschen nicht streiten? Weil sie seit mehr als 200 Jahren völkisch denken. Völkisch denken, heißt, sich immer einig sein, einig sein müssen – denn was könnten Europa, die Welt oder Gott über die zerstrittenen Schrumpfgermanen denken? In der Mitte Europas musste der Flickerlteppich sich zusammenraufen, um den Feinden von Paris bis Moskau keine schwache Flanke zu bieten. Nicht nur im Dritten Reich galt: ein Volk, ein Reich, ein Heiliger Geist, der die Schäfchen zur Herde zusammentreibt:

„Woher kommen Streitigkeiten und woher Kämpfe unter euch?“ „Erinnere sie daran, nicht streitsüchtig zu sein, niemanden zu lästern, Gehorsam zu leisten.“

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Wenn gestritten wird, ist‘s aus mit der Friedhofsruhe.

Völkisch war die Einheit aus weltlichem und geistlichem Reich. Der Hirte war staatlicher Führer und oberster Bischof zugleich (Summepiscopus). Die Schande von Canossa schien getilgt, der deutsche Fürst hatte sich vom Papst unabhängig gemacht. Wenn Landesfürst & Summepiscopus die Religion wechselte, mussten seine Untertanen sie ebenfalls wechseln – oder das Land verlassen.

Streiten taten nur weltliches Gesindel und „Zigeuner“ in Deutschland, die lammfrommen Din-A4-Schäfchen waren sich immer einig. Liebe. Liebe, Liebe deckt alle Fehler und Meinungsverschiedenheiten zu. Wer unflätig austeilt, muss ein heidnischer Rabauke sein. Wie schnell sich Machteliten gekränkt fühlen, wenn sie eins vor den Latz kriegen!

Dass sie das Volk jahrhundertelang als unmündige Schafe behandelt haben, ist ihnen entfallen. Im Salon darf man – rein symbolisch natürlich – nicht krakeelen: Hautse, hautse, hautse auf die Schnauze, immer in die Fresse rin. Für feine und gebildete Deutsche sind solche Schlachtgesänge schlimmer als Gotteslästerung.

Rachegedanken und Aggressionen sind Leuten, die mit Messer und Gabel umgehen können, fremd. Ihre Rachegefühle haben sie schon lange outgesourct: „Die Rache ist mein, spricht der Herr.“ Wer einen solchen Herrn hat, kann den ganzen Tag mit der Friedenspalme wedeln.

„Die Schafe kennen die Stimme des guten Hirten und folgen ihm nach. Einem Fremden aber werden sie nicht nachfolgen, sondern vor ihm fliehen“.

Eine mit sich selbst identische völkische Schafherde muss ihren Sonderweg gehen, sie darf nur ihrem Hirten folgen. Fremde Hirten sind Sirenengesänge aus dem Ausland, die nichts anders wollen, als die Herde zu unterwandern und auseinanderzudividieren. Sie wollen sein ein einig Volk von Brüdern (auch bei Schiller gibt’s keine Frauenquote, obgleich er zwei Schwestern auf einmal beglückte), in keiner Not sich trennen und Gefahr.

Wenn methodisches Streiten auf der Agora die Grundlage der Demokratie ist, müssen die Deutschen noch in Leibeigenschaft leben. Die Situation ist hier derart pervers, dass der beste Streithansl aller Zeiten, unser geliebter Sokrates, als hinterlistiger Manipulator gilt. Grund: die Hebammenmethode könnte missbraucht werden, um den Schülern die Meinung der Autorität als deren eigene Meinung zu entlocken.

Möglich ist das, man muss nur die jesuitische Pädagogik betrachten. Gleichwohl ist diese Diffamierung so einleuchtend wie das Verbot von Messern, mit der Begründung, man könnte seinen Chef damit aufschlitzen.

In der Postmoderne gibt’s ohnehin nur Friede, Freude, Eierkuchen. Worüber soll man streiten, wenn‘s gar nichts zu streiten gibt, weil jeder ohnehin Recht hat?

Der Neoliberalismus ist postmodern bis auf die Knochen – aber nur für alles, was sein Revier nicht tangiert. Wenn‘s ihm selbst an den Kragen geht, darf‘s keine Argumente geben. Kritiker sind per se Neidhammel und Loser der Moderne. Oder sekundäre Antisemiten.

Wer in Deutschland Zins und Zinseszins attackiert, gilt als verkappter Antisemit. Der Grund ist eine simple Assoziationskette: die Nazis bekämpften die „jüdische Zinsknechtschaft“ oder den „jüdischen Mammonismus“. Ergo muss jeder, der Zins und die Herrschaft der Geldsäcke ablehnt, ein antisemitischer Schurke sein.

Wer diesem Unsinn folgt, müsste alle Kapitalismuskritiker als Judenhasser verbieten lassen. Die Vertreter dieser flachen Analogiemethode merken nicht, dass sie das Klischee des geldsüchtigen Juden erst recht verteidigen und verfestigen, wenn sie akzeptieren, dass Kritik am Mammonismus mit Kritik am jüdischen Mammonismus identisch ist. Judentum wird – wie bei Marx – zum Symbol des geldgierigen Kapitalismus.

Dass es hervorragende jüdische Kapitalismuskritiker gab, wird ebenso ignoriert wie israelkritische Israelis, die von BILD nicht mal namentlich erwähnt werden. Gibt’s in Israel nur milliardenschwere Adelsons? Wird die Kluft zwischen Arm und Reich nicht immer tiefer? Fliehen junge Israelis nicht in alle Welt, weil sie die Lebenskosten im Heiligen Land nicht mehr aufbringen? Bei solch fahrlässigen Antisemitismus-Entlarvungsmethoden darf man sich nicht wundern, dass die wahren Giftquellen des Antisemitismus nicht mal von Weitem gesichtet werden.

Es sind die vernetzten Ideologien der Postmoderne: wer Wahrheit leugnet, leugnet die Wahrheit des Holocaust, oder die Wahrheit der deutschen Schuld. Wenn jeder Recht hat, hat auch der Neonazi Recht. Wenn Vergangenheit sich nicht wiederholt, besteht keine Wiederholungsgefahr des Verbrechens: Schluss mit dem Bearbeiten der Vergangenheit.

Wenn der Mensch nicht lernfähig ist, bleibt der Deutsche ein Raubtier. Wenn nur die Zukunft zählt und man sich täglich neu erfinden muss, indem man das Vergangene vergangen sein lässt, für den ist der Holocaust nicht mehr existent.

Die ganze Zeitgeistphilosophie in allen Verzweigungen und Variationen ist potentiell antisemitismus-verdächtig. Nicht wer – in brutaler Ehrlichkeit – seinen Hass auf der Straße hinausbrüllt, ist die größte Gefahr, sondern wer – in gebildeter Bigotterie – seine antihumanen Gefühle geschickt zu verbergen versteht, ist mit nie nachlassendem Argwohn zu beobachten. Die gefährlichsten Antisemiten sind jene Wölfe im Schafspelz, die ihren Hass als Philosemitismus tarnen. Sei es bewusst oder unbewusst.

Das Unbewusste ist gefährlicher als bewusste Täuschungsmethoden. Von jetzt auf nachher kann es aus dem Status des Verdrängten in den Status alles niederreißender Unkontrolliertheit explodieren.

Die völlig unphilosophische Antisemitismus-Forschung der Gegenwart zieht es vor, im Stadium der selbstverschuldeten Einfältigkeit und Torheit zu verharren. Die wirklichen Gefahren des Judenhasses werden von ihr ignoriert. Versteht sich, dass sie die noch immer lebendige Urquelle des Antisemitismus, das Christentum, mit keinem Jota erwähnt.

Die Erlöserreligionen haben einen Nichtangriffspakt untereinander geschlossen, um im weltlichen Staat ein Maximum an Macht und Einfluss zu gewinnen. Eine größere Heuchelei ist nicht denkbar als die Kumpanei zwischen unfehlbaren Frömmlern.

Nicht der rechte Rand der Gesellschaft ist gefährlich, sondern die unschuldig daherkommenden Zeitgeistphilosophien der gelehrten Trickser, Täuscher und sich dumm Stellenden. Schon immer haben es die Mächtigen verstanden, die Defizite des Staates auf die Ohnmächtigen zu werfen.  

Pegida ist bestimmt nicht harmlos, aber lange nicht so gefährlich wie die täglichen Kommentare der Edelschreiber, die unermüdlich alles verhöhnen, was von weitem nach Wahrheit, Objektivität, demokratischer Standfestigkeit und moralischer Unbeirrbarkeit riecht. Heute sind wir, weil der Zeitgeist es will, Judenfreunde – und morgen zur Abwechslung und weil wir uns neu erfinden müssen – wieder Judenfeinde? Garniert mit Kohls Glaubensbekenntnis: was interessiert uns unser Geschwätz von gestern?

Sollte eine Katastrophe ausbrechen, reiben wir uns alle die Augen und fragen verwundert: wie konnte in einem hochmoralischen Volk das Unheil ausbrechen, hatten wir doch nicht die geringsten Vorwarnungen und Alarmsignale bemerkt?

Wenn das alte Gift sich in neuen Maskierungen präsentiert, haben wir keine Hemmungen, uns mit dem brandgefährlichen Fusel zu besaufen. Nicht Pegida ist die Riesengefahr, sondern die elegant formulierenden Intellektuellen, Priester und Gelehrten, die es immer wieder aufs neue verstehen, ihre uralten Unheilsbotschaften in neuen Deutungen und Kostümen zu präsentieren.

Im beliebigen Deuten sind sie ohnehin Weltmeister und haben nicht die geringste Schwierigkeit, ein X für ein U zu verkaufen. Wenn hier steht: „Wisst ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer Freund der Welt sein will, der erweist sich als Feind Gottes“, predigen sie: ein wahrer Christ liebt die Welt und bewahrt die Schöpfung.

Die Liebe des Heilands besteht aus 1% Liebe und 99% Verfluchung. Eine köstliche Mischung fürwahr. Mit welchem dogmatischen Trick verwandeln die Deuter den gut-bösen, weiß-schwarzen, göttlich-teuflischen Dualismus in eine ungemischte Liebesethik? Indem sie den Dualismus dem Manichäismus – einer rivalisierenden Schwarz-weiß-Religion – in die Schuhe schieben und Halleluja: die Liebesbotschaft ist vom teuflischen Sud gereinigt.

Bei Luther ist der Herr des Himmels Gott und Teufel in einer Person (Deus revelatus und Deus abscondidus). Wie könnte dieser Gott ein reiner Liebesgott sein? Es stimmt nicht, dass am Ende aller Dinge alles wieder ins Lot kommt. Am Ende gibt‘s den Dualismus ewiger Seligkeit und unendlicher Verdammung.

Okay, einige östliche, noch dem griechischen Denken verbundene, Kirchenväter glaubten an eine „Wiederbringung aller“, eine Art Happy End für alle Menschen (apokatastasis panton). Dummerweise wurde dieser End-Humanismus Gottes von der westlichen Theologie in Bausch und Bogen verdammt. Für den Reichen aus dem Lazarus-Gleichnis gibt’s keine Begnadigung im höllischen Feuer.

Pegida ist eine amorphe Masse, die auf die Deutung eines charismatischen Führers und Propheten wartet, der sich als wahrer Dolmetscher ihrer dunklen Emotionen und Ressentiments anbietet. Das macht die Bewegung gefährlich – es sei, sie geht daran, ihre stummen Verdrängungen, uneingestandenen Hoffnungen, ihren Zorn und ihre Wut ans Licht zu bringen und verhandelbar zu machen.

Das Ausgesprochene und Bewusste ist die einzige Möglichkeit, explosive Triebregungen in rationale Politik zu verwandeln. Also wäre es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Massenbewegung, ihre verborgenen Absichten sich bewusst zu machen und der Gesellschaft zwecks Debatte mitzuteilen.

Ab wann verwandelte sich das Völkische in eine irrationale Masse? Am Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten die deutschen Graecomanen die freie Polis in Athen und wurden zu glühenden Bewundern des freien Denkens:

„Durch den Sturz der aristokratischen Herrenkaste und der Tyrannis war die hellenische Polis in ihrer fortgeschrittensten Gestalt eine Gemeinschaft freier Männer geworden. Für alle Zeiten gebührt ihr der Ruhm, die Idee der staatsbürgerlichen Freiheit und der Gleichheit aller vor dem Gesetz in das Kulturleben Europas eingeführt zu haben. Und damit ist sie ein mächtiger Faktor in der Entwicklung der Kultur selbst geworden, da diese staatsbürgerliche Freiheit und Gleichheit den schöpferischen Kräften, welche die phänomenale Entwicklung der hellenischen Kultur zur Entfaltung brachte, freien Spielraum gewährte. Dazu kam, dass die Hellenen wohl ein feudales Mittelalter zu überwinden gehabt hatten, aber von einer hierarchischen Gebundenheit, wie sie auf dem mittelalterlichen Geistesleben der romanisch-germanischen Welt lastete, allezeit verschont geblieben sind. Unter eine priesterliche Klassenherrschaft hat sich dies geistvollste aller Völker niemals gebeugt, dessen Geschichte eben deshalb eines der größten Kapitel aus der Geschichte des Geistes ist.“ (Robert von Pöhlmann, Griechische Geschichte)

Die deutschen Gelehrten machten nach der verlorenen Revolution einen ersten Schritt ins Politische und erblickten – im Gegensatz zu den unpolitischen Klassikern und antipolitischen Romantikern – die Freiheit des Denkens in einer freien Polis.

Aber: diese Freiheit sahen sie nur als Vorrecht der geistigen Eliten. Noch immer galt das Motto Schillers: man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Damit wurde das Majoritätsprinzip der Gleichen vom Tisch gefegt. Die deutschen Gelehrten wollten der unmündigen Menge patriarchalisch vorschreiben, wohin die Reise gehen soll. Der deutsche Platonismus mit der faschistischen Herrschaft der Philosophen ist bis heute noch nicht ausgerottet.

Sarrazins Kommentar in BILD zeigt die platonische Attitüde des selbsternannten Aristokraten, der dem Pöbel nichts zutraut: „Das Thema gehört in die richtigen Hände. (BILD)

Ausgerechnet der geistige „Vater der Bewegung“ misstraut den Früchten seiner Agitation. Noch mehr aber denen, die die Bewegung als unberechtigt und gefährlich niedermachen. „Dennoch gehen die allermeisten Politiker und Medien einer grundsätzlichen Diskussion aus dem Wege und tragen stattdessen Beschwörungsformeln („Weltoffenheit“, „Willkommenskultur“) wie eine Monstranz vor sich her.“

Weltoffenheit und Willkommenskultur sind für den SPD-Ideologen, der sein Buch mit dem Segen der meisten SPD-Granden veröffentlichte, Beschwörungsformeln. Und BILD druckt diese xenophoben Parolen kommentarlos ab.

Die überhebliche Aristokratie der deutschen Polisbewunderer war nicht möglich ohne Verachtung des athenischen Pöbels. Unter Herrschaft des Volkes (Demokratie) verstanden sie die Herrschaft der wüsten Menge (Ochlokratie). Die irrationalen, chaotischen, begehrlichen, egoistischen, grausamen, die Weisen und Reichen beneidenden Massen waren, so die Überzeugung der Gelehrten, die Totengräber der athenischen Polis.

Hier beginnt im wilhelminischen Deutschland die Verachtung der Masse. Die Gebildeten verwandeln sich in Verächter des Volkes und fühlen sich berufen, den zügellosen und enthemmten unteren Schichten von Grund auf zu misstrauen. Es beginnt die Deutsche Bewegung, die peu à peu in die Führerherrlichkeit des Dritten Reiches mündete.

Horden brauchen eine feste Führung, die sie besser versteht als sie sich selbst und sie zur Weltherrschaft geleitet. Kein Professor von Rang, der es unterlassen hätte, die Psychologie der Massen in düsteren Farben zu zeichnen, nur, um das Licht der Führer und Eliten umso heller leuchten zu lassen.

Viel weiter haben wir es heute auch nicht geschafft. Unter der dünnen Firnis einer pflichtgemäßen Demokratie hat sich längst eine Aristokratie kristallisiert, die sich aus dem heiligen Trio Industrie, Politik und Medien zusammensetzt. Als Teil der Eliten fühlen die Medien sich berufen, unter dem Deckmantel dosierter Scheinkritik „das Ganze“ zu verteidigen.

Wer heute die NATO, das kapitalistische System, das Wachstum der Wirtschaft, die obszöne Ungleichheit von Habenden und Nichtsnutzen anzuzweifeln wagt, wird tot geschwiegen. Die ganze Medienlandschaft ähnelt einer plastikverseuchten Seenlandschaft, die Grau in Grau vor sich hindümpelt.

Die Medien befinden sich in der größten Krise ihrer Geschichte, doch sie belügen sich mit digitalem Reform-Tandaradei. Mit ganz neuen kühnen Recherchiermethoden wollen sie sich aus ihrer babylonischen Gefangenschaft befreien. Als ob wir nicht längst genug und übergenug wüssten, was die Welt an den Rand des Abgrunds getrieben hat. Uns fehlen keine Informationen, sondern selbständiges Denken und verantwortliches Tun.

Doch der kategorische Imperativ der Schreiber lautet noch immer: no solution, wir haben keine Lösung. Wir können nur analysieren. Falsch. Wer ohne hypothetische Lösungsvorschläge analysiert, hat auch nicht analysiert, sondern geschwatzt. Medikamente ohne gewollte Heilwirkungen sind keine Medikamente.

Das monotone Glaubensbekenntnis: Lösungen gebe es nicht, alles sei zu kompliziert, ist der Bankrott des ganzen Journalismus, der auf religiöse Passivität zurückgefallen ist. Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren: das ist das nihilistische Credo der Tagesbeobachter.

Die Fixierung an den Tag mit Negierung der Vergangenheit und Anbetung einer illusionären Zukunft, ist das sichere Todesurteil einer Berufsgattung, die so tut, als ob ihre Objektivität ein eindeutiges Engagement zur Rettung der Menschheit verhindere. Glauben sie wirklich, als engelgleiche Wesen zu überleben, wenn die ganze Gattung ins Grab sinkt?

Im Vergleich mit den Massen sind die Eliten kein bisschen bewusster, reifer und verantwortlicher. Ja, das Verhältnis zwischen wissenden Oberschichten und unwissenden Unterschichten scheint fast umgekehrt. Überall auf der Welt kommt der Ruf nach lebenserhaltenden Reformen aus mittleren und unteren Rängen. Wer in regelmäßiger Verstocktheit alle dringenden Lösungen aus gnadenlos dummen und kurzfristigen Profitinteressen blockiert, sind stets die Mächtigen.

Wohl gilt, dass auch die erwachenden Massen nicht formulieren können, was ihr Begehr ist. Mit Absicht hat man sie in bornierten Schulen und Universitäten für dumm verkauft, damit sie unfähig wären, sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung anderer zu bedienen.

Wohl besteht die Gefahr, dass die Denk- und Sprechunfähigkeit der Massen faschistische Führer herbeilocken könnte, die sich berufen fühlen, ihre Dumpfheit zu deuten und ins Verhängnisvolle zu übersetzen.

Umso mehr müssen wir alles daran setzen, in einen fruchtbaren Streit aller mit allen zu kommen. Nur wenn wir uns verstehen, können wir unsere Misere erklären. Nur wenn wir unsere Misere erklären, können wir unserem Elend schrittweise entkommen. Resignation verboten.