Ende der Landnahme

Ende der Landnahme – Ende der Zeitnahme 
Pamphlet gegen die Erlöser

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von Fritz Gebhardt  (Auszug)

Biblische Naturfeindschaft vollstreckt

Mission accomplished. Vollbracht. Auftrag durchgeführt. Erde untertan. Pflichtgemäß gezeugt. Fruchtbar und zahlreich geworden. Wie Sand am Meer. Gehorsam die Erde gefüllt. In Demut die Erde überschwemmt. Bis an die Peripherien des Bewohnbaren. Fische im Meer, die Vögel des Himmels, das Vieh und alle Tiere, die sich auf Erden regen: beherrscht. Furcht und Schrecken verbreitet über alle Tiere der Erde. Über alle Vögel des Himmels. Über alles, was auf Erden kriecht. Nichtkriechendes zum Kriechen gebracht. Alles in unsere Hand gegeben. Alles in unsere Hand genommen. Alles unter unsere Füße gelegt. Die Feinde zu Schemeln unserer Füße gemacht. Als letzten Feind den Tod vernichtet. Totenreich in den Feuersee geworfen.

Was lebt, was sich regt, zur Speise gemacht. Myriaden geschlachtet, um des Schlachtens willen. Was lebt, hat es verdient, dass es zugrunde geht. Ärgert uns Wucherndes, wir vertilgen es. Stören hochmütige Bäume, wir reißen sie raus. Besser, Natur geht zugrunde, als dass die Überlegenheit unseres Geistes abhanden kommt. Zum Bild, Abbild, zum Ebenbild des Höchsten geworden, der unter Stolz und Bangen äußerte: Mensch ist worden wie Unsereiner.

Naturvernichtung, das präventive Endgericht

Auftrag erledigt. Sist vollbracht. Schlussakt kann beginnen. Finale Säuberer beziehen Position. Erde verflucht, Erde okkupiert. Unter Furcht gesetzt, mit Vernichtung bedroht. Durch Schreckensregiment IHN imitiert. IHM nachgeeifert. IHM anverwandelt. SEIN Endgericht vorweggenommen. Unkraut und Weizen vorsortiert. Dabei geerdeten Verstand verloren. Den Rest unserer Nüchternheit. Im Namen himmlischer Vernunft, die höher ist denn staubfressendes Grübeln. Noch höher ist der himmlische Wille, vernunftfreier Grund SEINER dunklen Entscheidungen: die Schöpfung, Eigentum ihres Erfinders, soll Erbe des Menschen werden. Gefallene Erde, natura corrupta, wird Besitz des Menschen, der Eigentum des Höchsten ist. Entrechtetes Eigentum rechtlosen Besitzes: das ist der Kern der neuzeitlichen Natur: die unbegrenzt scheinende Bohr-, Schürf-, Saug- und Senkgrube unersättlicher Erdenbezwinger.

Kosmos gegen sündige Natur

Bei Griechen war Natur die Allumfassende. Die Bezaubernde. Die hymnisch Gepriesene. Das Abendland schändet den Kosmos, zwingt ihn zur Kopulation mit der natura corrupta. Im Triumphzug über den Planeten haben christianisierte Völker der entehrten Natur die Haut abgezogen. Weisungsgemäß und auftragsgebunden. Also begann der vorletzte Tag. Die Neuzeit. Nun, da der Letzte Tag anbricht – einmal wird es der Allerletzte sein – erschrecken sie über die Folgen ihres Krieges gegen die Natur.

Selbst-gebärende Natur

Wo liegen die Wurzeln der Verachtung gegen die Natur, die alles Lebendige bis heut in Langmut erträgt? Die den Stolz besitzt, Gebärende und Geborene in einem zu sein. Aus eigener Potenz, in selbsterteilter Vollmacht, alles ins Leben zu rufen. Die nur ihre eigene Regie kennt. Keine obere Instanz, die sie aus Nichts geschaffen, keine unteren Mächte, denen sie ausgeliefert ist. Die keinen Direktiven folgt, es wären denn die eigenen. Die durch menschliche Künste sich nicht imponieren lässt. Die alles anbietet, sich allen anbietet, da sie niemals weniger als Alles ist. Die nicht domestizierbar ist. Und niemals totzuschlagen sein wird.

Auch nicht mit teuflischsten Maschinerien des Menschen. Der Mensch kann vieles vernichten. Vor allem sich selbst. Ungezählte Gattungen hat er vom Erdboden vertilgt, denen er weder Trauer noch Tränen widmete. Den Urschoß aber, den unerschöpflichen, fruchtbaren und wandlungsfähigen: den wird er nicht zur Strecke bringen. Völkermorde an Tier- und Pflanzengattungen: solche Begriffe kennt das Wesen nicht, das allein über Sprache verfügt.

Vollkommene Tiere und Pflanzen, unvollkommener Mensch

Verglichen mit wunderbaren Tieren und vollkommenen Pflanzen ist der unvergleichliche Mensch zurückgeblieben. In Jahrtausenden hätte er durch Lernen aufschließen können. Noch tändelt er, ob er lernfähig sein will. Im dahinrasenden Zug eines festgelegten Heilsgeschehens spielt er den demütigen Passagier, der nur fähig ist, Daten des überirdischen Fahrplans mit seinem vulgären Chronometer zu vergleichen. Der vor allem nicht den Kairos verschlafen darf, den Augenblick der letzten Ankunft. Sonst droht der Schreckliche Bräutigam einzutreten, der die wachen Bräute beglücken, die eingeschlafenen ins Unbehagen hinausstoßen wird.

Mensch erfindet Gott und betet sich selbst an

Das Profil des übernächtigen Passagiers erkennt man leicht. Es ist kein Geheimnis. Vielmehr, es ist ein Geheimnis, da es keines mehr ist, seitdem die Spatzen es von Kathedralen, Moscheen und Synagogen pfeifen. Der Spätling der Evolution tritt auf in der lächerlichen Pose des Einmaligen und Unvergleichlichen. Seine gespreizte Auserwähltheit stellt er unter Beweis, indem er das Natürliche kränkt und verleumdet.

Anstatt der Natur ungeteilte Zärtlichkeit zu bezeugen, erfindet er aus dem Bodensatz unglücklicher Fantasie naturübersteigende Mächte, vor denen er augendrehend die Knie beugt. Ahnt er, dass er sich selber anbetet: das grenzenlose Schattenbild seiner gekrümmten Figur – wenn die Sonne am tiefsten steht?

Ebenbild Gottes ist nicht Narziss

Ist er Narziss? Jener Gipfel der Verruchtheit für schmäh-süchtige Moderne, die das Böse nur dem Dunstkreis hellenisier-ter Mutterschänder und Vatermörder entnehmen? Im Spiegel der Natur vernarrte sich Narziss in das eigene Bild, da er, selbst Teil der Natur, die Natur liebte. In seiner Person und außerhalb seiner. Mit einem, der den Kosmos liebt, ist der Einmalige des sechsten Schöpfungstags unverträglich. Verehrung des Natürlichen? Das ist Buhlerei und Götzendienst im Andachtsraum des überwertigen Geistes, der einen endgültigen Sieg feiern wird, wenn er der Baals-Natur den brünstig keuchenden Schädel zerschmettert haben wird.

Der Erwählte verachtet die sinnliche Natur

Niemals würde der Erwählte – Widerpart von Narziss – sich im Spiegel fratzenhafter Natur betrachten. Wieviel Mühe muss er aufwenden, das mindere Material an Sinneseindrücken, das natternhafte Triebgewimmel zur Disziplin und Moral zu bringen, nach Zahlen und Gesetzen aufzuziehen, das Sinnliche auszutreiben, um am Ende des exorzistischen Reihenzaubers das Nützliche und Brauchbare herauszudestillieren. Den strahlenden und stinkenden Rest: in die Gülle.

Mensch ist der Mann, der die weibliche Natur durch Gewalt erzieht

Der Mann, die Krone der Schöpfung, muss die liederliche Natur – das Weib – korrigieren und auf seine Augenhöhe hinauferziehen. Will er ihre Gesetze erkennen, muss er sie ihr vorsagen, ja in sie einpflanzen. Er kann nur erkennen, was er hervorbringt. Unabhängig vom Weiblichen, rein aus männlichem Apriori – jenem Vorurteil des Mannes, das er für ein Urteil hält. Dieses infiltriert er der weibischen Natur als objektives Urmuster oder Naturgesetz. Patrix müsste man das Implantat nennen, denn Matrix entstammt der Mutter.

Kant, der männliche Denker

Etwas gemäßigter, in juristischer Diktion, hatte es der Königsberger Denker formuliert. Will männliche Vernunft die Naturgesetze erkennen, muss Natur vor das Gericht der Vernunft geladen und dort gezwungen werden, die Fragen des Richters unmissverständlich zu beantworten. Alles andere wäre Herumtappen und weibisches Geplapper.

Mensch erschafft Gott, der den Menschen erschafft

Wer bis jetzt nicht bemerkte, das Geheimnis der Schöpfung sei der Mann, wird es nimmermehr bemerken. Es ist der Mann, der den Schöpfer-aus-dem-Nichts – aus dem Nichts erschuf. Gottgleich ist er, weil er ihn so entwarf, dass Gott den Bedürfnissen des Menschen immer mehr entsprechen kann. Just diesen Gott wählt nun der Mensch zu seinem Vorbild. Damit hat er – er will es nur nicht wissen – sich selbst zum Vorbild genommen. Nicht in irdischer Gestalt, sondern in fremder Gestalt eines Höheren und Anderen. Beide Gestalten, demselben Ursprung entsprossen, wollen nach zeitlicher Spaltung dereinst wieder zusammenkommen. Er, der Mensch, will ER, Gott, wer-den, da ER niemand anders ist als – er.

Untergang der Natur: Verschmelzung von Mensch und Gott

Wie lange dauert es, bis er ER geworden ist? Noch 1,4 Grad Celsius lang. Mit dieser Winzigkeit an ausgestoßener Energie muss er die Erde noch aufheizen. Dann ist es soweit. Was dann? Dann: die ERlösung. Gottvater und Gottsohn werden mit-einander verschmelzen, sie werden Eins sein. Der Mensch steht vor dem Gipfelkreuz seiner Heils- und Unheilsgeschichte, seiner inszenierten Allmachts- und Ohnmachts-Fantasien. Was aber, SCHWESTERNBRÜDER, ist die Resultante aus Allmacht und Ohnmacht? All das, was ihr jetzt schon seht. Wenn ihr es seht. Wann wird es geschehen? Perhaps today.

Gott: allmächtig und ohnmächtig

Als der Mensch seinen Gott erschuf, stattete er ihn mit Allmacht aus, denn selber war er ohne Macht. Das verhalf zu einem gewissen, wenn auch posierten Selbstbewusstsein. Als sich herausstellte, dass „Allmacht“ sich aus einem Vorteil in sein Gegenteil verkehrte – die Frage: warum so viele Übel bei soviel Allmacht, war nicht zu beantworten – erweiterte er das Profil seines Gottes und dehnte es bis an seinen Gegenpol. Gott entledigte sich seiner Allmacht, um durch Ohnmacht – noch mächtiger zu werden.

Durch Ohnmacht allmächtig

Gott der Allmächtige wurde Vater, der einen ohnmächtigen Sohn erhielt. Der Sohn, Urmuster des Generationenkonflikts in religiöser Simulation, musste die Scharte misslungener Schöpfung durch Dulden und Leiden auswetzen. Indem er als Gottsohn das Martyrium auf sich nahm, um alles, was ihm widerstand, ins Unrecht zu setzen, besiegte er als anonymer Gottvater den Tod, Werkzeug des Durcheinanderwerfers. Seitdem wissen die Erlöser nicht mehr, was ein Märtyrer ist. Kommt er von der Konkurrenz, schicken sie ihn nicht mehr zu paradiesischen Jungfrauen, sondern in die asymmetrische Hölle.

Gott in der europäischen Verfassung

Die Ohnmacht des Sohnes war nicht unverträglich mit der Macht des Vaters, sondern machte sie noch allmächtiger. Nervende Fragen nach der Allmacht werden seitdem durch Hinweis auf den Schmerzensträger abgewiesen. Altlogisches Kritisieren ist im gegenwärtigen Jahr des Herrn nicht opportun, wenn letzterer alle Präambeln Europas ziert und die ordo triumphans eine europäische Wiedergeburt erlebt, die mit Renaissance gewiss nicht übersetzt werden darf. Vielmehr sind es schmucke Kopftücher, Brillanten-Kreuzchen und ehrwürdige Kippas, die zur Empathie einladen mit dem hilfsbedürftig-mächtigen Gott und seinen stellvertretenden Talaren.

Glaube an Gott: unwiderleglich

Der ohnmächtige Gott ist Antwort auf die Frage nach dem Übel oder dem Bösen. Der allmächtige Gott ist Garantie für den stets verschobenen, doch gewissen Sieg am Ende der Zeiten. Mit dem polar erweiterten Repertoire wird Gott zukunftsfest und zukunftsoffen, immun gegen vorwitzige Kritik, unwiderlegbar, unbesiegbar, unaufhaltsam, überaus liebens- und fürchtenswert, Brenn-Punkt unseres Mitleids und unserer Mitfreude, vor allem apokalyptischer Schadenfreude, wenn am Großen Tag die Spreu vom Weizen getrennt werden wird.

Unendlicher Gott, unendliche Bedürfnisse

Der Gott aller Register steht seinem Erfinder zu allen Diensten. Da der Registergott ins Unendliche gewachsen ist, expandieren die Bedürfnisse seines Geschöpfs ins Unendliche. Nun müssen wir uns nicht ängstigen, dass unsere Bedürftigkeit befriedet werden könnte oder die Befriedigungsindustrie ihre Tore schließen müsste, da sie eines Tages ihren Zweck erfüllt haben wird.

Den unendlichen Dienstleister bitten wir: gib uns unser tägliches Bedürfnis, dass wir nicht satt und träge werden. Schon sind wir satt, schon sind wir reich geworden, schon sind wir zum Herrschen gekommen. Gib uns künstlichen Hunger und unstillbaren Durst nach unendlichen Dingen. Dass die Produktionsströme jährlich anwachsen mindestens um zwei Prozent und wie Milch und Honig den Erdball fluten. Bis dass der letzte Taiga-Bär keine Lachsforelle, der letzte Dingo verölte Klumpen, der letzte Koala kein Eukalyptus mehr finden wird. Dann hat lineares Wachstum der geisterfüllten Gattung der zyklischen Natur gezeigt, was eine evolutive Harke ist.

© Fritz Gebhardt