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Massenpsychologie

Hello, Freunde der Massenpsychologie,

„Verantwortliche politische Führung darf niemals den wirklichen Frieden der Zukunft gegen den trügerischen Frieden der Gegenwart eintauschen.“ Sascha Lobo hat den entscheidenden Satz Merkels dem Vergessen, nein, der Verdrängung entrissen. (Sascha Lobo in SPIEGEL Online)

Wie nennt man die Verklärung der Zukunft zu Lasten der Gegenwart? Religion. Heilsgeschichte. Glauben an den Messias. „So harret auch ihr geduldig, stärket eure Herzen! Denn die Zukunft des Herrn ist genaht.“

Die Zukunft des Herrn ist seine Wiederkunft, die uns aus der „gegenwärtigen bösen Welt“ erretten wird. „Wir wissen, dass die ganze Welt in der Gewalt des Bösen liegt.“

Pastorentochter Merkel lag vor den amerikanischen Kanonen-Biblizisten auf dem Bauch. An der Seite des wiedergeborenen Dabbelju hätte sie den Kreuzzug gegen Teufel Saddam bedenkenlos, nein, mit Glaubenseifer, mitgemacht. Hat man das hierzulande bereits vergessen?

Merkel ist aufgewachsen im Dunstkreis jener Deutschen, die Moskau hörig waren. Inzwischen hat sie die Hauptstadt der totalitären Sozialisten mit Washington, der Hauptstadt der Biblio-Imperialisten, vertauscht. Das Bücklingsritual ist gleich geblieben, nur das Objekt der Prostration hat gewechselt. (Prostration – nicht zu verwechseln mit Prostitution, obgleich zum Verwechseln ähnlich – ist Niederwerfen vor dem Altar in Leibeslänge.)

Merkels Pastorenvater war aus Sympathie mit dem Sozialismus in den Osten gezogen. Hat die Tochter aus dem Munde des Vaters je ein kritisch Wörtchen über

das kommunistische Unrechtsregime gehört?

Nun hat die Tochter die Seiten gewechselt. Nein, die Geschichte beliebte, für sie die Seiten zu wechseln. Nun kniet sie vor dem neuen westlichen Altar – mit der gleichen Hingabe wie Jung-Angela vor dem alten östlichen. Hat man aus ihrem Munde je ein kritisch Wörtchen über den gottgewollten Neoliberalismus gehört?

Hin und wieder Scheinempörungen über ein abgehörtes Handy, über Foltern und Quälen, nur fürs Publikum inszeniert, nicht weiter ernst zu nehmen, morgen ist alles wieder vorbei.

Merkel ist eine programmatische Mitläuferin, die sich ihr Programm von den wechselnden Mächten vorschreiben lässt, die Gottes Obrigkeit für sie sind. Statt von Mitläuferin könnte man auch von Christin sprechen. Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre.

Wer glaubt, das Wort: du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen, sei ein staatsfeindliches Revoluzzerprogramm, täuscht sich gewaltig. Man gehorcht Gott, wenn man der jeweiligen Obrigkeit gehorcht. Das ist lutherischer Kadavergehorsam.

Die Katholiken haben es hier schwerer, denn sie müssen zween Obrigkeiten gehorchen, der weltlichen und der päpstlichen. Solange die Welt sich dem Papst beugt, gibt’s keine Probleme. Nur wenn das weltliche Schwert sich dem geistlichen widersetzt, kommen die Bayern ins Grübeln – und überlegen eine geschlagene Sekunde, ob sie dem katholischen Führer (der nie aus der Kirche ausgetreten war) noch weiter hundsföttischen Gehorsam schuldig sind.

Nichts wird im Himmelreich so heiß gegessen, wie es gekocht wird: der Papst hielt seinen geweihten Mund in der Öffentlichkeit. Schließlich benötigte er den deutschen Sohn der Vorsehung, um das bolschewistische Geschwür auszutreten und schon waren die minimalen Irritationen in Oberammergau verschwunden.

Es gibt noch immer deutsche Historiker, die Pius XII. für einen Ehrenmann halten, nur weil er bei Nacht und Nebel einige Juden rettete. Wie viele Juden er bei offenem Widerstand hätte retten können, interessiert die Frömmler nicht.

Dass ein Stellvertreter Gottes auf die Unterstützung seines himmlischen Vaters vertrauen darf und sich machivellistische Winkelzüge versagen muss, hat sich in Rom – und in der deutschen Geschichtswissenschaft – noch nicht herumgesprochen. Auch hier gilt das Almosenprinzip: das gnadenhafte Scherflein der Erwählten wiegt mehr als Recht und Gesetz der Demokraten.

Auf dem CDU-Parteitag predigte die Kanzlerin ihren hohen C-Funktionären, dass Gott den Einzelnen sieht. Den einzelnen Auserwählten, nicht die demokratische Gesellschaft im Ganzen. Christliche Politik ist Exklusionspolitik, die Probleme der Welt kümmert sie einen feuchten Dreck.

Das gilt nicht nur für die Innenpolitik, sondern auch für die Außenpolitik des auserwählten Westens: dies ist der Hauptgrund der momentanen Blockbildung und der zunehmenden Spannung zwischen den Blöcken. Russland ist nicht päpstlich, die Türkei nicht christlich, China ohnehin nicht abendländisch, in Brasilien verdrängen evangelikale Sekten und Mischreligionen den Einfluss des Vatikans, Afrika wendet sich immer mehr dem Islam und früheren Naturreligionen zu. Da bleibt dem allerchristlichsten Westen nichts übrig, als zusammenzurücken wie eine Wagenburg und lutherisch zu schmettern:

Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Die Fürsten dieser Welt nehmen überhand, nur NATO und die hegemoniale Wirtschaftspolitik des reichen Westens können sie fällen.

Merkel wird Bismarck immer ähnlicher. Sie wird zur Mutter mit dem eisernen Gebiss, auf dem Blut und Eisen geschrieben steht. Ihr Eisen ist Ökonomie, ihr Blut die NATO. Es geht es nicht mehr um das winzige Europa. Der finale Verteilungskampf um den Planeten hat längst begonnen.

Bismarck schweißte die kleindeutsche Lösung mit Blut und Eisen zusammen:

„Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“

Der eiserne Kanzler bezog sich auf das Gedicht eines Kriegsfreiwilligen von 1813:

„Denn nur Eisen kann uns retten,
Uns erlösen kann nur Blut
von der Sünde schweren Ketten,
Von des Bösen Übermut.

Bismarck und Merkel sind Trittbrettfahrer der Heilsgeschichte. Merkel ist nicht die einzige unter den Neuariern der Nachkriegszeit, die politischen Erfolg als Gottesurteil betrachtet.

Wie viele NS-Schergen aus SS, Geheimdienst, Naturwissenschaft und Raketentechnik sind – ohne mit der Wimper zu zucken – von einem Tag zum andern in die Dienste der siegreichen Feinde getreten. Ohne Wernher von Braun und seine Spießgesellen keine amerikanische Mondlandung.

Warum hat Merkel kein Programm? Weil sie sich als untertänige Magd der Zeit ständig neu justieren muss. Wohin der Zug fährt: sie weiß es nicht. Sie hat nur die Pflicht, sich täglich neu zu erfinden, was bedeutet, sich den Weisungen der Heilsgeschichte zu fügen. Man muss wendig sein wie ein Hund, der bei jeder Richtungsänderung seines Herrn sich stolz an die Spitze der Bewegung setzt.

Merkel kann kein Programm haben, denn sie hat keine Moral. Keine zeitlose Moral wie die griechische Philosophie. Ihr müssen alle Mittel recht sein, um die Zukunft ihres Herrn vorzubereiten. Gestern Sozialismus, heute Kapitalismus. Gestern Umweltschützerin, heute weiß sie nicht mehr, wie Ökologie geschrieben wird.

(Ihr grüner Kollege Kretschmann genauso. Sein Motto: vom Pneuma zum Pneu. Gestern Autogegner, um die Natur zu retten, heute heimgekehrt in den Schoß von Mercedes, dessen Pneupolitik er mit Emphase verteidigt. Diese Trittbrettfahrerpolitik nennen die Grünen: Verantwortung übernehmen.)

Merkel glaubt an die sichere Zukunft, wenn ihr Herr an die Pforte pocht. Die teuflische Gegenwart muss mit allen Mitteln – auch mit unmoralischen – in die Zukunft getrieben werden. „Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde“. Also ist alles, was aus Glauben geschieht, Gehorsam vor Gott.

Beim Glauben gibt’s bei Mutter Merkel nicht die geringsten Probleme. Was immer sie tut: sie ist unfähig zu sündigen (non posse peccare), denn jetzt schon sitzt sie im Schoße Abrahams. In diesem Sinn ist sie die Glaubensschwester Dabbeljus, der, im Konflikt zwischen Wert und Sicherheit, zwischen unsicherer Gegenwart und bombensicherer Zukunft, sich, ja genau, für die Sicherheit der Zukunft gegen die lächerlichen Werte der Menschenrechte entschied.

Menschenrechte? Das ist doch der Trick des Teufels, der ein tausendkünstiger ist und in der Maske des moralischsten Gutmenschen nichts anderes bezweckt, als die Menschen in ihrer irdischen Hybris zu bestätigen.

Die Deutschen, hegelianisch aus Instinkt, haben nicht das geringste Problem, was sie heute für gut, morgen für böse zu halten – und beides als identisch zu betrachten. Bei Hegel heißt diese Heilsprozedur: nach These und Antithese die allesversöhnende Synthese. Kommet her, alle Widersprüche dieser Welt, wir wollen euch erquicken und synthetisieren, dass euch Hören und Sehen vergeht.

Das ist der Grund, warum hierzulande die dreistesten Antisemiten sich als BILD-Philosemiten aufspielen können.

Gestern wollten die Grünen Natur schützen und Industrie bekämpfen, heute wollen sie Industrie schützen und die Ökologie bekämpfen. Gestern wollten sie ihren umweltschädlichen Fleischkonsum einschränken, heute singen sie: Natur ist uns shit-egal. Also alles ein einziger dialektischer Brei.

Der Deutsche tut eine Sache um ihretwillen? Na was denn sonst – nachdem er die Sache dialektisch so präpariert hat, dass er machen kann, was er will: die Sache ist immer der von ihm synthetisierte Brei, den er gar nicht verfehlen kann.

Claudia Roth, die flotte Obergrüne, geht mit dem Spruch hausieren: was sich nicht ändert, bleibt sich nicht treu. Das passt auf den käuflichen Schröder wie auf die bäuchlings liegende Merkel.

Sich ändern, um sich treu zu bleiben, hatte den Sinn, in humanitas hinzuzulernen und täglich weiser zu werden, aber nicht, seine Grundsätze rückgratlos zu verkaufen. Wenn alle Änderungen möglich sind, ohne sich aufzugeben, dann sind Lumperei und Niedertracht nicht mehr definitionsfähig.

Sündiget tapfer, nur glaubt – das ist der lutherische Kern der postmodernen Gaunerei. Und die Deutschen können sich rühmen, bei jedem opportunistischen Bubenstück dabei gewesen zu sein.

Können weise Menschen sich nicht verändern? Oh gewiss doch: durch selbstkritische Überprüfung, die angeben kann, warum sie ihre Meinung geändert, warum sie sich geirrt hat. Wer seinen Irrtum korrigiert, hat sich nicht neu erfunden, sondern einen Widerspruch mit sich selbst ausgeräumt und ist folgerichtiger und authentischer geworden.

Authentisch sein heißt, mit sich im Einklang leben. Wie sind Versuch und Irrtum möglich, wenn Irrtum gar nicht definierbar ist? Wenn alles möglich ist, sind Irrtümer abgeschafft. Irren ist der selbstkritische Aspekt des Erkennens und Lernens.

Werft die ganze zerrüttete Postmoderne auf den Müll. Ihr einziges Verdienst ist es, den Neoliberalismus salonfähig gemacht zu haben. Wenn es keine Wahrheiten mehr gibt, können täglich wechselnde Konsumartikel in die Bresche springen. Wahr ist dann, was täglich neu angesagt ist.

Wer bestimmt die Ansage? Jene Warenindustrie, die die Wahrheit leugnet, damit ihre eigene Unwahrheit nicht ans Licht kommt. Wenn Warenindustrie zur Wahrheitsindustrie degenerieren kann, kommen morgen die Wahrheitsmanager und bestimmen von Tag zu Tag neu, ob zwei und zwei vier, drei oder unerkennbar ist.

Meine Geschwister, das System des Kapitalismus ist kein wirtschaftliches, sondern ein philosophisches. Wie können wir zu uns kommen, wenn wir permanent „in“ sein müssen? Wer bestimmt, was in-sein ist? Anonyme Geldsäcke, ästhetische Diktatoren und mediale Ajatollas, die ihre privaten Grillen und Launen zur neuen Stilrichtung erheben – und alles läuft verhext hinterher.

Der Rattenfänger von Hameln hatte nur eine schlichte Flöte. Die modernen Rattenfänger gebieten über riesige Orchester, elektronische Klangteppiche und alle Finessen der optischen Werbepsychologie.

(Nur nebenbei: es ist kein Zufall, dass die Schöpfer der amerikanischen Folterei Psychologen sind, die den Menschen als Pawlow‘sche Fleischstücke betrachten, die man in satanischer Beliebigkeit in Hackfleisch verwandeln kann.)

Müssen wir apokalyptische Untergangsgesänge anstimmen, weil alles so schrecklich geworden ist? Nicht die Bohne.

Zwar stimmt es, die technischen Möglichkeiten der Menschheit, sich auszuradieren oder eine weltumspannende Tyrannei der EINPROZENT mit Hilfe der NSA, Drohnen und Atomwaffen zu installieren, sind so günstig wie nie zuvor. Gleichwohl und dennoch: wann war es möglich, dass der Protest gegen die amerikanische Menschenquälerei in kürzester Zeit von Wladiwostok bis Kapstadt, von Rio bis Berlin-Marzahn, von Peking bis Tokio in Blitzesschnelle um den Globus rasen konnte?

Gewiss, das Internet hat grässliche Schattenseiten und dennoch – vergessen wir das nicht, indem wir das Kind mit dem Bade ausschütten – gibt es uns die Möglichkeit, im ganzen Erdenrund fast synchron zu kommunizieren.

Lassen wir uns nicht von den unendlich angeschwemmten Bad News irritieren, die uns die tägliche Dosis Apathie und Gleichgültigkeit einflößen sollen, damit die Mächtigen umso besser schlafen können.

Lassen wir uns nicht einreden, die neuen Stimmen der Völker im Netz seien nur Shitstorm und „dumpfer“ Populismus. Noch nie in der Geschichte des Menschen hat es so viele intelligente, wache und verantwortliche Demokraten gegeben.

Die Eliten stilisieren sich als Lichtgestalten der Welt, indem sie die Massen als irrationale Klumpenbildungen blinder Affekte und amoklaufender Barbarenhorden schmähen. Die Massen verinnerlichen noch viel zu sehr den Selbsthass vernunftloser Triebwesen, anstatt sich bewusst zu machen, dass sie bei nüchterner Selbsteinschätzung die Chance hätten, das globale Steuer herumzureißen.

Seit mehr als 100 Jahren lassen wir uns von Führern der Menschheit einbläuen, wir Völker seien Horden unberechenbarer Unvernunft. Nehmen wir die Psychologie der Massen“ von Le Bon:

„Bisher bestand die Aufgabe der Massen offenbar in den großen Zerstörungen der alten Kulturen. Die Geschichte lehrt uns, dass in dem Augenblick, da die moralischen Kräfte, das Rüstzeug einer Gesellschaft, ihre Herrschaft verloren haben, die letzte Auflösung von jenen unbewussten und rohen Massen, welche recht gut als Barbaren gekennzeichnet werden, herbeigeführt wird. Bisher wurden die Kulturen von einer kleinen, intellektuellen Aristokratie geschaffen und geleitet, niemals von den Massen. Die Massen haben nur Kraft zur Zerstörung. Ihre Herrschaft bedeutet stets eine Stufe der Auflösung. Eine Kultur setzt feste Regeln, Zucht, den Übergang des Triebhaften zum Vernünftigen, die Vorausberechnung der Zukunft, überhaupt einen hohen Bildungsgrad voraus – Bedingungen, für welche die sich selbst überlassenen Massen völlig unzugänglich sind. Vermöge ihrer nur zerstörerischen Macht wirken sie gleich jenen Mikroben, welche die Auflösung geschwächter Körper oder Leichen beschleunigen. Ist das Gebäude einer Kultur morsch geworden, so führen die Massen seinen Zusammenbruch herbei. Jetzt tritt ihre Hauptaufgabe zutage. Plötzlich wird die blinde Macht der Masse für einen Augenblick zur einzigen Philosophie der Geschichte. Alle Herren der Erde, alle Religions- und Reichsstifter, die Apostel aller Glaubensrichtungen, die hervorragenden Staatsmänner waren stets unbewusste Psychologen mit einer instinktiven und oft sehr sicheren Kenntnis der Massenseele; weil sie diese gut kannten, wurden sie leicht Machthaber.“

Die Massen haben die Eliten an Wachheit und moralischer Integrität längst überholt. Le Bons Analysen galten für machtbesessene Himmelssöhne von Napoleon, über Lenin, Stalin, Mussolini, Hitler bis Mao. Solche Rattenfänger wären heute undenkbar. Die Völker brauchen keine Führer, Heilande und Seelenhirten mehr.

Wir sind das Volk? Nein, wir sind die Völker. Das Schicksal der Erde hängt von uns ab: der Gemeinschaft der Völker. Entweder wird der autonome Mensch das Überleben in der Natur lernen – oder er wird untergehen in selbstverschuldeter Unmündigkeit.