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Tagesmail

… zum Logos VI

Tagesmail vom 08.12.2021

… zum Logos VI,

„Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“ (Hesse)

Neuanfang ohne Zauber. Wer Zauber will, wird Entzauberung ernten.

Deutschland erwacht aus einer Epoche der Selbstverzauberung, der Krönung ihres Neubeginns, in Symbiose mit einem pastoralen Medium.

Zauberhafte Neuanfänge mit schrecklichen Enden: das war das Gesetz ihrer abendländischen Geschichte.

Vor 100 Jahren: welch berauschender Anfang einer Ära, die den Triumph eines besonderen Volkes über alle Völker einläuten sollte – und in höllischen Feuern endete.

Die glanzvolle mittelalterliche Herrschaft über das christliche Europa endete in Selbstzerfleischung und bedeutungsloser Ohnmacht.

Luthers Neubeginn versank in einem 30-jährigen Religionsgemetzel.

Bismarcks neugegründete Nation gab in Blutströmen des Ersten Weltkriegs ihren Geist auf.

Apokalypse und Neuanfang: das war die nationale Heldenparole der Generation Ernst Jünger.

Keine Auferstehung ohne Tod und Verderben, das war die Botschaft vom Kreuz, welches die Geschichte der Germanen bis heute prägt.

Die zurückliegende Epoche begann mit keinem Zauber. Unbemerkt und unauffällig musste er sich ins Bewusstsein der Deutschen einschleichen, bis auch der Letzte der Besitzenden verstand: leben wir nicht im Paradies?

Alles lief mühelos, mit allem schien es aufwärts zu gehen. So hätte es bleiben müssen – und so wird es auch bleiben, war die unterschwellige Botschaft einer Verzauberin im Auftrag ihres Gottes, die sich die Deutschen angelacht hatten, um ihren – Abstieg nicht wahrzunehmen, dessen Inferno im Höllentempo vorangetrieben wurde.

Heute stehen sie vor dem Ergebnis ihrer Selbstbetäubung, das sie noch immer verleugnen wollen: das Ende naht. Sie wollen nicht sehen, was sie taten. Doch in diesen Tagen blicken sie plötzlich zurück, sie, die immer nach vorne schauen wollten.

„Merkels Werkzeuge waren wie geschaffen dafür, den größten Unbill vom Land fernzuhalten.“ (Sueddeutsche.de)

Die scheidende Kanzlerin bewahrte den Wohlstand, beschwichtigte die unbewussten Ängste einer Nation, deren Wohlergehen mit dem Elend anderer Völker erkauft worden war. Sie verteilte Almosen, um die Guten zu beschwichtigen, blieb aber bei der Regel des Bösen, um vor Realisten und Tatsachenmenschen nicht als Träumerin zu gelten. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Für jeden hatte sie ein passendes Präsent im Korb. Niemand sollte zu kurz kommen. Der Dank der Deutschen war ihr gewiss.

Ihre Leibgarde schreibt unermüdlich ihre Hagiographien: war sie nicht die Erfüllung einer Politikerin: immer sachlich, ohne Gefühlsbewegungen, freundlich, unkränkbar, just so, wie man sich die Patentante seiner Kinder wünscht?

Freilich: sachlich und gefühllos, ist das nicht die Beschreibung einer Maschinistin, die dafür sorgt, dass alle Räder geräuschlos funktionieren?

L‘ homme machine, das Ideal der beherrschbaren Natur, hat sich durgesetzt. Die Aufklärung hatte noch an den Fortschritt der technischen Perfektion – und den der Humanität geglaubt. Die letztere wurde durch ihre Nachfolger begraben, die erste bestimmt die Weltgeschichte – bis zur Determinierung der Persönlichkeit.

Die Führer der Menschheit sind keine Verkörperungen mehr des Weltgeistes hoch zu Ross, sondern kühl kalkulierende Rechner und emotionslose Erdgiganten. Sie müssen weder paradieren, noch prahlen oder große Reden schwingen. Es genügt, wenn sie ihre Raketen fliegen, ihre Armeen aufmarschieren und ihr Geld wirken lassen.

Merkels Politstil war für SZ-Kornelius beispielhaft.

„Nutzen mehren, Schaden abwenden, Pflichten gewissenhaft erfüllen. Merkel hat sich daran gehalten.“

Was folgt daraus für ihren Nachfolger? Jetzt festhalten:

„Olaf Scholz sollte nicht versuchen, ihn zu imitieren. Auch diese Kanzlerschaft war einmalig, nicht nur wegen der besonderen biografischen und charakterlichen Prägung Merkels. Sie war vom Zeitgeist einer sich neu formierenden Welt gezeichnet, vom Revolutionsgetümmel der digitalisierten und globalisierten Unordnung. Merkels Werkzeuge waren wie geschaffen dafür, den größten Unbill vom Land fernzuhalten. Nun müssen neue Werkzeuge geschliffen werden.“

Vorbildlich, aber einmalig, das ist deutsche Logik vom Feinsten: Nichts ist das Gegenteil von Allem, zugleich identisch mit ihm. Mit dieser Logik, dem Gegenteil der Vernunft und des gesunden Menschenverstands, wird es den Deutschen gelingen, ihr Schifflein mit Sicherheit in den Abgrund zu steuern. Dies ist jene Dialektik, die man nicht mehr unterscheiden kann von grassierender Schlamperei, mit der sie die Republik in den Ruin treiben.

Für Christen allerdings hat diese Logik heilsgeschichtliche Gründe. Die Zeit Gottes ist keine statische Einheit, sondern besteht aus ständig wechselnden Epochen. Die Wahrheit vergangener Epochen kann nicht die der zukünftigen sein. Göttliche Wahrheit ist wechselnde Offenbarung, in der das Neue das Alte tilgt.

Hermann Hesse, Missionarssohn, kennt die wechselnden Wahrheiten der Heilsgeschichte, der sich auch Kornelius verpflichtet fühlt. Es ist das Zeitgefühl der Moderne: schaut nicht zurück, das Alte ist vergangen, schaut nach vorne und – erfindet euch ständig neu. Wahrheiten der Vergangenheit können nur Talmi sein. Aus der Geschichte lernen wir nichts.

Will jemand etwas Wahres sagen, muss er in den Kalender schauen: Erkenntnisse sind epochenabhängig. Weshalb Weisheiten griechischer Philosophie heute nur noch belanglose Bildung sein können. Schau nicht zurück, Angela.

Ihre Wahrheit ist nicht die der Natur, die zeitlos gilt, sondern die der Frommen, die täglich neue Erleuchtungen erwarten. Zeitlose Wahrheiten sind heidnische Blasphemien für sie.

Der Sieg der Religion über den Logos hat die Substanz der Vernunft zerstört. Obwohl Merkel perfekt war, darf Scholz ihrem Kurs nicht folgen. Das muss Lernen durch Versuch und Irrtum sein. Menschen können nichts voneinander lernen, sie müssen genial sein. Genial sein, heißt, alles alleine von vorne erfinden, als ob es in der Welt noch nie etwas Vernünftiges gegeben hätte.

Der Geniebegriff der Romantik hat die Erkenntnisfähigkeit der Deutschen korrumpiert. Kann es keine allgemeinen Wahrheiten geben, sind Impfgegner aus dem Schneider. Ihre Wahrheiten sind gefühlte, die keiner objektiven Wahrheit folgen.

Wahrheiten des Glaubens sind wechselnde Offenbarungen eines Gottes – oder die Vernunftfeindschaft der Gegenaufklärung, auf der der neoliberale Glaube an einen allwissenden Markt beruht.

Die FDP hat mit ihrem asozialen Freiheitsbegriff die meisten Gegner der Impfpflicht in ihren Reihen versammelt. Pflichten seien mit der FDP nicht vereinbar, hieß es von einer prominenten Parteifrau. Damit hätten sie Kant und die gesamte Aufklärung mit einem Schlag vom Tisch gewischt:

„Auf dem Parteitag der FDP im Mai hatte Christian Lindner bereits für den Wahlkampf die Parole ausgegeben, es stünden im Grunde zwei politische Konzepte zur Wahl: Freiheit für Menschen und ihre Ideen einerseits – mehr Staat und mehr „Anmaßung von Wissen“ andererseits. „Anmaßung von Wissen“ ist eine Wendung aus der Gedankenwelt Friedrich August von Hayeks (1899-1992) und damit ein Hinweis auf eine Tiefenströmung im Liberalismus, die tatsächlich mit einer Politik, die wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Entscheidungsfindung einbezieht, kaum vereinbar ist. Hayek, der wahrscheinlich berühmteste Vordenker eines radikalen Marktliberalismus, unterstellte die „Anmaßung von Wissen“ all jenen, die steuernd in den Markt eingreifen wollen. Es sei unmöglich, auf kluge oder sinnvolle Weise dort einzugreifen, fand er. Denn egal, wie viel eine Regierung oder die Wissenschaften zu wissen glauben – über das entscheidende Wissen, so Hayek, verfügt nur der Markt.“ (ZEIT.de)

In exzellenter Weise hat Maja Beckers die Wurzeln eines verantwortungslosen oder pflichtvergessenen Freiheitsbegriffs in der Gegenaufklärung ausgegraben, den der katholische Ökonom Hayek der Moderne als „wissenschaftliche“ Ökonomie verordnete. Wir reden vom Neoliberalismus.

Hayek kennt nur eine allwissende Instanz und das ist der Markt, der die Stelle Gottes eingenommen hat. Der Mensch weiß wenig bis nichts, in allen Dingen muss er die Entscheidungen des Marktes abwarten.

Der Logos ist tot, es lebe der geheimnisvolle und undurchschaubare Markt. Das sind die Leitideen der Liberalen, die keine klassischen mehr sind, sondern die katholische Feindschaft wider die Vernunft als Credo in ihr Programm aufgenommen haben.

In welche Partei man auch schaut, stets trifft man auf Dogmen der Religion, die die Wahrheit der Vernunft untergraben. „Anmaßung des Wissens“, heißt ein Buch Hayeks, dessen Feindschaft gegen objektiv-erkennbare Wahrheit die angelsächsische Parallele zu den französischen Postmodernisten darstellt.

Die Deutschen haben sich mit diesen vernunftfeindlichen Strömungen nie auseinandergesetzt. Bei den irrlichternden Franzosen kommen sie nur ins Schwärmen und Hayeks Widerstand gegen die Vernunft übernehmen sie, ohne sie zu überprüfen.

Die Ökonomen wissen nicht mal, dass die Grundlagen ihrer strengen Natur- oder Geschichtswissenschaft“ auf philosophischen Grundsätzen beruhen und nicht auf nachprüf- und messbaren Erkenntnissen der Wirklichkeit.

„Hayeks Liberalismus wird so zur einflussreichsten Opposition gegen die Wissensgesellschaft. Seine ultraliberale Theorie des Wissens nimmt dabei so manche Pointen der linken Poststrukturalisten bereits vorweg. Im Gegensatz zu den Philosophen der Aufklärung glaubt er nicht, dass der Mensch zur Vernunft begabt ist: „Wahrscheinlich stimmt es, daß die Menschen meist nicht fähig sind, selbständig zu denken“. Er will das Übel an der Wurzel packen und ausreißen und polemisiert gegen jedes zielgerichtete Denken und Handeln, gegen Wissen und Vernunft als solche. Übrig bleiben der Mensch als Holzkopf und ein System, das aus Dummheit eine Tugend macht.“

Wie war nochmal die Stellungnahme der Kanzlerin zu diesen Grabenkämpfen der Ideologien? Oh pardon, aus der Perspektive einer Pastorentochter gibt es keine Meinungen zu Schlammschlachten hybrider Selbstdenker zu entdecken.

Robin Alexander verglich Merkel gar mit einer Sphinx, die alle Wesen frisst, die ihr geheimnisvolles Wesen nicht durchschauen. Eine Sphinx ist ein göttliches Wesen, dessen Wahrheiten nur Erwählten zugänglich sind. (WELT.de)

Das ist Esoterik, Wahrheit für Auserwählte. Die christliche Staatsreligion ist so esoterisch, wie man esoterisch nur sein kann. Esoterische Impfgegner auf der Straße sind für Eliten Feinde der Gesellschaft, Merkel und ihre Religion hingegen das Nonplusultra einer rationalen Gesellschaft.

Welcher Wohlstand wurde von Merkel bewahrt, die Begriffe wie Neoliberalismus oder Kapitalismus nie in den Mund nimmt? Mit Schmankerln einer selbstbestimmten Vernunft will sie nichts zu tun haben. Hören wir die Gerechtigkeitsbilanz ihrer Amtszeit bei Thomas Fricke:

„Beim Amtsantritt von Angela Merkel lag Deutschland nach einem Ranking von Germanwatch und Partnern an der Spitze, was die Klimapolitik angeht. Gegen Ende der Kanzlerschaft reichte es gerade noch für einen Platz unter den ersten 20 (von 60) Ländern. Richtig gut schnitt die Kanzlerin bei einem weiteren konservativen Leitmotiv ab: beim Vermeiden von Gleichmacherei. Von wegen Sozi: Spitzeneinkommen wurden unter Merkel niedriger besteuert als unter Helmut Kohl. Überhaupt sind die (angeblichen) Leistungsträger mit den höheren Einkommen unter der Kanzlerin so gut weggekommen wie keine andere Gesellschaftsgruppe. Noch nie hat umgekehrt über so lange Zeit ein so großer Teil der Leute im Land zu Niedriglöhnen gearbeitet. Wie die OECD kürzlich herausgefunden hat, war es seit Generationen für junge Menschen in Deutschland nicht so schwierig wie jetzt, in die Mittelschicht aufzusteigen – deutlich schwerer als in den meisten anderen OECD-Ländern. Da kann man von Gleichmacherei nun wirklich nicht reden. Von 100 Kindern, die in armen Haushalten aufwachsen, sind in Deutschland 68 auch noch arm, wenn sie erwachsen sind, so die OECD. Noch klarer sind die Verhältnisse, wenn es um Vermögen geht. In kaum einem anderen vergleichbaren Land ist der Reichtum ungleicher verteilt. Bevor Merkel startete, hatten die oberen zehn Prozent etwa 50 Mal mehr als im Schnitt die untere Hälfte der Bevölkerung. Gegen Ende ihrer Amtszeit ist es das 100-fache.“ (SPIEGEL.de)

Das soll soziale Marktwirtschaft sein oder genauer, die Agape einer gläubigen Protestantin? Der Wahrheitszerfall der Christen verbietet es, auch nur den Versuch zu unternehmen, in den Schlamassel ein wenig Ordnung zu bringen.

Mit ihrer Willkür-Hermeneutik haben sich die Theologen die Lizenz geschaffen, aus jedem X ein U, aus jeder Moral ihre Gegenmoral hervorzuzaubern. Das ist die Magie einer entzauberten Heilslehre, die ihre Beliebigkeit als ständig neue Wahrheit präsentiert.

Merkels moralfreie Lässigkeit hat wem genützt? Vor allem jenen, die schon hatten. Denen, die nichts hatten, wurde noch genommen, was sie haben. Das ist neutestamentliche Liebesethik in Reinkultur.

Der französische Philosoph Bernard-Henry Lévy lobt den Papst, der es wagt, die Abschottungspolitik der EU gegen Flüchtlinge (und damit auch Merkels) als unmenschlich anzuprangern:

„Wenn ein Boot mit verzweifelten Menschen, die vor Krieg oder Elend fliehen, zwischen der Türkei und Griechenland kentert, wenn das Mittelmeer zu „einem kalten Friedhof ohne Grabsteine“ und „einem Spiegel des Todes“ wird, kurz, wenn sich Mare Nostrum in Mare Mortuum verwandelt, dann erleidet nicht nur es, das Boot, Schiffbruch, sondern die gesamte europäische Zivilisation: Wir sind die Heimat von Dante, Victor Hugo und Homer; es ist Europa selbst, das sich untreu wird, sich verirrt und Suizid begeht. Es ist schon eine seltsame Zeit, in der Worte überraschen, verwirren und manchmal sogar empören, die doch die reinste Sprache Christi sind.“ (Sueddeutsche.de)

Die Anklage des Papsts ist richtig. Wo aber bleiben die Taten des Vatikans, seine scharfe Kritik an Regierenden und Nationen? Es bleibt beim kostenlosen Predigen, das so hohl klingt wie das „wertebasierte“ Gefasel der Zuständigen. In Deutschland spricht man von wertebasierter Politik, um das vermaledeite Wort Moral nicht in den Mund nehmen zu müssen. Moralische Politik lehnen sie unisono ab – doch wertebasiert soll sie allemal sein. Deutsche Logik vom Feinsten.

Warum konnte sich Minister Scheuer an der Macht halten, obgleich er ständig gegen alle Regeln einer verantwortlichen Ethik verstieß?
„Die SPD sei überzeugt, dass „bei Haushalts- und Vergaberecht getrickst worden ist“. Scheuer habe sich nicht von dem Vorwurf befreien können, „dass er das Parlament belogen hat“. Millionenkosten sollen virtuos versteckt worden sein, es gab Geheimgespräche mit Managern, private Mail-Accounts wurden genutzt, Maut-Betreiber sollen aufgefordert worden sein zu lügen.“ (Sueddeutsche.de)

Die Jugendlichen gehören zu den größten Opfern einer Politik, die an den Nachwuchs am wenigsten denkt:

„Kontaktreduzierungen und Abstand halten, die Aufforderung, solidarisch zu sein, und die Angst, geliebte Menschen zu verlieren, hat diese Generation schon sehr geprägt. Gleichzeitig haben viele Kinder und Jugendliche erlebt, wie die Konflikte zu Hause zunahmen, ihre Eltern unter Druck gerieten. Viele werden sich jetzt genauer fragen: Auf was und wen kann ich mich noch verlassen? Wie stark darf ich mich öffnen, darf ich Nähe überhaupt zulassen?“ (ZEIT.de)

Wenn das Bewahren des Bewahrenswerten dazu führt, das Bedrohliche und Gefährliche zu beschleunigen, dann wäre Merkels Zusammenraffen des nationalen Wohlstands nichts als hektische Selbstsucht kurz vor der Apokalypse.

War Merkel an allem schuld? Sie hätte keineswegs im Alleingang alle Probleme und Nöte verhindern können. Eins aber hätte sie auf keinen Fall unterlassen dürfen: die Defizite der Nation deutlich anzusprechen, die Schuldigen scharf zu benennen und das Ziel einer humanen Politik rigide anzusteuern.

Volk und Kanzlerin müssen sich die Schuld teilen. Schon vor Jahren waren die defekten Konturen ihrer Politik klar erkennbar. Ein waches Volk hätte sie spätestens nach der zweiten Amtsperiode in die Wüste schicken müssen.

Die romantische Symbiose aus Magd Gottes und einem in der Wüste umherirrenden Volk ist gescheitert. Wenn die neue Regierung sich nicht abrupt von diesem Gang ins Verhängnis abwendet, wird sie Merkels Kurs ins Unheil vollenden.

Und wie steht‘s mit der Demut und Uneigennützigkeit einer sympathischen Frau, die nichts gemein haben will mit dem Narzissmus ihrer rabaukenhaften Angeberkollegen?

Schon vor 40 Jahren hat ein Seelenkenner das Selbstbild Merkels vorausgesehen:

„Der Narzissmus trägt viele Masken: Heiligkeit, Pflichtbewusstsein, Freundlichkeit und Liebe, Bescheidenheit und Stolz. Es reicht von der Haltung eines hochmütigen und arroganten Menschen bis zu der einer bescheidenen und unaufdringlichen Person: Jeder kennt viele Tricks, mit denen er seinen Narzissmus tarnt, wobei er sich kaum bewusst ist, dass er das tut und weshalb er das tut. Das gleiche gilt für den religiösen Narzissmus: Dass Millionen von Religionsanhängern behaupten können, sie seien allein im Besitz der Wahrheit, ihre Religion sei der einzige Weg zum Heil, hält man für völlig normal.“

Der Seelenanalytiker hieß Erich Fromm. Ahnen wir, warum alles Tiefenpsychologische In Deutschland verschütt zu gehen droht, die Deutschen nur noch das Somatische und Maschinenhafte gelten lassen, alles Psychische hingegen – den Robotern der Zukunft zu opfern gedenken?

Heilige kennen kein Unbewusstes, keine Fehlleistungen, keine Rollenspiele. Ihr Hintergrund ist wie ihr Vordergrund. Sie sind, wie sie sich geben und geben sich, wie sie sind. In Angela Merkel, ihrem Alter Ego, erkennt sich das deutsche Volk wieder.

Die Bösen der Welt wurden zu den Besten der Welt – danach das grauenhafte Ende?

Fortsetzung folgt.