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Welt retten! Aber subito! XXVII

Tagesmail vom 18.11.2022

Welt retten! Aber subito! XXVII,

sind wir noch zu retten?

Nein. Die Natur schmeckt so überaus verlockend und wir Menschen sind so heißhungrig, dass wir sie immerdar kochen, kulinarisch präparieren, ratzfatz verspeisen, verschlingen und vertilgen müssen. Uns bleibt keine Wahl.

Denn wir suchen den unvergleichlichen TASTE der Mutter Natur: dieses unwiderstehliche Erdöl, die Muttermilch des Planeten, mit dem sich kein Champagner messen kann, diese unendlichen Rohstoffe, die danach fiebern, vom Menschen aus minderwertiger Materie gerettet und in komplexen Verfahren der BASF auto-, raketen- und konsumgerecht präpariert zu werden.

Von morgens bis abends wird in den TV-Kanälen gekocht. Unterhaltsame Gourmets lassen sich von Naturwissenschaft und Technik inspirieren: der Reichtum der Natur ist dazu da, vom Menschen in endlosen Variationen verspeist zu werden. Schaut die Liste der Sendungen, in denen die Natur zerlegt und zermörsert, zubereitet und unwiderstehlich gemacht wird:

1. Grill den Henssler
2. Küchenschlacht
3. Das perfekte Dinner 
4. Grill den Profi
5. The Taste
6. Kitchen Impossible
7. Gewusst wie: Rachs 5-Euro-Küche
8. Böhmi brutzelt
9. Mein Lokal, dein Lokal
10. Masterchef Deutschland
11. Wer kann, der kann! / Nailed it! Germany
12. Rosins Restaurants – Ein Sternekoch räumt auf!

Die weltweite Industrie entspricht den naturverschlingenden Küchen der Zivilisation – die keinen rohen Stoff verschmähen, um ihn suizid- gerecht aufzubereiten – und mit den Abfällen die verdurstende und verhungernde Natur zum Schweigen zu bringen.

Ökonomie ist die Wissenschaft der finanziellen Kreisläufe in der Industrie, die jedes Moralsalbadern zum Teufel jagt.

„Wo auf der Welt produziert wird, entscheidet nicht die Reinheit des grünen Gewissens, sondern die Attraktivität des Wirtschafts- und Industriestandorts. Schlecht für uns. Deutschland kann die Wende schaffen, das hat die Bundesrepublik oft genug bewiesen.“

Meint ein Wendespezialist, der den Deutschen bescheinigt, schon oft den Weltuntergang bewältigt zu haben. Wer sich der Ethik verschreibt und wirtschaftliches Wachstum verschmäht, ist ein Hans-guck-in-die Luft. (SPIEGEL.de)

Das bezieht sich auf ehrwürdige Traditionen exzellenter deutscher Denker. Mit seinen Schriften „Heilige Familie“ und „Deutsche Ideologie“ hat „Marx – zeitgleich mit der ganzen deutschen Philosophie – vom Glauben an die universelle Vernunft seinen Abschied“ genommen. (Löwith, Von Hegel zu Nietzsche). Kein moralisierendes Bewusstsein bestimmt das Sein, moralfreies Sein bestimmt das belanglose Bewusstsein.

„Ein modisch gewordenes Ethisieren verderbe sowohl die Metaphysik wie das Wissen vom Guten durch eine anmaßliche, moralische Salbaderei.“ (ebenda)

Keine Vernunft, s`il vous plaît, es geht um vernunftfreie Herrschaft über Mensch und Natur.

Goethes Faust war ein Heros der Moderne. Nicht aus moralischer Gesinnung etwas beschützen und erhalten, sondern unbedenklich alles vernichten, was der Siegestrophäe im Wege steht: das ist das faustische Prinzip, auf welches die rasenden Deutschen von heute noch immer stolz sind.

Vernichten, vernichten, um am Ende zu gewinnen. Denn was sich schlechterdings vernichten lässt, war nicht würdig, je gelebt zu haben:

„Ich sehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und er abermals alles zusammenschlagen muss zu einer verjüngten Schöpfung.“

Töten, um aufzuerstehen, vernichten, um eine neue Schöpfung zu creieren: das ist deutsche Ursubstanz von Goethe, Hegel bis Nietzsche, die den Stoff ihres jugendlichen Religionsunterrichts in zeitgemäße Philosophie verwandelten.

Die ganze Welt zusammenschlagen, um eine nagelneue, made in Neogermanien, zu erschaffen: das war der Endpunkt der deutschen Tötungs- und Auferstehungsideologie.

Danach – nichts mehr. Deutsche Nachkriegspolitik kennt keine Ideologie. Eher verstummen die Mächtigen, als sich mit läppischen -ismen herumzuschlagen. Was einzig zählt, ist der positive Saldo, der die faustische Gier anregt, um zu neuen Ufern zu streben.

In Deutschland herrscht eine Wirtschaftsmaxime, deren geistige Väter nicht zur Kenntnis genommen werden. Das würde ja Streit der Gedanken bedeuten, was nicht mehr opportun ist.

Zum Thema einer endlichen oder unendlichen Natur schreibt einer von ihnen:

„In einem gewissen Sinn beruht der Verbrauch unersetzlicher Vorkommen natürlich auf einem Akt des Vertrauens. Wir vertrauen im allgemeinen darauf, dass zu der Zeit, da das Vorkommen erschöpft ist, etwas Neues entdeckt worden sein wird, das entweder denselben Bedarf befriedigen oder uns zumindest für das entschädigen wird, was wir nicht mehr haben, sodass wir im ganzen nicht schlechter daran sein werden als vorher. Wir verbrauchen ständig Naturschätze auf Grund der bloßen Wahrscheinlichkeit, dass unser Wissen über verfügbare Mittel unbegrenzt wachsen wird – und dieses Wissen wächst zum Teil gerade, weil wir das Verfügbare so schnell aufbrauchen. In einer freien Gesellschaft ist es ebenso wenig berechtigt, dem Einzelnen das Recht der Entscheidung über die Zukunft zu nehmen, wie wir einen Anspruch haben, dass frühere Generationen für uns mehr Vorsorge hätten treffen sollen. Das Vorhandensein aufbrauchbarer Produktionskräfte bedeutet bloß, dass, solange sie vorhalten, ihr jeweiliger Beitrag zu unserem Einkommen uns helfen wird, neue zu schaffen, die uns ebenso wieder in der Zukunft helfen werden.“ (Hayek, Die Verfassung der Freiheit)

Nun wissen wir, wo der Neoliberalismus seine Wurzeln hat: im Bereich der deutschen Philosophie, die den Menschen zu Gott machte. Er darf darauf vertrauen, dass seine Existenz und die der Natur unendlich sein werden. Endliche Ressourcen gibt es nicht – und wenn doch, werden sie durch Ersatzstoffe vollwertig ersetzt.

Was bedeutet: unser wachsender Wohlstand kennt keine Grenzen. Dafür sorgt die Natur, die uns bemuttert wie Gottvater seine Auserwählten. Unser Wissen um neue Ressourcen wächst nur deshalb, weil wir die alten verbrauchen und derohalben gezwungen sind, neue zu erfinden. Die Endlichkeit bekannter Rohstoffe garantiert uns die Unendlichkeit stets neuer Nachfolgestoffe.

Ergo: wir können uns gar nicht übernehmen, denn die Schöpfung hat selbst für die Unendlichkeit unserer Bedürfnisse gesorgt. Der katholische Glaube Hayeks hat für die Unerschütterlichkeit seines Glaubens an eine unendliche Wirtschaft gesorgt.

Damit wäre die katholische Rückständigkeit in Ökonomie gegenüber dem neucalvinistischen Kapitalismus egalisiert. Beide Christentümer gehen Seit an Seit beim wirtschaftlichen Abschlachten der Erde, das auf die Apokalypse zusteuert.

Nicht Kant ist Vater der deutschen Moderne, sondern Hegel, sein Überwinder. Freilich gibt es schon bei Kant gewisse Aussagen, die die Natur zwar vom Menschen abhängig machen, nicht aber den Menschen von der Natur:

„Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht – oder die Natur unsers Gemüts – ursprünglich hineingelegt. Der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur und mithin der formalen Einheit der Natur. Der Verstand schöpft seine Geschöpfe (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“

Der Mensch als apriorisches Wesen bedeutet: ein völlig von der Natur abhängiges Wesen kann er nicht sein, sonst wäre er aposteriorisch. Zwar bestimmt er nicht über das Sein der Natur, aber über ihre rationale Erkennbarkeit. Fichte, Kants Nachfolger, komplettiert diese Sätze in biblischem Sinn und erhebt den Menschen zum Schöpfer der Natur: der Mensch ist Ebenbild Gottes.

Die biblische Schuld- und Sühnekultur, die den Menschen als fluchwürdigstes Wesen des Seins in die Hölle schickt, erhebt ihn andererseits zum höchsten im Universum: sie macht ihn zu Gott. Absurder können die Extreme einer Schöpfung nicht sein. Welche Folgen und Auswirkungen diese Lehre hat, erleben wir in der jetzigen Gesamtkrise der Erde.

Die einen zittern um den Bestand der Menschheit, den anderen geht alles am A… vorbei: sie wähnen sich im Schoss des Abraham.

Goethe, angeblicher Freund des griechischen Kosmos, hatte kein griechisches Menschenbild. Sein Mensch war nicht kosmisch eingebettet, sondern schwankte zwischen Extremen:

„Wir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie.“ (Natur)

Der Mensch ist kein empathisches Wesen der Natur, sondern bleibt stets ein Fremdling. Marxens Ent-fremdung des Menschen wurde von Goethe und Hegel übernommen. Natur ist nicht die Heimat des Menschen. Er bleibt ein Fremdling, der in der Illusion lebt, durch Herrschen mit ihr eins zu werden.

Wenn das Sein die Natur ist, kann der Mensch als Mischwesen aus Sein und Bewusstsein nie das Gefühl des Fremdseins überwinden. Der Geist des Menschen – oder das Bewusstsein – wird nie autonom werden, denn er verbleibt ein Knecht des Seins. Nur wenn er sich sein Bewusstsein herausrisse, könnte er mit dem Sein verschmelzen.

Die Frankfurter Schule bemühte sich, die Fremdlingsschaft des Menschen zu überwinden. Solange sie aber daran festhielt, den Menschen als Doppelwesen zu definieren, konnte sie nie zur Einheit des Menschen mit der Natur kommen. Die Fremdheit des Menschen muss bleiben, solange er nicht vollständig ein Geschöpf der Natur sein kann.

Auch Goethe hat seine Fremdheitsgefühle gegen die Natur nie ganz überwinden können. Weswegen er dem delphisch-sokratischen Motto: „Erkenne dich selbst“ misstraute. Dieses Motto sei die „List geheim verbündeter Priester, die den Menschen durch unerreichbare Forderungen verwirren und von der Tätigkeit gegen eine Außenwelt zu einer innern falschen Beschaulichkeit verleiten wollten.“

Bei Hegel sollen Natur und Geist zwar zur Einheit werden, doch die perfekte Einheit wird‘s erst am Ende der Geschichte geben. Unterwegs sehen wir Natur und Geist im unerbittlichen Wettkampf.

„Über diesem Tode der Natur geht eine schönere Natur, der Geist, hervor. Die Versöhnung des Geistes mit der Natur ist Befreiung von der Natur und ihrer Notwendigkeit.“

„Die Natur kann das Wesen als solches nicht darstellen.“

„Die Natürlichkeit ist das, worin der Mensch nicht bleiben soll; die Natur ist böse von Hause aus.“

„In Güte lässt sich gegen die Gewalt der Natur wenig ausrichten.“

„Der Natur fehlt die Einheit mit sich, die das Selbstbewusstsein hat.“

Was hat das alles mit der Ökokrise zu tun?

Der Mensch hat keine Chance, mit der Natur in Einklang zu kommen, solange er sie als fremde definiert, und unfähig ist, diese Entfremdung zu überwinden. Solange der Westen christlich bleibt, wird er die Fremde nie überwinden können, denn erst am Ende der Geschichte wird die alte Natur ihren Abgang machen und einer neuen Platz schaffen.

Momentan ist ein Streit entbrannt, mit welchen Methoden man eine ökologische Gesinnung am besten erreichen könne. Mit bloßem Demonstrieren? Mit Festkleben und Behindern des Verkehrs? Wie wär‘s mit Argumentieren und Überzeugen? Alles andere schwankt zwischen Werbung und Propaganda.

Die Reaktion der Regierung zeigt einen unfasslichen Rechtsruck. Man beschimpft die Kleber als „selbsternannte“ Aktivisten, als wäre Autonomie – die mündige Selbstbestimmung des Menschen – ein Verstoß gegen das Gesetz. Die alt-preußische Obrigkeit, von Gott ernannt, ist aus dem Grabe auferstanden. Ihre Innenministerin:

„Faeser fordert eine entschiedene Verfolgung möglicher Straftaten bei Klimaprotesten. Der Rechtsstaat lasse sich nicht auf der Nase herumtanzen, betonte Faeser. „Die Polizei hat meine vollste Unterstützung, wenn sie durchgreift gegen selbst ernannte Klima-Aktivisten, die seit Wochen mit völlig inakzeptablen Aktionen andere Menschen in Gefahr bringen. Diese Aktivisten stellen sich über das Gesetz und greifen zu Mitteln, die dem wichtigen Anliegen des Klimaschutzes nicht nutzen, sondern erheblich schaden.“ Die Sicherheitsbehörden hätten Radikalisierungsprozesse genau im Blick.“ (BILD.de)

Ziviler Ungehorsam ist ein minimaler Verstoß gegen Gesetze, um ein maximales Ziel zu erreichen. Alles ist transparent, alles wird angekündigt. Wenn es kriminell sein soll, die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren, wie sind dann die Aktionen jener Monopolisten zu bewerten, die nicht daran denken, ihre gigantischen Naturbeschädigungen einzustellen? Hier ereignet sich nichts weniger als der größtmögliche Kollektivmord an Mensch und Natur – und hier geschieht nichts.

Ein ungeheuerliches Verbrechen am Leben – und hier wittert niemand eine kriminelle Tat.

Was hier geschieht, erinnert an den Untergang Roms, wo ein müdes, ausgelaugtes, zerstrittenes und gespaltenes Reich das Leben aufgab. Heute geht’s nicht nur um ein partikulares Reich, sondern um Menschheit und Natur im Ganzen.

Wenn jeder Verstoß gegen ein Gesetz eine kriminelle Tat wäre, wie müssten wir dann den Widerstand der Geschwister Scholl gegen die NS-Menschheitsverbrecher einschätzen? Waren sie ebenfalls Kriminelle, die nach dem Buchstaben der damaligen Gesetze bestraft werden mussten?

Wenn sich heute ein junger Mensch an den Taten der Sophie Scholl orientiert, wird er wegen Blasphemie an den Pranger gestellt. Gewiss, in der Größe der Tat hat er übertrieben, aber nicht im Genre des Widerstands gegen Unrecht. Vergleichen ist nicht gleichsetzen: die kleinsten logischen Selbstverständlichkeiten haben die Deutschen vergessen. Ihre Verwirrung der Begriffe ist der Vorlauf ihres Untergangs.

Junge Menschen wollen in ihrer Verzweiflung die Natur retten. Dafür werden ihre minimalen Gesetzesübertretungen kriminalisiert und schlimmer bewertet als die Vernichter der Gesamtnatur. Ist das alles noch zu glauben?

Derweilen regt sich kein Widerstand gegen die naturschändenden Superreichen und Machteliten. Die können schludern, murksen und herumhudeln, dass die Schwarte kracht: hier regt sich kein Minister, keine Bevölkerung fegt diese Regierung vom Altar.

Die Worte einer Historikerin klingen noch zahm, wenn sie über führende SPD-Männer urteilt:

„Derzeit sind die sichtbarsten Sozialdemokraten Männer, die auf mich allzu oft trotzig, selbstgerecht, überheblich wirken und zugleich zu defensiv und orientierungslos kommunizieren, was die großen Fragen unserer Zeit angeht.“ (SPIEGEL.de)

Wie alt ist die Naturfeindschaft der christlichen Kulturen? Jahrhunderte alt – mindestens. Nichts geschah, um sie einzudämmen und den Wohlstand des Westens zu gefährden. Mit offenen Augen geht er einer selbstgemachten Superkatastrophe entgegen – und zieht die gesamte Welt in Mittäterschaft.

Hier gibt es nur eine Lösung:

„Die Giraffe Leopold, Oskar, der Elefant, und Alois, der Löwe, reden sich am Tschadsee, ihrer Stammtränke, über die Gattung Mensch in Rage. „Mir tun bloß die Kinder leid, die sie haben. Immer müssen sie die Kriege und die Revolutionen und Streiks mitmachen, und dann sagen die Großen noch: Sie hätten alles nur getan, damit es den Kindern später einmal besser ginge“, schimpft der Elefant. Er zählt die menschengemachten Plagen auf: Armut und Überfluss, Hunger und Unruhen, Migranten, Kernwaffen und Polizeistaaten. Am nächsten Tag beruft der Elefant am Telefon die Konferenz der Tiere ein. Die Ferngespräche laufen über ein zentrales Postamt in Ägypten.“

Es gibt keine Propheten, doch Erich Kästner, urwüchsiger Tier- und Kinderfreund, war einer:

„Schon im Geburtsjahr der Bundesrepublik schlug der berühmteste deutsche Kinderbuchautor vor, die Politik zu erpressen, um die Welt zu retten. Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ ist die Blaupause aller Klimaschutzfantasien.“ (WELT.de)

Und wenn wir nicht werden wie Giraffe Leopold, Oskar, der Elefant und Alois, der Löwe, werden wir nicht gerettet werden.

Fortsetzung folgt.