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Welt retten! Aber subito! XX

Tagesmail vom 24.10.2022

Welt retten! Aber subito! XX,

„Lasst uns laufen um die Wett’
nach dem Preis der Liebe
Liedchen trällernd jubiliert
Nachtigall, süss zwitschernd.
Voller bunter Blumenpracht
lachen heiter Haine.
Vogelschwärme ziehen durch
Waldes Lustbarkeiten.
Reigentanz der jungen Frau’n
bringt bald tausend Freuden.
Wol dir, werlt, daz du bist also freudenriche!
Heil dir, Welt, daß du bist an Freuden so reich!
Ich will dir sin undertan
durch din liebe immer sicherliche. (Carmina burana)

„Heil dir, Welt, daß du bist an Freuden so reich, ich will dir sein untertan, Deiner Güte wegen immer sicherlich!“ Kann man diese Sätze heute verstehen?

Hallo, Leute, wir wollen unsere Welt zurück, unsere freudenreiche Welt. Eben war sie noch da, wohin ist sie verschwunden?

„Der edle Wald grünt / Es grünt der Wald, der edle, mit Blüten und mit Blättern / Wo ist mein Vertrauter, mein Geselle? / Es grünt der Wald allenthalben / Nach meinem Gesellen ist mir weh / Es grünt der Wald allenthalben. / Wo bleibt mein Geselle so lange?“

Nicht in steinernen Kathedralen, im Wald begegnen sich Liebende. Wer Natur liebt, liebt Menschen.

„Wäre auch die Welt ganz mein / Von dem Meer bis an den Rhein, / Gern ließe ich sie fahren / Wenn die Königin von Engelland / Läge in meinen Armen. Hei!“

In der Natur gibt’s keine Standesunterschiede, keine Macht. Der Mensch begegnet dem Menschen.

„Wenn Knabe und Mägdelein / Verweilen im Kämmerlein / Seliges Beisammensein!
Wächst die Liebe sacht heran / Und ist zwischen beiden alle Scham / Gleicherweise abgetan,
Beginnt ein unaussprechlich Spiel / Mit Gliedern, Armen, Lippen.
Wenn Knabe und Mägdelein / Verweilen im Kämmerlein / Seliges Beisammensein.“

Keine Scham, keine Schuld, keine Selbsterniedrigung. Nur überspringende Freude am Hier und Jetzt.

Wir wollen unsere Natur zurück – wir Narren der Vergangenheitserkundung, der Bewunderer der vollendeten Frühe, der einstigen Symbiose mit der Natur, der einzig-heilsamen Chance für den Menschen.

Wir Toren der Endlichkeit, die alles Unendliche als Vorlauf zum Tode schmähen.

Wir Verräter des Fortschritts, die alles Neue als Zerstörer des Vertrauten und Natürlichen in Nichts betrachten.

Die Anbeter des Unendlichen verfluchen die Sterblichkeit des Menschen. Sie wollen unsterblich werden.

„Jüngst haben zwei „Hauptakteure der weltweiten Futuristen-Bewegung“ eine Art Manifest veröffentlicht, das darstellt, wie das Altern und der Tod generell besiegt werden könnten. In absehbarer Zeit könnte es so weit sein, heißt es in dem neuen Buch „Der Sieg über den Tod“ (Finanzbuch-Verlag) von José Cordeiro und David Wood. Beim genauen Nachdenken stellt sich die Idee einer überlangen Lebensspanne oder gar einer Unsterblichkeit – trotz aller revolutionären biotechnologischen Möglichkeiten – als weltfremd und realitätsfern dar. Die Idee wächst in einer Blase von Leuten, die offenbar in einer eigenen Wirklichkeit leben. Eines ihrer Zentren ist das kalifornische Silicon Valley in den USA. Milliardäre wie Peter Thiel (PayPal), Jeff Bezos (Amazon) und Mark Zuckerberg (Meta) investieren Unsummen in Unternehmen, die das Alter und den Tod besiegen wollen. Dazu sagte ein anderer Milliardär, Bill Gates, kritisch: »Es scheint egozentrisch zu sein, solange wir noch Malaria und Tuberkulose haben, dass reiche Leute Dinge finanzieren, damit sie länger leben können.«“ (Berliner-Zeitung.de)

Silicon Valley, die Wiege des unsterblichen Übermenschen. Nur Bill Gates scheint als Einziger unter den Titanen einen Rest seines Verstandes gerettet zu haben: er begnügt sich damit, Erlöser der Kranken unter den Sterblichen zu werden.

Die Unsterblichen sind unzufrieden mit der Natur, die – selbst unvergänglich – nur vergängliche und sterbliche Wesen kreiert hat.

Ein Philosoph namens Max More (nomen est omen) hat einen heftigen Klagebrief an die Mutter allen Seins geschrieben. Sie habe einen schlechten Job gemacht, weil sie den Menschen „altern und sterben ließe. Man werde „die Tyrannei des Alters und des Todes“ nicht länger tolerieren.“

Eine ungeheure Revolution ist im Gange – und die träge Menschheit nimmt sie nicht wahr, hält sie gar für notwendig. Ist sie nicht sogar die Erfüllung ihres noch immer vorhandenen Glaubens?

Wir erleben einen Kampf der Urelemente: Natur muss sich der Übernatur erwehren. Übernatürliches will sich des Irdischen entledigen.

Das Universum, Spielwiese für Gottähnliche, ist nur für Überirdische da. Es duldet nicht länger, dass lächerliche Krüppelwesen ihr All beflecken.

Die Intelligenz des Menschen ist für höhere Dinge da als für irdisch-begrenzte Nichtigkeiten:

„Intelligenz – das wichtigste Phänomen im Universum – kann natürliche Grenzen überwinden und die Welt nach ihrem Bilde umgestalten. Sie hat uns in die Lage versetzt, die Beschränkungen unseres biologischen Erbes zu überwinden und uns selbst in diesem Prozess zu verändern. Wir sind die einzige Spezies, die dies tut.“ (Ray Kurzweil, Das Geheimnis des menschlichen Denkens)

Seine Biologie verurteilt den Menschen zur Endlichkeit. Also muss die Biologie überwunden werden durch – Technik. Die biologische Evolution muss ersetzt werden durch technische Evolution. Technische Unendlichkeit ist die Krönung des menschlichen Wesens, das in der Gefahr ist, an seiner biologischen Begrenztheit zu krepieren.

Was wir heute erleben, ist das Verenden der biologischen Kreatur. Ergo heißt die Formel der Rettung: biologische Unvollkommenheit muss der technischen Vollkommenheit weichen. Der Mensch muss zur Mensch-Maschine aufsteigen. Übernatürliche Maschinenintelligenz ist der Triumph über natürliche Begriffsstutzigkeit.

Technische Intelligenz, die Erfindung des Menschen, ist die zweite Natur oder das Neue als Überwinderin des Alten. Das Neue wird das Alte vom Tisch fegen. Siehe, das Alte ist vergangen, es ist alles neu geworden.

Das Alte – das sind wir. Uns Menschen soll es an den Kragen gehen. Wir sind der wahre Abfall, den wir in materieller Form schon lange produzieren.

Und diesen Massenmord an Mensch und Natur lassen wir uns widerstandslos gefallen?

Menschen, sind wir noch bei Trost?

Die Ermordung der Natur und ihres natürlichen Sprösslings wird heute öffentlich propagiert – und wir gehen wie dumme Schafe dem Verhängnis n entgegen!

„Die Menschheit hat eben die ersten Schritte auf dem faszinierenden Weg von der biologischen Evolution hin zur technologischen Evolution unternommen. Das Universum zu erwecken und – indem wir es mit unserer menschlichen Intelligenz in ihrer nichtbiologischen Form durchdringen – über sein Schicksal zu entscheiden, das ist unsere Bestimmung.“ (in Kurzweil)

Zitiert wird ein Science-Fiction-Autor, der die „Gesetze der Zukunft“ so formuliert:

„Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen. Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

Magie! Wo bleiben hier die Empörung unserer medialen Entlarver aller Esoteriker, Querdenker und Verschwörer?

Worin besteht Magie? Nach Kurzweil darin, dass „immer intelligentere Maschinen hergestellt werden. Immer mehr müssen wir unsere Technik fusionieren und eine sich fortlaufend entwickelnde Mensch-Maschine-Zivilisation bilden.“

Damit ist die Epoche der Natur – im Neuen Testament „Welt“ genannt – für immer vorbei. Alle Rettungsversuche sind so sinnlos wie vergeblich. Naturschützer: ihr seid lächerliche Weltschützer. Wisset ihr nicht, dass der Erlöser die Welt durch ihre Vernichtung überwunden hat?

Die Vermutung liegt nahe, dass die angebliche Trägheit im Kampf gegen die Klimakrise nichts anderes ist als unterschwellige Treue gegen den Herrn der Zukunft:

„Ich habe die Welt überwunden. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Stellet euch nicht dieser Welt gleich. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, nähme aber Schaden an seiner Seele? Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat …“

Nun wissen wir, was Silicon Valley zu bedeuten hat. Es ist das Tal der Erneuerung der Welt – durch Tötung derselben. Peter Thiel, Elon Musk, Ray Kurzweil & Co sind die Geburtshelfer der neuen Welt, die die alte unter sich begraben wird.

Seit es Kulturen gibt, die sich über die Natur erhoben, indem sie sie zerstörten, kennt Europa das Phänomen der Naturzerstörung als Selbsterhöhung des Menschen. Die Modernen verweigern sich dieser Erkenntnis bis zum heutigen Tag. Natürlich sind die Modernen Bewunderer der Naturwissenschaften, nur jener nicht, die die Verelendung der Natur erforscht und penibel errechnet haben.

Spectant victores ruinam naturae: „Als Sieger blicken sie auf den Zusammenbruch der Natur“, so formulierte Lukrez schon vor vielen Jahren, was wir heute noch immer nicht zur Kenntnis nehmen wollen. K. H. Weeber kommentiert:

„Der Mensch wähnt sich als Sieger über die Natur, triumphierend schaut er ihrem Zusammenbruch zu: seinem Werk, auf das er stolz ist – ohne sich darüber im Klaren zu sein, was er wirklich angerichtet hat und dass die Ruinen der Natur dereinst auch ihn unter sich begraben könnten.

„Von einer Motivation, sich nicht an Feldfrüchten, Bäumen, manchmal sogar Flußläufen zu vergreifen, hören wir aus dem griechisch-römischen Altertum nichts: Dass man irgendwelche Skrupel gehabt hätte, die sonst so verehrte und religiös geradezu umhegte Mutter Erde zu verletzen, sie zu schänden, davon hört man nichts.“ (Weeber, Smog über Attika)

Polybios, Historiker des Hellenismus, kritisiert offen:

„Ich kann die Einstellung derer nicht gutheißen, die sich im Zorn gegen Stammesverwandte dazu hinreißen zu lassen, ihren Feinden nicht nur die Ernte des Jahres zu rauben, sondern auch die Bäume und Gehöfte mit allem Zubehör zu vernichten. Wer so handelt, befindet sich m. E. in einem schweren Irrtum. In dem Maße, in dem sie durch Verwüstung des Landes, durch Zerstörung der Existenzgrundlagen nicht nur für den Augenblick, sondern auch für die Zukunft ihre Feinde unter Terror setzen…, in demselben Maße reizen sie die Menschen aufs äußerste, und während sich jene bisher nur an ihnen vergangen hatten, haben sie sich nun ihren unversöhnlich Hass zugezogen.“

Krieg spielt sich nicht nur zwischen Menschen ab. Wer den Menschen bekriegt, hat keine Hemmungen, die Natur zu verwüsten.

Wer sieht hier nicht die Parallele zum Kriege Putins gegen die Ukraine, der durch „ökonomische Nebenfolgen“ zum Krieg gegen ganz Europa wurde. Deutsche Politiker von Schröder über Merkel bis Scholz sind unfähig, wirtschaftliche Abhängigkeiten als politische Erpressungsmethoden zu durchschauen, die früher oder später zum Krieg führen müssen.

Wirtschaftliche Globalisierung, vom Westen als friedensstiftende Maßnahmen der Völker gerühmt, ist derart aggressiv geworden, dass sie zum Kriege führen muss. Gegenseitige ökomische Abhängigkeiten sollten, so die Überlegung, eigentlich zum Frieden nötigen.

Sollten? Was aber, wenn die Konkurrenz der Völker so gewaltig und bedrohlich wird, wie wir es momentan erleben? Dann bleibt ihnen nichts übrig, als wirtschaftliche Konkurrenz in kriegerische zu verwandeln.

Verschärft wird die Nötigung zum Krieg durch die Gesetze der linearen Heilsgeschichte, die einen Wettkampf der Völker um Sein oder Nichtsein vorschreibt. Im Finale der Geschichte gibt es keine Kompromisse. Die von Gott Erwählten gelangen in Sein Reich, die Verworfenen landen im Orkus.

In Urzeiten konnte es keinen linearen Wettkampf geben: die einen ins Töpfchen, die anderen ins Kröpfchen. Es gab keine lineare Zeit, die irgendwann ans Heilsziel kommen muss. Es gab nur die zirkuläre Zeit, in der das Neue die Wiederbelebung, nicht seine Vernichtung, sein konnte.

Das Alte konnte nicht vergehen, denn es gehörte zur unvergänglichen Natur. Die Natur regenerierte sich selbst durch zirkuläre Recreation. Da musste kein Gott von Oben intervenieren, um das Ermüdete und Ausgelaugte zu vernichten und durch eine total neue Schöpfung zu ersetzen.

Das alles waren Gründe, warum Urvölker der zyklischen Zeit, verglichen mit der unsrigen, in paradiesischen Zeiten lebten.

Noch heute kann man beobachten, dass intakte Urvölker der Gegenwart am materiellen Tand der Hochkulturen nicht die Bohne interessiert sind. Ihr „Abfall“ ist das, was sie der Natur zurückgeben, auf dass jene es wieder neu beleben kann. Streng genommen, werfen sie nichts weg. Mit der Natur leben sie im Tauschverkehr.

Solange es Krieg zwischen den Völkern geben wird, solange wird es auch Krieg mit der Natur geben. Denn die „Kriegserklärung an den Feind schloss auch immer die Kriegserklärung gegen die Natur mit ein, soweit sie in Verbindung mit dem feindlichen Territorium stand.“

Erstaunt stellten antike Historiker fest, dass es eine rühmliche Ausnahme gab. „Bei den Indern waren die Bauern unverletzlich, da sie weder die Ländereien ihrer Feinde niederbrannten noch ihre Obstbäume abhackten.“

Die Griechen hatten eine Zwischenstellung. Ihre Denker waren glühende Verehrer eines allgemeinen Friedens mit der Natur. Doch die beginnende kapitalistische Verstrickung des Staates mit anderen Völkern führte unausweichlich zur Behelligung der Natur.

Der ursprüngliche Glaube der Griechen lautete: „Fülle der Natur und Harmonie zwischen Mensch und Natur – sind die wichtigsten Merkmale der anschaulichen wie gefühlsintensiven Friedensvorstellungen der Griechen.“

Bei Aristophanes klingt das geradezu idyllisch:

„Männer, denkt der alten Zeiten, wie wir unter ihrem Schutze ein behagliches Leben führten! Denket der eingemachten Früchte und der Feigen und der Myrrhen und des zuckersüßen Mostes und der Veilchen an dem Brunnen und der schattigen Oliven, die wir lieben und für diese Güter saget nun der Göttin Preis und Dank.“

Idyllen und Paradiese der zyklischen Zeit sind für moderne Ohren nur lächerliche Mythen. Sie bevorzugen die Mythen von einem Schöpfergott und seinem Sohn, der durch freiwilligen Tod – nein, nicht die Natur – sondern seine Erwählten vor dem Bösen retten wird.

Parbleu, das sind wissenschaftliche Thesen, die über alle Zweifel erhaben sind.

Fortsetzung folgt