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Welt retten! Aber subito! LXXXIV

Tagesmail vom 29.05.2023

Welt retten! Aber subito! LXXXIV,

Endlich werden die Hosen heruntergelassen.

Die WELT als führendes Organ der deutschen Amoralisten bekennt sich zu Machiavelli, dem abendländischen Begründer der Staatsraison: Macht geht vor Recht.

Nur die überfällige Debatte um den ersten Machttheoretiker Europas, der sich von der Doppelmoral der Christen lossagte, kann den heutigen Niedergang der Grünen erklären.

„Ein Ausweg aus der Krise der Demokratie? Lest Machiavelli! Eine Renaissance des Denkens Machiavellis wäre, anders als oft behauptet, ein gutes Zeichen. Die heutige Politik zeichnet sich immer weniger durch eine rationale Begrenzung aus, wie sie dem Autor der „Discorsi“ vorschwebte. Stattdessen findet die unfassbare Entgrenzung ihre Legitimation in einer absoluten Moral, wie es hierzulande exemplarisch die Grünen verkörpern.“ (WELT.de)

Was ist eine absolute Moral? Und was wäre das Gegenteil?

Wie es sich ziemt für die absolute Bigotterie der deutschen Gegenwart, finden wir keine Antwort.

Man hantiert heute gerne mit Begriffen, die erwünschte Assoziationen beim Publikum hervorrufen. Absolut klingt nach absolutistisch. Wer eine absolute Moral vertritt – wie angeblich die Grünen – der muss kurz vor dem Despotismus stehen.

Schau an, diese moral-predigenden Grünen sind, genauer besehen, platonische Zwangsbeglücker, Moraldiktatoren oder Faschisten des Guten.

Äußerlich gesehen wirken die Grünen wie bunte Botschafter des Menschlichen. Genauer besehen aber entlarven sie sich als gut getarnte Umstürzler der Demokratie und Aktivisten einer moralischen Despotie.

Demnach ist das Gute für die Grünen nur die Propagandaformel ihres geheimen Dogmas: wirklicher Herrscher der Welt ist das Böse. Niemals darf das Gute zur absolutistischen Macht der Welt werden. Mit Hilfe des Guten wollen wir die Macht für das finale Böse erringen. Dann erst werden wir der Welt unser wahres Gesicht zeigen.

Das WELT-Plädoyer für den Machiavellismus dient nur dem Zweck, die Grünen aus der Regierung zu entfernen.

„Machiavellismus ist eine im 16. Jahrhundert aufgekommene Bezeichnung für eine Niccolò Machiavelli (1469–1527) zugesprochene politische Theorie, nach der zur Erlangung oder Erhaltung politischer Macht jedes Mittel unabhängig von Recht und Moral erlaubt ist.“

Die rechtlos-amoralische machiavellistische Doktrin – Friedrich Meinecke nannte sie Staatsraison – hatte einst den Zweck, die Wahrheit über die klerikale Macht des Vatikan zu entlarven.

Es war der erste fulminante Angriff der beginnenden Aufklärung gegen die Lüge der Kirche, dass ihre Herrschaft über Europa der Seligkeitsgewinnung der Abendländer diene.

Machiavelli berief sich auf den griechischen Geschichtsschreiber Thukydides, der kein Hehl aus seiner Meinung machte: Politik ist das Spielfeld der Starken über die Schwachen:

„Mächtiger als alle Gesetze sind menschliche Leidenschaften und gewisse Lebenslagen, die den Menschen unwiderstehlich zum Handeln drängen. Glaubt sie Hoffnung auf Erfolg zu haben, so wird die menschliche Natur allen Gewalten zum Trotz die Schranken der Gesetze immer wieder überspringen. In der Politik haben moralische Urteile oder Rücksichten keine Stelle. Hier ist einzig und allein der Vorteil des Staates für das Handeln maßgebend: „Für einen Herrscher oder für einen Staat, der ein Reich umfasst, ist nichts unvernünftig, was ihm zuträglich ist. Dieses Gesetz, dass der Schwächere sich dem Stärkeren fügen muss, ist keine Ausgeburt menschlicher Willkür, sondern ein ewig wirkendes Naturgesetz. Wer sich darauf verlässt und darnach handelt, befindet sich mit den Göttern mehr im Einklang, als wer dem naiven Glauben huldigt, die Gottheit werde der „gerechten Sache“ zum Sieg verhelfen. Dieser Glaube ist Ausdruck einer „unvernünftigen Denkart“. Das Gesetz der Macht, die sich nicht einem angeblich idealen Recht unterwirft, ist das Grundgesetz der Politik und der Geschichte. Das mag man grausam oder brutal finden; aber es ist so und wer sich dagegen stemmen zu können glaubt, der wird zermalmt.“ (Nestle)

Wir sehen, dass der Vernichtungskampf gegen die Grünen nichts ist als die Wiederholung eines uralten Streits, der mit philosophischen Begriffen schon bei den Griechen ausgefochten wurde.

Genauer: zwischen den Anhängern des Naturrechts der Starken und des Naturrechts der Schwachen. Bei den Letzteren entstand der Nährboden für die universellen Menschenrechte, die in der Neuzeit zur Gründung der modernen Demokratien führten.

Der heutige Rechtsruck ist nichts anderes als ein Rückfall der Demokratien, weg vom universellen Naturrecht der Schwachen zurück ins Naturrecht der Starken, wo die Schwächeren sich nur ducken konnten: die Frauen, Armen, Ungebildeten und Benachteiligten unter die Herrschaft der Männer, des Adels, der Reichen und ökonomisch Erfolgreichen.

Mit anderen Worten: der Rechtsruck ist ein Machtzuwachs der ohnehin schon Reichen. Und Mächtigen. Die Superreichen werden reicher und mächtiger, die Massen überflüssiger und belangloser.

Die UN als oberste Hüterin der Menschen- und Völkerrechte wird immer bedeutungsloser. CDU-Spahn beginnt bereits, die Wichtigkeit der Menschenrechtskonvention anzuzweifeln. Die internationalen Streit- und Kriegsparteien kümmern sich immer weniger um die UN-Kriterien einer globalen Friedensordnung.

Ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende schien die Menschheit ihre Lektion gelernt zu haben und übte sich in weltumspannender Friedenspolitik. Doch innerhalb kürzester Zeit begann es an allen Ecken und Enden zu kriseln. Die universelle Moral wurde von den Mächtigen und Reichen systematisch zerlegt.

Die Gründe liegen offen zu Tage. Die Gleichheit der Menschen verträgt sich nicht mit der wachsenden Ungleichheit: die Reichen wurden noch reicher, die Mächtigen mächtiger.

Universelle Moral ist zeitlos. Sie verändert sich nicht im Lauf der Zeiten. Hier klafft der größte Unterschied zwischen griechisch-zeitloser Ethik und christlicher, nach Belieben wechselnder Augenblicksethik.

Was Gott heute seinen Erwählten mitteilt, muss morgen nicht mehr gelten. Die Offenbarungen des hebräischen Alten Testaments sind nicht die des christlichen Neuen Testaments. Heute säuselt der Erlöser von Nächstenliebe, morgen holt er die Peitsche raus und vertreibt die Geldwechsler aus seinem Tempel.

Der biblische Schöpfer ist vielen Stimmungen untertan, die natürliche Vernunft kennt keine Tagesstimmungen. Sie ist zeitlos identisch mit sich selbst.

Was gestern moralische Vernunft war, muss es auch heute und morgen noch sein. Auf Mitteilungen eines persönlichen Gottes kann der vernünftige Mensch verzichten.

Euch wurde gesagt …, ich aber sage euch: so sprechen vernunftfeindliche Augenblicks-Autoritäten, die es als beschämend betrachten, sich einer zeitlosen Stimme der Vernunft zu unterwerfen.

Die fromme Schöpfung hat eine Geschichte, mit Anfang, Mitte und Ende der Zeiten: die Heilsgeschichte.

Die selbstbestimmende Natur ist zeitunabhängig. Bei ihr wiederholen sich die zirkulären Epochen der immergleichen Natur.

Die Welt ist bei Gott ein Gemachtes, eine Schöpfung.

Natur kann nie ein Gemachtes, eine Schöpfung sein.

Solche philosophischen Einsichten haben die Grünen nie verstanden. Ihre Bewahrung der Schöpfung ist ein Kniefall vor der Heilsgeschichte eines Gottes.

Vernunft aber ist zeitunabhängig.

Es sind nicht die Grünen allein, die jede Grundsatz-Philosophie als idealisierendes Geschwätz abtun. Doch bei ihnen, die zum ersten Mal in der BRD eine ökologische Politik fordern, wäre gedankliche Klarheit besonders notwendig.

Obwohl die Analysen und Erkenntnisse der Naturwissenschaften ganz auf ihrer Seite sind, wagen sie es nicht, die Naturwissenschaften vollständig auf ihre Seite zu bringen. Dazu gehörte nicht zuletzt, die arroganten Naturwissenschaftler – die gern im Universum umherschwirren – an ihre profanen irdischen Pflichten zu erinnern.

Die Geschichte der Wissenschaften hat allzu oft gezeigt, dass die Erforscher und Entdecker mit ihren Erdenpflichten nicht vertraut sind. Ihre Erkenntnisse der Natur sind nicht identisch mit moralischen Erkenntnissen. Im Ethischen oder Politischen sind Wissenschaftler normalen Demokraten in Nichts überlegen.

Noch immer tändeln sie zwischen der Genietat ihrer Erfindungen, die zum technischen Fortschritt der Gattung beitragen – und der besonderen Verpflichtung, ihre Erfindungen nicht zur Gefahr der Menschen werden zu lassen.

Doch der größte Fehler der Grünen ist ihre politische Blindheit. Sie fingen mit radikalen Forderungen an und sind im Sumpf allmächtiger Kompromisse verschollen.

Kompromisse müssen natürlich sein im Zusammenleben verschieden denkender Zeitgenossen. Aber …

In der deutschen Politik gibt es nur noch Kompromisse, die Ausgangs-Thesen der Parteien sind verschwunden. Wofür sie einst standen, danach fragt niemand mehr. Es ist ein ständiges Gewürge und Gemache, doch keine erkennbare Politik mehr, für die man sich angeblich engagierte.

Das wählende Publikum hat längst vergessen, wofür die Parteien mit ihrem Herzblut eintraten. Weshalb schon lange nicht mehr diese oder jene Politik gewählt wird, sondern nur noch subjektive Sympathieerklärungen für diese oder jene Gesichter abgegeben werden.

Vorbildlich, wie die Grünen bei ihrem Eintritt in die politische Arena sein wollten, wussten sie, dass sie ihre „jugendliche Radikalität“ an den Eingangspforten des Bundestages abgeben mussten. Doch dann übertrieben sie ihre Bereitschaft zu Kompromissen.

Heute ersticken sie in den geschickt aufgestellten Fallen ihrer Koalitionspartner – die viel Erfahrungen haben, Neulinge schlecht aussehen zu lassen. Im Zweifelsfall klammert sich die profillose Proletenpartei an die Königin siegreicher Kompromisse, die CDU. Oder sie imitiert deren apolitische Politik bis aufs I-Tüpfelchen.

Die hochdekorierte Ex-Kanzlerin hatte einen Generalkompromiss mit den herrschenden Tageselementen der Politik geschlossen. Ein humanes politisches Ziel? Nicht mit einer Pastorentochter, die gelernt hatte, dass der Glaube nichts mit sündiger Alltagspolitik zu tun haben darf.

Nur Gott hat die Lizenz, das Schicksal der Menschheit nach Belieben zu lenken. Weil sie keine eigenen Ziele verfolgte, konnte der Liebling der Deutschen auch im Nachhinein keine eigenen Fehler gemacht haben.

Das deutsche Volk hatte sie ins Herz geschlossen, weil sie signalisierte: zusammen sind wir auf dem richtigen Weg. Grundsätzliche Fehler unterlaufen uns nicht, denn wir bewegen uns im Zeitstrom des Fortschritts und der Wohlfahrtsmehrung.

Nur so konnte es geschehen, dass amerikanische Gazetten die Politik der frommen Frau kritischer betrachten als die kritischsten deutschen Journalisten. Vor der lawinenartig hereinbrechenden Gesamtkrise schwamm die deutsche Öffentlichkeit im eigenen Wohlwollen ohne Anhauch einer selbstkritischen Erkenntnis.

Die deutsche Politik versinkt im plastikverseuchten Gewässer ihrer jahrzehntealten Gesamtkompromisse, in der sich Grundsatzbesinnungen ebenso verbieten wie eine humane Zielsetzung ihrer Politik.

Jedes rationale Ziel wird seit Jahr und Tag als träumerische Utopie oder schwärmerische Vision abgelehnt. Immer mit Unterstützung neoliberaler Marktpolitiker wie Hayek, dessen Realpolitik identisch ist mit dem Ideal einer gottesfürchtigen Vernunftfeindschaft.

Eine „spontane Ordnung“ ist die unterwürfige Zuschauerhaltung bloßer Mitspieler, die zwar einen Einsatz wagen, aber dann passiv abwarten müssen, wie Gott, der unsichtbare Marktführer, den Einsatz belohnt. Das Marktgeschehen ist zum Zufallsspiel geworden.

Wer glaubt, das ökonomische Geschehen mit seiner Vernunft überblicken und berechnen zu können, ist ein atheistischer Egomane, der sich und seine winzige Vernunft maßlos überschätzt.

Herr, Deine Weisheit ist unerforschlich – wir sind froh, wenn wir abwarten dürfen, welches Gesamtergebnis das Marktwürfeln bringen wird.

Wer seine ökonomische Vernunft einsetzt, um zu planen und das beste Ergebnis zu erwirken, muss natürlich Vertreter einer sozialistischen Planwirtschaft sein. Doch ein planvoll-individuelles Wirtschaften hat mit kollektiver Planwirtschaft nicht das Geringste zu tun.

Die Grünen haben den Anfängerfehler gemacht, das unbequeme ökologische Reformieren allein auf ihre Kappe zu nehmen. Dabei übersahen sie, wie rankünenhaft die SPD, vor allem die FDP als Lobbyistengruppe der Industriellen, ihren Zielen zwar formal zustimmten, sie am Schluss aber immer wieder allein im Regen stehen ließen.

Scholz, der schweigende Hütchenspieler, spielte das Gerangel besonders genial – getreu dem Goethespruch: Prophete links, Prophete rechts, das Weltkind in der Mitten.

Schon längst hätten die Grünen das Koalitionsgetümmel beenden müssen. Zuerst zwei Warnungen vor den Bug der listigen Mitspieler – dann aber die ultimative rote Karte: rien ne va plus.

Die Grünen hätten die Berliner Mauschelkoalition längst verlassen müssen. Das Volk hätte sehen müssen, dass es nun selber an der Reihe wäre, um sinnvolle Parteien zu wählen.

Längst haben die Deutschen vergessen, dass Demokratie „Herrschaft des Volkes“ ist und kein Tummelplatz für spontane Ordnungsliebhaber, die ihren Kindern regelmäßig ein riesiges Chaos hinterlassen, das inzwischen zur chaotischen Zukunft zu werden droht.

Kompromisse der Moral mit der Amoral sind unvermeidlich – sonst gäbe es nur Mord und Totschlag. Diese Kompromisse aber müssten das Ziel haben, der globalen Gewaltgefahr Einhalt zu bieten.

Wir haben nur eine Chance, wenn sich die Menschheit auf eine universelle Weltmoral einigte und mit suizidalen Kompromissen Schluss machte.

Machiavelli betrachtete Moral als bloße Strategie eines unersättlichen Machterwerbs. Zu dieser unendlichen Machtgier gehören heute Wirtschaft und der technische Fortschritt zum Garten Eden – den man Demokraten mit humanen Zielen strengstens verbietet.

Uns bleibt nur die Chance, in solidarischer Verbundenheit das Außerordentliche in Angriff zu nehmen.

Fortsetzung folgt.