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Von der Geschichte lernen

Hello, Freunde der Geschichte,

besteht die Gefahr, dass Geschichte sich wiederholt, weil wir die Vergangenheit nicht begriffen haben? Wenn ja, müssen wir unsere Gegenwart mit der Vergangenheit vergleichen, um Ähnlichkeiten und Parallelen zu entdecken und ihnen Paroli zu bieten.

Oder um Entwarnung zu signalisieren: wir haben aus der Geschichte gelernt, die Gefahr einer sich wiederholenden Katastrophe ist gering. Wenn nein, ist die Beschäftigung mit der Geschichte überflüssiger Zeitvertreib.

Die Deutschen mit ihrer skandalösen Geschichte müssten besonders an der Frage interessiert sein, ob sie sich zu ihrem Vorteil verändert haben oder dabei sind, in frühere Verhaltensmuster zurückzufallen.

Wer erkennen will, muss vergleichen. Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Vergleiche ich zwei Menschen, muss ich Ähnlichkeiten und Unterschiede feststellen, um zu einem Urteil zu gelangen: diese beiden sind sich überraschend ähnlich oder sie haben wenig gemeinsam, sie sind extrem widersprüchlich.

Solche Einschätzungen hängen von vielen Variablen der individuellen Persönlichkeit ab. Ängstliche oder Penible werden die Wiederholungsgefahr eher überschätzen, Zuversichtliche oder Leichtsinnige eher zur Entwarnung oder Verharmlosung tendieren.

Geschichte wiederholt sich nicht automatisch, es gibt keinen unveränderlichen Fahrplan einer Heilsgeschichte oder einer Evolution. Die Geschichte wiederholt sich nur, wenn der Mensch ihr die Wiederholung

gestattet, weil er seine psychischen Gesetze ignoriert und sie dadurch walten lässt.

Psychische Gesetze sind keine unveränderlichen physikalischen Gesetze, weshalb Geisteswissenschaften keine Naturwissenschaften sein können. In den Naturwissenschaften trifft der Mensch auf die Natur, deren Gesetze er zwar für sich nutzen kann, doch vernichten kann er sie nicht. Natur kann er nur so verändern, dass er seine eigene Überlebensnische zerstört.

Wenn wir sagen, wir zerstören die Natur, meinen wir: wir zerstören die eigene Verankerung in der Natur, ohne die wir nicht überleben können. Keineswegs sind wir in der Lage, die Natur an sich zu zerstören. In welcher Form auch immer: die Natur wird ewig ohne uns weiterexistieren.

In der Geschichte herrschen die psychischen Gesetze des Menschen, der abhängig ist von den Gesetzen der Natur. Andere Gesetze gibt es nicht. Ist der Mensch imstande, seine Gesetze so zu kontrollieren, dass sie ihn nicht dominieren, wird er frei über sein Schicksal bestimmen – solange die Natur ihm einen überlebensnotwendigen Spielraum zur Verfügung stellt.

In den Geisteswissenschaften trifft der Mensch auf sich selbst. Nutzt er die Erkenntnisse über die Gesetze des Menschen, um sich aus ihrer Diktatur zu befreien, kann er ein autonomes Wesen werden und in Freiheit das Geschick der Menschheit mitgestalten. Durchschaute Menschengesetze sind beherrschbare Gesetze. Erkennen befreit, das ist die Grundlage aller menschlichen Selbsterkenntnis.

Als vor mehr als 2000 Jahren Philosophen in verschiedenen Ländern sich daran machten, das Wesen des Menschen zu erkennen, wollten sie die Freiheit der menschlichen Gattung, ihre Loslösung von Despotien, Priestern und Gewaltherrschern.

Auch die Begründer der Heilsreligionen wollten den Menschen von seinen Übeln befreien. Indem sie ihn aber göttlichen Erlösern unterstellten, seine Autonomie bezweifelten und verhöhnten, taten sie das Gegenteil. Heilsreligionen sind ins Gegenteil pervertierte Freiheitsbestrebungen des Menschen, die sie – gegen ihre eigenen Anfangsimpulse – der Dominanz übermenschlicher Autoritäten unterwerfen.

Heute ist das Freiheitsstreben in unendlich vielen Menschen rund um den Globus zur politischen Sehnsucht nach Demokratie angewachsen. Doch die Gegenkräfte in Wirtschaft, Technik, Politik und Wissenschaft sind immens, die die Mär vom freien Menschen auf den Müll der Geschichte werfen wollen und eine globale Herrschaft über den ganzen Planeten mit Hilfe von Waffen, überlegenem Wissen und ungerechter Geldverteilung anstreben.

Immer deutlicher werden politische Tageskämpfe Kämpfe um die Selbstbestimmung des Menschen im Schoß der Natur, die der Mensch nicht untertan machen darf, damit sie ihn ernähren kann.

Ist der Sinn der Geschichte der freie und glückliche Mensch im Einklang mit der Natur? Oder ist er Marionette im Kampf übernatürlicher Wesenheiten, die ihn zu ihrem knechtischen Heilsobjekt erwählen oder ihn als teuflisches Unheilsobjekt verwerfen?

Wer in der Geschichte nur Machtinteressen am Werk sieht, hat den Freiheitswillen des Menschen bereits verraten. Freiheit gegen Unfreiheit, Selbstbestimmung gegen autoritäre Fremdbestimmung, erlernbares Glück gegen Zwangsbeglückung, friedliches Zusammenleben der Individuen und Völker auf Erden gegen erzwungene Seligkeit im Jenseits: das werden die umstrittenen und umkämpften Inhalte aller kommenden Auseinandersetzungen im innenpolitischen Rahmen der einzelnen Nationen und im internationalen Rahmen der Völkergemeinde sein.

Wo stehen wir? Der vorbildliche Geist der Nachkriegszeit, der die Lehren aus dem deutschen Grauen zog und die Jugend der Welt zeitweise in seinen Bann gezogen hatte: dieser Geist des Aufbruchs der Völker in eine humane Zukunft scheint abzufließen.

Was sind die Gründe? Jede Nation hat Grund, erst mal vor der eigenen Tür zu kehren und die Ursachen der internationalen Weltspannung bei sich selbst zu suchen. Dann aber sollte jeder so freimütig sein, auch Freunde und Verbündete mit Kritik nicht zu verschonen – bevor er die Fehler und Schwächen bei ideologischen Gegnern und Rivalen in aller Deutlichkeit anspricht.

Nicht globale Wirtschaft, omnipotente Maschinen und ferngelenkte Waffen werden uns weiterbringen, sondern nur weltumspannende Dialoge und intensive Gespräche um den Sinn der Geschichte.

Die Menschheit hat nur eine Überlebenschance, wenn sie einen rückhaltlosen und liebenden Streit um ihre Zukunft beginnt. Das kann keine Zukunft stellvertretender Intelligenzmaschinen sein, die algorithmisch das Geschick ihrer armseligen, gottgleich sein wollenden Erfinder bestimmen. Riesencomputer entscheiden heute bereits über die internationale Finanzwirtschaft, überwachen die Menschen in aller Welt, deren Freiheiten in wachsendem Maß nur noch auf dem Papier stehen.

Maschinen sollten einst die Erwerbsarbeit der Menschen erleichtern, sie von bedrückender Maloche befreien und ihnen ein selbstbestimmtes Leben jenseits von Arbeit, Geld- und Machtgier eröffnen. Das Gegenteil ist eingetreten. Je mehr Maschinen im Dienst der Menschen sind, je mehr werden Menschen zu Sklaven dieser Maschinen, die in religiöser Rivalität um Vorherrschaft, Reichtum und um ein privilegiertes Luxusleben kämpfen.

Der Kampf der Aufklärung gegen die Mächte der Gegenaufklärung ist weniger ein Kampf der Völker untereinander, als der Kampf abgehängter und unterprivilegierter Gesellschaftsschichten gegen ihre eigenen Eliten.

Schon längst haben sich die Eliten rund um den Planeten zu einem mondänen Kartell zusammengefunden, das sich in Monte Carlo, Sankt Moritz und den schönsten Plätzen der Welt zum gesellschaftlichen Tete à Tete trifft, sich immer besser kennen lernt und im Zweifelsfall immer geschlossener gegen die aufmüpfigen Weltmassen zusammenschließt.

Das Gerede von der allgemeinen, darwinistischen Konkurrenz soll von der Tatsache der zunehmenden Elitenvernetzung ablenken. Beschädigungsrivalität herrscht vor allem in mittleren und unteren Gesellschaftsschichten. Die Kumpanei der Eliten endet zurzeit noch an den Grenzen der um die globale Herrschaft ringenden Weltmächte, die – im Fight um geostrategische Vorteile und nachlassende Ressourcen – ihre Claims abstecken.

Womit wir beim Krim-Konflikt wären, der an der prekären Grenze zwischen dem Westen und Russland die bislang unter der Decke gehaltenen Spannungen zwischen Washington, Moskau und Brüssel zum Vorschein bringt.

Fast über Nacht sind die auf Ausgleich bedachten pazifistischen Grundströmungen zwischen den Weltblöcken zugunsten von Härte- und militärischen Drohgebärden verschwunden. Bislang friedlich scheinende Zeitgenossen verbinden die – notwendige – Kritik an Putins Völkerverbrechen mit kriegerisch anmutender NATO-Verstärkung, Verlegung von Kampfjets nach Polen und deutscher Militärhilfe für die unmittelbaren Nachbarn des dämonisierten Russland.

Putin ist nicht Russland, seine „Heimholung“ der Krim muss nicht der Anfang eines wieder auferstehenden Sowjetreiches sein. In deutschen Kommentaren sind die Begriffe, mit denen man sich die neue Situation begreiflich machen will, von bestürzender Verwirrung.

Wer Putin versteht, kann ihn dennoch kritisieren. Wer ihn kritisiert, muss ihn nicht gleich zum alleinschuldigen Dämon erklären, sondern kann auch die Schuldanteile des Westens in die Waagschale werfen. Fremdkritik schließt Selbstkritik nicht aus.

Dürfen die Deutschen die jetzige Situation mit dem Dritten Reich vergleichen? Sie müssen – wenn sie überprüfen wollen, ob sie ihre Vergangenheit ausreichend bearbeitet haben oder ob und in welchem Maß die Gespenster der Vergangenheit zurückgekehrt sind.

Vergleichen ist nicht gleichsetzen. Ein Hitler oder Stalin ist in ganz Europa nicht zu sehen. Putin ist nicht Hitler, dennoch könnte er gewisse Hitler-Taten imitieren.

Wir müssen unsere Begriffe schärfen und mit Bedacht wählen, damit wir mit ungelenken und impulsiven Begriffen kein Öl ins Feuer gießen. Ein unbedachtes Wort, ein falsch gedeutetes Computerbild kann einen Weltkrieg auslösen. Die Eskalation findet in Worten statt, die unkontrollierte Gefühle transportieren.

Wenn Grundbegriffe nicht in Ordnung sind, können Staaten nicht in Frieden zusammenleben.

„Europa, bleibe hart!“, ruft Joschka Fischer in der SZ. Kennen wir die Parole nicht?

Im Jahre 1914 meinte man, „man ist härter, man gibt nicht nach. Und das hat auch die Krisenanfälligkeit des Systems erhöht.“ Sagt der australische Historiker Christopher Clark in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Wie redete man im Vorfeld des Ersten Weltkrieges?

„Dass man zum Beispiel immer gesagt hat, wir müssen steif bleiben, wir müssen hart sein, wir dürfen nicht klein beigeben, die Deutschen wollen uns ins Wasser schieben und unsere Kleider klauen, solche sehr männliche Metaphern erinnern uns, dass wir es mit Männern zu tun haben, die wirklich zum Teil auch darunter gelitten haben, dass sie so männlich sein mussten.“

Was meint Fischer, der die pazifistischen Grünen in den ersten Krieg der Deutschen nach 1945 führte, mit dem Slogan von der Härte? Er greift die Fraktion der Putin-Versteher an, sie würden mit ihrer „Anpassung“ an Putin nicht zum Frieden, sondern zur Eskalation der Krise beitragen. (Joschka Fischer in der SZ)

Wer Putin versteht, passt sich ihm nicht an. Verstehen ist nicht Verzeihen, kein furchtsames Unterwerfen, sondern eine mutige Tat, den Feind nicht zu verteufeln, sondern in menschlichen Kategorien verständlich zu machen.

Soll Härte darin bestehen, Putin nicht zu verstehen? Das sind autoritäre Kategorien aus der Patriarchenzeit, in der Nichtverstehen mit der Rute exekutiert wurde. Fischer erweckt den Eindruck, als hätte Putin das Völkerverbrechen erfunden und als ob das 21. Jahrhundert nur von Frieden und Freude geprägt wäre. Was für aufgeblasene Sätze:

„Dieser Umsturz wird tief greifende Auswirkungen auf Europa und die europäisch-russischen Beziehungen haben. Er wird darüber entscheiden, nach welchen Regeln die Staaten und Völker auf dem europäischen Kontinent in Zukunft leben werden: nach denen des 19. oder des 21. Jahrhunderts.“

Wichtigtuereien eines grandiosen Weltpolitikers, der in seinem grämlichen Winkel von niemandem mehr gefragt wird. Putin wird darüber entscheiden, nach welchen Regeln Europa in Zukunft leben wird? Halt die Luft an, Joschka, Du neigst zum Hyperventilieren.

Russland wird zum primären Sünder erhoben und Putin hat die Sünde erfunden: das markiere eine Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte, „weil die EU plötzlich als machtpolitischer Akteur gefragt ist.“

Von wem ist sie gefragt? Von der Geschichte? Von Joschka Fischer, dem Weltstrategen? Kann es sein, dass Europa selbst entscheiden muss, welche Politik es betreiben will? Dass niemand die Europäer zwingen kann, die Logik Putins mit derselben Logik zu beantworten? Auge um Auge, Zahn um Zahn, gell?

„Die Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine sind für Europas Sicherheit von großer Bedeutung. Russlands Wiederaufstieg zur Weltmacht gelingt nur, wenn das Land über den Anschluss der verloren gegangenen Gebiete eine dominante Rolle in Europa erlangt, vor allem in Osteuropa. Hier ist ein strategischer Grundsatzkonflikt programmiert.“

Was hier programmiert sein soll, spielt sich nur im Gehirn Joschkas ab. Sonst ist nichts programmiert. Ist die EU so einfach von jemandem zu programmieren, der von Fischer als ihr Erzfeind dargestellt wird?

Nicht nur, dass Putin mit seiner Krim-Annektion die ganze EU-Politik fernlenkt, er reaktiviert im Alleingang auch die NATO. „Ganz nebenbei hat Putin die Nato wiederbelebt, die sich in einer tiefen Sinnkrise befand.“ Da muss die NATO Putin dankbar sein, dass er sie aus ihrer Sinnkrise erlöst hat.

Es geht doch nichts über einen nützlichen Erzschurken als Feindbild. Und wenn man kein Feindbild hat, muss man es sich aus selektiven Zeitungsschnipseln zusammenpuzzeln. Hat Fischer noch nicht bemerkt, dass Putin längst wieder auf Deeskalation umgeschaltet hat, nachdem er seiner Beute sicher sein kann? Es gibt nicht die geringsten Hinweise, dass er das Sowjetreich in altem Umfang wieder auferstehen lassen will.

Die EU müsse nun begreifen, dass „sie in ihrer östlichen und südlichen Nachbarschaft mit widerstreitenden Interessen anderer Mächte konfrontiert wird, die sie im eigenen Sicherheitsinteresse nicht einfach ignorieren darf oder gar akzeptieren kann. Die Erweiterungspolitik der Europäischen Union ist eben nicht nur ein lästiges Anhängsel, das die Ruhe EU-Europas stört und zudem teuer ist. Die EU-Erweiterung ist vielmehr ein notwendiger Bestandteil der Sicherheit der Europäischen Union. Sie ist ihr entscheidendes Zeichen nach außen hin, ihr Beitrag zur Geopolitik. Diese Sicherheit gibt es jedoch nicht kostenlos.“

Das also ist des Pudels Kern. Fischer fordert – wie die neue smarte Verteidigungsministerin – militärische Eskalation. Kennt Fischer keine andere Sicherheitspolitik als mit dem Knüppel winken? Sind alle pazifistischen Sicherheitsstrategien der Grünen bei ihm abhanden gekommen? Wird Frieden nicht am besten mit friedlichen Mitteln gesichert – was nicht bedeutet, dass man keine klare und kritische Sprache sprechen darf?

Pazifismus ist keine Feigheit, sondern der allergrößte Mut, Panzern nicht mit Panzern zu begegnen. Das gelingt nicht immer. Hitler musste mit Panzern und Kanonen weggefegt werden. Kann es sein, dass auch die EU im Vorfeld versagt hat, wenn es zu einer solchen Konfrontation mit Russland kommen musste?

Wo bleibt die EU-Selbstkritik bei Fischer? Was Fischer Putin vorwirft, propagiert er selber. Er tritt für eine Erweiterungspolitik der EU ein, um ihre Sicherheit gegen das böse Russland zu garantieren. Dieselben Worte könnte Putin benutzen, um seine Sicherheitsstrategie gegen die EU zu begründen.

Hatte der Westen Gorbi nicht zugesagt, die NATO werde nicht nach Osten erweitert? Inzwischen ist Russland vom Westen – inklusive amerikanischen Raketen, die angeblich den Iran bedrohen – vollständig eingekesselt. Fischer plädiert für einen expansiven Kurs der EU und wirft Putin einen expansiven Kurs vor.

Man könnte einwenden, Fischer will Expansion mit friedlichen Mitteln, im Gegensatz zu Putin. Aber auch die Krim war kein Schauplatz eines blutigen Bürgerkriegs. Im Gegenteil, die riesige Mehrheit der Bevölkerung wollte in die russischen Stammlande zurück. Formell ändert das nichts am Völkerverbrechen, atmosphärisch und inhaltlich aber schon.

Formell war auch der Kosovokrieg ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Inhaltlich ging es um die Verhinderung einer kollektiven Völkervernichtung. Da gibt es Parallelen der Rechtfertigung.

Wer ist schuld am Debakel? Wer ist Unfriedensstifter? Immer die anderen. „… weil die Welt und vor allem die europäische Nachbarschaft doch keineswegs so friedlich sind, wie sich das viele Europäer, vorneweg die Deutschen, so optimistisch ausgedacht hatten.“

Die pazifistischen Schafe aus Deutschland! Erneut muss Oberrealo Fischer die deutschen Gutmenschen aus ihrem Dämmerschlaf wecken und ihnen die nüchterne Wirklichkeit zeigen. Doch den Höhepunkt seiner Rede hat sich Joschka für den Schluss aufgespart:

„Die EU als Friedensprojekt galt als hoffnungslos von vorgestern. Nun hat Wladimir Putin dafür gesorgt, dass sich die Realität im Bewusstsein Europas zurückgemeldet hat. Und damit auch die Frage des Friedens auf dem europäischen Kontinent: Ihn kann nur ein vereinigtes und starkes Europa bewahren.“

Wer hier vor Freude nicht weint, weint nimmermehr. Putin, der Störenfried, hat das europäische Friedensprojekt wieder auferweckt? Bravo, den Friedensnobelpreis für den Russen. Wenn Obama ihn verdient hat, hat Putin ihn allemal verdient.

Im letzten Moment fiel Fischer auf, dass sein Kommentar bellizistisch klingen könnte.

Was tut er? Mit einem Federstreich stellt er alles auf den Kopf und erklärt – ganz nach dem Spruch: wer Frieden will, rüste zum Krieg – die EU-Erweiterungspolitik und seine Dämonisierung Putins zum reinen Friedensgesäusel. Europäischer Friede ist, wenn man Russland eindämmt und einkesselt.

Deutschland, die Riege deiner wackeren Elder Statesmen von Helmut Schmidt über Schröder bis zu Fischer lässt sich sehen. Wer solche lupenreine Völkerrechtsfreunde, uneigennützige Ölexperten und friedliche Geostrategen hat, braucht gegen asiatische Horden keine abendländischen Krieger mehr.