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Untergang

Hello, Freunde des Untergangs,

in westlichen Theokratien, die sich Demokratien nennen, ist der selbstbestimmte Tod des Einzelnen verboten. Der Freitod der Gattung hingegen muss als unabwendbares Schicksal hingenommen werden.

Wer Welt und Mensch erschaffen hat, kann beide nach Belieben wieder vernichten. Wem‘s gut geht auf Erden, den gelüstet es nicht nach dem Ende seiner Freuden, wem‘s schlecht geht, der muss das Maß seiner auferlegten Leiden bis zur Neige auskosten.

Wenn eine schwerkranke Frau sich das Leben nimmt, urteilt der Vatikan harsch: „Diese Frau hat es gemacht und angenommen, würdevoll zu sterben. Doch hier ist der Fehler. Sich das Leben zu nehmen, ist keine gute Sache, sondern eine schlechte. Denn es heißt, Nein zu sagen zum eigenen Leben.“

Wenn aber die ganze Gattung dem Abgrund entgegen zieht, ist kein Vatikansprecher da, um die gefährdete Menschheit vor dem Ende zu warnen.

Im Gegenteil, das Ende der Menschheit ist festgelegt. Kein Mensch kann gegen die Dramaturgie der Heilsgeschichte aufbegehren. Heilsgeschichte ist der unabwendbare Fahrplan, den Gott der Menschheit auferlegt. Ein religiöser Geschichtsplan bestimmt das Geschick einer säkular sein wollenden Menschheit.

Nicht die Geschichtsphilosophie der Chinesen, Griechen, Inder oder sonstiger Völker legt fest, wohin die Menschheit steuern soll. Allein

die Geschichtsauffassung der biblia sacra soll die Weichen der Weltpolitik stellen.

Der wichtigste imperiale Akt der vom Westen gesteuerten Globalisierung ist die Installierung der christlich-jüdischen Heilsgeschichte über alle konkurrierenden Geschichtsvorstellungen anderer Nationen und Kulturen.

Chinesen und Griechen kannten eine zyklische Geschichte, eine lineare Geschichte mit Anfang und vorprogrammiertem Ende wäre ihnen lächerlich vorgekommen. Ihre Zeitauffassung war die Zeit der Natur. Natur kennt keine Linearität, sie kennt nur Zyklen. Die Taten der Menschen sind unfähig, die Zyklen der Natur zu verbiegen oder gar auszuhebeln.

In der Erlöserreligion des Westens hat Gott die Welt um des Menschen willen erschaffen. Nicht um irgendeines Menschen, sondern des von Gott erwählten Menschen willen. Im Judentum um des Juden, im Christentum um des Christen, im Islam um des Mohammedaners willen.

Natur ist nur die zeitlich begrenzte, notwendige Bühne für den Menschen, der dem Ruf seines Gottes folgen und den vorgesehenen Heilsplan seines Schöpfers erfüllen soll. Ist der religiöse Plan von A bis Z erfüllt, wird die belanglose Natur wieder eingezogen und vernichtet. Sie hat ihre Schuldigkeit getan, sie kann gehen.

Der Anfang der Geschichte ist die Schöpfung, die Mitte ist die Menschwerdung des Gottessohnes, das Ende ist die Apokalypse – die Offenbarung des endgültigen Heils- und Unheilswillens des Schöpfers und Vernichters der irdischen Zeit.

In Naturreligionen und -philosophien gibt es keinen – männlichen – Schöpfer der weiblichen Natur. Natur ist das A und O allen Seins. Sie erschafft alle Lebewesen, übergibt sie den symbiotischen Gesetzen des Zusammenlebens, ohne ihnen das Korsett einer geschichtlichen Planwirtschaft zu verpassen. Dem Menschen droht keine zur Strafe auferlegte Apokalypse, kein Jüngstes Gericht. Solange er den Gesetzen der Natur in Einsicht folgt, kann er sein Leben ohne Damoklesschwert einer von Oben verhängten Frist so lange und so gut leben, wie er es für richtig hält.

In der Heilsgeschichte ist Natur die Magd des Menschen, deren Schicksal allein von ihm, der Krone der Schöpfung, abhängt. „Der Apokalyptiker sieht den Menschen im Mittelpunkt der Erde. Das Verhalten des Menschen entscheidet über das Schicksal der Tiere und die Ordnung der Sternewelt. Die Erde schreit, wenn der Mensch sündigt und die Sonne verfinstert sich. Alles Geschehen ist eingeordnet in den großen Gang der Allgeschichte.“ (E. Stauffer: „Jerusalem und Rom“)

Es herrscht Sippenhaftung in der biblischen Geschichte. Wenn der Meister der Schöpfung versagt, muss die Natur mit ihm leiden. Mitgefangen, mitgehangen. „Denn die Sehnsucht des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit der Söhne Gottes. Denn wir wissen, dass alles Geschaffene insgesamt seufzt und sich schmerzlich ängstigt bis jetzt.“

Wird der Mensch am Ende der Geschichte für alle Zeiten erlöst, wird auch alte Natur in eine vollkommene neue Natur verwandelt. Siehe, ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde. Das Ende liegt fest. Kein Irdischer kann am Kommen der Katastrophe rütteln. Nicht der Mensch ist Herr seines Geschicks, sondern eine übermenschliche Macht.

Der Grieche Thukydides, Vater aller abendländischen Geschichtsschreibung, kennt keine lineare Heilsgeschichte. Bei ihm wiederholt sich die Geschichte im Grundsätzlichen, denn der Mensch bleibt sich im Wesentlichen gleich. „Jede metaphysische Hinterwelt ist hier verschwunden, nicht nur der Volksglaube mit seinen Göttern, die vollkommen ausgeschaltet werden, sondern auch jede philosophische Spekulation wie göttliche Vorsehung oder sittliche Weltordnung.“ (Wilhelm Nestle: „Vom Mythos zum Logos“)

In der Moderne gibt es fast keine einzige Philosophie, bei der die Autonomie des Menschen im Mittelpunkt stünde. Das allerliberalste Individuum wird von ehernen Gesetzen der Wirtschaft, des Kampfes aller gegen alle, der Evolution, des technischen Fortschritts determiniert.

Calvins Prädestinationslehre hat die Welt überwunden und bedient sich weltlicher Gesetze, die zugleich die Gesetze des Herrn der Heerscharen sind. In Gottes eigenem Land gehört der Glaube an die Heilsgeschichte zum dogmatischen Inventar biblizistischer Majoritäten.

Im entmythologisierten Europa wähnt man sich über solchen Kinderglauben erhaben – und unterordnet sich ihm wortlos und ohne Widerstreben. Gott, Jahwe oder Allah – hat die Welt überwunden.

Im Abendland hat es eine gigantische Auseinandersetzung zwischen zwei Kulturen, zwei Geschichtsauffassungen gegeben. Zwischen der griechisch-heidnischen auf der einen Seite und den drei Erlöserreligionen auf der anderen.

Der Streit währte von Alexanders Sieg über Vorderasien – bis zur Eroberung des Römischen Reiches durch das Christentum. Spätestens mit Augustins ausgearbeiteter Geschichtsauffassung in seinem Buch „Vom Gottesstaat“ war die griechische Vorherrschaft über die Römer beendet.

Die Geschichte wurde eingeteilt in vor und nach der Geburt Christi. Ein religiöses Datum, durch nichts zu belegen und nur blind zu glauben, wurde zum Zentrum der Weltgeschichte – und blieb es bis heute.

Alle Ereignisse der Weltgeschichte werden nach Kriterien der Heilsgeschichte bemessen. Wie lange noch in der Nacht? Wie lange noch bis zum Untergang? Wie lange noch bis zu Deiner Wiederkunft, oh Herr – klingen die hörbaren und unhörbaren Seufzer der Gläubigen. Und selbst der Ungläubigen, die nicht bemerken, dass sie ihre Zeit dem Plan einer Religion untergeordnet haben.

Sollte der gottlose mittelalterliche Kaiser Friedrich II Recht haben mit seiner Einschätzung von Moses, Jesus und Mohammed als den drei wirksamsten Betrügern der Menschheit, wird die Geschichte des Abendlandes von drei Betrügern bestimmt.

Kaum ein Werk säkularer Geschichte, das ohne diese selbstverständliche Unterordnung auskäme. Im ersten Band der Weltgeschichte von Ranke lesen wir die selbstverständlichen Zeilen:

„Die mosaische Idee tritt auf den einsamen Höhen des Sinai hervor, die von allen tellurischen Abwandlungen frei geblieben sind, wo nichts ist zwischen Gott und Welt. Wenn nun bei den Ägyptern und den Babyloniern alles Entwicklung der eingeborenen Kräfte der Sonne, der Gestirne und der Erde selbst ist, so erscheint hingegen Jehova als der Schöpfer des Himmels und der Erde als der Urheber zugleich und der Ordner der Welt. Die Abweichung ist unermesslich, der außerweltliche Gott tritt hervor; er erscheint dem Propheten in dem Feuer, ist aber nicht das Feuer, er ist in dem Worte, das aus dem Feuer gehört wird. Die Idee von Jehova ist nicht etwa aus dem Naturdienst entsprungen, sie ist ihm entgegengesetzt. Die mosaische Schöpfungsgeschichte ist ein Manifest gegen die Abgötterei, welche die Welt beherrschte.“

Mit anderen Worten: die Religion einer naturfeindlichen Überwelt hat die Natur besiegt. Die Geschichte eines widernatürlichen Gottes hat die Geschichte der Natur in die Knie gezwungen. Der Plan der Heilsgeschichte bestimmt die Geschichte menschlicher Marionetten auf Erden.

Warum lügt Merkel das Blaue vom Himmel – ohne es zu bemerken?

a) Freiheit ist ein Zentralbegriff der Griechen, vom Hellenismus ins Heilige Land exportiert.

b) Biblische Schriftsteller, fasziniert und abgestoßen von der überlegenen heidnischen Philosophie, übernehmen viele Begriffe der Heiden, die sie ihrem eigenen religiösen Paradigma unterordnen. Freiheit in der Welt wird zur Freiheit von aller Welt. Der Begriff wird auf den Kopf gestellt, es geschieht eine Umwertung aller Werte – um Nietzsche zu zitieren.

c) In der Neuzeit haben die meisten Menschen – auch die Christen – sich die ursprünglichen griechischen Begriffe zu eigen gemacht. Demokratie wurde zur einhelligen Gesellschaftsform des Westens. Die verschiedenen Aufklärungsbewegungen seit Beginn der Neuzeit haben die Deutungsmacht der Kirchen zurückgedrängt.

ABER: durch raffiniert willkürliche Deutungsmethoden glauben die meisten Christen noch immer, auf dem Boden des Evangeliums zu stehen, wenn sie neutestamentliche Freiheit zur politischen Freiheit umdrehen und damit – ohne es zu wissen – „miss“verstehen.

Ihre unchristliche Ideologie projizieren sie in die Heilige Schrift und bilden sich ein, noch immer gläubige Schafe der Kirche zu sein – obgleich sie auf dem Boden der griechischen Demokratie stehen. Mit dem politischen Kopf sind sie Griechen, mit dem ängstlichen Herzen Christen, die durch heidnische Kritik ihre Seligkeit nicht aufs Spiel setzen wollen.

Historische Bildung allein würde nicht genügen, um diese komplex klingenden, aber einfach zu verstehenden Vorgänge zu erhellen. Solange das kollektive Es der Deutschen – und der meisten Europäer – noch unbewusst die Strafen der Hölle fürchtet, werden diese historischen Verwirrungen weiterhin dafür sorgen, dass die Kirche im europäischen Dorf bleibt.

„Weltliche“ Historiker beteiligen sich an diesen methodischen Fälschungen, ohne mit der Wimper zu zucken. Dass Demokratie und Menschenrechte der biblischen Gottähnlichkeit und nicht dem Boden Athens entstammen, ist für die Mehrheit der Historiker ausgemacht.

Allmählich ahnen wir, woher die Vernarrtheit der Deutschen in unverständliche Komplexität kommt. Sie wollen nicht verstehen, um keine Verantwortung zu übernehmen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, so klingt die Devise ihrer Selbstentmündigung.

Wer seine Probleme nicht versteht, kann sie nicht lösen. Für Popper war der Mensch ein problemlösendes Tier. Philosophie tauge nur, wenn sie zum Problemlösen beitrage.

Heute ist Philosophie zum Gegenteil geworden. Je absurder und manierierter das Geschwafel der Intellektuellen, umso tiefsinniger der unendliche Schacht ihrer Weisheit.

Heilsgeschichte schreibt den Plan vor und der christliche Westen folgt. Was die Frommen glauben, erfüllen sie selbst. Ihr Glaube ist eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Was steht auf der Agenda der gegenwärtigen Planerfüllung? Die Apokalypse.

Schon seit 2000 Jahren üben Juden und Christen den korrekten Weltuntergang. In unzähligen apokalyptischen Büchern haben sie die Schrecken der Endzeit beschrieben. Leider – oder Gottseidank – sind ihre Prophezeiungen nicht eingetreten. Doch das kann ihren Glauben nur noch verstärken. Bei der Berechnung des Finales müssen sie sich geirrt haben – also neue Berechnungen und noch schärfere Wahrnehmung all der Gräuel, die da kommen sollen.

Besonders die Deutschen kokettieren ständig mit Untergangsszenerien, obgleich sie angeblich über alle biblischen Mythen erhaben sind. Da sie in zwei Weltkriegen den Weltuntergang schon zweimal exekutiert und erlitten haben, glauben sie, gegen solche kindischen Märchen gefeit zu sein. Zumal sie sich für die Weltmeister der Entmythologisierung halten.

Hilft alles nichts: der in Amerika gepredigte Glaube an den wiederkehrenden Messias wird zunehmend mehr nach Deutschland importiert. Die wachsenden Umweltschäden tun ein Übriges und verstärken den untergründigen Pessimismus der Deutschen, die sich gleichwohl bemühen, ihren Wohlstand als Grund ihrer bemühten Saturiertheit vorzuweisen.

Doch die Zeichen ihres zunehmenden Missbehagens mehren sich: die Zahl der gezeugten Kinder sinkt. Die unverhüllte Kinderfeindschaft steigt. Kindern kann man nicht mehr ins Auge schauen, wenn man ihnen die Zukunft unter dem Boden wegreißt.

Früher sollten die Kinder es besser haben als ihre dem Weltkrieg entkommenen Eltern. Heute spricht niemand mehr davon, die Kinder könnten einer sicheren Zukunft entgegen gehen. Im Gegenteil. Das Prinzip Sicherheit wird madig gemacht, um von der blamablen Tatsache abzulenken, dass die Alten eine unsichere Welt hinterlassen. Während sie zittern, wenn ihr BIP nur um ein Geringes sinkt, werden elementare Sicherheitsbedürfnisse kommender Generationen als Spießerei verächtlich gemacht.

Das wachsende schlechte Gewissen der jetzigen Eliten wird durch technischen Gigantismus kompensiert. In Zukunft soll alles besser werden, wenn engelgleiche Maschinen vom Himmel auf Erden herabgestiegen sind, um all jene Probleme zu lösen, die den Menschen über den Kopf zu wachsen drohen. Sie können zwar keine Probleme lösen, aber Maschinen konstruieren, die alle Probleme vom Tisch wischen.

Utopien durch menschliche Weisheit werden verhöhnt, Utopien durch mechanischen Knopfdruck haben Hochkonjunktur. Der Mensch soll sich nicht verändern können, also gibt man ihm intelligente Roboter zur Hand, dass er verändert sein kann, ohne sich verändern zu müssen.

Verblödete Kreaturen sollen Herren über geniale Algorithmen sein. Würde das eintreten, wäre es unvermeidlich, dass die Geschöpfe den Schöpfern über den Kopf wachsen. Das wäre die ultimative Abschaffung des mündigen Menschen.

Wie konnten in der Geschichte der Völker solch eigenartigen Gebilde wie die apokalyptischen Phantasien entstehen?

Der Grund liegt in der stetig wachsenden gefühlten Schuld der Menschen. Sie fühlten sich schuldig, weil sie die elementarsten Erfordernisse menschlichen Zusammenseins nicht erfüllten. Die Geschichte der Völker schritt voran, doch überall sah man nur Streit, Krieg, Unterwerfung und Zwang. Und nirgendwo zeigte sich eine Lösung.

Gerade in Kulturen erbsündiger und moralisch bankrottierender Menschen wuchs das kollektive Bewusstsein der unaufhebbaren Schuld gegen einen allmächtigen Schöpfer, dem sie nie Genüge tun konnten. Es sei, sie erflehten seine Hilfe und appellierten an seinen gnädigen Erlösungswillen.

Je höher die gefühlte Schuldenlast, je größer das Bedürfnis nach einer kathartischen Generalintervention des Gottes. Zuerst müssen die „Greuel der Verwüstung“ kommen als Strafen für die Sünden, danach erst kann das gnädige Wort der Erlösung ausgesprochen werden. Oh Herr, lass es zu Ende gehen, das grausame Spiel auf Erden. Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes.

Am Maß ihrer unstillbaren Untergangssehnsucht erkennt man das Maß ihrer übergroßen Schuld. Schuld ist ein theologischer Begriff. Ein übermächtiger, sich dennoch unsicher fühlender Vater zwingt seine Geschöpfe zur abgrundtiefen Demut, zum grenzenlosen Kotau – um seine eigene Größe zu stabilisieren. Der Allmacht des Gottes entspricht die Ohnmacht des Geschöpfes.

Nur der selbstbewusste, stolze Mensch erkennt seine Fehler, ohne in rasender Schuld zu versinken. Ohne rasende Schuld keine Apokalypse. Ohne Apokalypse kein automatisch abgespulter Heilsplan.

Ohne Heilsplan eine natürliche Geschichte als Lerngeschichte des homo sapiens, die nichts ist als die Summe seiner Irrungen und Wirrungen, seiner Erkenntnisse und Fähigkeiten.

Im Spiegel seiner Geschichte kann der Mensch die elementaren Fragen beantworten: Wer bin ich? Und was muss ich tun, um – im Einklang mit allen Lebewesen – den Planeten Erde als Heimat zu bewahren?