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Tagesmail

Überwachung ist der liebende Blick Gottes

Hello, Freunde der Allwissenheit,

„Mephisto: Und doch hat jemand einen braunen Saft, In jener Nacht, nicht ausgetrunken.

Faust: Das Spionieren, scheint’s, ist deine Lust.

Mephisto: Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.“

In Amerika späht das Auge Gottes, in Deutschland spioniert der Teufel.

„Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“

Welche Freunde? Gibt’s denn auf der gemeinsamen westlichen Wertebasis gemeinsame Vorstellungen über Freundschaft?

Amerika denkt und fühlt christlich.

Europa definiert sich nur christlich, die Welt der Bibel ist der alten Welt unbekannt.

Europa: Freunde vertrauen einander.

Amerika: „Ein jeder hüte sich vor dem Freunde und keiner traue dem Bruder. Einer betrügt den andern und keiner redet ein wahres Wort; als Lügen gewöhnt ist ihre Zunge. Gewalttat über Gewalttat, Trug über Trug.“ „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch sage.“ „Wer den Willen meines Vaters in den Himmeln tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“

Ungläubige können weder Freunde, noch Brüder oder Schwestern sein. Amerika betrachtet sich als gläubige Nation.

Europa ist für Amerikaner nicht wirklich gläubig. Wer Freund der Welt sein will, ist Feind der Gläubigen: „Wisset ihr nicht, dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist?“ Amerika erkennt seine Freunde daran, dass

sie tun, was Amerika will.

Der neucalvinistische Mensch ist dem Menschen ein Wolf – also ein Bruder. Ein Bruder, also ein Wolf. Wer sind für Amerikaner die Schlimmsten aller Menschen? Die Nächsten, die Liebsten, die Familienangehörigen, die die schlimmsten Rivalen um die ewige Seligkeit sind:

„Denn ich bin gekommen, einen Menschen mit seinem Vater zu entzweien und eine Tochter mit ihrer Mutter und die eignen Hausgenossen werden des Menschen Feinde sein.“

Die besten Freunde werden die schlimmsten Feinde sein. Auf diese Selbstentlarvung warten gläubige Amerikaner. Sie warten nicht nur, sie tun alles, um die „Freunde“ zur Selbstentlarvung zu provozieren. Die NSA will die wahre Motivation der falschen Freunde entlarven und ans Licht bringen. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, die NSA sieht das Herz an. Das Ausspähen der Freunde ist Amerikanern eine heilige Notwehr.

Amerika und Europa haben dieselben Werte, also müssten sie ähnlich ticken. Das Gegenteil ist der Fall. Wie erklärt sich der weltkundige SPIEGEL das völlig unterschiedliche Fühlen und Denken der alten und der neuen Welt? Mit Missverständnissen.

„Mag sein, dass der Kern des Problems ein Missverständnis ist zwischen Europa und den USA. Geheimdienst und Überwachung – das ist, ganz anders als in Europa, durchaus positiv besetzt in Amerika. Was in Deutschland Spitzelei heißt, firmiert hier unter Monitoring. Es ist auffallend, wie entgegengesetzt die gegenwärtige Diskussion läuft: Kein Leitartikler in Deutschland – ob konservativ oder linksliberal – verteidigt die NSA. Teile von Amerikas Deutungseliten aber sind anders gepolt: Da fragt in der Carney-Pressekonferenz der langgediente CBS-Journalist Mark Knoller, ob die Verbündeten nicht auch „ein bisschen naiv“ seien.“ (Sebastian Fischer im SPIEGEL)

Missverständnisse kann es nur geben, wenn man in Grundfragen gleich denkt – und nur in Kleinigkeiten aneinander vorbei spricht. Sind aber Freunde und Partner anders gepolt, kann es keine Missverständnisse mehr geben. Da ist man durch Welten voneinander entfernt – und will es sich nicht zugeben. Wenn eine „Diskussion entgegengesetzt verläuft“, kann es sich nicht mehr um Missverständnisse handeln. Da stehen die Freunde auf verschiedenen Seiten des Ufers.

Immer weiter entfernen sich alte und neue Welt voneinander und wollen es nicht wahrhaben. Sie können zusammen nicht kommen, der Graben war viel zu tief. Vielleicht könnten sie zusammenkommen, wenn sie erkennen würden: Vorsicht, der Graben wird noch tiefer und unüberbrückbarer.

Warum werden wir uns immer fremder? Wenn gute Freunde sich entfremden, beginnen sie den liebenden Streit: was ist mit uns? Was treibt uns auseinander? Wenn Amerika und Europa auseinanderdriften, gibt’s Hohn und Spott über die naiven Europäer. Was eigentlich sollen Geheimdienste tun – außer die Welt auszuspähen? Lästern Amerikaner über Europäer. Sind Geheimdienste zu diesem Zweck nicht ins Leben gerufen worden? „Mal im Ernst, haben europäische Anführer denn etwas zu besprechen, das es sich lohnt, auszuspionieren?“

Plötzlich wird der Ton ernster. Als in Europa Deutschland und der Westen sich voneinander entfernten, war ein Waffengang unvermeidbar. Gott musste in einem heiligen Krieg entscheiden, ob die Ideen von 1789 (der Westen) oder die von 1914 (das deutsche Kaiserreich) Recht hatten. Im Ersten Weltkrieg befand Gott auf Patt mit gefühlter Niederlage der Deutschen. Im Zweiten Weltkrieg entschied Er auf klaren Sieg des demokratischen Westens, dem sich die Verlierer in allen Dingen beugen mussten.

„Dann ist da noch die emotionale Entfremdung. Ihren größten Einfluss in der Welt hatten die USA in ihrer Rolle als gütige Führungsmacht. Plötzlich aber werden sie von ihren engsten Alliierten als Bedrohung empfunden.“

Entfremdung, Bedrohung. Gütige Führungsmacht wird bedrohliche Führungsmacht. Wir werden Zeugen eines geistigen Kontinentaldrifts. Europa und Amerika entfernen sich voneinander. Keine Fragen, keine Erklärungen auf beiden Seiten.

Wenn Christen aus dem Glauben fallen, ist es Sünde wider den heiligen Geist, die niemals vergeben wird: die Perspektive der Amerikaner.

Wenn rational scheinende Partner immer fundamentalistischer werden, werden sie zur Gefahr für die Weltpolitik: die Perspektive der Europäer.

Amerikaner fühlen sich in ihrem Misstrauen bestätigt, dass man glaubensarmen Europäern nicht übern Weg trauen darf. Für sie war der Glaube Alt-Europas noch nie etwas anderes als neuheidnische Heuchelei. Nun fühlen sie sich in ihrem Argwohn bestätigt.

Europäer haben keine Wahrnehmung Amerikas. Mit ihren Befreiern fühlten sie sich jahrzehntelang überidentisch, indem sie annahmen, Amerika sei wie Europa. (Überidentifikation ist unfähig, die Differenz zwischen dem idolisierten Fremden und der eigenen Person zu sehen. Naiv projiziert der Unterlegene seine Ideale in die bewunderte Autorität, um sich mit ihr eins zu fühlen.) Schon fromm irgendwie, aber im Zweifel vernünftig und aufgeklärt.

Glaube und Vernunft sind für Europäer keine Gegensätze.

Amerikanern ist der Streit zwischen Vernunft und Glauben fast unbekannt.

Nie hatten sie eine scharf ausgeprägte Aufklärungsepoche, ihre graecomanische Begeisterung hielt sich in Grenzen. Mit Alteuropa wollten die Entdecker des zweiten Paradieses nichts zu tun haben. Für Amerika ist Demokratie kein Geschenk von Hellas an die Welt, sondern eine gnädige Gabe Gottes an das neue Kanaan. Dass Alt-Kanaan die Theokratie eines undemokratischen Gottes war, fiel ihnen bei der morgendlichen Bibellektüre nicht auf.

Für sie ist Demokratie und Theokratie bis heute dasselbe. Sie nennen es civil religion. Die deutsche Übersetzung Zivilreligion ist hierzulande unbekannt, so wenig können die Deutschen mit dem Begriff etwas anfangen. Ist der Begriff nicht ein Widerspruch in sich? Sind Religion und zivile Gesellschaft in einer Demokratie nicht zwei paar Stiefel? Müssen Kirche und Staat nicht voneinander getrennt sein?

Nur im „atheistischen“ Frankreich sind Kirche und Staat streng getrennt. In Amerika herrscht der Glaube, in Deutschland regieren die Kirchen.

Was heute niemand mehr wissen will: in Europa konnte Demokratie sich nur durch Zurückdrängen der Religion durchsetzen. Als sie gesiegt hatte, änderten die Kirchen ihre feindliche Strategie – und setzten sich an die Spitze der Volksbewegung. Seitdem haben die Priester Menschenrechte und Demokratie selbst erfunden – womit sie in Amerika einen grandiosen Siegeszug antreten konnten.

In Deutschland blieb die Kirche bis zum NS-Regime hasserfüllte Gegnerin aller Menschenrechte und der Demokratie. Erst nach Untergang ihres angebeteten Führers unterwarfen sie sich dem amerikanischen Modell, einer Symbiose aus diesseitiger Macht und jenseitiger Allmacht.

Was in westlichen Nationen schon früher stattgefunden hatte, wurde nun auch von den Deutschen übernommen. Die Kirche, erbittertste Feindin der Demokratie, kohabitierte mit der heidnischen Erfindung, segnete sie und adoptierte sie als eigenes Gewächs. Das Zivile und Religiöse verschmolzen zur Einheit. Zur scheinbaren Einheit.

Solange das Tandem in Wirtschaft und Politik erfolgreich war, hatten die Frommen keine Einwendungen gegen die unzüchtige Affäre. Die ungeheure Macht des neuen Kontinents galt als sichtbarlicher Beweis für Gottes Segen über dem ungleichen Paar.

In Amerika war Kirche identisch mit Demokratie, in Deutschland mit dem totalitären Gegenteil. Kein Problem für wendige Schüler des Paulus, die allen alles werden, um alle für sich zu gewinnen und über alle zu regieren.

In Russland war Kirche identisch mit dem Zarenreich, heute ist sie ein Herz und eine Seele mit dem Putinismus. Nur der Sozialismus war so töricht, etwas zu verbieten, was es seit Marx gar nicht mehr geben durfte. Kirchen haben eine dehnbare Seele und einen guten Magen. Wer sie nicht ausdrücklich verbietet, mit dem hüpft sie ins Bett und hält den Pöbel an der Leine, um ihn der jeweiligen Obrigkeit gefügig zu machen.

Seid untertan jeder Obrigkeit. Auch Hitlers Obrigkeit war gottgewollt, weshalb die lutherischen Adligen viele Skrupel hatten, dem Sohn der Vorsehung eine Kugel zu verpassen.

Gibt es irgendeine Staatsform auf Erden, mit der die Frohe Botschaft nicht kompatibel war? Es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre. Das Christentum ist eine perfekte Gehorsamserzwingungsmaschine mit Aussicht in den Himmel – oder das feurige Gegenteil.

Seitdem der Wettstreit zwischen amerikanischer und deutscher Obrigkeit entschieden ist – dass Gottes Segen auf der Demokratie ruht, nicht auf dem Faschismus – gibt es keinen Rivalen mehr für das amerikanische Siegesmodell. Die Liaison aus himmlischer Glorie und irdischer Power hat Amerika zur führenden Nation der Welt gemacht.

Im Westen hat das zweite Paradies nicht seinesgleichen. Kein Rivale, der ihm gefährlich werden könnte. In diesem Höhenrausch beginnt das Riesenreich, seine demokratischen Fesseln abzuwerfen. Die falsche Synthese ihrer Geburtsstunde wird gesprengt, der demokratische Firnis entsorgt. Der theokratische Kern bläht sich und strebt die Alleinherrschaft an.

Für Erwählte ist Ausspähen ein Akt göttlicher Allwissenheit, den sie im Fortschrittswahn technisch realisieren wollen. Spähen ist für sie keine illegale Bedrohung, sondern ein erlaubtes, ja gebotenes Monitoring (monere: warnen, ermahnen). Je mehr ich weiß, je mehr kann ich drohende Gefahren erkennen und beseitigen. Monitoring ist eine prophetische Kompetenz, ein wissender Blick in die Zukunft.

Für Gläubige ist Überwachtwerden das behütende Sehen des Gottes der Geschichte:

„Gott sieht ins Verborgene. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott sieht das Herz an.“ „HERR, Du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wissest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Solche Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch; ich kann sie nicht begreifen. Wo soll ich hin gehen vor deinem Geist, und wo soll ich hin fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken! so muß die Nacht auch Licht um mich sein. Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht.“ (Psalm 139,1 ff)

Bei Tag und bei Nacht, an allen Orten der Welt, ob ich mich verstecke oder zeige, ob ich liege, gehe oder fahre, ob ich mich tarne oder entblöße: du siehst und kennst mich. Nichts bleibt dir verborgen, oh heilige NSA.

Gottes Ausspähen ist den Gläubigen nichts Schreckenerregendes. Vom allsehenden Auge des Himmels fühlen sie sich beschützt. Nur Gottlose müssen die Omnipräsenz des Schöpfers fürchten.

Im Rausch ihres Welterfolges beginnt die auserwählte Nation, ihre ansteckende Jovialität und demokratische Kollegialität abzulegen und sich zum novus Rex der Weltgemeinde auszurufen. Wozu falsche Bescheidenheit und vornehme Zurückhaltung? Eines fernen Tages muss ans Licht, was bislang nur geglaubt wurde.

Der ferne Tag hat sich genähert, er steht bereits vor der Tür. Die Stunde ist gekommen. Gottes erwählte Nation muss vor die Welt treten und allen Menschen ihren finalen Sieg kundtun. Ein gottähnliches Volk hat sich zur Allmacht und Allwissenheit durchgearbeitet.

Vor Jahren kommentierte Norman Birnbaum die civil religion: „Da die USA Inbegriff des Guten sind, muss alles, was uns entgegentritt, böse sein. Wer von uns angegriffen wird, tut gut, das als himmlische Strafe hinzunehmen. Dies können keine gewöhnlichen Kriegshandlungen sein, da wir ja keinen Krieg führen, nur Kreuzzüge. Terroristisch ist jeder, der auf uns Gute zurückschießt.“

Merkel, europäisch dekadente Protestantin, sollte sich durch göttliches Ausspähen beschützt und geehrt fühlen, anstatt weltliches Geschrei anzustimmen. Noch hat sie das Geheimnis Amerikas nicht verstanden, dass Demokratie und Religion eine „judäo-christliche Einheit ist“.

Das Böckenförde-Diktum ist nur ein Abklatsch der amerikanischen Vision aus neuem Himmel und neuer Erde. „Wir Amerikaner sind das auserwählte Volk, zum Werk demokratischer Vollendung vorherbestimmt und gesegnet.“ Das Ideal der Demokratie entspricht dem Willen Gottes. Demokratie muss zum Objekt religiöser Bestimmung werden.

Von einem Vertreter der gottähnlichen Demokratie wurde ein Credo verfasst:

„Ich glaube an die Demokratie. Ohne religiöses Fundament kann keine Demokratie existieren. Eine freie Gesellschaft ist Ausdruck eines tief empfundenen religiösen Glaubens. Freiheit lässt sich nur in Begriffen des Glaubens erklären. Der Glaube lehrt uns, dass wir alle Kinder Gottes sind. Dass unsere Ideale von Demokratie und Freiheit ewige Gesetze des menschlichen Geistes sind.“

Das Credo der Zivilreligion endet mit dem demütigen Satz: Amerika ist groß, weil es gut ist.

Was eigentlich muss noch passieren, dass der christliche Westen seine größenwahnsinnigen Machenschaften im Spiegel seiner Religion betrachtet?