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Sichtbare Hand

Hello, Freunde der sichtbaren Hand,

Herr Schäubles Gesicht verhärtet sich. Seine antrainierte badensische Jovialität ist ihm abhanden gekommen. „Wissen Sie, was die Griechen wollen? ich weiß es nicht.“

Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie wissen sollten. Sie wissen nicht mal, was sie wissen müssten, um das europäische Haus vor dem Ruin zu bewahren.

Liest Herr Schäuble keine Zeitung? Warum weiß Herr Schäuble nicht, was die Griechen wollen? Will er es nicht wissen? Spricht er nicht mit ihnen? Predigt er nur auf sie ein, hört ihnen aber nicht zu?

Hatten die jungen athenischen Wilden in ihrem Wahlkampf nicht erklärt, was sie zu tun gedenken? Hält Herr Schäuble sie für Traumtänzer, die ihrem Volk das Blaue vom Himmel versprachen – als Gewählte aber sofort alles vergessen würden, was sie angekündigt hatten, um das Brüsseler Diktat geduckten Hauptes entgegen zu nehmen und in ihrem Land zu vollstrecken, ganz so, als sei die alte korrupte Machtelite nie verschwunden und als gebe es keine neu gewählte Regierung? Hat sich endlich der alte Spontispruch bewahrheitet: „Wenn Wahlen etwas bewirken würden, hätte man sie längst verboten“?

Wozu noch Wahlen in den EU-Staaten, wenn ohnehin Merkel die Innenpolitik aller Europäer bestimmt? Deutsche Edelschreiber, die ihre Kanzlerin bereits als Lichtgestalt verklären, fordern in altbekanntem Kommiss- und Kommandoton: Stoppt die Desperados – sofort!

Unerhörtes geschieht im größten Binnenmarkt der Welt. Linke wurden gewählt – Ex-Marxisten und weitaus Schlimmeres –, die tatsächlich meinen, was sie sagen und zu tun gedenken, was sie versprachen. Sie reden, um sich mitzuteilen, ihren Willen kund zu tun und nicht, um sich mit Floskeln hinters Licht zu führen. Sprache ist für sie zur Verständigung da und nicht für diplomatische Ränkespiele. Sie entschuldigen sich nicht für ihren Standpunkt. Sie wollen

Recht haben im Bekämpfen des Leids ihrer Landesleute.

Ist es nicht allergrößte Intoleranz, die Meinungen Anderer für falsch zu erklären? Ist es nicht Selbstgerechtigkeit, die Leistungsträger der oberen Etagen als Ideologen der Ungerechtigkeit anzuprangern? Haben die Krawattenlosen ohne Stil und Haltung nicht alle postmodernen Vielleichts, Eventuells und Möglicherweiseauchnichts im Hafen von Piräus versenkt?

Ein Affront, Versprechungen wortwörtlich zu nehmen; eine Frechheit, als authentische seriöse Populisten aufzutreten, die den Begriff Volk nicht nur unnütz im Munde führen. Hat es solch rechthaberische Attitüden im zynisch zerrütteten Europa schon je gegeben?

Eine Horde Ungebändigter will einem neoliberal verseuchten Kontinent die Leviten lesen? Eine Bande bedenkenloser Moralisten will Europa alteuropäische Mores lehren?

Weiß das gottlose Gesindel nicht, dass in Europa nicht sensus literalis gilt, sondern sensus schwindíilibus, pfifficus und verkohlibus? Dass zum Basar-Talk ehrbarer Kaufleute der unauffällige doppelte Nelson mit Würgegriff und das hinterrücks ausgeführte elegante Rammen des Ellenbogens in die Weichteile gehören?

Wissen diese Barbaren nicht, dass es in der Welt keine einfachen Lösungen gibt? Dass Wirklichkeit unerkennbar ist, ja, dass es sie gar nicht gibt? Wenn Wirklichkeit nicht vorhanden ist, oder zwar vorhanden, aber nicht erkennbar, oder zwar vorhanden und erkennbar, aber nicht veränderbar – wer darf sich erkühnen, sie mit vorhandenen und erkennbaren Methoden verändern zu wollen?

Warum es die Welt nicht gibt, kann ein hoffnungsvoller deutscher Philosoph messerscharf deduzieren. Wie kann es dann politische Methoden geben, sie politisch und moralisch auf Vordermann zu bringen?

Ist Philosophie nicht längst dem verödeten griechischen Mutterland entflohen und in die germanischen Bio-Plantagen geflüchtet? Steht nicht oberflächlicher Menschenverstand aus Neu-Hellas gegen transzendental-metaphysisch-ontologische Tiefenlegenden aus dem Land der Graecomanen, der wahren Erben Solons und Demokrits?

Das wahre Griechenland liegt zwischen dem Tübinger Stift, dem Maulbronner Seminar und dem friderizianischen Berlin. Was wollen substanzlose Pleitegriechen gegen den geldgestützten Geist deutscher Erfolgsnaturen und Denkweltmeister?

Ja, es wäre schön gewesen, meine Diotima. Nennst du mich mutlos? Es ist des Unheils in Europa zu viel. An allen Ecken brechen wütende Haufen heran, wie eine Seuche tobt die Raubgier im Abendland, und wer nicht auch das Schwert ergreift, wird verjagt, geschlachtet, und dabei sagen die Rasenden, sie fechten für Freiheit und Gerechtigkeit. Albanische Horden plündern unser Land. Es ist aus. Unsere Leute plündern und morden. Wie es weiter werden soll, das weiß ich nicht. Das Schicksal stößt uns ins Ungewisse hinaus und wir haben es verdient. Ach, ich habe Dir ein Griechenland versprochen und Du bekommst ein Klagelied nun dafür. (Frei nach Hyperion)

Selbst Franz Josef Wagner ist feinfühliger als die von allem griechischen Geist verlassenen Jesuaner Schäuble und Merkel, empathischer als seine eigenen griechenhassenden Schreiberkollegen der BILD: „Wenn wir Griechenland retten, retten wir uns. Was sind Milliarden gegen Homer, Aristoteles, Sokrates.“

Was die Griechen wollen? Sie wollen Solidarität, das ist jener Stoff, der Gesellschaften, politische Unionen und die Menschheit zusammenhält. Sooliidaariitäät – schon mal gehört, Herr Schäuble? „Solidarität – abgeleitet von solidus, gediegen, echt oder verlässlich – bezeichnet als Grundprinzip des menschlichen Zusammenlebens ein Gefühl von Individuen und Gruppen, zusammenzugehören. Dies äußert sich in gegenseitiger Hilfe und dem Eintreten füreinander. Solidarität kann sich von einer familiären Kleingruppe bis zu Staaten und Staatsgemeinschaften erstrecken.“

Der Begriff Solidarität ist in deutschen Landen ausgestorben. Wer hat ihn getötet, ihn lebendigen Leibes dem Moloch BIP geopfert? Es waren Schröder und Merkel. Der Begriff wurde in den letzten 15 Jahren geteert und gefedert. Was blieb auf der Strecke?

„Was macht den Kitt unserer Gesellschaft aus? Es gibt keine politisch beglaubigte Botschaft, die sagt: Du stehst nicht allein! Der Begriff hierfür ist: Solidarität. Schröder und Merkel haben diesen Begriff aussortiert. Und ich glaube, das wird auf Dauer nicht gutgehen.“ Sagt Soziologe Heinz Bude in der BLZ.

Erschreckende Sprachlosigkeit und militantes Verstummen in Europa. Weder Brüssel noch Berlin versteht die unverblümte Sprache der Athener Regierung. Wenn Sprache versagt, ist alles politische Tun und Handeln vergebens.

Europas Risse dehnen sich krachend, der Kontinent droht zu zerfallen. Mit triumphalen Gesten empfängt der ungarische Ministerpräsident Orban Putin, den russischen Sieger von Minsk, der die Friedensengel Merkel & Hollande vor aller Welt zur Kenntlichkeit entlarvt. Einen bösartigen Streit kann man nicht bis zum Siedepunkt hochkochen lassen, um dann im letzten Moment als Heiland einzufliegen.

Wenn Straubhaar dem Spieltheoretiker Varoufakis vorwirft, ein riskantes Spiel „am Rande des Abgrunds“ zu spielen, dann haben Merkel & Brüssel durch Passivität ein „Spiel mit dem Feuer“ gespielt. Alle Probleme, die vernachlässigt werden und das Zusammenleben der Menschen gefährden, tragen zum unterirdischen Spiel mit dem Feuer bei, das in einem unerwarteten Moment an die Oberfläche durchbricht und Mensch und Natur versengt.

„Dem Konzept des „Spiels mit dem Feuer“ treu folgend, haben die Griechen in einem ersten, schnellen Schritt absichtlich das Risiko herbeigeführt, dass durch ihre Verweigerung, die vereinbarten Auflagen der Troika zu erfüllen, die Stabilität des Euro gefährdet wird. Denn keiner kann die Folgen der Auseinandersetzung oder gar eines drohenden Ausstiegs der Griechen aus der Euro-Zone („Grexit“) abschätzen.“ So Thomas Straubhaar in der WELT.

Wer so zündele, riskiere einen unkontrollierbaren Flächenbrand, meint der Schwyzer Ökonom. Doch das Zündeln unterhalb des alltäglichen Pflasterstrands ist nicht erst von gestern. Die Weigerung, menschliche Probleme für lösbar zu halten und peu à peu zu bearbeiten, ist das wahre Befeuern der menschlichen Konflikte.

Indem die Griechen rotzfrech die Scheinruhe des europäischen Business as usual stören, signalisieren sie der EU, dass sie ihre reichenfreundliche Wirtschaftspolitik grundsätzlich ändern muss.

Eine politische Union, die solidarisch sein will, kann wirtschaftlich nicht auf fremdschädigender Rivalität aufgebaut werden. Deutschlands alles niederwalzender Export stößt die importierenden Länder in jene Schulden, die Schäuble & Merkel ihnen vorwerfen, um sie anschließend zu zwingen, durch Sparen die Schuldenlast manierlich zu halten.

Eine verhängnisvolle Illusion, denn Griechenland und vergleichbare Länder verfügen über keine industriellen Strukturen, die nur einigermaßen konkurrenzfähig wären. Deutschland streckt seine schwächeren Konkurrenten nieder, um ihnen vorzuwerfen, sie lägen hilflos am Boden. Danach zapft es den am Boden liegenden Konkurrenten durch Sparen das Blut ab, um sie aufzufordern, in regenerierter Frische aufzuspringen und sich dem Wettbewerb zu stellen. Da capo al fine. Das ist kein distanziertes Spiel mehr mit dem Feuerzeug, das ist ein aggressives Hantieren mit dem Flammenwerfer.

Wirtschaft hat den Sinn, das angstfreie Überleben und das gute materielle Leben der Menschheit zu garantieren. Sie hat nicht den eitlen Zweck, durch permanente Rivalität die Rangordnung der Nationen festzustellen, um die Motivation der malochenden Gesellschaften unermüdlich anzustacheln. Du, Volk X, bist besser, wenn du Volk Y ökonomisch an die Wand fährst. Der Wert des Menschen soll an seiner technischen und finanziellen Macht ablesbar sein?

Woher kommt diese hirnrissige Einschätzung des menschlichen Wertes? Warum können die Menschen sich nicht auf einen Agon einigen, von dem alle profitieren – wie beim agonalen Streit um die Wahrheit? Der sokratische Dialog ist der einzige humane Wettbewerb, der allen Beteiligten Einsicht und Nutzen bringt, vielleicht sogar das Glück, die Meeresstille der Seele.

Eine Rangordnung in wirtschaftlicher Dauerrivalität ist der Ersatz für die unbeantwortbare Frage der Christen: wie weiß ich, dass ich einen gnädigen Gott besitze? Das ist die uralte europäische Frage, die den Schafen des guten Hirten den Schlaf raubt, ihr Selbstbewusstsein demontiert und ihren Seelenfrieden 24 Stunden am Tag untergräbt.

Da Gott sich weigert, die existentielle Frage seiner Geschöpfe per himmlischen Algorithmus zu beantworten, bleibt nur die Möglichkeit, sich Gewissheit über das eigene Schicksal zu verschaffen – durch die Ersatzgewissheit weltlichen Erfolgs. Arbeit war der Fluch der Sünde, erfolgreiches Arbeiten kann den Fluch in Segen verwandeln:

„Wohl dem Manne, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, der ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und dessen Blätter nicht verwelken und alles, was er tut, gerät ihm wohl.“

Der Erfolg kann in Reichtum bestehen: „Der Lohn der Demut und Gottesfurcht ist Reichtum und Ehre und Leben“.

Es muss aber nicht Reichtum sein. Für tatkräftige Engländer war es Reichtum, für quietistische und von ständigen Kriegen heimgesuchte Deutsche war es Armut: „Mühe dich nicht ab um den Reichtum, lass ab von solcher Klugheit.“

Letzten Endes kam alles aus Gottes Hand: „Reich und arm begegnen einander, sie alle sind das Werk des Herrn.“ Ob arm oder reich, es musste das Werk Gottes sein, sein Lohn für gläubigen Gehorsam. Entscheidend war die Demut, alles, was der Tag bringt, als Gabe Gottes zu betrachten und nicht als Verdienst des eitlen Menschen. „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen.“

Warum scheint der Kapitalismus heute unbesiegbar? Weil das Selbstbewusstsein der Christen durch das Verbot autonomer Selbstbestimmung gegen Null tendiert.

Da kein Mensch mit einem seelischen Nirwana leben kann, muss er seine Hohlheit durch göttlichen Erfolg ersatzweise füllen. Die einen durch prahlenden Reichtum, die anderen durch prahlende Demut oder Armut. Die einen durch fremdschädigenden egoistischen Erfolg, die anderen durch selbstschädigenden Altruismus, der dennoch so uneigennützig nicht ist: beide Leistungen sind Voraussetzungen für den Empfang ewiger Seligkeit. Mögen sie äußerlich konträr scheinen, für das alles durchdringende Auge Gottes – dem Archetypus der NSA – sind sie vom gleichen Geist des Glaubensgehorsams.

Warum hat der neucalvinistische Typus des Reichwerdens sich gegen das altlutherische Armsein durchgesetzt? Uns fehlt noch eine elementare Grundfunktion des christlichen Tuns. Der Sinn frommen Tuns beschränkt sich nicht auf wirtschaftliche Selbsterhaltung. Wirtschaft ist nur ein Teil des allgemeinen christlichen – Willens zur Macht. Unmissverständlich lautet das Urgebot Jahwes: macht euch die Erde untertan.

Die Gläubigen sollen dem Teufel, dem irdischen Herrn der Welt, die ganze Schöpfung entreißen. Dieses Glaubenswerk wird erst am Ende der Heilsgeschichte vollendet sein. Technische Kreativität, wirtschaftliche Kompetenz, militärische Gewalt: alles ist willkommen und geeignet, dem Teufel die Welt abzujagen.

In ökonomischer Kompetenz eroberten die Angelsachsen die Welt mit Geld und Waren, das Militärische war nur eine flankierende Maßnahme. Bei den Deutschen umgekehrt. Da sie wirtschaftlich weniger zu bieten hatten, legten sie den Hauptakzent auf Wehr und Waffen. Nach dem Krieg war ihnen das Militärische versperrt, seitdem mussten auch sie ihren Ehrgeiz auf die Wirtschaft lenken.

Da der weit verbreitete Besitz von Atomwaffen einen ultimativen Weltkrieg nur zum Preis der kollektiven Selbstauslöschung gestattet, beschränkt sich der gegenwärtige Wettbewerb um die Weltmacht auf wirtschaftliche und technische Überlegenheit.

Wie konnte sich im christlichen Reich der Nächstenliebe der egoistische Kapitalismus durchsetzen? Weil der Egoismus anfänglich nur eine Reaktionsbewegung – und die auf guten Werken beruhende Nächstenliebe nicht altruistisch, sondern heilsegoistisch geprägt war.

Die rebellischen Aufklärer hassten die Heuchelei der Kirchen, die unter dem Deckmantel almosenhafter Nächstenliebe ihren eigenen Säckel füllten. Wenn der Taler im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Der volle Kasten aber gehörte der Kirche, die sich zur reichsten Institution Europas hochmästete.

In der Epoche der Aufklärung kam es zum ideologischen Gegenschlag. Nicht mehr heuchelnde Nächsten-, sondern aufrechte Eigenliebe wurde zur Moral des Frühkapitalismus. „Zweifellos – jedermann ist von der Natur in erster Linie seiner eigenen Obsorge anvertraut worden; und da er mehr dazu geeignet ist, für sich selbst zu sorgen als für irgendeinen anderen, so ist es recht und billig, dass er für sich selbst sorge.“ (Adam Smith, „Theorie der ethischen Gefühle“)

Nun die unvermeidliche Generalfrage des kapitalistischen Liberalismus: wenn jeder nur egoistisch an sich denkt, wie kann das Gesamtwohl der ganzen Gesellschaft, ja der Wohlstand der Nationen gewährleistet sein? Nicht durch einen geheimen soziologischen Mechanismus, wie die meisten Ökonomen irren, sondern durch einen korrektiven Eingriff Gottes. Gott muss intervenieren – mit seiner unsichtbaren Hand. Die klassische Stelle:

„Wenn daher jeder einzelne soviel wie nur möglich danach trachtet, sein Kapital zur Unterstützung der einheimischen Erwerbstätigkeit einzusetzen und dadurch dieses so lenkt, daß ihr Ertrag den höchsten Wertzuwachs erwarten läßt, dann bemüht sich auch jeder einzelne ganz zwangsläufig, daß das Volkseinkommen im Jahr so groß wie möglich werden wird. Tatsächlich fördert er in der Regel nicht bewußt das Allgemeinwohl, noch weiß er wie hoch der eigene Beitrag ist. Wenn er es vorzieht, die eigene nationale Wirtschaft anstatt die ausländische zu unterstützen, denkt er nur an die eigene Sicherheit, und wenn er dadurch die Erwerbstätigkeit so fördert, daß ihr Ertrag den höchsten Wert erzielen kann, strebt er lediglich nach eigenem Gewinn. Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, der keineswegs in seiner Absicht lag. Es ist auch nicht immer das Schlechteste für die Gesellschaft, dass dieser nicht beabsichtigt gewesen ist. Indem er seine eigenen Interessen verfolgt, fördert er oft diejenigen der Gesellschaft auf wirksamere Weise, als wenn er tatsächlich beabsichtigt, sie zu fördern.“ (Adam Smith, „Der Wohlstand der Nationen“)

Das ist eine der Hauptstellen, auf die sich Hayeks menschenfeindliche Gegenaufklärung bezieht. Der Mensch ist zum wohlverstandenen  für alle Beteiligten nützlichen  Egoismus nicht nur unfähig, er soll es gar nicht erst probieren, dem anderen nützlich oder hilfreich zu sein. Er kann nur sich selber nützen. Wollte er direkt dem Anderen nützen, würde er sich und dem anderen nur schaden. Der Mensch ist unfähig, Eigen- und Fremdinteresse zu harmonisieren.

Die Harmonie von Eigen- und Fremdinteresse aber war der Kern des aristotelischen zoon politicon, des demokratischen Menschen. Der Glaube an den gemeinschaftsfähigen Menschen, der sich am besten nützt, wenn er der Gesellschaft, und dieser am besten nützt, wenn er sich selber nützt, geht verloren. Der moderne Mensch wird zum gemeinschaftfeindlichen Egoisten, dessen „Sünde“ nur durch jenseitigen Eingriff revidiert werden kann.

Obgleich Aufklärer, hat Adam Smith an die altgriechische Autonomie des demokratischen Menschen nicht glauben können. Hier greift Hayek ein, verwandelt die unsichtbare Hand in die unbegreifliche Rechenfähigkeit des Marktes, der durch seine Preise ein kleines Licht im Tunnel entzündet.

Eins aber geht bei Hayek verloren: der Glaube an die ausgleichende oder gerechte Funktion des Marktes. Die Evolution kennt keine moralischen Absichten. Sie belohnt den – durch Zufall – Glücklichen und bestraft den durch – denselben Zufall bedingten – Unglücklichen. Die Gesamtwirkung der Zufallsentscheidung lässt sich mit der biblischen Lieblingsstelle Hayeks poetisieren:

„Ich wandte mich und sah, wie es unter der Sonne zugeht, daß zum Laufen nicht hilft schnell zu sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; daß einer angenehm sei, dazu hilft nicht, daß er ein Ding wohl kann; sondern alles liegt an Zeit und Glück.“ (Pred. 9,11 ff)

Adam Smith‘ Gott war noch der gerechte Gott der Stoa, identisch mit dem vollkommenen Kosmos. Hayeks Gott war ein willkürlich auswählender Erlösergott, dem das Wohl der irdischen Welt gleichgültig war: diese Welt würde vergehen zugunsten einer neuen, perfekten am Ende der Tage.

Der scheinbar egoistische Wettbewerb bei Adam Smith wird zum wirklichen Egoismus bei Hayek – dessen Neoliberalismus die Welt erobert hat. Dem sich auch Schäuble und Merkel im Glauben unterwerfen müssen. Die wirtschaftlich exzellenteste Nation zeigt sich am Erfolg – durch Beschädigen der schwachen Nationen.

Gleichzeitig aber will die EU alle Europäer als politische Einheit betrachten. Wie reimt sich das? Gar nicht. Das eine schließt das andere aus. Das ist das Grundproblem zwischen den Griechen und dem Rest der EU.

Es ist nicht nur die Schande der C-Politiker, die nicht wahr haben wollen, dass die Griechen einen veritablen Grunddefekt der EU aufgespürt haben, die gesamte europäische Linke hält sich bedeckt und beruft sich feige auf ihre bornierten Rituale. Und lässt die überaus tapferen und um Gerechtigkeit kämpfenden Griechen allein im Regen stehen.

Was will Varoufakis? „Sie sollten uns nicht vertrauen. Aber Sie sollten uns zuhören. Hören Sie sich an, was wir zu sagen haben und lassen Sie uns dann unvoreingenommen darüber diskutieren.“ (ZEIT-Interview mit Yanis Varoufakis)

BILD spricht von einer Geschichtskeule, die Varoufakis geschwungen hätte, in gewollter Assoziation zur Auschwitzkeule Martin Walsers. Der griechische Finanzminister will nichts anderes, als Deutschland mitten im Nachkriegselend von seinen Befreiern auch erhielt: die Chance zu einem Neuanfang ohne erdrückende Altschulden:

Im ARD-Interview schwang Varoufakis dann wieder die Geschichts-Keule und verglich die Situation Griechenlands mit der des Deutschen Reichs nach dem ersten Weltkrieg: «Ich denke, von allen Ländern in Europa verstehen die Deutschen am besten diese simple Nachricht. Wenn man eine stolze Nation zu lange demütigt und sie Verhandlungen und Kummer einer Schuldendeflationskrise aussetzt, ohne Licht am Ende des Tunnels, dann gärt es in dieser Nation irgendwann», sagte der Grieche. Bereits gestern hatte der griechische Finanzminister die Historie bemüht, als er von Kanzlerin Angela Merkel einen „Merkel-Plan“ für Griechenland forderte, wie ihn die USA nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Marshallplan aufgelegt hatten.“ (BILD)

Deutschland verdrängt, wie großzügig einst die Alliierten die schuldbeladenen Menschheitsverbrecher behandelten. Das halsstarrige Land im beginnenden Rausch seiner neuen Macht denkt nicht daran, die empfangenen Wohltaten an die nächsten Hilfsbedürftigen weiterzugeben. Seine Eiseskälte gegenüber den Nöten eines ganzen Volkes lässt sich mit den fast prophetischen Sätzen von Adam Smith punktgenau beschreiben:

„Die Glücklichen und Stolzen staunen über die Unverschämtheit menschlichen Elends und wundern sich, dass dieses es wagen könne, sich vor ihnen zur Schau zu stellen, und dass es sich herausnehme, mit dem ekelhaften Anblick seiner Not die Heiterkeit ihres Glücks zu stören.“

Wie lässt sich die anmaßende Arroganz reicher Staaten gegenüber armen und schwachen bezwingen?

Die unsichtbare Hand Gottes muss durch die sichtbare des Menschen ersetzt werden, die vom Gemeinwohl der Nationen nicht nur spricht, sondern es bewusst herstellen will.