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Tagesmail

Ruhe und Matriarchat

Hello, Freunde der Ruhe,

über Deutschland ist Ruh,

in allen Winkeln spürest du

kaum einen Hauch,

warte nur, balde

ruhest du auch.

Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir, oh Herr.

So schwur ich denn in meinem Zorn,

sie sollen nicht eingehen

zu meiner Ruh.

Und der Rauch ihrer Peinigung steigt auf in alle Ewigkeit,

und Tag und Nacht haben sie keine Ruhe.

 

In Deutschland kehrt Ruhe ein. Die Sehnsucht nach Ruhe. Die Erlaubnis, sich nach Ruhe zu sehnen. Der untergründige Kampf um die Erlaubnis, sich nach Ruhe zu sehnen. Die Ernte der Arbeit einzubringen. Die Arbeit der Wiedereingliederung in den Westen. Die Arbeit der Reue und Buße nach grauenhaften Verbrechen, die peinigende Erinnerungsarbeit, um sich geläutert der Prüfung der Welt zu stellen. Die

Wohlstandarbeit nach der Elendszeit der Ruinen.

Deutschland ist zurückgekehrt in die Völkergemeinschaft. Nach Hause kommen. Wozu das ewige Rennen und Hasten? Sind wir nicht schon in der dritten und vierten Generation nach den Meistern des Todes? Haben wir noch nicht genug gebüßt, erkannt und eingesehen? Ist das Land der Täter nicht runderneuert? Bis ins dritte und vierte Glied, hieß es in alten Schriften. Im dritten und vierten Glied sind wir bereits.

Doch wo sind wir gelandet? In Deutschland? Wo liegt Deutschland, was ist Deutschland? Wollten wir nicht zurückkehren in die Menschheit? Warum spricht niemand mehr von Europa, von der Welt? Von der Natur, der Mutter der Menschheit?

Nein, wir sind noch weltenweit entfernt von der Ruhe. Unruhe ist das Gesetz der Moderne und modern wollten wir werden, sollten wir werden. Mussten wir modern werden, weil unsere Retter die Anführer der Moderne sind? Sollten wir uns nicht von unseren Rettern lösen, um ihnen zu zeigen, dass wir gelernt haben? Ist es nicht größte Dankbarkeit der Schüler, zu ihren Lehrern auf Distanz zu gehen und ihre Autoritäten zu überprüfen? „Oh, du mein wahrer Meister! Ich halte deine Sache für so gut, dass ich Alles, Alles sagen werde, was ich gegen sie auf dem Herzen habe.“

Der Meister der Moderne ist Amerika. Jede Kritik am Meister wird bei uns als Undankbarkeit und Hass diffamiert. Wir sind in den Westen zurückgekehrt. In den Westen der Demokratie und der Menschenrechte.

Der Erste Weltkrieg war eine Absage an Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Der zweite war die Ermordung der Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Fast ein Jahrhundert lang scherten die Deutschen aus und verhöhnten die Humanität des dekadenten Westens. Nein, nicht hundert, es sind schon 200 Jahre her, dass die Deutschen die allmähliche Entfaltung der Menschenwürde verließen und ins Besondere und Auserwählte ausscherten.

Besonders und Auserwählt zu sein, dass hatten sie in Jahrhunderten als göttliches Gebot verinnerlicht. Nun verwandelten sie ihre Religion in das, was sie schon immer war: in Politik. Die Welt wollten sie erlösen, indem sie sie vernichteten. Sie waren Racheengel der Vorsehung mit dem zweischneidigen Schwert.

Wie hieß es in damaligen Büchern? „In Deutschland, zumal in dem hochgebildeten Deutschland, kann man schon jetzt mit voller Gewissheit die Spuren einer neuen Welt aufzeigen. Die reine Geistigkeit, der Ernst, die Innerlichkeit und Vielseitigkeit der gegenwärtigen deutschen Bildung muss dieselbe herbeiführen. Noch zwar sind alles nur unzusammenhängende Andeutungen, aber kommen wird sie – „eine neue goldne Zeit mit dunklen unendlichen Augen, eine prophetische, wundertätige und wundenheilende, tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit.“ (Novalis)

Deutschland begann, sein national-messianisches Wesen auszubrüten. Schon damals Europa und europäische Einheit unter Führung der „neuen, freien Kirche“, die in Deutschland geboren wird. „So wird aus dem Konflikt und der gesteigerten Berührung der europäischen Staaten ein Staat der Staaten erwachsen: an seiner Spitze eine geistliche Macht. Und also wird das neue Europa, die neue Christenheit, die neue sichtbare Kirche sein, die alle nach dem Überirdischen dürstenden Seelen in ihren Schoß aufnehmen wird.“

Rudolf Haym schrieb dazu: Novalis Schrift „wurde das Programm für jene Anschauung, welche den Gipfel des Staatslebens in dem theokratischen Regiment und dem von diesem garantierten Gottesfrieden für jene Geschichtskonstruktion, welche in der Reformation, in der wissenschaftlichen und politischen Bildung der modernen Zeit nur einen Abfall und einen zu sühnenden Frevel erblickte. (Für den Katholiken Novalis war die protestantische Reformation der Beginn der kalten Wissenschaft!) Bei Novalis war das Stichwort, das prophetische Motiv gegeben für alle nachmals so zahlreichen Übertritte von Mitgliedern der Romantischen Schule in den Schoß der allein seligmachenden Kirche.“

Wiederholt sich die Geschichte? Aus erlösungssüchtigen Romantikern wurden 100 Jahre später Europas Erlöser mit messianischem Schwert und Feuer. Auch heute will Europa sich zur Einheit zusammenschließen. Doch nur in Dingen des Geldes und der Macht. Der Geist Europas ist abhanden gekommen.

Ist kein Geist da, steht die Kirche bereit und besetzt die Rolle des Geistes. Kirche ist geduldig und wartet auf die Schwächen der europäischen Staaten, die sich von ihr abgewandt haben, um allein zurechtzukommen. Doch schaffen sie es? Kommen sie ohne Segen des Himmels zurecht? Sind sie nicht wie verlorene Söhne, die sich vom Vater lösen, bei den Säuen der Welt landen und enttäuscht zu Ihm zurückkriechen, der sie mit offenen Armen wieder aufnimmt?

Weil Europa es nicht schaffte, sich politisch zu vereinigen, begann die schreckliche, erlösungssüchtige Entwicklung in Deutschland. Aus politischer Enttäuschung zur Rückkehr ins Heilige. Heute sind wir erneut dabei, die Einigung Europas aufs Spiel zu setzen. Aus Geld- und Machtgründen.

Die jetzige Regierung in Berlin propagiert, deutsche Interessen zu vertreten, deutsche Industrie zu unterstützen, das deutsche Boot von allzu vielen Fremden freizuhalten, damit es im Wohlstand nicht zu sinken beginnt. Wieder wendet sich Deutschland von Europa und der Welt ab und kehrt zurück ins Nationalistische und Besondere.

Die Welt wird degradiert zur Empfängerin unserer Waren. Am erfolgreichsten liefern wir Maschinen, Panzer und panzerartige Autos. Das Beste, was wir nach dem Krieg zu bieten hatten, war die Idee zur Errettung der Natur. Das war etwas, was in der Welt Anklang fand. Heute wird die Ökobewegung zu Grabe getragen. Auch in Menschen- und Völkerrechtsfragen fallen wir zurück und denken am liebsten in ökonomischen Wachstumszahlen.

Die Romantiker verwarfen die Idee der Republik und der Demokratie. Demokratie sei für die chaotische Jugend. Hingegen sage sich der „gereiftere Mann, dass am Ende die Republik nur das Vorurteil der Jugend für sich habe. Der Verheiratete verlange Ordnung, Sicherheit, Ruhe; er wünsche in einer Familie, einem regelmäßigen Hauswesen und also in einer „echten Monarchie“ zu leben. Unstichhaltig sei das Räsonnement, dass die repräsentative Demokratie den einzig möglichen Weg zeige. Nur die Mittelmäßigkeit, vielmehr die Weltklugheit, die Volksschmeichelei werde auf diesem Wege zur Herrschaft erhoben, und das Resultat sei, dass sich ein großer Mechanismus bilde, ein Schlendrian, den nur die Intrige zuweilen durchbreche.“

Die heutige Debatte um leistungsunfähige Demokratien, um die Frage, ob nicht totalitären Regimes wie China die Zukunft gehöre, weil sie durch Reibungsverluste demokratischer Prozeduren nicht geschwächt werde, ist die genaue Wiederholung der romantischen Staatsdebatte. Das Ende der Nachkriegsdemokratie rückt immer näher.

Postdemokratie nennt sich, was genau besehen Präfaschismus ist. Entscheiden Ökonomie, Wissenschaft und zwanghafter Fortschritt über das Geschick des Menschen, ist die Herrschaft des Volkes vorbei. Es beginnt die Herrschaft jener, die über Ökonomie, technische Wissenschaft und Fortschritt ungehindert gebieten.

Wenn Staaten nicht die Kraft aufbringen, ihre uralten Scharmützel zu beenden und zur verträglichen Einheit zu werden, führt die Enttäuschung zur nationalen Innenwendung. Also bleiben wir unter uns und machen in nationaler Familie. Bei Novalis nicht anders. „Die Idee des ewigen Friedens stellt sich ihm unter dem Bilde einer allumfassenden Familie dar – „Ein Herr und eine Familie.“

Erleben wir gegenwärtig nicht verblüffend Ähnliches?

Deutschland rückt zusammen und empfindet sich als bevorzugte, ja, erwählte Familie, die von anderen europäischen Staaten beneidet wird. Jene misstrauen dem neuen starken Deutschland, das sich wieder anschickt, stärkste Macht in Europa zu werden. Die königliche Familie war für die Sehnsüchte der Romantiker die ideale Projektionsfläche. Nicht anders als die heutige „Königsfamilie“ mit der so herrlich uneitlen, mütterlichen, bodenständigen „Königin“, die damals Luise und heute die Engelgleiche heißt.

„So waren die Phantasien, mit denen Novalis den König Friedrich Wilhelm und Königin Luise romantisierte – gleich, als ob er das Glück, das er vor kurzem noch im eigenen Hause sich zu gründen erhofft hatte, nun doch wieder auf die Erde versetzt, als ob er es auf diese fürstliche Familie und den um diese Familie sich neu gestaltenden Staat übertragen hätte.“

Königin Luise wurde zum unbewussten Vorbild der heutigen Kanzlerin mit ihrem vorbildlich bescheidenen Leben in souveräner Erdverbundenheit.

Es musste ein Schweizer Journalist sein, der Deutschland als Matriarchat bezeichnete und vom bezaubernden Lächeln der Kanzlerin sprach. Sie sei keine verhärmte Mutti, sondern eine Mater Familias. Eine Mutter der Nation.

Mater, das alte indoeuropäische Stammwort für Mutter bedeutete auch Maß. Maß ist das genaue Gegenteil zur grenzen- und maßlosen Moderne. Wenn wir die Mutter wegen Mäßigkeit und des Gefühls für die Grenze bewundern, haben wir den Kanon der maßlosen Moderne schon verlassen. Wenn Deutschland sich zur Kultur des Maßes entwickeln und Amerika weiterhin alle Grenzen sprengen will, werden die beiden Kulturen sich gegenseitig abstoßen.

Maß und Unmäßigkeit sind inkompatibel. Amerika schickt sich an, den Tod zu besiegen. Die Weltfirma Nummer Eins des Algorithmus hat schon verschiedene Leichen eingefroren, um das Wunder der Auferstehung technisch zu lösen. Die amerikanische Wissenschaft will Golgatha mit Hilfe von Superrechnern in Realität übersetzen. Das Wunder soll nicht länger geglaubt, es soll von jedermann gesehen und betastet werden.

Amerika will die Grenzen des Menschen transzendieren und sterbliche Wesen in unsterbliche transformieren. Ohne Weihrauch und Segen der Priester. Allein durch die Kraft des wiedergeborenen Geistes, der zur Erde fuhr, Maschinengestalt annahm, auf dass alle, die die Maschine anbeteten, selig und unsterblich würden.

Wiederholt sich die Geschichte? Ja – sofern die Menschen sich gleich bleiben. Völlig gleich bleiben sie sich nicht und Nein, sofern wiederholt sie sich nicht. Gleich und ungleich beziehen sich auf seelische Strukturen der Menschen, nicht auf äußerliche Lebensumstände. Auf dem Flug zum Mars werden die Astronauten ihre Geschichte auf Erden wiederholen. Der Mann wird das Sagen haben, die Frau in der zweiten Reihe stehen, der Intelligente wird den Begriffsstutzigen, der Starke den Schwachen beherrschen. Nichts Neues im Hause des Herrn und seiner sündigen Kreaturen.

Automatismen gibt es keine. Durch Selbsterkenntnis können wir andressierte Verhaltensmechanismen unserer Erziehung korrigieren. Erkenne dich selbst, ist die Voraussetzung zur Selbstbefreiung von der Vergangenheit. Wären wir physiologische Automaten, wie die neucalvinistische Gehirnforschung uns einreden will, sollten wir alles liegen und stehen lassen und uns den Mechanismen unseres Gehirns überlassen. Denken und Entscheiden wären Mächte, die uns Freiheit nur vorgaukeln würden.

Wenn wir Geschichte studieren, hat dies den vornehmsten Zweck, unseren kollektiven Verhaltensweisen auf die Spur zu kommen, um deren unbewusste Wiederholung zu verhindern. Solche analytischen und therapeutischen Aspekte sind der heutigen Geschichtswissenschaft unbekannt. Sie halten sich an Fakten und Daten. Verbunden mit der Warnung, aus der Vergangenheit könne man nichts lernen. Das war auch die Meinung Hegels, dass der Mensch aus der Geschichte nichts lernen könne. Wie auch? Bei Hegel wird Geschichte vom Weltgeist diktiert. Andere würden von Gott sprechen.

Was ist der Sinn der Geschichte? Immer nur unterwegs sein? Das Ziel ist nichts? Dann wird die Menschheit nie zur Ruhe kommen.

Die Meeresstille der Seele war das Ziel des Menschen bei griechischen Philosophen. Justament bei den Skeptikern, die von den theoretischen Fähigkeiten des Menschen nicht sonderlich überzeugt, von seinen praktischen Fähigkeiten aber felsenfest überzeugt waren. Insofern waren sie Schüler des Sokrates, der den Menschen von unlösbaren Fragen auf das praktische Leben in der Polis verwies. Auch wenn wir nicht viel wissen, wissen wir doch genug, um ein sinnvolles Leben zu führen.

Das christliche Credo hingegen hat die Ruhe dem Gott reserviert. Wer nicht in Gott ist, bleibt ewig in ängstlicher Unruhe. Zu den schlimmsten Höllenstrafen gehört eine nie endende Unruhe, die der sündigen Kreatur auferlegt wird.

Wer dem allmächtigen Mann im Himmel die Anerkennung verweigert, kann Ruhe nur noch mit natura mater in Verbindung bringen. Solange wir die Geschichte zu einem Slalom der Hektik und Beschleunigung machen, leben wir nicht in Eintracht mit der Natur. Solange wir Geschichte als unendliches Werden betrachten und nicht als Sein, werden wir die „absolute Unruhe des Werdens“ in uns haben, von der Hegel spricht.

Absolute Ruhe hingegen ist für Hegel die „freundliche Unschuld engelgleicher himmlischer Seligkeit, die tatlose Ruhe.“ Auf Erden ist diese tatlose Ruhe nicht realisierbar. Selbst der christliche Gott musste durch die Unruhe des Werdens hindurch, leiden und sterben, um erst am Ende aller Tage zur Ruhe zu kommen. Auf Erden wird dieser Zustand nicht erreichbar werden. Selbst Jesu Mutter „leidet die ähnliche Pein, und das menschliche Leben überhaupt ist ein Leben des Streits, der Kämpfe und Schmerzen“.

In diesem Punkt waren Kant und Hegel einer Meinung. „Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß es besser, was für seine Gattung gut ist; sie will Zwietracht. Er will gemächlich und vergnügt leben; die Natur will aber, er soll aus der Lässigkeit und untätigen Genügsamkeit hinaus, sich in Arbeit und Mühseligkeiten stürzen.“

Mit der lebenslangen Unruhe auf Erden haben die beiden Philosophen den Paulussatz: wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen, ins Weltliche übersetzt. Unruhe durch lebenslange Maloche als Strafe für den Sündenfall: das kann hienieden nicht überwunden werden.

Die Deutschen haben eine neue Regierung mit einer bürgerlichen Königin Luise gewählt. Mit großer Mehrheit entschieden sie sich für das Matriarchat der fernen Ruhe – als übertägiges Sehnsuchtsmodell.

Wahre Veränderungen der Gesellschaft beginnen nicht mit der Änderung des Mindestlohns, sondern mit der Unerschrockenheit, unbekannte Sehnsüchte des Menschen schrittweise ans Licht zu bringen.

Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, auch nicht das deformierte Bewusstsein das Sein. Sondern das Unbewusste, das immer durchsichtiger wird, befähigt den Menschen, sein Schicksal selbsterkennend in die Hand zu nehmen.