Kategorien
Tagesmail

Reine Wissenschaft

Hello, Freunde der reinen Wissenschaft,

gibt’s denn befleckte Wissenschaften? Gibt‘s überhaupt noch Wissenschaft? Oder gibt’s nur noch Zuliefererlabors für Industrie, Wohlstandmehrung und Machtakkumulation?

Wissenschaft wollte das Wissen vermehren? Es wollte auch falsches Wissen zerstören. So begann der Kampf zwischen Mythos und Logos. Besser sollte man von Trennung der beiden Bereiche reden: Mythos ist nicht Logos.

Wer unterscheiden kann, mag liebgewordenen Mythen anhängen – wenn er sie nur nicht für Wissenschaft hält. Mythen müssen keine Feinde der Wissenschaft sein. Wer sie aber als Wissenschaft verkauft, der ist kein Freund der Wahrheit.

Der amerikanische Creationismus will beide Begriffe miteinander vermengen: religiöse Mythen sollen wissenschaftlich bewiesen werden – mit Hilfe mythischer Methoden. Mythologen wollen mit Hilfe einer Offenbarung die Erkenntnisse der Newton, Galilei & Einstein ad absurdum führen. Was der Allwissende in seiner unendlichen Güte und Weisheit nicht bestätigt, muss heidnischen Gehirnen entsprungen sein.

Nicht nur in Russland, auch in Amerika ist Aufklärung nie ins fundamentalistische Volk gedrungen. In Europa hat Aufklärung den Berufsstand der Geistlichen immerhin soweit infiziert, dass

die Schrift nicht länger als unfehlbares Wort gilt.

Schon hier ist ein wiedergeborener Amerikaner über das degenerierte Christentum der Europäer empört. Die gemeinsamen Grundwerte zwischen Alteuropäern und Neuamerikanern stehen vor allem auf dem Papier.

Die Historisch-Kritische Arbeit hat der Bibel den unfehlbaren Heiligenschein genommen, aber nicht ganz und gar. Ein diffuser, wolkiger Stumpf ist stehen geblieben und fordert diffuse, wolkige Anbetung. Niemand weiß, was Christsein bedeutet, aber jeder ist Christ.

Die Bibel wurde mannigfach ausgebeint und amputiert; alles, was ins Fach der Wissenschaft gehört, wurde aus dem Glaubensbekenntnis ausgeschieden. 90% aller Textstellen wurden metaphorisch und uneigentlich. Alles Objektive und Historische wurde eliminiert, wozu Schöpfung, viele Teile der urhebräischen Geschichte, Gottes Menschwerdung, Kreuz, Tod, Auferstehung und die Wiederkunft des Herrn, dazu das Jüngste Gericht, das Ende der alten und der Beginn der neuen Welt gehören.

Nicht mehr der objektive Wortlaut der Schrift bestimmt das Denken der Gläubigen, die Gläubigen bestimmen nach religiöser Stimmung die Bedeutung der Texte. Nicht mehr der historische Jesus spielt eine Rolle, sondern der kerygmatische (Kerygma = Botschaft). Jeder bildet sich seine Botschaft nach seiner persönlichen Stimmung, die er projektiv den Texten unterlegt.

Da jeder Christ im Besitz des Heiligen Geistes ist, ist er auch befugt, über das normale ABC nach Belieben zu bestimmen. A kann nach Belieben B oder C sein. Christus kommt mit dem Schwert? Christus liebt die Menschheit. Christus kommt, um Unfrieden zu stiften? Unfrieden ist der wahre Frieden. Die Kreuzzüge, die Inquisition? Zeugnisse grenzenloser Liebe des Erlösers zu den Menschen, die besser als Leichen ins Himmelreich, denn als Lebendige in die Hölle kommen. Wer am besten halluziniert, ist der geistbegabteste Interpret.

Die Deutschen kennen nicht mal das Problem, das die Amerikaner mit ihnen haben, denn über Religion redet kein Deutscher. Das überlässt er den Zeugen Jehovas, die regelmäßig an seiner Türe klingeln und die er mit blasierter Miene abfertigt.

Kein protestantischer Pastor klärt seine Schäfchen über die historisch-kritische Arbeit auf. Unter der Woche – so ein altgedienter Hirte – bin ich kritischer Textarbeiter, sonntags auf der Kanzel gläubiger Jünger Jesu. Der deutsche Protestantismus lebt in zwei unverträglichen Welten, über die niemand spricht.

Katholische Priester wussten bis vor kurzem noch nicht mal, was historisch-kritische Arbeit ist. Die Bibel spielt bei den Papisten ohnehin keine herausragende Rolle, die Unfehlbarkeit des Papstes muss sich durch keinen schnöden Buchstaben rechtfertigen lassen. Der Buchstabe Luthers tötet, der Geist des Vatikans macht lebendig.

Amerikaner wissen nicht, was Aufklärung und historisch-kritische Entmythologisierung sind. Mit wachsendem Misstrauen schauen sie nach Europa – besonders nach Deutschland –, wo ihre GlaubensgenossInnen die antibiblische und ketzerische Bewahrung der Schöpfung als ökologische Pflicht propagieren. Wo doch jeder Leser der johanneischen Offenbarung weiß, dass der Herr die sündige Natur in Nichts auflösen wird, um eine neue aus Nichts zu schaffen. Das wiederum halten die Deutschen für Hokuspokus, worüber sie sich erhaben fühlen.

Alle Medien und transatlantischen Politiker schweigen über diese heiligen Peanuts. Politik soll mit Interessen zusammenhängen, Interessen aber und Religion sind wie Feuer und Wasser. Religiöse Interessen sind für deutsche Kommentatoren ein Widerspruch im Beiwort. Glauben ist für sie ein spirituelles Gewölle und hat mit machiavellistischer Alltagspolitik nichts zu tun.

Deutschland ist ein bisschen aufgeklärt und kerygmatisch, Amerika verbalinspiriert und vernunftfeindlich. Während die große Mehrheit der Amerikaner auf ihren Messias wartet, um mit ihm das irdische Boot zu versenken und auf Adelers Flügeln ins Paradies aufzusteigen, wollen die Deutschen – ja was eigentlich?

Tief in ihrem Herzen dadrinnen liegen noch Reste ihres fundamentalistischen Kinderglaubens, der an ein Ende der Heilsgeschichte glaubt. Knapp über ihren Kinderfibelbeständen aber hat sich ihr Restverstand gelegt, der solche Legenden für Märchen hält. Dieser Restverstand gebietet ihnen, ökologische Politik zu betreiben, den Müll zu trennen, Atomkraftwerke zu schließen und alternative Energien zu produzieren.

Ihr Restverstand fordert von ihnen: erhaltet die Erde, eine zweite kriegt ihr nicht, den Himmel könnt ihr vergessen. Warum aber ist Ökologie bei uns bis zur Unkenntlichkeit verblasst? Weil der fundamentalistische Bodensatz ihres biblischen Es allmählich nach oben sickert und das ökologische Gemache für Getue hält.

Je mehr die Religion zurückkehrt, je mehr werden die durchweg christogenen Grünen und Naturverbände ihre heidnisch-germanische Vernunft verabschieden. Ohnehin werden sie von einer Pastorin geführt und haben Pfarrer Gauck ins höchste Amt gehievt. Hätte der‘s nicht geschafft, hätten sie Ex-Bischof Huber vorgeschlagen. Hätte der‘s nicht geschafft, hätten sie die Ex-Bischöfin und vorbildliche Sünderin Margot Käßmann vom Altar zum Thron berufen.

Thron und Altar sind wieder die begehrtesten Zwillinge im preußischen Berlin. Und Ex-Bischof Huber unternimmt alles, um die von Hitler und Hindenburg gesegnete Garnisonkirche in Potsdam rechtzeitig zum Lutherjahr gebührend herauszuputzen.

Luther, obrigkeitssüchtiger Vernunft- und Bauernfeind, schlimmster Judenhasser Deutschlands, ohne den der Nationalsozialismus nicht möglich gewesen wäre, wird in der WELT mit einem porentief gereinigten Persilschein prophylaktisch von allen Sünden freigesprochen. In Erwiderung auf einen Artikel von Alan Posener erklärt eine Luther-Herausgeberin:

„Luther jedoch für die Verbrechen der Nazis verantwortlich zu machen und dabei ausgerechnet den üblen NS-Propagandisten Julius Streicher zu zitieren ist nicht nur wegen des erheblichen zeitlichen Abstands zwischen angeblicher Ursache und ihrer Wirkung noch unsinniger, als Karl Marx für Stalin verantwortlich zu machen.“ (Annette Weidhas in der WELT)

Ist das professionelle Heuchelei? Nein, das ist kollektive Paranoia. Wer in dieser Verblendung lügt, lügt mit bestem Gewissen. Aber so geht’s, wenn eine Verblendung die andere nach sich zieht.

Marx hat mit Stalin so viel zu tun, wie die ganze deutsche Geschichte mit den Deutschen. Wenn man freilich nur „Interessen“ in der Politik kennt, muss man die interessengeleitete Gewalt von Gedanken und Ideen als luftgetrocknete Hirngespinste abweisen. Aparterweise von denen, die ihre religiösen Gedanken für geschichtsprägende Schubkräfte halten.

Niemand schreit auf, wenn Anthropologen den Egoismus der Gegenwart direkt von unseren steinzeitlichen Ahnen, ja aus dem Erbe unsrer tierischen Vorfahren ableiten. Doch Luther, durch zahlreiche Pastoren- und Gläubigengenerationen immer frisch am deutschen Leben erhalten, darf mit dem Tausendjährigen Reich nichts zu tun haben.

Man fragt sich, welchen Luther die protestantischen Theologen und Hitlerbewunderer im Dritten Reich meinten, als sie ihre Führeranbetung in dicken Wälzern zu Papier brachten. Unter ihnen Immanuel Hirsch, Paul Althaus, Friedrich Gogarten e tutti quanti.

Das religiös frisch erblühte Deutschland unter der gediegenen Leitung einer Pastorentochter rüstet sich für das Lutherjahr. Was bedeutet: so viele Lügenartikel über Luther und den untertänigen Protestantismus – wie in den nächsten Jahren – wird es in der Geschichte der BRD noch nicht gegeben haben.

Der Katholizismus war um ein Quäntchen besser, weil er bereits über einen unfehlbaren Führer verfügte. Die beiden Stellvertreter Gottes mussten sich die Anbetung ihrer Gefolgschaft teilen.

Mit welchen Geldern und Propagandareden das Lutherjahr 2017 vorbereitet wird, zeigt der Artikel auf evangelisch.de.

Vom früheren Kulturbeauftragten Neumann, CDU, wird das kommende Ereignis mit gigantischem Potential zum Gründungsmythos des demokratischen Deutschland zurechtgelogen, pardon, zurechthalluziniert. Bereits 1817 hatten nationalistische Kräfte das Lutherjahr auf der Wartburg gefeiert. Die künftige deutsche Nation sollte eine messianische Neugeburt sein:

„Der Himmel segne unser gemeinsames Streben Ein Volk zu werden, das voll der Tugenden der Väter und Brüder durch Liebe und Eintracht die Schwächen und Fehler beider beseitigt.

Vergessen wir nicht: das unselige Bücherverbrennen der Nationalsozialisten wurde auf dem Wartburgfest vorgeglüht. „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“ (Heinrich Heine). Was hat die unselige deutsche Tradition mit der unseligen deutschen Geschichte zu tun?

Wer denkt, nur in Amerika könne es eine heillose Kontaminierung der Wissenschaft durch theologisches Denken geben, sollte sich einmal dem Thema Bibel und Ökologie zuwenden.

Nicht nur Theologen: ausgewiesene Naturwissenschaftler lassen nichts unversucht, um ihre heilige Schrift zu einer ökologischen Gründungsurkunde umzudeuten. Das geht nach der bewährten Schriftdeutung, Randereignisse aufzubauschen und Eckpunkte des Glaubens zu ignorieren.

Auf diese geistbegabte Art und Weise findet der katholische Chemiker und Biotechnologe Aloys Hüttermann gewaltige Beispiele für frühes und beispielhaftes ökologisches Handeln:

„Vögel waren im alten Palästina für Jagd und Kochtopf tabu, denn „sie erfüllten eine wichtige Aufgabe als natürliche Feinde von Schädlingen, etwa von Heuschrecken“. Auch Frösche waren geschützt: Sie bewahrten die Menschen vor einer Ausbreitung der Malaria durch Stechmücken. Nach dem Krieg gegen die Römer verboten die jüdischen Priester sogar die Haltung von Schafen und Ziegen. „Das Land war völlig heruntergekommen und weidende Kleintierherden hätten es zur Wüste gemacht“.

Dass der Herr des Himmels die Natur durch eine Sintflut fast gänzlich vernichtete und nur den frommen Noah und die Seinen davonkommen ließ, dass er am Ende aller Tage die ganze Schöpfung als das Alte vernichten wird, um das Neue zu erschaffen, ist dem frommen Naturwissenschaftler keine Anmerkung wert.

Die Schrift kennt überhaupt keinen stabilen Naturbegriff wie etwa die Griechen, die vom schönen, geordneten und ewigen Kosmos sprachen. „Die Welt war für Israel nicht ein stabiler und harmonischer Ordnungsorganismus, der alles Vorhandene gleichmäßig umgreift.“ Für den Hebräer lag die Welt „mehr im Unwägbaren, Unmessbaren. Zur Vorstellung von einem unveränderlichen Gesetzen durchwalteten Kosmos hat Israel nie gefunden. Dazu war ihm dieses Geschehen zu geheimnisvoll und zu sehr eine Domäne des Waltens Jahwes. Das Außerordentliche war für ihn nicht wunderbarer als die wahrgenommene Ordnung.“ (Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments)

Ökologisch kann man nur werden, wenn man die Ordnungen der Natur als stabile Naturgesetze erkennt und nicht als mystische Wunder eines willkürlichen Gottes. Das betrifft nicht nur das Alte Testament. Auch bei Paulus ist die Natur eine minderwertige und auf Erlösung angewiesene Kreatur. Ausgerechnet der Mensch, selbst ein transzendenter Bankrotteur, soll die nichtige Natur erlösen.

„Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Denn auch die Kreatur wird frei werden vom Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“ (Röm. 8,19 ff)

Der Mensch muss die Natur erlösen, wie er selbst von Gott erlöst wird. Gott erlöst die Schöpfung, indem er sie zuerst vernichtet, bevor er sie neu erschaffen kann.

Die Vernichtung der Natur ist Kern der westlichen Naturbeziehung. Sie töten, was sie lieben. Die Wiederbelebung der Leiche werden sie nicht mehr schaffen, denn vorher sind sie tot.

Wissenschaft und Glauben sind in Deutschland eine verhängnisvolle, sich gegenseitig beschädigende Symbiose eingegangen. Während eine halbe Vernunft die Frommen zwang, ihre biblischen Bücher von allen Monstrositäten zu befreien, um mit Liebes-Eiapopeia zu paradieren, wurde die Wissenschaft genötigt, sich in den Dienst der amputierten Dogmatik zu stellen.

Kaum ein Naturwissenschaftler der Gegenwart, der seine Forschungsarbeit nichts als Suchen nach Gott darstellte. Die Wissenschaft der Gegenwart sucht kein objektives Wissen der Natur. Sie will beweisen, dass Natur die Schöpfung eines Gottes ist.

Wissen ist Macht, die Stiftungsdevise der modernen Wissenschaft von Francis Bacon, ist eine elegante Ableitung des Wortes: Gott ist Allmacht. Nur mit Erweis der Macht, des Geistes und der Kraft, kann der westliche Naturwissenschaftler seinem Gott die Ehre geben.

Wissen, das keine Macht verspricht, ist nicht wert, Wissen zu heißen. Wissen-schaft ist zur Macht- und Machenschaft verkommen.

Am Anfang war der Urknall, und der Urknall war bei Gott und Gott war der Urknall. Der Name des Urknalls sei gepriesen.