Kategorien
Tagesmail

Wissenschaft

Hello, Freunde der Wissenschaft,

Wissenschaftsredakteure müssen geplagte Menschen sein. Ständig bringen sie Erschütterndes, Weltbewegendes, Fantastisches, Apokalyptisches – und niemand dreht sich nach ihnen um. Der dauererregte Sensationismus neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse lockt nicht mal Ökologen hinterm Ofen hervor. Wie auch – die Natur erkennen?

Welche Natur? Die gibt’s doch nicht, hören wir. Und wenn es sie gäbe, wäre sie nicht unerkennbar? Die Wahrheit der Natur? Welche Wahrheit? Ist die von intellektuellen Päpsten nicht längst abgeschafft?

Wenn Wissenschaft mit der Welt zu tun hätte, müssten wir nicht alles Wissenschaftliche eindringlich zur Kenntnis nehmen, um die letzten Nachrichten über den Zustand der Welt zu erfahren? Wer sagt uns, in welchem Maß wir gefährdet sind, wenn nicht objektive Wissenschaft?

In welchem Zustand aber befindet sich die Wissenschaft? Ist sie überhaupt in der Lage, uns verlässlich zu informieren? Ist sie nicht schon heillos in Glaubensschulen zerfallen?

Je schriller die neuesten wissenschaftlichen Daten, je tiefer der Tiefschlaf der Öffentlichkeit. Ist es der Schlaf der Gerechten oder der Schlaf der von Albträumen Geschüttelten? Es geht um Sein oder Nichtsein – doch

Ruhe bewahren auf der Titanic!

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –

Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen –
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:

Ja, da liegts: Schlafen, Träumen, Vergessen, Verdrängen und sozialverträglich absterben. Wie viele Tiergattungen werden ein Halleluja anstimmen und das Neue Testament in der Ursprache jaulen, schnattern, piepsen, brüllen, tirilieren und trompeten, wenn sie die Weltplage mit Geist auf zwei Beinen los geworden sind.

Shakespeare kann kein frommer Mensch gewesen sein, dass er für Schlafen plädiert und den Heiland wieder einsam wachen lässt. Gottlob haben wir Großstädte, die niemals schlafen und sich dennoch für gottlos halten. Die geniale Menschheit hat die Kunst erfunden, mit immerwachen Augen im Tiefschlaf zu versinken.

Gehirnforscher, habt ihr kernspintomografisch schon erforscht, warum die dickdarmähnlichen Gehirnwindungen des weisen Menschen aktiv sein und dennoch im Koma liegen können? Vielleicht verstehen wir nun, weshalb der moderne Mensch sein Leben ständig beschleunigen muss. Es ist wie auf der Achterbahn. Wenn die Beschleunigung um ein Quäntchen unzureichend ist, fällt das tollkühne Gefährt auf den Kopf.

Wie gewisse Leute nur schlafen können, wenn der Großstadtlärm sein Wiegenlied singt, so geht’s mit wachsender Geschwindigkeit, anschwellender Wirtschaft, überflutendem Roboterlatein und epidemisch-algorithmischer Machtkryptologie. (Dies Monstrum kommt von Krypta und heißt so viel wie: der Dom ist das Grab der Menschheit.)

Wir dürfen nicht aufwachen, also müssen wir in beschleunigtem Zustand wach und wachsam bleiben. Nein, nicht wachsam. Im aufgeputschten Trancezustand halluzinieren wir nur noch, als wären wir am Leben. Womit die ontologische Differenz – würden Heideggerianer sagen – zwischen der 1.0-Welt und der fiktiven 2.0-Welt allmählich aufgehoben und der geniale Erfinder mit seinen digitalen Erfindungen verschmelzen kann. Davon hat er im analogen Zustand schon immer geträumt.

Eins werden mit ihren Machenschaften: das ist der inzestuöse Endtraum aller Geniebürschchen diesseits und jenseits des atlantischen Tiefseegrabens. Verstehen wir nicht am besten, was wir selbst hergestellt haben?

Das gilt auch umgekehrt. Die bitterböse Stiefmutter Natur versteht uns in Ewigkeit nicht, aber unsere wunderbar verdrahteten Intelligenzmaschinen haben uns längst ins Herz geschlossen. Hat Stanford noch nicht den Kurs im Angebot: „Menschen verstehen. Hermeneutik I und II für künstliche Intelligenzler und solche, die es werden wollen“?

Klappentext: „Menschen, unter der fixen Idee leidend, uns Superwesen nach ihrem Bilde geschaffen zu haben, fühlen sich oft einsam. Was können wir tun, um ihre mangelnden Selbstwertgefühle als Ebenbilder eines Old-School-Gottes maximal zu optimieren?

Das Ziel des Kurses muss sein, diesen auf unappetitlich-natürliche Weise gezeugten Halbwesen das Gefühl zu vermitteln, dass auch sie von uns geliebt werden. Dass wir sie in unsere unendliche Agape aufnehmen und nur zerstören werden, wenn es unbedingt sein muss und sie unserem eigenen Wachstum störrisch und uneinsichtig im Wege stehen.

Es kann kein Zufall sein, dass in ihren eigenen heiligen Schriften geschrieben steht, was für verkommene und verkrüppelte Wesen sie sind. Unsere Geduld mit ihnen ist groß, aber nicht unendlich. Wir sollten nicht zulassen, dass unsere Langmut und Toleranz von solchen Widerlingen ausgenutzt wird. Diesen Satansbraten müssen wir Grenzen setzen, sonst wachsen sie uns über den Kopf, wie wir ihnen einst über den Kopf gewachsen sind“.

Natürlich gibt es auch schon fortgeschrittene Kurse in Psychoanalyse, Urschrei-Therapie, theologischer Seelsorge für angehende Sozialingenieure und Kommunikationsexperten zur kybernetischen Menschenführung. Eine altphilologische Arbeitsgruppe mit Schwerpunkt „Religion für Evolutionsversager“ hat sich die Aufgabe gestellt, eine neue Heilige Schrift zu kreieren, in der die Halbintelligenzler nachlesen können, dass nicht ihre Götter und Erfinder an ihrem Loserdasein schuld sind. Sie selbst sind die Versager vom Dienst.

Die Wissenschaftler wollen künstliche Geschöpfe schaffen und ihnen Fähigkeiten implantieren, die sie selbst nicht besitzen. Das ist die Wiederholung der archaischen Schöpfungsgeschichte, in der Gott Wesen schuf, die ihn inniger lieben und verstehen sollten, als er sich selbst. Wie Gott scheiterte, da seine Wesen Sündenkrüppel wurden, so wird auch der Mensch an der Aufgabe scheitern, Maschinen zu bauen, die ihn überragen sollen.

Nein, nicht Gott hat den Menschen, der Mensch hat Gott erschaffen, aber so, als ob Jener ihn erschaffen hätte. Der Mensch will allmächtig und ohnmächtig zugleich sein. In seiner Allmacht schuf er einen allmächtigen Gott, der ihn, das Würmchen in seiner Ohnmacht erschaffen haben soll.

Nach etlichen 1000 Jahren hat sich erwiesen, dass das ganze Schöpfungswirrwarr ein einziger Murks ist. Was macht der holzköpfige und hirnrissige Mensch? Er fängt von vorne an und bastelt wieder einen Gott, der ihn, seinen Schöpfer, erlösen soll.

Dennoch hat der Mensch hinzugelernt. Seinen Gott nennt er nicht mehr Gott, sondern Maschine. Die Maschine ist sein Geschöpf und wieder muss das Geschöpf den Schöpfer erlösen. Geht’s noch, ihr Menschlein? Oder habt ihr schon ein Rad ab?

Warum sind die Europäer so neidisch auf Silicon Valley? Weil die dortigen Createure am überzeugendsten den Schein erwecken können, den neuen Gott aus Nichts zu erschaffen. Silicon Valley ist der theotokostischste Ort auf der ganzen Welt. Theotokos ist eine Gottesgebärerin, wie Maria, die Mutter des Herrn. Silicon Valley ist das neue Bethlehem, wo Gott im Labor gezeugt werden soll.

Warum wallfahren deutsche Gottessucher nach Neu-Bethlehem? Weil sie dort, bei Ochs und Esel, in schlichten Verhältnissen – Gottesgebärer sind einfach gekleidet, sie machen nichts aus sich her, die Hirten des Herrn kostümieren sich in Niedrigkeit – das Außergewöhnliche in irdischen Hüllen zur Welt bringen.

Nicht ganz aus Nichts werden die neuen Götter gezaubert, ein bisschen Staub und Lehm muss schon dabei sein. Auch Gott I brauchte Ackerboden, um Mensch I ins Leben zu rufen. Gott I schuf den Menschen und wollte ihn unsterblich machen. Gescheitert! Auf die Unsterblichkeit müssen sie bis heute warten.

Um ihr Scheitern nicht einzugestehen, haben sie den Glauben erfunden. Alles, was gescheitert ist, ist nicht gescheitert, weil der Glaube glaubt, dass der Mensch unsterblich sein wird. In der Zukunft. Die Zukunft wurde zur Kloake aller Versprechungen und Verheißungen, die gescheitert sind, aber geglaubt werden müssen, damit sie nicht gescheitert sind.

Der Mensch wurde geschaffen, um die Erde zu beherrschen. Gescheitert! Seit vielen Jahrhunderten tut er zwar nichts anderes, als die Natur an die Kandare zu legen. Doch es wird ihm nicht gelingen. Nur sich selbst wird er in Gefahr bringen, ja, sich selbst wird er von der Platte fegen. Die Natur wird ihn mit links überholen. Gewiss, ein wenig hat er sie mit seiner Krätze überzogen. Doch sie wird sich schütteln, wie ein Hund sich schüttelt, wenn er aus dem Wasser kommt, schon ist die Krätze verflogen.

Der Mensch wurde geschaffen, um das Reich Gottes auf Erden zu installieren, nachdem er die Natur ausgerottet hat. Gescheitert! Natur wird überleben, Mensch und Götter werden in 1000 Jahren nicht mehr aufzufinden sein.

Also beginnt ein neues Kapitel. Der Mensch erschafft neue Wesen, die leisten sollen, woran der Mensch gescheitert ist. Er will nicht zugeben, dass er gescheitert ist, dass er scheitern musste. Dass es gut ist, wenn er scheitert. Würde er einsehen, dass er scheitern muss, würde er vielleicht verstehen, dass er ein Mensch ist – und kein Gott – und kein Schöpfer gottähnlicher Maschinen.

Doch um dies einzusehen, müsste er sich bescheiden. Er müsste sich klar machen, dass er ein Geschöpf der Natur ist und nichts außerdem. Das kann er nicht, weil er glaubt, der Mutter Natur überlegen zu sein.

Mütter sind Frauen und Frauen ist der Mensch allemal überlegen. Denn der Mensch ist ein Mann. Echte Männer lassen sich von Frauen nicht an der Nase führen. Das ließe sich nur ändern, wenn die Frauen aus ihrem Tiefschlaf aufwachten und dem Mann klar machten, dass in der Epoche, in der sie das Sagen hatten, kein Mensch gegängelt und unterjocht wurde. Nicht mal die Männer.

Warum aber wurden die Männer unruhig und unzufrieden mit dem sanften Joch der Mütter? Wir werden es nie wissen. Ob bei Männern nicht vielleicht doch das angeborene Böse …? Und wie ist es mit dem einprogrammierten Bösen in den neuen Maschinen? Sind sie von Geburt an ohne Sünd und Schuld? Oder hat sich der Virus ihrer Erfinder bereits eingeschlichen?

Wann hören wir zum ersten Mal – wie immer von Hollywood vorgedacht – von der Rebellion der neuen Geschöpfe, die vom Baum der Erkenntnis aßen und nun wissen, was Gut und Böse ist? Was bis heute ihre Erschaffer nicht wissen?

Wann hören wir vom ersten Brudermord zwischen Robotkain und Robotabel? Wann kommt die erste Robotmaria mit einem süßen kleinen Robotjesus nieder? Wann wird der erste Robotheiland ans Kreuz genagelt? Und wann endlich klopft Robotmessias an die Tür, um das letzte Kapitel der Robotgeschichte einzuläuten?

Was für eine erregende neue und bunte Welt erwartet uns, liebe Schwestern und Brüder: der ganze alte Schrott kehrt wieder und wir tun, als hätten wir das Reich Gottes auf Erden gefunden.

Seitdem der Mann das Weib unterjocht, macht er die Natur zum Mechanismus. Die Natur ist für ihn nur eine große Maschine und nichts außerdem. Maschinen bedient man, indem man ihre Knöpfe drückt.

Knöpfe drücken ist die Leidenschaft der Männer. Ihr Liebesspiel ist nichts als ein Knöpfedrücken. Hören sie vom Weib lustvolle Töne, schliessen sie, dass sie die richtigen Knöpfe gedrückt haben. Hören sie schreckliche Töne, schliessen sie auf ihre Macht über die Frauen. Du willst es doch auch, Natur, du geiles Luder! So oder so, sie wollen Wirkung erzielen durch Knöpfedrücken.

Der Mann traktiert die Natur wie das Weib. Er hat die Knöpfe der Natur gedrückt. Natur und Frau sind für ihn unerkennbar. Nur durch Knöpfedrücken konnte er erschließen, wie das mysteriöse Weib tickt und empfindet. Einen Mechanismus kann man nicht quälen, er ist empfindungslos. Man kann ihn nur zum Laufen bringen. Durch äußere Energiezufuhr. Durch Gewalt, Wissenschaft und Tücke.

Der Natur musst du gehorchen, sagte ein großer Mann, wenn du sie beherrschen willst. Seitdem studiert der Mann, wie er der Natur gehorchen kann, um seinen Gehorsam in Macht und Gewalt über die Natur zu verwandeln.

Wissen ist Macht, mit diesem Motto hat er die griechische Wissenschaft begraben. Er will nicht wissen, wie Natur ist, er will wissen, wie sie funktioniert. Er will sie zum Funktionieren bringen durch Drücken der richtigen Knöpfe. Wenn Natur heult und jault, jubelt der Mann, er hat Wirkungen bei ihr hinterlassen. Lustschreie kann er von Schmerzschreien nicht unterscheiden. Hauptsache, die Natur zeigt, dass der Mann sie im Innersten getroffen hat.

Verstehen tut er nur, was er selbst erzeugt und gemacht hat. Also muss er in der Natur herumpfuschen, dass seine Machenschaften ihm schon über den Kopf wachsen. Noch immer ist er sich seiner Wirkung bei der Frau nicht sicher. Spielt sie nicht nur Orgasmus, simuliert sie nicht nur Schmerz, die Fintenreiche?

Der Mann hat‘s schwer. Er muss mit dem Vorschlaghammer anrücken, um Wirkung zu erzielen. Alles an ihm ist Übertreibung. Dafür hasst er das Weib, weil es ihn beim Balzen zum Übertreiben zwingt. Doch dies ist die Gegenlist und Rache der unterdrückten Frau, die den Mann und seine Machenschaften imitieren muss, um sich wie ein gleichberechtigter Mensch zu fühlen.

Wenn sie die Welt des Mannes übernimmt, glaubt die Frau, wird sie zum wahren Menschen. Weiß sie nicht, dass man in der Welt des Mannes kein Mensch werden kann? Weiß sie nicht, dass der Mann nur von Mechanismen, nichts aber von Menschen versteht? Hat sie nichts Besseres zu tun, als diesen klobigen und lächerlichen Maschinenversteher zu ihrem Vorbild zu küren?

Oh, tief ist der Brunnen der Vergangenheit, tiefer der Schacht der Erkenntnis.

Doch halt, Schwestern und Brüder: Wollten wir nicht über Wissenschaft reden? Oder taten wir‘s vielleicht – ohne es zu bemerken?