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Quantifizieren

Hello, Freunde des Lesens,

Deutsche können nicht lesen. Sagen Bildungsforscher. Bildungsforscher können noch weniger lesen, denn sie glauben, lesen zu können. Lesen ist mehr als Buchstaben flüssig entziffern. Lesen heißt Texte verstehen, durchdenken, beurteilen.

Durchdenken kommt – richtig – von Denken. Bildungsforscher sind quantifizierende Wissenschaftler, die alles Mögliche tun – nur denken tun sie nicht. Sie addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren und treiben sonstigen gefährlichen Unfug. Nein, nicht Rechnen ist gefährlich, aber Bildungsforscher, die Rechnen mit Denken verwechseln. Die Wissenschaft denkt nicht, sagte ein tiefdenkender Schwarzwälder und wo Schwarzwälder Recht haben, haben sie Recht.

Galilei war nicht der erste, der Quantifizieren zum Grundprinzip der Wissenschaften ernannte, aber er formulierte es am prägnantesten: „Alles messen, was messbar ist, und messbar machen, was es noch nicht ist.“

Der Trug beginnt schon mit der Berufsbezeichnung: Bildungsforscher. Mit Bildung haben diese Forscher nichts zu tun, sie betätigen sich als Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft und jener Wissenschaften, die sich vollständig dem „Profitinteresse des Kapitals“ (hätte man früher unter antikapitalistischen Studenten gesagt, die sich heute als Ordinarien dem Kapital ausgeliefert haben) verkauft haben.

Die Universitäten haben sich still und leise mit der Wirtschaft liiert. Da sie

nicht gesetzmäßig verheiratet sind, muss von Prostitution gesprochen werden, denn für die Liebesdienste fließt Geld. Die Studentin, die ihr Studium finanziert, indem sie ihren Leib verkauft, tut ungleich Harmloseres als ihr Rektor, der die Seele der alma mater der Industrie verkauft.

In offiziellem Beamtenzasterdeutsch reden wir von „Eintreiben von Drittmitteln“. Schon in der Sprache erkennen wir den einbetonierten quantifizierenden Fluch. Hinter der harmlosen Aufzählung von Erst-, Zweit- und Drittmitteln verbirgt sich, was die Öffentlichkeit wissen müsste: wie wird Wissenschaft finanziert?

Ist sie unabhängig von Mächten, die ihr Forschen für ihre Zwecke einspannen oder hat sie sich zum Treibmittel der Wirtschaft erniedrigen lassen? Statt die Herkunft der Mittel klar zu benennen, beschränkt man sich aufs Abzählen – und belügt sich und die Öffentlichkeit. Die Zahl drei kann für alles stehen: für heilige Dreieinigkeit, einen flotten Dreier oder ein Rollkommando aus drei Berufskillern.

Zahlen sind unschuldig, sie bewerten nicht. Wahrheit, die man ständig leugnet, hat sich vollständig in Zahlenreihen transformiert. Parteien betrachten die Zahl ihrer Wähler – und wissen sofort, ob sie das wahre Parteiprogramm hatten. TV-Kanäle benötigen nur ihre Quoten, um die Qualität ihres Angebots zu erkennen. Reiche werfen einen Blick auf ihr Konto – und sie wissen, ob sie zu den Erwählten gehören.

Wenn Wirtschaft und Wissenschaft ihre Geschäfte für koscher halten, warum verteidigen sie sie nicht in aller Öffentlichkeit und sagen klar und deutlich: Naturwissenschaft & Technik sind Vater und Großvater der ewig wachsenden Wirtschaft – das war im Abendland nie anders, das ist gut so und so muss es auch in Zukunft bleiben?

Wenn Wissenschaft der Motor einer ewig wachsenden Wirtschaft ist, warum gibt es keine Proteste der Wachstumsgegner gegen die so rein und ehrenwert tuende Wissenschaft, die in Wirklichkeit die ganze naturfeindliche Wirtschaft am Laufen hält und dafür sorgt, dass diese dem Globus zunehmend die Luft abdrückt?

Wer wen? Ist Ökonomie die Despotin der Welt, die die Wirtschaft an der Leine führt? Oder ist der geheime Kopf der Wirtschaft die menschheitsbeglückende ars scientia?

Nicht das Plagiieren hirnloser Doktoranden ist der Skandal der Wissenschaft – den sie bis heute vertuscht, weil sie einen Abgrund fürchtet –, sondern dass sie die unintelligente Wirtschaft benutzt, um ihre eigenen Allmachtsphantasien zu realisieren. Dabei immer so, dass nicht sie die Verantwortung trägt, sondern die Geier und Heuschrecken von der Wallstreet.

Ihr Hauptargument vom Messer ist schon jahrhundertealt: mit dem Messer kann man Brot teilen – oder dem Konkurrenten die Kehle durchschneiden. Das Messer scheint ihnen nicht zu genügen, die Ausbeute pro Schnitt ist zu gering. Es muss schon ein fliegendes Drohnenmesser sein – das sie nur aus reiner Erkenntnisfreude erfunden haben –, um Gegner der Moderne und des rechten Glaubens in weit entfernten Ländern zu massakrieren. Kinder, die den Fehler machten, sich von bösen Eltern zeugen zu lassen, immer inbegriffen.

Demnächst wird es Laserstrahlen aus dem Laptop geben, die jeden beliebigen Googlebenutzer im Nu eines Gedankenblitzes durchbohren und zerstäuben. Was können fortschrittlich gesonnene Messerhersteller dafür, dass bornierte Militärs sich ihrer ingeniösen Tötungsmaschinen bedienen, die nur fürs Brotschneiden erfunden wurden?

Die ganze nationalsozialistische Forscherelite wurde in freundlicher Übernahme von den Siegern in den Dienst des eigenen Größenwahns gestellt. Die genialen Wissenschaftler benötigten keinen ordinären Reeducationsschein. Den benötigten nur kleine Blockwarte, damit sie als Straßenkehrer eingestellt werden konnten.

Wernher von Braun war ein Nationalsozialist der kältesten Art, der ohne mit der Wimper zu zucken Menschen für seine Bubiträume in den Tod schickte und problemlos zum ehemaligen Feind überging, um den Mond mit menschlichen Fußspuren der erwählten Nation zu kontaminieren. Inzwischen soll der Mond vollständig kartiert und partiell an Leute verkauft worden sein, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anstellen sollen.

(Wem gehört der Mond? Nach Locke dem, der als erster eine terra incognita betreten oder sie zu seinem Besitz erklärt hat. Nach diesem System wurde Amerika und der größte Teil der Welt von Gläubigen einverleibt, die dem göttlichen Befehl folgen: macht euch die Erde untertan, alles gehört euch. Zuerst wird die Welt zermörsert, dann emigrieren die Milliardäre in Privatraketen auf den Mond. Der wird in seine Bestandteile zerlegt – dann hurtig zum Mars. Und wenn sie nicht gestorben sind, haben sie schon die Milchstraße erreicht, die aus Laktoseunverträglichkeit erst recht nicht in Frage kommt und geschreddert werden muss.)

Die Wissenschaft ist inzwischen zum Blinddarmfortsatz der Wirtschaft geworden. Ihre Beziehung zu Firmen muss sie nicht offen legen. Das meiste ist geheime Kommandosache. Aus Wissenschaft, der freiesten Sache der Welt, wurde ein Mauschel- und Schmierunternehmen.

Bernd Kramer in der TAZ: „Hochschulen werden immer mehr zur verlängerten Werkbank der Wirtschaft. Allein im Jahr 2010 akquirierten Universitäten und Fachhochschulen bei Unternehmen sogenannte Drittmittel in Höhe von 1,27 Milliarden Euro für die Forschung.“

Die Universitäten wehren sich vehement gegen die geringste Transparenz. Unter anderem deshalb, weil die Industrie sie massiv bedroht, bei Offenlegung der Karten hätten die deutschen Betriebe internationale Wettbewerbsnachteile. Thomas Weber von der BASF malt gleich ein Untergangsszenario:

„Die Industrie zöge sich aus Hochschulkooperationen zurück, es würde weniger geforscht, weniger erfunden, weniger erwirtschaftet und damit stünden natürlich Arbeitsplätze auf dem Spiel.“

Zudem fühlen sich die Geldgeber vom „Misstrauen“ der penetranten Nachfragerei genervt: „Weber appelliert an das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Hochschulforschung. Ihn störe der Tenor der Debatte, der „allen Drittmittelgebern verdeckte Einflussnahme“ unterstelle.“ (Bernd Kramer in der TAZ)

Blindes Vertrauen in ihre hehren Profitziele: darunter machen‘s die Vorstandsvorsitzenden nicht. Wissenschaft, die kritischste und öffentlichste Angelegenheit der Welt, ist zur alchimistischen Geheimwissenschaft geworden. Es gibt keine scientific community der Wissenschaftler aller Welt mehr.

Die Geisteswissenschaften werden abgewickelt. Entweder übernehmen sie mathematische Methoden oder sie sollen das Feld räumen. Wissenschaftler, die die Frechheit besitzen, ihre Meinung zur Weltlage zu äußern und nicht nur den Ist-Zustand abzuzählen, sind fehl am Platz. Hatte sich nicht die Ökonomie unsterblich blamiert, dass sie vor lauter Rechnen keine einzige der gigantischen Finanzkrisen prognostiziert hatte?

Gab‘s deshalb irgendwo Konsequenzen? Die gab‘s. Inzwischen soll nicht nur die Wirtschaft noch durchgerechnet werden, auch Politologen und Soziologen müssen zunehmend quantitative Methoden einsetzen, wenn sie eine akademische Karriere machen wollen. Die Herrschaft der Ökonomie dringt immer mehr in das Reich der Geisteswissenschaften ein:

„Trotzdem baut die Wirtschaftswissenschaft ihren Einfluss in den Sozialwissenschaften weiter aus. Vor allem in der Politikwissenschaft haben sich ökonomische Methoden und Argumente so sehr verbreitet, dass die Entwicklung kaum rückgängig zu machen ist.“ So Lena Schipper in der FAZ.

Dahinter steht die Meinung, dass die Forschung immer wertneutraler und „wissenschaftlicher“ wird. Wertneutral ist moralfrei. Nicht nur der grüne Kretschmann will das Moralisieren aus der Politik verbannen. Es sind die Erkenntnisgiganten, die nur noch mit dem Rechenschieber spielen und keine Beurteilungen mehr abgeben wollen.

Die Welt ist alles, was eine offene Rechnung ist. Kein Soll, nur noch das Ist soll wertneutral abkopiert werden. Womit wir erkennen, wo die wahren Plagiatoren der herrschenden Verhältnisse sitzen. Da das Ist sehr wohl einen Sollzustand darstellt – vor 100 Jahren war das heutige Ist eine utopische Träumerei – kann von Wertneutralität des jetzigen Status quo keine Rede sein. Wer die heutigen Zustände nur abzählen und seine Bestände urteilslos kopieren will, der betet die Bestände als gottgewollte an.

Man muss nur Hegels Formel hernehmen und aus dem Wirklichen das Vernünftige ableiten. Alles, was ist, muss vernünftig sein, sonst wäre es nicht. Hegels Absegnung alles Realen als Wille Gottes hat die Wissenschaften durchtränkt. Es gibt nichts, was nicht gut wäre. Wäre das Seiende nicht gut, könnte es sich nicht halten.

Da sage einer, die harten Realo-Wissenschaftler hätten keine Utopie. Sie leben mitten in utopischen Verhältnissen. Die Welt ist, wie sie ist, sie ist nicht mehr zu verbessern. Jeder Verbesserungsversuch des Absoluten verschlechtert nur das Bestehende. Es ist wie bei Platon. Im perfekten Staat darf nichts verändert werden, denn jede Veränderung wäre eine Verschlimmbesserung. Idealisten, Gutmenschen und Revoluzzer tragen mit ihren verblasenen Träumen nur dazu bei, eine vollkommene Welt in eine minderwertige zu verschandeln.

Die Mathematisierung der Methoden genügt den Rechnern noch nicht:

„Viel problematischer für die wissenschaftliche Arbeit findet etwa Ulrich Brand die Forderung, dass sozialwissenschaftliche Forschung zunehmend direkt ökonomisch verwertbar sein soll. «Die Idee, dass nur wichtig ist, was ,hinten rauskommt‘, ist mittlerweile sehr weit verbreitet», sagt er. «Kritische Fragen stellen, mal einen Schritt zurücktreten – das ist nicht gewünscht. Die Grundlagenforschung gerät dadurch in den Hintergrund, und das spüren wir im wissenschaftlichen Alltag.»“ (Lena Schipper in der FAZ)

Grundlagenforschung? Gab es so was jemals: eine Wissenschaft, die nur Wissen schaffen wollte, ohne auf den Nutzen desselben zu schielen? Tatsächlich, das gab es – bei den Griechen. Im christlichen Abendland gab es das nie.

Die wissenschaftliche Einstellung der Griechen war die Schau des Kosmos, ohne ihn nur um einen Deut zu verändern. Der Kosmos war perfekt. Wer das Perfekte nur um einen Hauch verrücken wollte, war der Hybris schuldig. Er mischte sich in Dinge ein, die seinem Zugriff entzogen waren. Sollte er dennoch versuchen, sich in göttliche Dinge einmischen, musste er von den Mächten des Kosmos bestraft werden. (Nemesis = die Rache der Natur)

Im biblischen Glauben soll der Mensch seine Gottebenbildlichkeit durch Technik und Macht beweisen. Das Ziel der Gottebenbildlichkeit ist die Herrschaft der Erwählten über den gesamten Globus. Bei den Griechen ist Hybris die ungeheuere Verwegenheit, sein zu wollen wie die Götter. Was mit schrecklichen Strafen geahndet wird. Jedes Schielen nach Nutzen war der Anfang der Hybris, dem a priori gewehrt werden musste.

Die griechische Scheu, in die Natur einzugreifen, „verpönte … jenen Kult des Nutzens, der Nützlichkeit überhaupt, der seit Bacon zur geistigen Triebkraft des „Fortschritts“ wurde. Diese Verachtung alles Nützlichen und Mechanischen als „banausisch“, bestimmte die Haltung der Griechen bis zur industriellen Revolution. Wissenschaft (episteme) wächst nach Aristoteles erst da, wo der Zweck, der Nutzen, die Notdurft zu Ende ist.“ (Alle Zitate bei Friedrich Wagner, „Die Wissenschaft und die Gefährdete Welt“)

Die Verachtung des Nutzens ist auch der Grund, warum die Griechen keine Naturwissenschaft moderner Prägung haben wollten. Es lag nicht daran, dass ihnen der Erkenntniswille gefehlt hätte, geschweige das strenge folgerichtige Denken. Oder dass ihnen die mathematischen Kenntnisse gefehlt hätten. Ohne Theoria der Griechen gäbe es keine abendländische Wissenschaft.

Was den Griechen fehlte, weil sie es verabscheuten, war die nutzenorientierte Praxis der Theorie. Diese beginnt erst im hohen Mittelalter mit – der Quantifizierung. Erst als bei christlichen Mönchen – vor allem in England, wo an derselben Stelle später der quantifizierende Kapitalismus das Licht der Welt erblicken sollte – die Idee aufkam, alles Qualitative zu quantifizieren, wurde die rein theoretische Beschäftigung mit der Natur beendet.

Es begann die Zeit des Nutzens aller Wissenschaft. Mit wissenschaftlichen Methoden die Natur erkennen, hatte nur ein einziges Ziel: die Natur in göttlichem Auftrag zu beherrschen. Sich die Erde untertan zu machen. Nutzen durch Erkennen wurde zur Gehorsamsleistung jedes frommen Naturforschers.

Wissen ist Macht, war die Erfüllung der heiligen Sätze: „Füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische und die Vögel, über Vieh und alle Tiere, die sich auf Erden regen. Furcht und Schrecken vor euch komme über alle Tiere der Erde, über alle Vögel, über alles, was auf Erden kriecht: in eure Hand sind sie gegeben.“

Was musste zur Theoria der Griechen hinzu kommen, um die naturfressende Naturwissenschaft der Moderne zu erfinden? Das Zählen. Zählen ist ein Herrschaftsakt. Wer seine Herde zählt, will nachweisen, dass er reicher ist als der Nachbar. Die Menschen sollen zahlreich werden wie Sand am Meer. Konnte der Sand gezählt werden, war Gottes Auftrag, die Erde untertan zu machen, erfüllt. Gott zählt den Sand, um seine Omnipotenz zu beweisen. „Und deine Nachkommen will ich mehren wie den Sand der Erde, sodass, wenn man den Sand der Erde zählen kann, man auch deine Nachkommen wird zählen können.“

Die Griechen konnten Mathematik betreiben (vor allem Geometrie); auf die Idee, die Natur zu zerlegen, um ihre Atome zu zählen, darauf wären sie nicht gekommen. Und wären sie darauf gekommen, hätten sie die hybride Verwegenheit mit Abscheu zurückgewiesen.

Im biblischen Raum ist die Natur in Sünde gefallen. Ihr Prädikat „Sehr gut“ hatte sie verloren und war zu einem minderwertigen und würdelosen Materiehaufen verkommen, den man nach Belieben schänden konnte. Nur durch Erobern und Beherrschen konnte man sie in ihren sündelosen Zustand zurückführen. Sie musste durch Zwang erlöst werden. Durch den Menschen war sie in Sünde gefallen, durch denselben sollte sie erlöst werden. „Denn die Sehnsucht des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“. (= der Erwählten)

Gott zählt alles, selbst die Haare auf dem Kopf seiner Gläubigen, um ihnen seine Allmacht zu beweisen. Ohne Gott wird ihnen kein Härchen gekrümmt. „Aber auch die Haare eures Hauptes sind gezählt. Darum fürchtet euch nicht.“

Gott zählt auch alle Schritte, die der Mensch auf Erden tut. Alles wird quantifiziert, um die Bestände zu erhalten – und zu vermehren. Wie kann man seinen Machtzuwachs nachweisen, wenn nicht durch Zählen und Addieren? Gott zählt die Zahl der Kinder Israels, er zählt alle Erstgeburten. Im Psalm zählt er auch die Sterne, denn ER ist der Master of Universe: „Er zählt die Sterne und ruft sie alle mit Namen.“

Die ganze Natur muss in ihren Beständen erfasst werden, um die Macht über die Welt zu demonstrieren. Die Macht des Herrn geht sogar über das Zählen hinaus, sodass der Mensch nur noch staunen und anbeten kann: „Gott tut Wunder, unergründlich, wunderbar und ohne Zahl.“ Das ist der Gipfel des machtvollen Zählens, dass der Mensch ohne Zählen Gott anbetet.

Nur Gott ist nicht quantifizierbar, er entzieht sich der erkennenden Machtergreifung durch sein Geschöpf. Seine Schöpfung aber muss durch Zählen domestiziert werden.

Bei dem englischen Mönch Roger Bacon verbindet sich biblisches Zählen mit griechischer Wissenschaft. Die Alchimisten, die Vorläufer der modernen Naturwissenschaft, begannen zu experimentieren, indem sie alles abwogen, abzählten und mit neuentwickelten Maßsystemen abmaßen. Bacons Methode beruhte auf Isolation und Quantifizieren der Elemente.

Isolieren und Quantifizieren, diese beiden Destruktionsarten „haben die kalkulatorische Denkart begründet, die später in der exakten Naturwissenschaft triumphiert. Dieser Geist der Kalkulation durchdrang als Frucht des Abstraktions- und Rationalisierungstriebes das Denken der Philosophie mit einem Panmensurismus, dem alles in der Welt als messbar erschien.“

Die geistigen Grundlagen für Galilei waren gelegt. Die Quantifizierung zerstörte alle sinnlichen Qualitäten der Natur wie Farbe, Geruch, Geschmack und Gestalt als „bloße Namen“. (Die Zertrümmerung der Natur, um sie mechanisch zu berechnen und zu beherrschen, war der Grund für Goethes strikte Ablehnung der Newtonschen Farbenlehre.) Daher der Spruch: Namen sind Schall und Rauch. Qualitative Begriffe sind Namen, also Schall und Rauch. Das war die Philosophie des Nominalismus.

Nur abzählbare Quantität war wiederhol- und beherrschbar: das neuzeitliche Experiment war geboren. Bei Kant war Experiment einem Gerichtsverfahren vergleichbar, bei dem der Mensch als „bestallter Richter die Zeugen nötigt, die Fragen zu beantworten, die er ihnen vorlegt.“

Experimentell zwingt der Mensch die Natur, seine Fragen in exakten und wiederholbaren Zahlen zu beantworten. Er lässt sich von der Natur nicht einfach wie ein unmündiger Schüler belehren. Er spielt den Inquisitor, der die Natur durch alle erdenklichen Foltermethoden zur richtigen Antwort zwingt. Der Naturwissenschaftler wird zum gottgleichen Zwingherrn der Natur.

Es sind nicht erst die Techniker, die das Messer der Wissenschaft zum Schlachten der Natur auspacken. Die reine Wissenschaft höchstselbst ist zum Folterknecht der Natur geworden.

Bildungsforscher wollen keine Bildung des Volkes. Sie wollen den Pöbel zu effizienten Helfern der Folterknechte abrichten. Die Naturwissenschaft ist nicht nur zum geheimen Motor einer maßlosen Wirtschaft geworden. Ihr grenzenloses Wissenwollen ist nichts anderes als grenzenloses Herrschenwollen über alles, was da kreucht und fleucht auf Erden.

Mene mene tekel uparsin lautete die warnende Schrift an der Wand. Man hätte des Lesens kundig sein müssen, um die Warnung zu verstehen. Bildungsforscher und andere Windbeutel können nicht lesen.