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Mater dolorosa Merkel

Hello, Freunde der Projektion,

Sie da! Ja, Sie, schöne Frau!

Was gibt’s?

Projizieren Sie doch mal!

Auf wen?

Auf mich.

Nicht unverschämt werden, ich bin eine anständige Frau. Außerdem sind Sie nicht mein Typ.

Das hab ich befürchtet. Dennoch vielen Dank.

Wofür?

Für die Projektion.

Ich hab doch gar nicht …

Oh doch.

Schlaumeier!

Ohne Projektionen geht nichts. Projizierend nehme ich Kontakt auf mit der Wirklichkeit. Projektionen sind embryonale Erkenntnisse.

Für das Neugeborene ist jede Frau, die es nährt und behütet, eine Mutter. Erst wenn das Kind seine Wahrnehmungen differenzieren kann und von seinen Bedürfnissen nicht mehr überflutet wird, lernt es, seine Mutter von anderen Frauen zu unterscheiden. Je gesättigter und selbstbewusster es wird, je mehr kann es

die Realität unabhängig von seinen Bedürfnissen wahrnehmen lernen.

Je stärker und unbefriedigter die Bedürfnisse, je projektiver und erkenntnisloser bleibt der Mensch. Der projektive Mensch stellt die Welt in den Dienst seiner Bedürfnisse. Hat er Macht, vergewaltigt er die Welt zur Erfüllungsmagd seiner Begierden.

Begierden sind ungesättigte Bedürfnisse, die den Zwang ihres Mangels an der Welt ablassen. Begierden zwingen die Welt, ihren nie versiegenden Hunger zu stillen. Der Hunger scheint unendlich, weil Zukurzgekommene nicht mehr glauben, dass ihre Bedürfnisse von der Welt erfüllt werden können. Also muss der Mangel Zwang einsetzen, um die Welt zur Erfüllungsgehilfin seiner Bedürfnisse zu machen.

Es gibt sinnvolle Projektionen, die fähig sind, ihre Erwartungen durch die Wirklichkeit zu korrigieren. Es gibt zwanghafte Projektionen, die zur Korrektur unfähig sind und die Welt zwingen, ihre auf Unendlichkeit gestellten Bedürfnisse zu befriedigen.

Pardon, nicht zu befriedigen, denn im Begriff Befriedigung steckt Frieden. Wessen Bedürfnisse gestillt oder in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit gestillt werden können, der lebt sein irdisches Leben in Frieden.

Wer Frieden mit sich und der Welt nie erleben durfte, kann an ihn nicht mehr glauben. Je mehr er gefüttert wird, je mehr Produkte er zusammenrafft, je hungriger scheint er zu werden. Im Grunde geht es nicht mehr um materielle Speisung des Magens, der Hunger hat die Ebene gewechselt und ist immateriell geworden.

Von Anfang an waren leibliche und seelische Bedürfnisse eine Einheit. Wer sich als der, der er ist, willkommen auf Erden fühlt, fühlt sich geliebt und angenommen. Wessen seelische Bedürfnisse von Anfang an gestillt werden, der kann leibliche Mängelerscheinungen eher ertragen, als jener, der sich auf der Erde nie heimisch und willkommen fühlte. Seine psychische Unterernährtheit will er mit körperlichen und materiellen Ersatzbefriedigungen ausgleichen. Was nicht möglich ist.

Qualität kann nie in Quantität ohne Substanzverlust transformiert werden. Die moderne Wissenschaft mit ihrem Drang ins Unendliche wurde im Mittelalter gegründet, als man glaubte, Qualität könne in Quantität verwandelt werden. Was zuerst in der Geschichte der Naturwissenschaft geschah, holte der Kapitalismus auf der Ebene der Wirtschaft nach. (Kapitalismus ist kein Fremdkörper in einer ansonsten „normalen“ oder „gesunden“ Kultur. Er trägt dieselben Prägemale wie die ganze Kultur.)

Unermüdlich rafft der seelisch Zukurzgekommene Reichtümer und Luxusgüter zusammen, um den Schmerz mangelnder Liebe zu betäuben. Das Endliche wird gesprengt, das Unendliche erfunden, um im Jenseits seine Bedürfnisse halluzinatorisch erfüllt zu sehen. Zeitliche und räumliche Unendlichkeit ist der fiktive Raum, in dem Ungeliebte auf ihre Kosten kommen wollen.

Ausgemergelte Häftlinge in Gulag- und KZ-Lagern erzählen, dass sie vor lauter Hunger nur an Lebensmittel denken, von Lebensmitteln träumen konnten. Die ganze Welt wurde zur projektiven Erfüllung schrecklicher Mängel und ungestillter Bedürfnisse.

Das Maß der Projektion ist abhängig vom Maß des Hungers nach Brot und Liebe. „Schon seid ihr satt geworden,“ bemängelt der Völkermissionar seine Gemeinde, da er weiß, dass Gesättigte die Projektion einer unendlichen Befriedigung – auch Erlösung genannt – nicht benötigen.

Gesunde bedürfen des Arztes nicht, Befriedigte des himmlischen Friedens nicht, Geliebte des großen Liebenden nicht, freudige Menschen der Frohen Botschaft nicht. An Wundmalen und Hungerödemen der Menschen setzen sich Erlösungsreligionen fest, um sich von eitrigen Mängeln zu ernähren.

Glückliche Menschen sind immun gegen Religionen, die Menschen befrieden wollen, die nie unbefriedigt waren. Nur eine befriedete Menschheit wird den Fluch illusionärer Bedürfnisbefriedigungen beenden.

Naturreligionen sind das Gegenteil leerer Erlösungsversprechen. Sie projizieren ihre bacchantische Lust, ihr unangefochtenes Glück auf Baum und Strauch, Wind und Meer, um der Natur für ihre überschwänglichen Gaben zu danken.

„Selig sind, die hungern und dürsten, denn sie sollen gesättigt werden.“ Wonach hungern und dürsten? Nach Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wird zum Symbol jenseitigen Befriedetseins. Auf Erden werden die nach Gerechtigkeit Dürstenden nicht mehr auf ihre Kosten kommen. Gerechtigkeit auf Erden ist unmöglich. Wer sie im irdischen Bereich des Satans herstellen wollte, wäre ein Feind Gottes. Denn er wollte Gott überflüssig machen.

Der Himmel wird zum projektiven Land Kanaan, in dem Milch und Honig fließt. Christen sollen immer etwas versuchen, von dem sie überzeugt sind, dass sie es auf Erden nicht schaffen werden. Christliche Politiker werben für Versuche, von denen sie wissen, dass sie nie in Erfüllung gehen dürfen. Für ihre Versuche machen sie Propaganda, doch deren Unerfüllbarkeit verschweigen sie eisern.

Moral? Natürlich sind sie für moralische Versuche. Doch Moralisieren, der blasphemische Versuch, wir könnten tatsächlich moralische Wesen werden: das verabscheuen sie.

„Ich bin ein ganz großer Gegner des Moralisierens, sowohl in der Kirche wie auch in Parteien. Man muss damit einfach mal aufhören.“

So der grüne Katholik Kretschmann, der im Zentralkomitee der Katholiken den politischen Geist des Katholizismus mitbestimmt. Damit bleibt er auf streng katholischer Linie. Es kommt immer nur auf den Versuch an, der von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Alles andere ist sündige Überheblichkeit.

Liebe, dann kannst du machen, was du willst. Nicht Unmoral musst du fürchten, sondern die aus eigener Kraft gelingende Moral: die ist todeswürdig. Liebe und tu, was du willst. Es kommt nur auf die Pose des Versuchs, die Pose der Reue und Buße an, dann steht deiner Erlösung nichts mehr im Weg.

Die wahren Erwählten stehen über der Moral der 10 Gebote. Im Stand der Erleuchtung kann‘s weder Unmoral noch Sünde geben. Alles, was sie tun, ist heilig und gerecht, denn sie bestimmen selbst das Gesetz der Moral (Antinomismus). Das ist nur konsequent, denn auch Gott steht über den Gesetzen der Vernunft, der Natur und der Moral und seine Gläubigen sind ihm ebenbildlich.

Fromme Ökologen wie Göring-Eckardt und Kretschmann müssen den Versuch unternehmen, die Natur zu retten. Doch gleichzeitig müssen sie tief davon überzeugt sein, dass auf Erden alles menschliche Tun und Treiben zum Scheitern verurteilt ist. Nur, was ihr himmlischer Vater in die Hände nimmt, wird gelingen.

Gott hat das Alleinstellungsmerkmal schlechthinigen Gelingens, seine sündigen Kreaturen das Alleinstellungsmerkmal der Rohrkrepierer. Das ist eine projektive Zuschreibung von Erfolg und Misserfolg, um den Menschen in permanenter Schuld auszubeuten und den Erfolg höheren Mächten zuzuschreiben, die sich als Eliten in geschlossenen Gesellschaften immer mehr verschanzen.

Der Himmel wird zur projektiven Stätte ewiger Freude, die Hölle zur projektiven Schmerzens- und Folterkammer. So entstehen Projektionen erfüllter Freude und unerfüllter Qualen.  

Wenn ich projiziere, werfe ich meine elementaren Gefühle in ihrer Widersprüchlichkeit auf Gott und die Welt. Bin ich religiös, nur auf Gott. Ich hoffe auf Lust, Befriedigung und Freude. Ich fürchte das Alleinsein, Schmerz, Krankheit und Tod. Je projektiver ich bin, je ich-schwächer bin ich.

„Alles geben Götter, die unendlichen,
ihren Lieblingen ganz,
alle Freuden, die unendlichen,
alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.“

An dieser Stelle seiner Entwicklung erwartete Goethe nichts von sich und alles von den Göttern, das Gute und das Böse. Das ist ganz im passiven Geist des christlichen Credos:

„Ich, der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe, ich bins, der Herr, der dies alles wirkt.“ (Jes. 45,7). „Geschieht ein Unglück in einer Stadt, und der Herr hätte es nicht gewirkt?“ (Amos 3,6)

Der Mann, der die Frau zum Projizieren verlockt, hat selbst die projektive Hoffnung, die Schöne werde ihre sinnlichen Erwartungen auf ihn werfen. Doch sie weist ihn ab und wirft stattdessen ihre Angst vor Sinnlichkeit und unmoralischem Tun auf den Fremden. Beide projizieren aufeinander.

Sind gegenseitige Projektionen deckungsgleich, kann Freundschaft entstehen. Schließen sie sich aus, kann‘s zu Hass und Feindschaft kommen. Eine projektive Überidentität kann allerdings zu einem „Wahnsinn zu zweit“, einer amour fou, einer totalitären Heiland-Jünger-Beziehung, einer verhängnisvollen Guru-Schüler-Verstrickung führen.

Je reifer und mündiger der Mensch, umso besser weiß er, dass er nicht alles von anderen erwarten darf, sondern selbst etwas bringen muss. Der selbstbestimmte Mensch hat zu unterscheiden gelernt zwischen dem, was er selbst leisten kann und was er von solidarischer Mitarbeit seiner Freunde und Kollegen erwarten kann. Alle Hoffnungen und Sehnsüchte, die er selber nicht befrieden, auch nicht von der Menschheit erwarten kann, ent-projiziert er und lebt von dem, was möglich ist.

Was nicht bedeutet, dass er langfristige Visionen und Utopien streichen muss. Das wäre zuviel der Gegen-Projektion aus Enttäuschung am unvollkommenen Menschen. Wozu der Mensch fähig ist, entscheiden keine allzu vermessenen Projektionen, noch allzu pessimistische Gegen-Projektionen, sondern der leidenschaftlichen Glaube an das Menschengeschlecht, der aus dem bisherigen Lernweg des Menschen auf den potentiellen Lernweg der Zukunft hochrechnen darf.

Garantien gibt’s keine. Alles hängt davon ab, dass die Menschheit ihren Lernweg tatsächlich fortsetzt und aus Versuch und Irrtum richtige Schlüsse zieht. Utopien sind realistisch, wenn die Menschheit sie für realistisch hält und sich darauf einigt, wie man sie erarbeiten kann.

Eins ist sicher: solange die Menschheit alles Gute vom Himmel und alles Schlechte von sich erwartet, wird sie die Erde dämonisieren und den imaginären Himmel verklären, den kein Mensch je gesehen hat und jemals sehen wird. Denn diesen wird’s nie geben.

Womit wir wieder bei Merkel gelandet wären, denn: alle Wege führen zur Dir, oh engelgleiche Mater dolorosa der Neugermanen, die du all unsere Sorgen auf dich nimmst und sie mit einem bezaubernden Lächeln entsorgst. Kaum wirst du bei der nächsten Wahl das Kanzleramt aufgegeben und uns alleine im kalten Universum verlassen haben, wird es zu Pilgerfahrten nach Mecklenburg-Vorpommern kommen. Die schwarze Madonna von Tschenstochau wirst du in den Schatten stellen und als erste lutherische Madonna in die Weltgeschichte eingehen.

Als mächtigste Frau der Welt bist du immer Mensch geblieben. Eigenhändig verkorkst du die Weinflasche und schüttest nichts weg. Pizza bolognese bleibt dein Lieblingsgericht, wie könnten die Italiener dir gram sein? Nein, du bist keine perfekte Mutter Gottes, sondern eine fehlbare protestantische Frau aus Fleisch und Blut mit Vorzügen und Fehlern.

Ob die NSA deine Untertanen rund um die Uhr überwacht: es kümmert dich nicht. Ungerührt lässest du Menschen im Meer ersaufen, es scheint dir deinen Schlummer nicht zu rauben. Du hältst es für richtig, dass die Reichen immer reicher werden und die Gesellschaft sich immer mehr spaltet. Du gibst einem Hartz4-Kind täglich 3 Euro und 8 Cent, einem Polizeihund aber mehr als das Doppelte. Nein, du kannst nicht ganz Afrika retten und jedem deutschen Kind gleiche Chancen verschaffen.

Du bist so herrlich fehlerhaft und genau dafür lieben wir dich. In unvergleichlicher Weise kannst du Macht und Menschsein zur Einheit bringen. Wie unnachahmlich hast du deinem Generalsekretär die deutsche Fahne entrissen und nicht den ersten Vers des Deutschlandlieds gesungen. Tanzen kannst du noch weniger, doch welch entzückenden Hüpfer hast du bei deinem Sieg getan. Voll innerer Freude und dennoch voller Demut.

Undsoweiterundsofort. Hat irgendjemand Projektionen entdeckt? Siehste, alles echte religiöse Aura und nichts von ordinärer Psychologie. Und dies bei Deutschen, die im Gegensatz zum Bible-Belt aufgeklärt sein wollen.

Auf Merkel wird alles projiziert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wenn Kretschmann das Moralisieren verhöhnt, gibt’s nicht den geringsten Aufschrei, schließlich ist er ein Mann. Macht Merkel dasselbe, wird sie zur ambivalenten Mutter, die ihre Kinder füttert und frisst.

Wenn Steinbrück das war der Kanzlerkandidat der SPD, liebe Kinder in Wirtschaftsdingen dazulernt, hat er gelernt, schließlich ist er ein brillanter Mann. Wenn alma mater Merkel lernt, klaut sie bei anderen. Schließlich ist sie eine hinterlistige Frau.

Wenn die ganze Welt die Menschheit im Chaos versinken lässt, ist es das verdiente Ende einer irrationalen Gattung. Wenn Merkel sich pragmatisch verhält die Betriebe florieren, der Wohlstand wächst, wohlig steigt das Klima , wurstelt sie sich durch: ist sie nicht eine haltungslose Frau, die nicht weiß, was sie will und das deutsche Vehikel allein nach Geräusch steuert?

Projizieren ist auch ein Erkenntnisakt. Der Mensch bestrahlt mit seinem Auge die Realität und sieht was er sehen will. Stimmts? Ei gewiss doch aber nur, wenn er vor lauter Projektionen nicht aus den Augen schauen kann.

Projektiv bilde ich eine Hypothese, deren Wahrheitsgehalt ich durch Vergleich mit der Realität ermittle. Dazu muss ich den projektiven Anteil meiner Hypothese durchschauen, um meine Wahrnehmungsverzerrungen zu entdecken. Erkennen ist möglichst projektionsfreies Abbilden der Realität.

Ganz ohne Projektionen geht es nicht. Sie sind die Werkzeuge, die wir benützen, um ihren Verfälschungseffekt nachträglich herauszurechnen.

Was die einen als verfälschende Projektionen betrachten, definieren die anderen als positive Konstruktionen. Realität ist das, was der Mensch konstruiert und entwickelt. Realitäten an sich gibt es nicht.

Wie unterscheiden sich kreative Konstruktionen von kontraproduktiven Projektionen? Es gehört zu den gefährlichsten Geheimnissen der Moderne, dass sie ihre frappierendsten Widersprüche nicht bemerkt. Wenn die Realität vom gottgleichen Abendländer erst aus dem Nichts konstruiert werden muss, damit man nachträglich erkennen kann, was man selbst in die Welt gesetzt hat: wie soll man auf einem schwankenden Steg objektive Wirklichkeit von subjektiven Verfälschungen unterscheiden?

Projektionen gibt es nicht nur in idealisierend-verfälschender, sondern auch in dämonisiernd-verzerrter Form. Der Mensch kann sich als gottgleiches Wesen überschätzen oder sich als Teufelsbraten gefährlich unterschätzen.

Es gibt fast keinen Artikel zur Einführung in die Philosophie, der nicht mit Wahrnehmungsverzerrungen begönne. „Können wir unseren Wahrnehmungen vertrauen?“ Auf keinen Fall. Das klassische Beispiel des Stocks im Wasser wird angeführt, um zu zeigen, dass wir anderes sehen, als was sich im Wasser abspielt.

Das Beispiel stammt von Platon, der es jedoch nutzt, um die Erkenntnisfähigkeit des Menschen zu stärken. Bei Platon ist der Mensch in der Lage, seine Wahrnehmungsverzerrungen die im Übrigen keine sind, sondern nur falsche Schlussfolgerungen des Gehirns zu korrigieren und zu außerordentlichen Erkenntnissen über den Kosmos zu gelangen.

Dies wird in den bombastischen „dekonstruktiven“ Proseminaren selten erwähnt. Die gegenwärtige Philosophie weist mit Scharfsinn nach, wie blind der Mensch ist und jedem Irrsinn hinterherläuft. Das sind alles Projektionen aus der Schule des HERRN, der seiner Kreatur das Erkennen mit eigener Vernunft unterbinden wollte. Unser Erkenntnis- und Moralapparat ist von projektiven Erblasten umstellt, die das Ziel haben, uns selbständiges Denken und verantwortliches Tun abzugewöhnen.

Das biblische Projektionsverbot: du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen, ist ein komplettes Erkenntnisverbot. Denn ohne Projektionen geht nichts. Unsere Vermutungen und Erfahrungen müssen wir mitbringen, um das Erkennen des Neuen mit Hypothesen zu reizen und zu füttern. Durch methodischen Streit müssen wir die vermutete Realität von nicht belastbaren Hypothesen reinigen.

Ich erkenne die Objektivität, wenn ich meinen subjektiven Blickwinkel durchschaue und einen bestimmten Abstand zu mir gewinne. Eine Garantie auf Wahrheit gibt es nicht. Dennoch weiß jeder Mensch, wie beglückend es ist, wenn man ein Aha-Erlebnis hatte. Dies gilt auch für die politische Arena.

Angela, unsere Schwester im Herrn, ist pardon für die triviale Ernüchterung ein Mensch mit Vorzügen und Fehlern. Wer imstande ist, ihre Vorzüge kaltblütig anzuerkennen, ist auch fähig, ihre fatalen Fehler anzuprangern. Nicht alles, was einer protestantischen Madonna ähnelt, ist auch eine.

Zum ersten Mal in ihrer demokratischen Geschichte werden die Deutschen von einer Frau regiert. Wie sie mit Frauen an der Macht projektionsfrei umgehen können, wissen die Deutschen noch lange nicht. Sie müssten zuerst ihre Projektionen durchschauen.