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Philosophie

Hello, Freunde der Philosophie,

endlich kommt Philosophie ins Gedränge. Bislang war sie die unberührbare Schöne, die im Hauen und Stechen des Lebens nichts zu suchen hatte. Liebe zur Weisheit stört, wenn das Leben töricht bleiben will.

Ein Narr, wer sich heute weise nennen würde. Nicht mal Mandela oder Gorbatschow gelten als weise Männer. Wer zu den alten Weisen gerechnet wird, dem wird subkutan beschieden: Mach Dich vom Acker, Alter!

Deutschland hat keine alten weisen Männer – für weise Frauen gibt’s ohnehin keine Quote. Als die europäischen Hexen von gottesfürchtigen Männern ins Feuer gehalten wurden, verwandelten sich die letzten weisen Frauen des Abendlands in Rauch und Asche.

Männer lieben keine überlegenen Frauen. Wüssten die Frauen, dass sie den Männern in allen Lebensfragen überlegen sind, würden sie den Angebern die Lederhosen ausziehen und das Schicksal der Menschheit selbst in die Hände nehmen.

Wer hierzulande weise werden will, muss gottesfürchtig sein. Gott hasst die Weisheit der Welt, doch die Furcht vor Gott soll der Weisheit Anfang sein. Logisch, oder?

Niemals würden die Deutschen bekennen, sie seien gottesfürchtig. Aber Schiss vor dem Schicksal haben sie schon. Sollte Gott der Herr des Schicksals sein, müssen

die Deutschen Angst vor dem himmlischen Vater haben. Doch eher werden sie sich die Zunge rausreißen, als ihre Angst vor dem allmächtigen PAPA zugeben.

Ihre Angst verstecken sie hinter der Bewunderung des übermächtigen PAPA. Wie er in „öffentlicher Würde“ stirbt, in „Wahrheitskategorien“ spricht, in schlichten Palästen residiert, das muss bestaunt werden.

(Als Franziskus bei Erdogan war, wurde dessen neuer Palast als Inbegriff orientalischer Pracht geschmäht, der Vatikan mit seiner armseligen Sixtinischen Kapelle mit keinem Wort erwähnt.)

Bewunderung ist das Maß der geheimen Angst vor dem Bewunderten. In diesem Sinn müssen die Deutschen als Angsthasen und Furchtsame gelten. Sie haben Angst vor dem Tod. Noch mehr vor dem, was nach ihm kommen soll. Man weiß ja nie, ob an den Gerüchten über ewige Verdammnis nicht etwas dran ist. Der Kirche kann man Ade sagen, nicht aber dem Glauben als letzthiniger Rückversicherung.

Die neoliberalen Industriegiganten verhöhnen gern die Risikoscheu der Deutschen. Allein in Silicon Valley gebe es mehr wagemutige Unternehmer, Zocker und Spieler als in Old Germany zusammengenommen. Kein Wunder, können die amerikanischen Neocalvinisten doch ihrer Erwählung sicher sein, deutsche Lutheraner hingegen müssen ein Leben lang um ihren gnädigen Gott zittern.

Im Klima der Furcht kann keine Weisheit aufkommen. Mit listig geschürten Ängsten werden die Deutschen regiert, nein, kujoniert und an der Nase herumgeführt. Sie haben Angst, ob sie morgen noch immer an der Spitze mit marschieren, ob sie nicht abstürzen, wenn die Chinesen kommen, ob sie übermorgen nicht de-industrialisiert sind, ob das Kapital, das scheue Reh, nicht das Weite sucht, ob Merkel ihnen zur Halbzeit nicht den Bettel vor die Füße wirft, ob sie das Fußballspiel gegen die Faröer wirklich haushoch gewinnen.

Die neugermanische Malocherwut – pardon, die protestantische Arbeitsethik – ist angstgetrieben. In einem der reichsten Länder der Welt wird mit Dauerangst Politik gemacht. Mitten im Überfluss zittern sie – ohne ihre Dauerfurcht wahrzunehmen. Ihre Angst überspielen sie mit Brot und Spielen, mit Konsum und Bundesliga.

Weisheit wäre, die ganze Angstmacherei zu durchschauen, die List der regierenden Eliten zu ignorieren, der Malocherwut zu entsagen – und leben zu lernen. Wer leben will, muss erst mal überleben wollen. Was sollen jene Länder sagen, in denen Not und Elend den Alltag bestimmen?

In welcher moralischen Verwüstung sich die reichen Länder befinden, darüber schreibt Andreas Zumach in der TAZ: die UNO kann nicht mehr die riesigen Flüchtlingsheere in Jordanien und Syrien ernähren, weil die Mammon-Gewinner im Westen der Evolution die Chance lassen, die Loser der Weltgeschichte auszusortieren:

„Die Einstellung oder drastische Reduzierung der Nahrungsmittelhilfe für 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge sowie bereits im Sommer für 850.000 Flüchtlinge in Afrika sind nur das bislang dramatischste Indiz für diese alarmierende Entwicklung. Sie ist in erster Linie ein Versagen der reichen Länder nicht nur Europas und Nordamerikas, sondern auch der reichen Ölstaaten im Nahen Osten.“  (Andreas Zumach in der TAZ)

Der christliche Westen hasst Weisheit und Menschlichkeit, ganz wie ihr selektierender Gott. Darwin hat den Vernichtungswettbewerb der westlichen Erlöserreligionen – er selbst war studierter Theologe – in die Natur projiziert, damit niemand auf die Idee komme, von Gott zur Mutter Natur überzulaufen.

Die Eigensucht der westlichen Ökonomie ist der Seligkeitsegoismus der Jesuaner. Was ist der Gipfel der neutestamentarischen Ethik? Dass man andere Menschen nährt, tränkt und kleidet – doch nicht um ihretwillen, sondern um des Herrn willen. Die Schwachen scheinen es nicht wert, dass man ihnen nur um ihretwillen hilft, schlicht deshalb, weil sie Menschen sind und keine unfreiwillige Repräsentanten eines aufgeblasenen Gottes:

„Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Wahrlich ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“

Heidewitzka, das nenne ich nachhaltige Hilfe, wenn alle, die sich dem Herrn widersetzen, der ewigen Pein übergeben werden.

Den Seligkeitsegoismus des Westens hat der Engländer Thomas Carlyle als kapitalistischen Erfolg beschrieben: das Geheimnis der „Säkularisation“, die gar keine ist. Der Glaube hat die Welt überwunden und den Alltag getauft. Die westlich gesteuerte Weltpolitik ist nichts als im Fleisch gefärbte ecclesia triumphans (siegende Kirche):

„Wem Gott erlaubt, Besitz zu ergreifen, der ist im Recht. Die starke Sache ist die gerechte Sache.“

Wer Erfolg hat in dieser Welt, der hat Gott auf seiner Seite. Das war das Siegesrezept des Westens. Die vielen Loserstaaten der Welt sollten gefälligst mal drüber nachdenken, ob ihnen nicht doch der rechte Glaube fehlt. Nichts ist erfolgreicher als der Glaube an einen erfolgreichen Gott.

Nicht Sex ist das bestgehütete Geheimnis, nicht das eigene Bankkonto, nicht die Krankheitsakte, sondern die Religion. In Deutschland kein Wort über Religion oder du wirst zum totalitären Gotteshasser ernannt. Da kennen die lammfrommen Edelschreiber kein Pardon.

Was hat dies alles mit Philosophie zu tun?

Philosophie oder die Liebe zur Weisheit – Weisheit hat man nicht; man muss ihr wie einer spröden Schönen ständig nachsetzen – wurde erfunden, um Wahrheit als oberstes Lebensziel zu propagieren – und nicht den Erfolg. Weder im Diesseits noch im Jenseits.

Weisheit ist Suchen nach der Wahrheit. Religion, der Hass auf die Weisheit, ist Suchen nach dem göttlichen Erfolg.

Weisheit ist der Leitfaden, ein volles, vielleicht sogar ein glückliches Leben auf Erden zu führen. Der Glaube ist die Sehnsucht nach einem göttlich beglaubigten Glück, das das Unglück im Diesseits voraussetzt. „In der Welt habt ihr Angst, siehe, ich habe die Welt überwunden.“ Die Welt überwinden heißt, die Welt kurz und klein schlagen, um der Überwelt Platz zu schaffen.

Kein Mensch will von Natur aus unglücklich werden. Das vereint alle Weltanschauungen, Religionen und Philosophien.

Doch dann gabelt sich die Weltpolitik in zwei unverträgliche Lager. Wer das Glück im Jenseits anpeilt, indem er das irdische Glück verwirft, der darf sich nicht wundern, wenn seine Himmelsillusion von den Befürwortern der Erde, nein, nicht verflucht, sondern aufs schärfste kritisiert wird. Verfluchen und verdammen sollen das Alleinstellungsmerkmal der Frommen bleiben. Wer die Gläubigen behandelte, wie diese die Welt behandeln, welchen Humanitätsgewinn hätte der?

Toleranz ist ein schönes Wort und das Zeitalter der Toleranz hat der intoleranten Kirche unendlich viel Wasser abgegraben. Nathan der Weise, die Hymne auf die Toleranz, ist noch immer eines der eindrucksvollsten Dramen auf deutschen Bühnen. Warum nur wird es so selten aufgeführt?

Dummes Zeug, Toleranz als etwas Minderwertiges abzutun. Womöglich im Vergleich mit der gnadenreichen Agape, die vor allem sich selbst liebt, wenn sie anderen billige Almosen vor die Füße wirft.

Es war die Toleranz, die Jahrhunderte intoleranter Glaubenskriege beendete. Es war die Toleranz, die Ketzerverbrennungen, Hexenprozesse und die Sklaverei ad acta legte. Vielleicht kann man nicht alle Menschen emotional lieben, man kann sie aber gewiss von Herzen akzeptieren und als gleichberechtigte Wesen anerkennen.

Hätten wir‘s bereits zur globalisierten Toleranz gebracht, wir befänden uns schon im Vorhof der Utopie. Doch genau diejenigen, die die anschwellende Intoleranz in den Weltkonflikten beklagen, sind die hasserfülltesten Gegner jeder humanen Utopie und einer menschenfreundlichen Moral. Die deutschen Demutsnicker immer vorneweg, die wie Schießhunde aufpassen, dass der Mensch kein autonomes moralisches Wesen ist.

Inzwischen rühmen sie sich schon ihrer Amoral. „Grüne, glaubt ja nicht, dass ihr die besseren Menschen seid“, jubelt der Vorstand der Grünen seinen wunderbar verruchten und bedenkenlosen ParteigenossInnen unter die Weste. Sonst würden Priester und Propheten brotlos werden – und der demütige Franziskus müsste in Sandalen nach Deutschland pilgern, um als Flüchtling um Sozialknete anzustehen.

Besser als Moral ist eine ehrliche Interessenpolitik, erklärt ein SPIEGEL-Kolumnist. Man könne ja nicht den ganzen Tag moralisch sein.

Ab und an müsse man anderen Völkern schon mal auf die Zehen treten, ihre Ressourcen zum Unterwert abfuggern, damit man auf seine Kosten kommt. Dann sage man: Sorry, ging nicht anders. Wird immer mal wieder vorkommen. Ist der Lauf der Welt. Tun wir nicht, als ob wir Moral erfunden und gepachtet hätten. Besser offen und ehrlich auf anderen herumtrampeln, als von Moral zu säuseln.

Moralisch handeln ist in Deutschland mit Heucheln und Mauscheln identisch geworden. Was anderes kennen sie nicht mehr: die von der Zwangsmoral ihrer Kanzelprediger gedemütigten Offenbarungsopfer. Was sie nicht wissen und nicht wissen wollen: indem sie Moral verwerfen, verwerfen sie den christlichen Glauben, den sie mit allen Mitteln gegen die böse Welt verteidigen.

Nach Weisheit streben heißt selber denken. Selber denken ist nach Kant die Frucht der Aufklärung. „Weisheit ist die Idee vom gesetzmäßigen vollkommenen praktischen Gebrauch der Vernunft“.

Ob der Mensch vollkommen werden kann? Das ist unwichtig. Er sollte versuchen, immer vollkommener zu werden. Wozu gehört, die eigene Unvollkommenheit in rückhaltloser Ehrlichkeit wahrzunehmen. Nur das überprüfte Leben ist lebenswert. Nein, nicht überprüft von der NSA, der Stasi oder dem Verfassungsschutz. (Dies für deutsche Hornochsen.) Überprüft von der Selbstbesinnung jedes Einzelnen und der liebenden Kritik und Wachsamkeit der Freunde.

Das war der Sinn des Satzes, der Mensch ist ein Gesellschaftswesen. Er braucht die Rückmeldung der anderen, sei es als Kritik, sei es als Unterstützung.

Die Rückmeldung der Gesellschaft kann zum Diktat des herrschenden Zeitgeistes werden. Dann wäre der Einzelne ein außengeleiteter Untertan einer kapitalistischen Werbeideologie. Die Moderne ist dieser Gefahr in hohem Maße erlegen. Dennoch wäre es verkehrt, sich in die Wüste zurückzuziehen, als ob man die Meinung der Menschen nicht bräuchte.

Das Individuum muss lernen, seine Meinung auch gegen die Meinung der Vielen zu stellen – ohne die Vielen zu verachten. Das Ich und die Anderen müssen streiten lernen, um die Wahrheit jenseits von Außenleitung und Innen-Dogmatismus zu erkämpfen. Ich habe nicht immer recht, die Gesellschaft aber auch nicht.

Wer im Streit mit der Gesellschaft nicht sofort nachgibt, muss noch lange kein verstockter Fanatiker sein. Gerade Deutsche sollten das wissen, die auf einen gewissen Luther so stolz sind, der allein gegen Kaiser und Eliten stand.

Rechthaber ist hierzulande zum Schimpfwort geworden, als ob es nicht schon längst die Riege der unfehlbaren Unrechthaber gäbe. Schaut, wie herrlich unrecht wir haben, singen sie im höheren Chor. Doch wie wäre es, wenn ihre Umweltpolitik tatsächlich der blanke Unfug wäre?

Alle Wörtchen mit der Vorsilbe selbst sind in das Wörterbuch des Unmenschen aufgenommen. Ohne zu realisieren, dass „selbst“ nichts anderes ist als autonom. Selbst-gerecht ist selbst hergestellte Gerechtigkeit und keine göttliche Gnadengabe. Selbst-zufrieden ist die Frucht der eigenen Bemühungen und nicht das Geschenk des Himmels. Sapere aude: Aufklärung findet statt, wenn der Mensch den Mut aufbringt, ein Selbst zu sein, alles von sich zu erwarten und nichts von übermenschlichen Mächten.

Wo ist denn die Philosophie ins Gedränge geraten? In einem Artikel von Christian Geyer in der FAZ:

„Wenn die Politik philosophisch wird, ist Argwohn am Platze. Die naheliegende Befürchtung lautet: Hier soll sich rausgeredet werden. Hier soll, genauer gesagt, Tun durch Reden ersetzt oder dieses Tun auch nur auf die lange Bank geschoben werden. Weil philosophisches Reden naturgemäß ein handlungsentlastetes Ergründen ohne Deadline ist, muss es für Politiker eine ungeheure Verlockung darstellen, philosophisch zu werden.“

Geyers Argwohn ist berechtigt, wenn Politiker plötzlich auf die Idee kommen, Kummerkastengespräche mit den lieben Untertanen zu führen. Als ob deren Probleme allein der privaten Unfähigkeit der Menschen geschuldet wären. „Will man die Aufgaben des Gemeinwesens beschweigen, indem man von guter Arbeit, guter Müllentsorgung, guter Sicherheit, guten Kindern, guter Medizin und guter Altenpflege spricht? Dieser unpolitische gute Geist könnte der Politik so passen!“

Doch hier übertreibt der Autor. So wenig eine private Moral die Politik ersetzen kann, sowenig kann die beste Politik private Moral überflüssig machen. So wenig es ein vollautomatisch funktionierendes System gibt (es gibt überhaupt kein System), so wenig gibt es eine Privatmoral, die die Politik ersetzen könnte. Das beste System lebt von der klugen Moral der Individuen. Die weiseste Moral der Privaten lebt von weisen Gesetzen und durchdachten Entscheidungen der Politiker.

Geyer verwechselt privatistische Seelsorge mit politischer Philosophie. Philosophieren heißt, die eigenen Gedanken klären und mit Argumenten den notwendigen Streit führen, um eine humane Weltgesellschaft zu erarbeiten. Nur philosophierend kann man sich der Weisheit nähern, die man an der Übereinstimmung von Denken und Reden, Reden und Handeln erkennen kann.

Die Grünen rühmen sich, ihre politischen Entscheidungen privat zu unterlaufen: schaut, wir tun, was wir für falsch und unterlassen, was wir für richtig halten. Das ist identisch mit Paulus: Was ich nicht will, das tue ich und was ich will, das tue ich nicht. Das ist der GAU jeder Politik und jeder Privatmoral.

Was die Grünen in naiver Ehrlichkeit ausplaudern, ist der Konsens der ganzen politischen und intellektuellen Klasse in Deutschland. Womit sie sich noch immer im unheilvollen Erbe der Deutschen Bewegung befinden, die unter Moral die flache, kosmopolitische Vernunftmoral des Westens verstand, der sie das Irrationale, Heroische und Metaphysische der deutschen Sondermoral entgegensetzten:

„Kann man Philosoph sein ohne deutsch zu sein?“ fragt Thomas Mann in seinen demokratiefeindlichen „Betrachtungen eines Unpolitischen“. Unter Philosophie verstanden die Sonderwegdeutschen das Gegenteil zur aufgeklärten Philosophie des Westens.

Politik ohne philosophische Grundlagen gibt es nicht und kann es nie geben. Jede Politik ist die Realisierung philosophischer Gedanken, die die Gegenwart längst vergaß und unter dem Gerümpel der Bildung vergrub.

Es ist eines der größten Defizite der politischen und medialen Alphatiere, dass sie ihr Tun und Schreiben philosophisch nicht begründen und erklären können. Sie leben von der Hand in den Mund und hangeln sich von Tag zu Tag. Ihr Augenblicksdenken entstammt der christlichen Philosophie des Dänen Kierkegaard und ist eine Absage an die zeitlose Wahrheit der Griechen.

Thomas Mann lehnte demokratische Politik im Namen seiner völkischen Philosophie ab. Ein demokratischer Politiker war für ihn ein „Manifestant und Tumultant, ein Menschenrechtler und Freiheitsgestikulant.“ Glaubt man das heute noch, dass man einst in Deutschland einen Politiker beschimpfen konnte, indem man ihn Menschenrechtler nannte?

Wer hat die Menschenrechte erdacht, erfunden und der Menschheit mitgegeben? Es waren hellenische Denker, für die es keinen Zwiespalt zwischen Moral und Politik gab. Politik in der Gesellschaft war die Verallgemeinerung privater Moral, die so überzeugend war, dass die Gemeinschaft sie als gesetzliche Grundlage ihrer Politik übernahm.

Wie es der ironische Zufall will, steht die richtige Antwort auf die Absage an die Philosophie ebenfalls in der FAZ: „Die IS muss man philosophisch besiegen“, sagte eine kluge – Königin. Nicht aus Tausend und einer Nacht. Sondern aus Jordanien. Sowas gibt es noch?

„Jordaniens Königin Rania hat die arabische Welt in einer vielbeachteten Rede zu einer vollständigen Demokratisierung und einer Bildungsoffensive aufgerufen. Ohne Entwicklung würde die arabische Welt von Extremisten zerstört“, schreibt Katajun Amirpur in der FAZ.

„Mit dem, was Rania vorschlug, forderte ausgerechnet die Monarchin nichts weniger als eine vollständige Demokratisierung der arabischen Gesellschaften. Nur indem man den Jugendlichen Gleichheit, Gerechtigkeit, Partizipation böte, gebe man ihnen eine echte Alternative. Die arabischen Gesellschaften stünden vor der Wahl: Entweder sie entwickelten sich oder sie ließen es zu, dass andere sie zerstörten.“

Oh Königin von Jordanien, du Perle des Orients. Du bist nicht nur schön und klug, du bist auch weise. Denn du forderst die Gleichberechtigung und die Denkfreiheit aller Menschen. Das wäre die einzige und wahre Antwort auf die Gräuel und Verwüstungen religiöser Fanatiker.

Für sich allein kann niemand weise sein. Man muss den Mut haben, seine Weisheiten der Welt mitzuteilen und die Unbefangenheit, dem Weisen seine Weisheit zu entlocken und zu überprüfen.

Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
Dessen Namen auf dem Buche prangt!
Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt. (Bertolt Brecht)

Deutschland braucht nicht nur Zöllner, die nach Erkenntnis hungern, sondern selbstkritische Rechthaber, die überzeugen können und sich überzeugen lassen. Wohl können sie irren, dennoch sind sie lern- und wahrheitsfähig. Von ihrer demokratischen Humanität dürfen sie felsenfest überzeugt sein.