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Appell

Hello, Freunde des Appells,

warum sind Kirchen so erfolgreich in der kalten bösen Welt? Weil sie über die Macht des Appells verfügen. Nicht über die Macht des Worts. Der Appell ist die kastrierte Form des allmächtigen Wortes – an die sich die Christen gewöhnt haben und von der sie drogenhaft abhängig geworden sind.

Appelle sind garantiert folgenlos und diese Folgenlosigkeit-im-charismatischen-Outfit ist Opium für Knechte und Mägde Jesu. Es soll alles so herrlich unvollkommen bleiben in der Welt, aber hübsch eingewickelt in Verklärung und Gloriole, sodass man nach Belieben anbeten oder fluchen kann.

Über die Macht des Wortes verfügen nur Gott und der – deutsche Bundespräsident, doch nur, wenn er einen sonor schnurrenden Bariton nachweisen kann. Hätten Priester und Propheten die Macht des Wortes, würden sie aus Steinen Kinder erwecken und das Flüchtlingselend im Mittelmeer mit einem Donnerwort beenden.

Am Anfang, da war das Wort noch was wert. ER sprach: es werde Licht und es ward Licht. Franziskus müsste sprechen: keine Arme und Verhungernde seien mehr auf der Welt und siehe, es waren keine Arme und Verhungernde auf der Welt. Wäre das gut, wäre das erstrebenswert?  

Das wäre schrecklich. Dann wäre der Papst vor aller Welt gottgleich und die lustige Unheilsgeschichte wäre beendet: das Reich des Heils wäre gekommen. Also die vollendete Langweile. Da hätte Professor Clark, der sich aus einem Schlafwandler in den Benutzer eines roten VW mit offenem Verdeck verwandelt hat, keinen Spaß mehr an der deutschen Geschichte, wenn das Reich des perfekten Heils justament in Deutschland begönne:

„Deutschland ist das Land von Bach, Wenders und Adolf Hitler. Wie das alles

zusammenpasst, fasziniert mich bis heute. Es ist vor allem die Vielfalt Deutschlands, die mich beeindruckt.“ (Christopher Clark in der BLZ)

Da haben wir noch mal Glück gehabt, dass wir einen Mordskerl namens Hitler im Portefeuille haben, der die bestialische Vielfalt der Deutschen so eindrucksvoll unterstreicht. Hätten wir diesen faszinierenden Hundesohn der Vorsehung nicht, wie oft müsste der vielwissende Event-Professor unter den Neugermanen das Gähnen unterdrücken.

(Das deutsche Fernsehen ist eine wundersame Einrichtung. Entweder werden Journalisten und Spaßmacher im Alter automatisch zu Professoren – oder Professoren werden zu launigen Entertainern. Auch ein Beitrag zum beliebten Drehtür-Karrierismus der Ausrangierten und zum Thema: wie kann der arbeitsgeteilte Berufsidiot wieder zum huomo universale werden – vor allem, was die kreativen Boni betrifft.

Das deutsche TV kann nur gesunden, wenn die impertinente Jauche-Gottschalkerei ins akademische Lager expatriiert und umgekehrt alle professoralen Pensionsverzehrer zu telegenen Hanswursten ernannt werden. Oder heißt es – Hanswürste?

Die deutschen Kanäle verwalten das klassische Erbe des Belehrens durch Unterhalten und des Unterhaltens durch Belehren. Nur, dass das Belehren unterwegs verschütt gegangen ist, somit auch das Unterhalten, was im Getümmel des Lustigseins schon mal passieren kann.

Wie sagte der degradierte Ex-Präsident Wulff? Nie mehr sollen Deutsche andere mit erhobenem schulmeisterlichem Zeigefinger begegnen. Huch, war das ohne Zeigefinger gesagt?)

In den Jahrhunderten zwischen Altem Testament und Neuem Testament hat die Macht des Wortes gelitten. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, die Wiederholung des Ursprungs aber wird zur Farce, wie der gottlose, aber heilsfromme Marx erkannte.

Am Anfang des Alten Testaments: Gott sprach, es werde Licht und es wurde Licht.

Im Neuen Testament ist das Wort gebrochen: Im Anfang war das Wort, in ihm war Licht, doch das Licht scheint in die Finsternis und die Finsternis (das Menschengeschlecht) hat nichts begriffen. Begriffen hat sie bis heute nichts, weshalb sie glauben oder verdammt werden muss. Die anfängliche Allmacht wurde zum folgenlosen Appell.

Das ist die Situation der heutigen Kirche, die gerne allmächtig wäre, sich aber mit folgenlosen Appellen begnügen muss. Ein folgenloser Appell ist wie eine unvollendete Aufgabe, die sich nach Vollendung sehnt. In diesem Sehnen befinden sich die Gläubigen, die sich daran gewöhnt haben, dass die Kirche in allen Dingen nur appelliert, selber aber nicht tut, was sie predigt.

Ein Nachteil? Gewiss, aber ein heilsnotwendiger Nachteil – der sich nach Vollendung sehnt. Bei jedem bigotten Appell der Kirche fügt der Gläubige automatisch die Vollendung hinzu. Die wirkliche Vollendung braucht er nicht, so sehr hat er sich an die folgenlose Verheißung gewöhnt. Es ist eine Art spiritueller Masochismus. Wenn beim nächsten päpstlichen Appell sich nicht das wohlige Gefühl der Folgenlosigkeit und der Erfüllung am St. Nimmerleinstag einstellt, sind die Gläubigen verdrießlich. An den Zweitakter: Verheißung und illusionäre Erfüllung haben sie sich so gewöhnt, dass sie enttäuscht wären, wenn sie nicht enttäuscht wären.

Populisten und Gassenpropheten, die den Leuten das Blaue vom Himmel versprechen, gelten als Schwindler und Scharlatane, wenn sie den Eindruck erwecken, sie könnten tatsächlich erfüllen, was sie leichtsinnigerweise versprachen. Daran erkennt man Schwindler und Totalitäre, wenn sie selbstgerecht versuchen, zu tun, was sie versprochen haben. Achtung vor solchen Selbst-Gerechten, die man im Gelehrtenslang auto-gerecht nennen könnte. Gerecht durch eigene Tat.

Eigene Taten sind im Bereich der Erlösung strengstens untersagt, die nur das Hetero-Gerechte zulässt, das Gerechte durch fremde Erlösung. Eigentlich sollten wir, wenn wir autonom sein wollen, alle selbst-gerecht werden. Doch da seien alle Edelschreiber und Intellektuelle vor, die nur Fremd-Gerechtigkeit als Voraussetzung des Heils akzeptieren.

Der Heilige Appell und die unheilige Selbstgerechtigkeit sind wie Kain und Abel, Esau und Jakob. Sie sind eineiige Zwillinge, die sich gegenseitig abstoßen.

Der Papst hat im Europaparlament seine üblichen Appelle abgesondert und alle taten begeistert. Hier sind Rechte wie Linke, Konservative wie Gesellschaftsveränderer. Wenn‘s ans Eingemachte geht, sind Orban und Merkel, Le Pen und Lucke, Cameron und Tusk auf einer Linie: das Christliche in seiner europäischen Ordo ist das Alleinstellungsmerkmal des alten Kontinents.

Nehmet eine Prise Aufklärung, würzet den Glauben mit einem Schuss Vernunft – und fertig ist das europäische Charakterprofil von Lissabon bis, ja bis wohin? Bis Kiew? Oder doch nur an die östliche Grenze Polens?

Man höre und staune, in der FAZ liest man kesse Kritiken an der folgenlosen Appellationspolitik des Papstes. Das wäre in den Tagen Schirrmachers – des prophetischen Hüters des Abendlands – nicht möglich gewesen:

„Papst Franziskus rügt Europa für seine Flüchtlingspolitik. Dabei nimmt der Vatikan selbst keine Einwanderer auf. Es war nicht das erste Mal, dass der Papst Europa wegen seiner Flüchtlingspolitik ins Gewissen redete. Doch gibt es nur einen Staat in Europa, der bisher keinen einzigen Flüchtling aufgenommen hat: den Vatikan selbst. Er hat weder ein Asylrecht noch eine Anlaufstelle für Asylsuchende. Geschweige denn ein Flüchtlingsheim.“ (Jörg Bremer in FAZ.NET)

Was Jörg Bremer übersieht: das Tadelnswerte ist der Heilsvorzug der Kirche. Die Kirche ist die alte sündige Mutter, die – in all ihrer Blöße – von jedem Kind verteidigt werden muss. Vor allem von den Söhnen unter den Kindern.

Es handelt sich um das Mütterchenschema, einem Pendant zum bekannten Kindchenschema. Mater dolorosa muss von ihren Sprösslingen mit Hauen und Stechen verteidigt werden. Wäre Mütterchen ein selbstbewusstes verführerisches Weibsstück, käme kein Sprössling auf die Idee, ihr zur Hilfe zu eilen. Je mehr sie aus allen Bigotteriewunden blutet, je mehr muss sie in Schutz genommen werden. Wird doch der Lohn für ritterliche Mütterchenhilfe beim himmlischen Vater unermesslich sein.

„Kirche, bleiche Mutter!
Wie haben deine Söhne dich zugerichtet.
Daß du unter den Völkern sitzest
Ein Gespött oder eine Furcht!

Wie die Deutschen sich zum armen Mütterchen Kirche, so verhalten sich die deutschen Journalisten zu Mater dolorosa Merkel. In ihren Augen ist die mächtigste Frau der Welt ein Aschenputtel, eine graue Maus ohne starke Gefühle; sie betreibe blutleere Politik und verfüge über keinerlei Visionen. Wen aber wählen die gleichen Hauptstadt-Journalisten? Mutter Merkel, die, die dem bescheidenen Papst die bescheidenere protestantische Maria gegenüberstellt.

Augstein, früher vehementer Kritiker der Kanzlerin, ist längst dem Lager der Demütigen rund um die bleiche Mutter beigetreten. Gott ist in den Schwachen und Unterwürfigen mächtig. Wie kann eine Schmerzensmutter ein männermordender Vampyr sein? Antwort: genau so, wie eine leidende Kirche eine triumphierende, ein Gekreuzigter Tod und Teufel besiegen und zum Herrn des Universums werden kann. (Julia Encke in FAZ.NET)

Thomas Gutschker hält die Kritik des Franziskus für ungerecht. Schließlich sei Europa der Sprössling der Kirche, der nur vollbrächte, was er bei Muttern gelernt hätte. So schlimm wie in Argentinien, der Heimat des Papstes, sei es bei uns noch lange nicht. Gewiss, die kirchlichen Lektionen, die Europa gelernt hätte, seien inzwischen säkularisiert. Aber:

„Es stimmt, dass sich diese Ordnung im Lauf der Zeit vom Glauben abgelöst hat; der Papst mag das beklagen. Nur war ja gerade das die christliche Verheißung: dass es zwei Reiche gebe, ein irdisches und ein himmlisches und jedes seinen eigenen Regeln folge. Darauf gründen Europas Modernität und Vitalität, seine Erfolge und seine Zumutungen.“  (Thomas Gutschker in FAZ.NET)

Gutschker hat eine Kleinigkeit übersehen. Das irdische und das himmlische Reich folgen nicht nur ihren eigenen Regeln, die Regeln befinden sind in diametralem Widerspruch zueinander. Das irdische Reich ist das des Widersachers und muss in Staub und Asche verfallen, damit das himmlische in aller Herrlichkeit am Horizont erscheinen kann.

Nehmen wir einmal an, das himmlische Reich wäre die kongruente Fortsetzung des irdischen und wäre so menschenfreundlich wie die Gesellschaftslehre der Stoa – es gäbe überhaupt keine Probleme zwischen Vernunft und Glauben. Es wäre wie bei Sokrates, der – wenn es denn Götter gäbe, was niemand wissen könne – diese in der Unterwelt genau so unter die Lupe nähme wie die Menschen auf der Agora. Jenseits und Diesseits wären konform. Das Jenseits unterstützte die Vernunftpolitik des Diesseits.

Oh herrlich, alle Probleme zwischen Aufklärung und Religion wären verflogen. Wer einen solche Religion als Selbstbestätigung seiner Humanität bräuchte – nur zu, meine gläubigen Geschwister.

Aber so ist es nicht im christlichen Dogma. Das Jenseits ist der Feind des Diesseits, die himmlische Polis ist der Moloch der irdischen. Wenn jemand die Welt liebhat, ist die Liebe zum Vater nicht in ihm.

Oh, es stimmt, die Lehre von den beiden Reichen ist ein Urschoß Europas. Doch es gibt noch einen, und das ist die Lehre von der humanen Polis, die sich durch keine Göttergeschichten überzeugen lässt, die irdische Welt zu hassen, um in einer jenseitigen Fata Morgana selig zu werden.

Vor dem Krieg wusste jeder von dem Kampf auf Leben und Tod der beiden Poleis. Nach dem Krieg haben die Deutschen alles Wissen über die Griechen der amerikanischen Botschaft vom alleinigen Heil der Stadt auf dem Berge geopfert.

Von den Griechen wissen die Nachkriegsdeutschen nichts mehr – außer den ewig gleichen dummen Sprüchen über den Sklavenhalter Aristoteles, von dem niemand mehr weiß, dass er eine reaktionäre Ausnahme war, der die Regel der Menschenrechtsbewegung bei allen sokratischen Schulen nur bestätigt. (So gestern im philosophisch-medialen Gipfeltreffen zwischen Precht und Augstein, wo Precht seinen Griechenhass nicht unter Kontrolle hatte. Augstein ist ohnehin ein antiphilosophischer, papstverehrender Irrwisch.)

Fast alle kritischen Gelehrten der Vorkriegszeit wussten noch, dass die Frohe Botschaft keine revolutionäre Agenda war, um die desolaten Verhältnisse auf Erden zu kurieren. In diesem Sinn ist fast die gesamte geisteswissenschaftliche Literatur der Nachkriegszeit ein Reha-Murks, die ungenießbare Frucht einer missglückten Reeducation.

Die Deutschen importierten die amerikanische Demokratie. Das war bestens. Doch mit der süßen Frucht der autonomen Polis schlürften sie auch den beigefügten biblizistischen Bittertrank der kapitalistischen ecclesia triumphans, der die amerikanische Demokratie als unverdiente Gnadengabe des Himmels betrachtet. Das ist Irrsinn. Noch immer glauben die Über-Ich-gesteuerten Kriegsverlierer, dass die freie Gesellschaft auf der Predigt des Nazareners wächst.

Wie Amerikaner von den Griechen nichts wissen wollen, um zu vertuschen, was sie von ihnen profitierten, so haben die einst graecomanen Germanen das Hellenische in alle Winde verstreut, um sich nicht jenes Volkes zu erinnern, dem es alles Politische und Denkerische zu verdanken hat.

Ernst Troeltsch, Freund und Kollege Max Webers, wusste noch, dass die Predigt des Evangeliums keine irdische Polis will, sondern über die Grenzen des Irdischen hinweg ins Himmelreich blinzelt. Es sei völlig sicher, dass die gesamte altchristliche Literatur innerhalb und außerhalb des Neuen Testaments „von einer prinzipiellen sozialen Fragestellung nichts weiß, dass im Mittelpunkt überall rein die Fragen des Seelenheils, des Monotheismus, des Lebens nach dem Tod, des reinen Kultus, der richtigen Gemeindeorganisation, der praktischen Bewährung, der strengen Heiligkeitsgrundsätze stehen, dass von Anfang an keine Klassenunterschiede gemacht, sondern diese in der großen Frage nach dem ewigen Heil und den inneren Gütern ausgelöscht worden sind. Die Predigt Jesu ist keine Schöpfung einer sozialen Bewegung, sie ist nicht aus irgendeinem Klassenkampf hervorgegangen und knüpft nirgends direkt an die sozialen Umwälzungen der antiken Gesellschaft an.“ (Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Bd. I)

Das heißt nicht, dass der psychische Urgrund der Heilslehre nicht von den sozialen Verwerfungen jener Zeit mit verursacht worden wäre. Die manifeste Botschaft aber des Gekreuzigten und Auferstandenen war keine Vorwegnahme der Französischen Revolution. Das irdische Elend war nur die Voraussetzung, um das überirdische Heil, das in voller Gewalt über die Menschheit kommen würde, in Aussicht zu stellen.

Die Sympathie der Linken zum lieben Jesulein wurzelt im Wunschdenken Kautskys und anderer Genossen, die an die bestehende Religion andocken wollten, um dem „christlich-heuchelnden“ bürgerlichen Lager die Leviten zu lesen. Ihr seid gar nicht so christlich, wie ihr tut, so klingt bis heute der ewige Refrain der Linken, die sich frömmer fühlen als die Frömmsten der Frommen. Doch sie täuschen sich, indem sie das Neue Testament mit marxistischen Deutungen überwältigen und verfälschen. Die Kirchen tun das, was im Neuen Testament steht: sie bekämpfen die Welt, um ihrem Messias die Wiederkunft zu bereiten.

Das ganze Neue Testament ist eine Auseinandersetzung mit der griechischen Polis, der es die Polis im Himmel gegenüberstellt: Wir haben hier keine bleibende Stadt, die zukünftige suchen wir.

Lebt die irdische Polis von der vernünftigen Politik eines mündigen Volkes, so lebt die überirdische Polis von der Negation aller irdischen Politik. Hie konkrete Sozialpolitik, um gerechte Verhältnisse in der Gesellschaft herzustellen; dort symbolische Werke und Almosengeberei, um sich Punkte fürs Jenseits zu verdienen.

In seinem überaus verdienstvollen Buch „Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum“ hat der holländische Althistoriker Hendrik Bolkestein den Sachverhalt auf den Punkt gebracht:

„Weiter als bis zu einem Appell an das Gewissen der Vermögenden und Machthaber haben es die Gläubigen nicht gebracht. Gerechtigkeit war für sie: Barmherzigkeit mit Armen. Den Versuch, die Unterdrückten zum Widerstand aufzurufen und so ihrer Passivität ein Ende zu machen, haben sie nicht unternommen. Ein solches politisches Auftreten, also soziale Politik, finden wir erst bei den Griechen unter Solon. Gerade wegen ihrer Rechtlosigkeit konnten die Armen in Israel genauso wie ihre Schicksalsgenossen in Ägypten nur auf die Barmherzigkeit der Reichen hoffen und sich mit dem Gedanken trösten, dass sie die besonderen Schützlinge der Gottheit seien.“

Waren die Christen auf passives Hoffen und Harren angewiesen, regierte bei den Griechen der stolze Glaube an die Fähigkeit, sich selbst zu helfen. „Das Volk ist in der Lage, sich selbst wohlzutun. Es erwartet weder von einem königlichen Wohltäter noch von der Gottheit Hilfe.“

Aus all diesen Gründen ist es gleichgültig, ob die Scheltrede des Franziskus inhaltlich berechtigt war oder nicht. Alles, was er predigt und verheißt, ist nicht auf die Welt gerichtet, sondern auf die Überwelt, die die Welt hasst und sie apokalyptisch vernichten wird.

Kein Jenseitspriester traut dem korrupten Sündenkrüppel zu, seiner Misere aus eigener Kraft zu entkommen. Würde er das glauben, müsste er sich für überflüssig erklären: die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, aber die Kranken. Lasset uns also die gesunde Menschheit zu einer kranken machen. Wie? Mit Furcht und Schrecken, der Verheißung ewiger Seligkeit und der Androhung nie endender Höllenstrafen.

Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Gehet hin und lernet, was es heißt: Gnadengaben will ich, windige Almosen und folgenlose Appelle. Aber keine irdische Gerechtigkeit. Ich will keine Politik selbstbewusster Menschen. Ich bin nicht gekommen, mündige Menschen zu berufen, sondern Unmündige, die sich nichts zutrauen. Selig sind, die die Welt zerstören.

Als der Papst seine zweideutige Predigt geendet hatte, erhoben sich alle europäischen Abgeordneten von ihren Sitzen – und applaudierten. Und Gott hatte Wohlgefallen an Europa.