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nichtsdesto-TROTZ XCVI

Tagesmail vom 15.11.2021

nichtsdesto-TROTZ XCVI,

gelingt es uns nicht, den Klimakollaps zu vermeiden, wird unvermeidlich eine Ökodiktatur über uns kommen.

Schon jetzt schwindet die Hoffnung in die Demokratie bei vielen Jugendlichen, die sich immer mehr aufspalten in die kleinere Gruppe der FFF-Aktivisten – und die Mehrheit der Pessimisten, die alles von einem starken Regime erwarten.

„Die Mehrheit der jungen Europäer glaubt, dass autoritäre Staaten die Klimakrise besser in den Griff bekommen. Ich bin schockiert. Heute sehen wir einen tiefen Zweifel der jungen Generation an der Demokratie. Sie bezweifelt, dass die Demokratie, wie sie es formulieren würde, die Welt retten kann.“ (SPIEGEL.de)

Sehenden Auges errichten wir ein totalitäres Gebilde, wenn wir unsere Demokratie nicht naturkompatibel gestalten. Ein verheerendes Zeichen, wenn wir die Mehrheit der Jugendlichen ihrer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überlassen, die sie in die Hände demokratiefeindlicher Umtriebe treiben könnte.

T. G. Ash, ein kluger Brite, sieht die Deutschen in einer besonderen Lage:

„Subjektiv, psychologisch, ist Deutschland eine Insel der Seligen in der Mitte Europas. Überall sonst hat man existenzielle Krisen erlebt: in Südeuropa die Eurokrise, in Osteuropa die Ukraine-Krise, in Polen und Ungarn den Populismus, in Großbritannien den Brexit, nur in Deutschland hört man heraus: Krise, welche Krise?“

Insel der Seligen, die freundliche Umschreibung einer isolierten Nation von Traumtänzern, die wirtschaftlich mit der ganzen Welt verflochten, geistig jedoch mit anderen Ländern nichts zu tun haben will.

Wir sind etwas Besonderes. Vor Jahrzehnten waren wir ein Volk besonderer Menschheitsverbrecher, heute ein Volk eines besonderen nationalen Glücks:

Völker, schaut auf diese Nation: welch ein Wandel durch Gottes Güte. Früher ein Volk der Verfluchten, sind wir heute ein Volk der Glückseligen. Wir sind ein Volk der Wiedergeburt. Kann das die Frucht geistloser Massen sein? Da müssen besondere Eliten am Werk gewesen sein – die T. G. Ash seltsamerweise gar nicht so bewundernswert sieht:

„Wir haben mit der Zeit eine politische Klasse bekommen, die sehr abgehoben vom Volk ist. Das spielt den Populisten in die Hände. Politik muss wieder volksnäher werden. Außerdem haben wir in vielen Demokratien eine viel zu enge Verflechtung von Politik und Geld, von politischer und wirtschaftlicher Macht. Das ist sehr gefährlich, das ist fast so etwas wie eine Plutokratie. Ich wünsche mir europäische Algorithmen, die nicht nur für Facebook Gewinne optimieren, sondern für die Demokratie arbeiten.“

Diese Eliten, die sich nationalen Reichtum und politische Macht unter den Nagel gerissen haben, sind nicht mal fähig, ein europäisches Algorithmensystem zu schaffen, um sich von amerikanischen Weltmonopolen unabhängig zu machen.

Während China und USA die Geschicke der Welt immer mehr an sich reißen, dümpelt Europa navigationslos im Abseits. In der Nachkriegszeit zum Modell friedlicher Kooperation der Nationen geworden, wurde Europa unfähig, seine demokratische Vorbildrolle zu verteidigen.

Fast gelähmt verrät die EU alle Menschheitsrechte, lässt fremde Flüchtlinge vor aller Augen verhungern, um ihre Wirtschaftsdaten nicht zu gefährden. Der Grund der deutschen Schwäche ist einfach. Ihre Demokratie haben sie nicht in langer Anstrengung erarbeiten müssen. Im Gegenteil, seit ihrem Abschied von der Aufklärung bewegten sie sich von allem Demokratischen weg in Richtung einer führergeleiteten Heldenkolonne:

„Von der Verkündigung der allgemeinen Menschenrechte“ konnte der Deutsche gar keinen Gebrauch machen: es war diese „Freiheit für ihn ein Werkzeug, das zu seinen innersten Organen keine Beziehung besaß.“ (Ernst Jünger, Der Arbeiter)

Ihre heutige Demokratie ist ein Geschenk der Alliierten, das sie theoretisch buchstabieren lernten, aber emotional nie verinnerlicht haben. Für besondere Eliten gilt Ernst Jünger noch immer als Lichtgestalt einer „deutschen“, von aller Vernunft unbehelligten Freiheit.

Es klingt merkwürdig, aber es darf nicht unterdrückt werden: erst heute, in der Krise der Menschheit, beginnen die Deutschen, Demokratie zu verstehen – ex negativo. An den falschen Stellen rebellieren sie gegen alles, was sie bislang als Wille des Staates untertänig befolgt haben.

Weil sie das lebensrettende Impfen als Freiheitsberaubung erleben, wehren sie sich störrisch gegen Maßnahmen, die ihnen viel Leid ersparen könnten.

Den Staat, dem sie jahrhundertelang gehorsam waren, empfinden sie zunehmend als hinterlistigen Pädagogen, der seine Schäfchen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ins Verderben lockt:

„Die Spritze, die einen vor der Krankheit schützt, injiziert dem Körper das Gift der Zivilisation. Sie beschleunigt künstlich, was sonst dauern würde. Sie verhindert, dass der Körper selbstständig wächst und seine natürlichen Kräfte mobilisiert.“ (SPIEGEL.de)

Anstatt nach Gründen dieser irrationalen Impfverweigerung zu fragen, weil Verstehen die beste Methode wäre, Gefährliches zu bekämpfen, entsteht hierzulande sofort ein erhitztes Klima der Gehässigkeiten.

Die Deutschen, lange beschäftigt mit ihrer politischen Bedeutungslosigkeit und den Folgen schrecklicher Religionskriege, waren anfänglich unfähig, die Methoden der neuen Naturwissenschaften aufzunehmen und zu verstehen.

Während im Westen die Aufklärer die öffentliche Stimmung prägten, verharrte Deutschland unter der Tyrannei des lutherischen Wunder- und Dämonenglaubens. Vernunft hatte im Reich des Reformators nichts zu suchen.

In der Entwicklung von Wissenschaft und Technik zogen die westlichen Staaten davon und Deutschland wurde zum zurückgebliebenen Religionsstaat. In England entstand der Kapitalismus mit der Entwicklung von Maschinen. Das naturwissenschaftliche Denken Newtons konkretisierte sich zur Entwicklung einer ganz neuen Technik, mit der man die Natur immer effektiver ausbeuten konnte.

Während die wissenschaftlichen Methoden des Beobachtens, Experimentierens und Berechnens zur Leidenschaft der englischen Intellektuellen wurden, saß der Grübler Hegel in seiner einsamen Denkerstube und entwickelte eine komplette Naturphilosophie allein aus der Intuition seines schwäbischen Gehirns. Wie Natur entstand, woher sie kam und wohin sie sich entwickeln wird: alles erdachte der deutsche Denker mit Hilfe seiner unglaublichen Phantasie.

„Newton hat schlechte Beobachtungen gemacht“ – „ein Barbar an Begriffen, stellte das höchste Gegenteil zu Böhme auf, behandelte die Begriffe, wie man Stein und Holz zu fassen pflegt.“ (Hegel)

Goethes intuitive Farbenlehre war ein Generalangriff gegen Newtons Zerlegung des Lichts im Labor.

Den philosophierenden Schuhmacher Jakob Böhme, das Urbild deutschen Denkens im Widerstand gegen westlichen Vernunft, verehrte Hegel, weil jener Theologie und Philosophie in Einheit sah, ein „theosophus teutonicus“, der in allen Dingen von der Dreieinigkeit ausging: durch ihn sei „deutsche Philosophie mit einem eigentümlichen Charakter hervorgetreten“. „Newton stellt das höchste Gegenteil zu Böhme auf“.

Die neue Wissenschaft von Galilei und Newton ließ keinen Platz mehr für einen Gott, höchstens in Form eines Creators, der sich nach Erfindung der Natur aus dem Staub macht. Die Bibel als wörtliche Offenbarung des Gottes wurde bei Galilei abgelöst durch die Natur als eigentliche Offenbarung, in der mathematische Strenge und Eindeutigkeit der Naturgesetze keine Eingriffe Gottes mehr duldeten.

Für die frommen Deutschen in ihren Weilern und abgelegten Städtchen ein Horror der Gottlosigkeit. Gewiss, auch für Böhme war der Geist der Natur von Gott geprägt, aber nicht zum Preise seiner Abwesenheit. Natur war mehr als eine Summa berechenbarer Gesetze. In ihr konnte man noch immer das Wabern einer übernatürlichen Offenbarung spüren.

Wenn die Grünen ihr Generalmotto „Bewahrung der Schöpfung“ nennen, spürt man noch immer den Geist Böhmes, des deutschesten aller deutschen Tiefendenker. Die Naturphilosophien der Griechen von Pythagoras bis zu den Stoikern sind für deutsche Naturschützer ohne Interesse. Streng genommen machen die Grünen den Glauben an eine creatio ex nihilo zur Voraussetzung ihrer politischen Schöpfungsbewahrung.

Impfgegner haben dieses urdeutsche antiwestliche Naturdenken intuitiv bewahrt – das nach dem Tode Hegels schnell ins Abseits geriet, da spätestens ab Bismarck die Nation zum Überholspurt ansetzte, um die Weltspitze der Naturwissenschaften zu erobern .

Am einfachen Volk ging der Aufschwung der deutschen Wissenschaft geistig spurlos vorüber. Auch die „altsprachlichen Gymnasien“ blieben lange dem Geist literarischer und theoretischer Bildung verhaftet, bis die ersten Realgymnasien und naturwissenschaftlichen Gymnasien eröffnet wurden. Am Volk, das zur gedankenlosen Arbeitermasse degradiert wurde, gingen diese Entwicklungen vorbei.

Solange es Deutschen wirtschaftlich gut geht, halten sie wissenschaftliche Aufklärung für Mumpitz. Ähnlich wie in Amerika, wo die Frommen an die Macht drängen, wenn die Weltnation zu wanken beginnt, kommen aus deutschen Untiefen jene Böhme‘schen Widerstandsgedanken gegen die moderne Wissenschaft wieder nach oben.

Mangels historischer Bildung, die sie über ihr Misstrauen aufklären könnte, beginnen die Wissenschaftsgegner gegen den Staat zu wüten, dem sie viel zu lang gefolgt waren. Nun wollen sie es dem Staat beweisen: nicht mit uns, ihr Berliner Sadisten, eure sogenannten wissenschaftlichen Erkenntnisse könnt ihr euch an den Hut stecken.

Der Widerstand gegen die kühle, mathematische Naturwissenschaft wird zum Widerstand gegen einen neu entdeckten hinterhältigen Staat. Die nie stattgefundene Revolte des Volkes gegen ihre Machthaber wird bewusstseinslos nachgeholt.

Sie begann als hasserfüllter Shitstorm gegen alles, was nicht niet- und nagelfest war und wird nun fortgesetzt mit altdeutschen Ressentiments gegen die Wissenschaft des Berechnens.

Die Axiome dieser Wissenschaftsfeindschaft in Kurzform:

Alles ist gut, was von der Natur, alles schlecht, was vom Menschen stammt. Da ist viel Rousseau im Spiel, der damals in Deutschland mächtig eingeschlagen war: Natur gut, Kultur schlecht. Zur Kultur zählen alle Wissenschaften.

Die Impfspritze ist ein Erzeugnis der Kultur, also schlecht. Wir müssen retour à la nature, retour à l`origine. Den Zusammenhang mit der intakten Natur haben wir verloren: das ist der wahre „Sündenfall“ der Moderne.

Diese Gedanken sind eine Umdrehung der biblischen Theologie. Mit dem Sündenfall fiel nicht nur der Mensch in Sünde, sondern auch die Natur, die am Ende der Zeiten der Erlösung durch den erlösten Menschen „harrt“. Diese Erlösung wird kommen als – Vernichtung, die zur Neuschöpfung der Natur führen muss. Das Alte ist vergangen, siehe, ich mache alles neu.

Die Deutschen schützen ihren urgermanischen Glauben an die Natur gegen die Degradierung in einen sündhaften Zustand durch die Theologen und gegen die Degradierung zur mechanischen Maschine durch die Naturwissenschaft.

Erlösungsgedanken werden in der Neuzeit säkularisiert zum unendlichen Fortschritt der Technik und Wissenschaft, die a) die alte gefallene Natur permanent zerstören muss, um b) sie als ganz neue aus Nichts (= aus dem Geist des erlösten Menschen) zu kreieren.

Warum blieb die Wissenschaft, trotz ihrer Erkenntnisse über die Klimagefahren, so lange taub und stumm? Weil sie unbewusst beseelt war von der theologischen Obsession, die Natur durch Vernichtung zu erlösen.

Das ist das trübe und bis heute unaufgeklärte Erbe der Wissenschaften. Beispiel: der grimmige Klimaforscher Hans von Storch, der es gar nicht leiden kann, dass Grünschnäbel wie Luisa Neubauer seiner Zunft zeigen, wie sehr sie versagt hat. Wie ist seine Erklärung für das lange Schweigen der Naturwissenschaft?

„Anfangs war Klimawandel kein öffentliches Thema.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Ach, vielen Dank für die einleuchtende Erklärung des eigenen Versagens. Da es nie Thema war, mussten die Naturwissenschaftler sich dazu auch nicht äußern. Wer aber bestimmte, dass es kein Thema war?

Jetzt aber geht’s gegen die, die ihrer demokratischen Warnpflicht ungleich besser nachkommen als hochnäsige Wissenschaftler:

„Ich kann Frau Neubauer nicht ganz ernst nehmen. Wenn es schon zu spät ist, was sollen wir dann noch tun? Die Begrenzung auf 1,5 Grad werden wir nicht erreichen. Eine auf zwei Grad ist gerade noch möglich. Abschätzungen deuten darauf hin, dass die gegenwärtige Entwicklung auf 2,4 Grad hinausläuft, und das wäre auch schon ganz gut. Die Alarmisten fordern mehr Nachhaltigkeit, merken aber nicht: Ihre Rhetorik ist alles andere als nachhaltig. Sie überspannen den Bogen. Dann hören viele nicht mehr zu.“

Die Boten werden zu Tätern der bösen Botschaft. Die Wissenschaft wäscht ihre Hände in Unschuld. Wenn die Hütte brennt, bitte keinen wichtigtuerischen Alarm. Sondern alle antreten, um in ruhigem Schritt und Tritt in die weit gebreiteten Arme des VATERS zu eilen.

Im Jahre 1959 schrieb der Literat und Forscher C. P. Snow eine Abhandlung über die „Zwei Kulturen“ – die einen weltweiten Erfolg hatte. Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, so Snow, hätten keine sinnvolle Verbindung zueinander. Sie würden sich nicht verstehen, ja, hegten gegenseitige Verachtungsgefühle: Ihre „intellektuelle, moralische und psychologische Atmosphäre“ sei dermaßen verschieden, dass „sie wie durch einen Ozean getrennt schienen“. Ja, es herrsche zwischen ihnen eine Kluft gegenseitigen Nichtverstehens, die bis zur Feindseligkeit und Antipathie reiche.

Die literarisch Gebildeten neigten dazu, die Naturwissenschaftler für dreist und überheblich zu halten. Umgekehrt waren die Naturwissenschaftler der Meinung, die Literaten seien in „politischer Hinsicht nicht nur töricht, sondern geradezu bösartig gewesen. Hätten nicht die Auswirkungen alles dessen, was sie vertraten, Auschwitz mit möglich gemacht?“

Das vollkommene Nichtverstehen beider Wissenschaften sei in Feindschaft umgeschlagen. „Die westlichen Intellektuellen hätten nie den Wunsch geäußert, die industrielle Revolution zu verstehen, geschweige sie zu akzeptieren. Die Intellektuellen, besonders die literarisch Gebildeten, seien geborene Maschinenstürmer.“

Der politische Faktor kommt bei Snow zu kurz. Beide Wissenschaften haben zur Politik keine Beziehung. Mit anderen Worten: durchweg alle Wissenschaftler haben keinerlei demokratische Kompetenz bewiesen. Hat sich das bis heute verändert? Welche Naturwissenschaftler, Historiker oder sonstige Experten beziehen regelmäßig Stellung zu den Fragen der Zeit?

Zudem waren Naturwissenschaftler lange „stolz darauf, dass unsere wissenschaftliche Arbeit niemals und unter keinen Umständen praktisch nutzbar gemacht werden konnte. Je entschiedener einer diesen Anspruch erhob, desto überlegener kam er sich vor“.

Welch absurde Selbsteinschätzung, da doch seit dem mittelalterlichen Mönch Roger Bacon der Anspruch der Wissenschaft darin bestand, die ganze Welt mitsamt allen Heiden unter die Kontrolle des christlichen Westens zu bringen.

Kein heutiger Wissenschaftler glaubt noch an die praxislose Unberührbarkeit seiner Disziplin. Kaum ein Institut, das nicht seine Verträge mit der Wirtschaft hätte. Die Wissenschaft wurde zur Magd der Wirtschaft. Wie lange kennt die Wissenschaft schon die verhängnisvolle Rolle der fossilen Brennelemente – und hat sich dennoch überreden zu lassen, ein globales Verschweigen zu initiieren?

Wenn schon normale Wissenschaften sich feindselig gegenüberstehen, wie soll es anders sein mit jenen Experten, die die Ursachen der Klimaverschmutzung wirklich kennen?

Nicht nur die unterkomplexe Gesellschaft versteht nicht, was wissenschaftlich abläuft, auch die komplexen Wissenschaftler sind unfähig, die Tragweite ihres Forschens und Denkens der Gesellschaft zu vermitteln. Das Schweigen der Lämmer bezieht sich nicht nur auf apolitische PolitikerInnen, sondern auf die Geistesriesen unserer fortgeschrittenen Kultur. Man spricht nicht mehr miteinander.

Weshalb die jetzt aufkommenden Debatten so erhitzt und geifernd sind, weil die Menschen das leidenschaftliche und dennoch gezügelte Streiten nie erlebt haben. Ein verhängnisvolles Defizit aller Eliten, die auf vorwitzige Widerreden der unteren Stände keine Lust mehr hatten.

Das Reich der Seligen kann nur von einer seligen Kanzlerin angeführt worden sein.

„Als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland bewegte sie sich strikt zwischen den Kant’schen Koordinaten der praktischen Vernunft: Was kann ich wissen? – Was soll ich tun? Ihre berühmten Entscheidungen zum Atomausstieg nach Fukushima, zur Aufnahme von Flüchtlingen, ihr Mahnen zur Vorsicht während der Pandemie belegen das glänzend. Wenn an ihrer christlich-protestantischen Grundhaltung etwas hervorsticht, dann dieses: Dem Menschen ist es unmöglich, die Probleme dieser Welt zu lösen. Schließlich bewohnen wir, um es biblisch zu sagen, nicht das Paradies, sondern das irdische Jammertal – aber es bleibt diese lebenslange Aufgabe jedes Einzelnen: Er soll unermüdlich versuchen, bedrohlichen Streit oder gar die kriegerische Zuspitzung zu mäßigen und in halbwegs verträgliche Bahnen zu lenken. (…) Zum Glück blieben der deutschen Bundeskanzlerin Visionen fremd. 16 Jahre lang arbeitete sie zumeist ausgeglichen und freundlich im steinigen Weinberg der Politik. Entgegen ihres Lebensplans blieb sie allein wegen des Wahlsiegs von Donald Trump vier Jahre länger. In dieser Zeit wurde sie von wenig inspirierten politischen Gegnern und Journalisten immer wieder als „Lame Duck“ verhöhnt, von „Kanzlerinnendämmerung“ war die Rede, von „schleichendem Machtverlust“ und „Endzeit“. Von solchem Geschwätz ungerührt, erfüllte sie das riesige Pensum ihrer Pflichten mit Ausdauer, Mut, Erfahrung und nicht zuletzt mit einem Humor, der nur selten öffentlich zum Vorschein kommt und am ehesten an ihrer Mimik abgelesen werden kann.“ (Berliner-Zeitung.de)

Götz Aly ist ein Historiker, dem das Wunder gelingt, Kants moralische Autonomie problemlos zu vereinen mit christlicher Heteronomie, die alle politischen Probleme glänzend gelöst habe mit der – schweigenden – Erklärung, es könne keine Lösungen geben. Wir lebten nicht im Paradies, sondern im irdischen Jammertal. Ergo wurden rationale Lösungsversuche vom Tisch gewischt, mit der Erklärung, das seien unzulässige Visionen. Visionen seien Propheten vorbehalten. Der Laden wurde zusammengehalten durch business as usual, auf Deutsch: die Maschine muss laufen, solange sie will. Wenn sie jetzt zu stottern beginnt, ist das ihre Sache, die wir Gott anheim geben müssen: das ist wahre Politik der Seligen.

Nun das Unfassbare: die Kanzlerin der Seligen verlässt grußlos bei Nacht und Nebel das untergehende Schiff – und die Besatzung nimmt es nicht zur Kenntnis. Die Deutschen schützen ihre Lichtfigur selbst im Akt ihrer unfasslichen Untreue – um ihre eigene Verblendung zu schützen.

Den unrühmlichen Rest überlasst der Jugend, die einsehen muss: jede Zeit hat ihre eigenen Sorgen. Lachen hat seine Zeit und untergehen hat seine Zeit. Schließt die Bücher.

Fortsetzung folgt.