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nichtsdesto-TROTZ XCV

Tagesmail vom 12.11.2021

nichtsdesto-TROTZ XCV,

„Ihr ständiges Engagement für die Welt, ihre Nachdenklichkeit und ihre Bereitschaft, die Sichtweise anderer anzuhören, spiegeln meiner Meinung nach eine echte Führungspersönlichkeit wider – aber auch einfach einen sehr guten Menschen.“ (SPIEGEL.de)

Deutschlands rosige Außenspiegel – ersparen SELBSTERKENNTNIS oder den Blick in den eigenen Innenraum.

Wer kann den Kinderspruch komplettieren: „Draußen der Engel, drinnen der ……“?

Nein, nicht der Teufel, sondern die fürsorgliche Mutti, die sich um alles kümmert, nur nicht ums Wesentliche. Ein dialektisches Wunder: die weltflanierende Mutti ist – das Heimchen am Herd, das von einer umfassenden Humanpolitik noch nie gehört hat.

Was unterscheidet Walter Benjamins angelus novus von unserer geliebten angela nova?

„Mit seinen aufgerissenen Augen – tiefschwarz nunmehr von Trauer und Entsetzen – starrt er jetzt auf ein Geschehen, das wir, die Menschen, Geschichte nennen, das sich im Blick des Engels jedoch als ein heilloses, katastrophisches Geschehen offenbart. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

Die Augen der angela nova sind nicht aufgerissen – oder tiefschwarz von Trauer und Entsetzen. Auch sieht sie keine Trümmer, die sie hinterließe; mit innigem Lächeln betrachtet sie die wohlgestalteten Früchte ihres „Paradieses“. (so Marc Beise, SZ)

Der narzisstische Außenblick per Neuseeland zur rechten Zeit: eine perfekte Choreographie des Kanzleramts. Bestimmt ist Angela ein guter Mensch – in privater Hinsicht. (Nein, zum Abschied kommt nicht die bösartige Frage, was privat auf Altgriechisch heißt. Ende gut, alles gut.)

Wenn die Deutschen ihre Brüder & Schwestern zu Hause nicht mehr ertragen, fahren sie zu den entferntesten Völkern der Erde, werden dort als weltbeste Touristen von jenen Fremden umhegt und gepriesen – die sie später als Flüchtlinge hassen werden wie die Pest.

Ähnliches im Weltall. Während sich hierzulande der kritische Blick auf sensations-lüsterne Raumabenteuer immer mehr durchsetzt, wird der Flug ins All besonders gefeiert, wenn – eben – ein deutscher Abenteurer im Spiel ist. Und was wird er oben entdecken? Richtig, den unvergleichlichen Blick auf die Erde, deren irdischer Anblick so abstoßend geworden ist:

„Schon kurz nach der Ankunft habe er einen Blick aus den Kuppel-Fenstern der ISS auf die Erde geworfen, sagte Maurer. »Der Ausblick ist wunderschön, davon habe ich seit Jahren geträumt.«“ (SPIEGEL.de)

Welch wundersame Entwicklung. Die neuzeitliche Wissenschaft begann mit systematischem Misstrauen in die Erkenntnis der Sinne:

„Einzelne Sinneswahrnehmungen haben keine objektive, das heißt mittelbare und beweisbare Bedeutung.“ (Max Born)

Nun schließt sich der Kreis: überweltliche Wahrnehmung rehabilitiert die Täuschungsmanöver der ordinären Sinne.

Welche Wiedergutmachung sinnenhaften Erkennens aus den Tiefen des Weltenraums, der die Erde so himmelweit überragt.

Technischer Fortschritt – das einzige Mittel zur Heilung der Naturschäden: Robin Alexander muss selbst zur Feder greifen, um die verderbliche Suche nach der verlorenen Mutter Natur zu stoppen:

„Das Klima wird nicht durch Verzicht und Rückbesinnung auf die Natur gerettet, sondern durch mehr Innovation und mehr Technologie. Das schöpft hierzulande aus reichen, aber trüben Quellen: aus der „Eigentlichkeit“ eines Martin Heidegger, aus der seltsamen Melange von Subsistenz und Spiritualität eines Rudolf Bahro und aus dem nirgendwo so stark wie in der Bundesrepublik rezipierten Postulat des Club of Rome, die „Grenzen des Wachstums“ seien erreicht. Sind sie selbstverständlich nicht. Stattdessen wird propagiert, was Peter Sloterdijk schon vor Jahren einen „ökologischen Calvinismus“ nannte: Verzicht, Sparsamkeit, Tugendhaftigkeit. Aber mit veganer Ernährung, Lastenfahrrädern und geschlechtersensibler Sprache kann ein materiell gesättigtes Bürgertum weiter seinen Distinktionsgewinn gegenüber niederen Schichten einstreichen. Mit Politik allerdings hat das nach wie vor nichts zu tun. Denn es geht nicht um den Umbau des Menschen, sondern der Industrie. Der wird schwer genug. Und er kann nicht mit einer „Zurück zu Mutter Natur“-Mentalität gelingen, sondern mit mehr Innovation und mehr Technologie. Keine Rückbesinnung steht an, sondern im Gegenteil die nächste „Entfremdung“ – diesmal die von der fossilen Industriegesellschaft, die in Deutschland humaner organisiert war als an den meisten anderen Orten der Welt.“ (WELT.de)

Die Grenzen des Wachstums seien erreicht? „Sind sie selbstverständlich nicht.“ Sätze mit dem prophetischen Fallbeil. Nicht die geringste Auseinandersetzung mit der weltweiten Wissenschaft.

Ein Fall für die New York Times. Hier verstößt die WELT, nicht wie BILD, gegen männerdominierende Lüsternheiten. Hier verstößt sie gegen Joe Bidens Herzensprojekt: Naturrettung durch Naturbesinnung.

New York Times, New York Times: wo seid ihr? Schickt eure besten Deutschlandkenner, um den Wahn eurer dekadenten Musterschüler anzuprangern.

Und dies just am letzten Tag der Glasgow-Konferenz, wo Naturvölker den drohenden Verlust ihrer Heimat den Fortschrittsnationen unter die Nase rieben. Unter ihnen auch Muttis` Vaterland.

Wie immer auch ein Erfolg – für die Deutschen, die in allen Arbeitsgruppen forsch den Ton angaben – so deutsche TV-Selbstbewunderer. Nur am Ende ihres letzten Halbsatzes konnte man noch leise vernehmen – gewiss, da gab‘s noch eine Kleinigkeit, die von diesen Urwaldbewohnern erneut aufgebauscht werden musste:

„100 Milliarden Dollar jährlich hatten die Industrienationen versprochen, damit ärmere Länder die Kosten der Krise ausgleichen sollten. Doch bisher ist nur ein Bruchteil des Geldes geflossen. Zur Klimakrise haben ärmere, lange nur wenig industrialisierte Länder kaum beigetragen, aber von den verheerenden Folgen sind sie überdurchschnittlich hart betroffen. Ihnen bleibt nicht viel mehr, als die Industrienationen an ihr Versprechen zu erinnern und die ausstehenden Gelder einzufordern. Aber die wohlhabenden Nationen, deren wirtschaftliche Potenz in der gigantischen Ausbeutung fossiler Energien fußt, wollen die historische Ungerechtigkeit nicht ausgleichen. Als starke Volkswirtschaft hat Deutschland eine besondere Verantwortung. Rechnet man alle Emissionen zusammen, die seit Beginn der Industrialisierung ausgestoßen wurden, landet Deutschland auf Platz vier der weltgrößten Emittenten.“ (der-Freitag.de)

Es geht um Fortschritt gegen Stillstand. Fortschritt, welch billige Selbstauszeichnung jener Nationen, die durch fortschreitende Zerstörung der Natur das Überleben der Gattung gefährden. Hier wird der Beelzebub zum Erlöser gemacht. Nein, das muss er nicht, das ist er schon so lang, solange die Erlösung durch Offenbarung auf die Erde gekommen war.

Wer sind denn die fortgeschrittensten Völker der Erde? Jene, die als erste auf den Button schlugen? An diesem Punkt irrte selbst Popper, der sonst so beredt für sokratische Bescheidenheit plädiert hatte. Die wirklich offenen Gesellschaften sind nicht jene, die sich so nennen, weil sie Technik und Wissenschaft verehren, sondern – die ganz anderen, die mit der Natur in Symbiose leben: die Indigenen.

Indigene Völker sind die einzigen, die nichts ändern müssten, um mit der Natur für immer in Frieden zu leben. Auf diese Indigenen müsste die Welt im Fortschrittswahn blicken, um von Grund auf zu lernen, wie man im Einklang mit der Natur lebt. Kapitalistische Staaten hingegen bezeichnen sich selbst als fortgeschrittene – also sind sie es auch.

„Die Ergebnisse haben bewiesen, dass ihre Ernährungsweisen nicht nur nachhaltig sind, sondern auch resilienter gegen die Veränderungen durch den Klimawandel. Die Indigenen sehen sich nicht nur als Farmer, das ist das Erste, was sie uns gesagt haben, sondern als Jäger, Fischer und Sammler. Sie haben ein wertvolles, von Generation zu Generation weitergegebenes Ahnenwissen darüber, wie man gleichzeitig die Menschen ernährt und die Natur nicht überfordert. All ihre Ernährungssysteme basieren auf ihrer Kosmogonie und einem spirituellen Glauben daran, dass überall Leben ist, das Respekt verdient. Wenn ein Tier erlegt wird, gibt es meist eine Zeremonie. Man ist sich bewusst, dass man ein Leben genommen hat. Aber auch Bäume und Pflanzen werden als Lebewesen wahrgenommen. Wir sehen also einen völlig anderen Zugang zum Ökosystem, in dem sie leben. Auch sie essen Fisch, Fleisch und Pflanzen. Ihre Systeme erlauben aber oft beispielsweise keine Anhäufung von Nahrung. Das Essen darf nicht in großen Mengen gespeichert werden, sondern wird in der Gruppe verteilt, sodass alle genug haben und gleichzeitig die Kapazitäten der Natur nicht überschritten werden. Es gibt keine Lebensmittelabfälle. Indigene Menschen wissen um die Wichtigkeit von Saisonalität. Sie leben nach dem Kalender der Natur, und das ist gut für ihre Gesundheit und für die Ökosysteme. Städter könnten außerdem lernen, regionale Lebensmittel zu essen und nur so viel einzukaufen, wie sie auch benötigen. Die Nahrung indigener Menschen ist außerdem sehr vielfältig. Die Khasi im Himalaja etwa produzieren mehr als 200 verschiedene Lebensmittel durch wechselnden Anbau im Wald. Heutzutage basiert die Mehrheit unserer kommerziellen Lebensmittel auf drei, vier wichtigen Pflanzen, die oft in intensiven, die Umwelt schädigenden Monokulturen angebaut werden. Viel von dem, was früher noch angebaut wurde, ist nach und nach von unserem Speiseplan verschwunden. Ich sehe großes Potenzial darin, diese Verengung rückgängig zu machen. Wichtig ist es, dass das Ernährungssystem die Regenerationsfähigkeit der Natur nicht überfordert. Die Welt begreift langsam, dass die Indigenen die Beschützer der verbliebenen Biodiversität und intakten Ökosysteme sind. Während des diesjährigen Uno-Ernährungsgipfels wurde auch deutlich, dass indigene Ernährungsweisen ein Gamechanger sein können; dass sie geradezu revolutionäres Potenzial haben, um das kranke System zu verändern, diese Dystopie, die wir leben, in der gleichzeitig Millionen Menschen hungern und Millionen Tonnen an Essen im Müll landen.“ (SPIEGEL.de)

Da der Lebensentwurf der Indigenen mit der Natur übereinstimmt, sodass sie geschichts- oder zeitlos leben könnten (ausgenommen bei Ereignissen wie Meteoriteneinschlag und anderen Naturkatastrophen), sind sie den Fortgeschrittenen so weit voraus, wie zeitloses Leben von einem Leben mit angekündigten Ende.

Fortschritt ist ein Schwindeletikett der Hochkulturen, die ihren Höhenwahn mit einem selbsterfüllenden Untergang bezahlen wollen oder bezahlen müssen. Weswegen sie das seelische Unbewusste erfanden, in welches sie das unerträgliche Wissen um das Ende der eigenen Hochkultur verschieben müssen.

In ihr Über-Ich platzierten sie ein höheres Wesen, dem sie alles verdanken und schuldig sind. Er schafft Heil wie Unheil, befiehlt ihnen die tägliche Moral und fordert von ihnen Dank und Unterwerfung. Ihr schwaches Bewusstsein, eingeklemmt zwischen dem Reich ihrer dunklen Triebe und dem gleißenden Licht ihres omnipotenten Gottes, darf keine Autonomie entwickeln.

Die Abkehr von der Natur beginnt mit Erfindung einer Geschichte, die sich hochmütig von der Zeit der Natur trennt, um etwas Höheres und Besseres zu sein als die monoton-zeitlose Natur. Wer die gleichbleibende Dauer der Natur nicht erträgt, fühlt sich zu einem Besseren erkoren. Bei ihm muss die Geschichte stets Neues produzieren durch Massakrieren des Alten. Siehe, ich mache alles neu, das Alte ist vergangen.

Geschichte ist fast immer Heils- oder Unheilsgeschichte. Jede Heilsgeschichte ist zugleich Unheilsgeschichte, viele sind berufen, wenige auserwählt. Eine Geschichte mit kollektivem Heil oder Unheil ist dem christlichen Westen unbekannt. Ist das Ich als Subjekt der Geschichte einmal erwacht, will es sich auf Biegen und Brechen von jedem Konkurrenz-Ich unterscheiden.

Matriarchate sind geschichtslose Epochen, vergleichbar den indigenen Kulturen. In ihnen bleibt alles gleich. Neue Werte gibt es nicht, weil die alten verlässlich das Leben am Busen der Natur erhalten.

„Neue Werte gibt es nicht. Die Wertmaßstäbe der Menschen sind seit der Ursprungszeit menschlichen Lebens die gleichen geblieben; was sich verändert, ist lediglich die Art und Weise, wie wir sie ordnen. Unsere heutige Realität hingegen verändert sich ständig. Der Verlauf dieses ununterbrochenen Wandels allerdings ist verhängnisvoll.“ (M .French, Jenseits der Macht)

Männliche Hochkulturen erfanden die natur-verachtende Geschichte und spalteten alles in Alt und Neu. Das Alte war der geistige Vorläufer des modernen Abfall- und Müllsystems.

Natur war von Anfang an sehr gut, verwandelte sich aber schnell in Fluchwürdig-Böses. In Matriarchaten hingegen blieb alles sehr gut.

Jede Epoche der neuen Heilsgeschichte, die ständig aufwärts führen musste (letztlich ins Heil der Wenigen und Unheil der Vielen) hatte etwas radikal Neues zu produzieren. Andernfalls drohte das Schicksal der Bedeutungslosigkeit in Geschichtsbüchern, in denen sogenannte Historiker das Urteil ihres Geschichtsgottes vorweg nahmen.

Der Hass der Hochkulturen gegen zeitlose Wahrheiten der Matriarchate beruhte auf dem Neid der Männer, das gute Leben nicht festhalten zu können und diese Inkompetenz mit propagandistischem Fortschritt zu kompensieren.

In fanatischer Überheblichkeit müssen die emporkraxelnden Männlein ihren Fortschritt verteidigen und dürfen sich keine Selbstbesinnung gönnen – sonst erstarren sie vor der Wahrheit ihrer Blender-Politik. Immer vorwärts, immer in die Zukunft starren, wer innehält, hat verloren.

Was sind, nach Popper, „Offene Gesellschaften“?

„Die offene Gesellschaft ist ein in der Tradition des Liberalismus stehendes Gesellschaftsmodell Karl Poppers, das zum Ziel hat, „die kritischen Fähigkeiten des Menschen“ freizusetzen. Die beste Staatsform ist nach Popper die Demokratie, die Popper neu definiert als eine Herrschaftsform, in der es möglich ist, die Herrschenden ohne Blutvergießen auszutauschen. In Offenen Gesellschaften ist ,im Gegensatz zu ideologisch festgelegten, geschlossenen Gesellschaften, die einen für alle verbindlichen Heilsplan verfolgen, ein intellektueller Meinungsaustausch gestattet, der auch kulturelle Veränderungen ermöglicht. Daher sind Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie eine strikte religiöse Neutralität von grundlegender Bedeutung für „Offene Gesellschaften“.“

In indigenen Gemeinschaften gibt es keine Herrschaft, weshalb sie auch nicht kritisiert werden kann. Mütter sind keine Herrscherinnen, sondern Mittelpunkte eines gleichwertigen Sozialnetzes, in dem alle „Kinder“ gleichen Wert besitzen.

Der für alle verbindliche Heilsplan ist just ein wesentlicher Bestandteil moderner Gesellschaften, die offen sein wollen, es aber nicht sein können, weil sie von einer Erlösungsreligion geprägt sind. Nur in peripheren Dingen können sie Offenheit simulieren. Wahlen täuschen Entscheidungsmöglichkeiten vor, die es gar nicht gibt, weil die Politik der Männer zumeist keine großen Unterschiede zeigt. Erst jetzt beginnen die Frauen, führende Posten in der Politik zu übernehmen.

Den Frauen dämmert es, dass die Herrschaft der Männer vorbei ist. Diese sind ausgepowert und kompensieren ihre Kraft- und Gedankenlosigkeit mit muskulären Posen. Ihre marode Phantasie befindet sich längst auf der Flucht ins Nichts, aus dem sie eine neue Erde schaffen wollen.

Ihre Defizite beten sie an als Genietaten, die aus jeder Unfähigkeit eine Leistung machen. Weil doktrinäre Heilsgeschichte die christlichen Nationen bestimmt – von Popper als Historizismen bezeichnet –, kann Kritik an den Offenbarungen gar nicht erst aufkommen. Das bisschen Schein-Kritik bleibt bloße Dekoration von Zukunftsstürmern, die an ihrer technischen Heilsgeschichte eisern festhalten.

Weil sie spüren, dass es sehr wohl eine Wahrheit gibt, nämlich die eines naturverträglichen Lebens, müssen sie diese Wahrheit leugnen. Wahrheit gibt es für sie nur als eine, die man ein Leben lang vergeblich suchen muss.

Wahrheit aber ist kein Fürwahrhalten metaphysischer Belanglosigkeiten, sondern Beantwortung der Frage: wie sollen wir leben, um ein menschenwürdiges Leben zu führen?

Die Wahrheit wird euch frei machen: den Gehalt dieses hellenischen Wortes leben ausgerechnet jene, die keine Erlösergötter benötigen, sondern die Natur selbst für etwas Göttliches halten: die Indigenen.

Frei ist, wer mit der Natur verbunden ist, von ihr lebt, sie aber unbeschädigt leben lässt. Kritik im westlichen Sinne kann es gar nicht geben, weil in nicht-autoritären Gemeinschaften niemand das Denken verbietet. Bei naturverbundenen Völkern ist Denken identisch mit Erfahrungen austauschen im Bereich des Umgangs mit der Natur.

Das moderne Denken wurde in Hochkulturen erfunden, die schnell spürten, dass die Männerherrschaften a priori in die falsche Richtung liefen. Urtümliches Denken hingegen ist Erfahrungen sammeln mit einer symbiotischen Natur – und einer mitdenkenden, mitfühlenden Gemeinschaft, die Denken nicht als Konkurrenz- und Profilierungsmittel nötig hat.

Dass die Indigenen das wahre, nämlich naturgeprägte Denken darstellen, zeigen ihre Auftritte in den Ökokonferenzen, wo die Fortschrittlichen ihren Argumenten nichts entgegenzusetzen haben. Kein Indigener denkt im Traume daran, seinem Stamm den Rücken zu kehren – um in den Luxus-Tand suizidaler Staaten zu flüchten. Kann es bessere Beweise für ihre Offenheit geben als ihre Fähigkeit, den Kontakt mit den Modernen nicht zu scheuen und ihrer Ursippe dennoch die Treue zu halten. Es ist aberwitzig: ausgerechnet jene Völker, die als einzige im Einklang mit der Natur leben und die Existenz der Menschheit nicht gefährden, werden im Westen als die rückständigsten und barbarischsten betrachtet. Der edle Wilde wurde zur Lachplatte des unedlen Fortgeschrittenen.

Poppers Vorstellungen einer offenen Gesellschaft waren theoretisch richtig, doch seine Zuordnung der Offenheit mit christlichen Staaten war daneben. Zudem waren seine Zielvorstellungen Ideale und Visionen, die er an anderer Stelle als faschistisch verurteilt hatte. Kein Zufall, dass er von der beginnenden Ökobewegung wenig hielt – so wenig wie sein Schüler Helmut Schmitt.

Führende Ökonomen warnen heute vor rigiden Veränderungen des Kapitalismus, um ihn klimatauglich zu machen. Diese könnten zu außerordentlichen Wohlstandsverlusten führen. Kann jemand solche paranoiden Gespinste noch ernst nehmen? Wohlstandsverluste in Gesellschaften, die ihren gesamten Wohlstand, ja ihr Leben verlieren werden, wenn sie nicht das Not-wendende konsequent durchführen werden?

Wahrheit gibt es, weil es Natur gibt – die mit ihr identisch ist. Um diese Naturwahrheit müssen wir ringen und streiten, bis wir wissen, wohin wir wollen: entweder in einen selbsterfüllenden Tod – oder in ein naturverbundenes erfülltes Leben.

Fortsetzung folgt.