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nichtsdesto-TROTZ LXXXVII

Tagesmail vom 25.10.2021

nichtsdesto-TROTZ LXXXVII,

Galgenfrist!

Noch 10 Jahre, liebwerte Schwestern und Brüder der Vernunft, haben wir Zeit, entweder die Erde zu reparieren oder aber im Fegefeuer brütender Hitze zu verglühen. Keine Angst, das Fegefeuer hat nur eine pädagogische Funktion: es dient der Tiefenreinigung des sündigen Menschengeschlechts, so die jüngsten Erkenntnisse eines katholischen Spätaufklärers:

„Die Erfindung des Fegefeuers war eigentlich eine menschenfreundliche Angelegenheit. Es war nämlich zunächst einmal die Humanisierung der Hölle. Es wurde die dualistisch strenge Alternative von Himmel und Hölle hoffnungsvoll überbrückt. Die Strafen im Fegefeuer entsprachen zwar denjenigen der Hölle, waren aber zeitlich terminiert und konnten verkürzt werden durch Gebet, gute Werke und Ablass. Diese eschatologische Arabeske wiederum war dann der Aufhänger für eine einträgliche Geschäftsidee, mit der die Idee des Fegefeuers korrumpiert wurde: Die Gläubigen konnten den Ablass käuflich erwerben.“ (Berliner-Zeitung.de)

Auch die Ablassidee existiert noch, sie ist zur weltbeherrschenden Politik aufgestiegen:

„Es gibt eine internationale Elite, die selbst eine um 4 Grad oder 6 Grad wärmere Welt bequem aushalten würde.“ (TAZ.de)

Wer genügend Kleingeld zusammengerafft hat, kann sich eine schmucke Insel in bester Lage leisten, außen herum einen atomaren Wall errichten, seinen Garten Eden überdachen lassen – doch so, dass die Illusion der Verbundenheit mit der Schöpfung nicht beeinträchtigt wird –, und in einer automatisch gesteuerten Zweiten Natur alles blühen und gedeihen lassen, was das Herz der Privilegierten erfreuen kann. Der Jubel der Erwählten wird kein Ende haben.

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird noch sie zu Herzen nehmen; sondern sie werden sich ewiglich freuen und fröhlich sein über dem, was ich schaffe. Es sollen nicht mehr dasein Kinder, die nur etliche Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen; sondern die Knaben sollen hundert Jahre alt sterben und die Sünder hundert Jahre alt verflucht werden. Sie werden Häuser bauen und bewohnen; sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein andrer bewohne, und nicht pflanzen, was ein andrer esse. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. Und ich hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“

Zuerst waren Denker, Literaten, Visionäre mit vollkommenen Staatsentwürfen: Platons Atlantis, Theopomps „meropisches Land“, Hekatäos‘ „kimmerische Stadt“, die „heilige Chronik des Euhemeros, der Sonnenstaat des Jambulos.

Parallel zu den selbsterdachten Heidenentwürfen schilderten biblische Propheten die herrliche Zukunft der Gotteslieblinge als himmlische Offenbarungen. Mit dem Sieg der Offenbarer über die Selbstdenker ergaben sich die neuzeitlichen Mischprodukte von Thomas Morus, Tommaso Campanella und Francis Bacon.

Auch Hegels vollendeter Weltgeist war eine Art Utopie, konkreter war Marxens Diktatur des Proletariats, davon abgeleitet Blochs „Prinzip Hoffnung“.

Auch der Kapitalismus wäre antriebslos ohne Utopien des Wohlstands und technischen Fortschritts. Bis vor kurzem befand sich Deutschland im Zustand eines von Waren und Maschinen überfluteten Paradieses – das heute ins Gegenteil zu kippen droht.

Silicon Valley vor allem war die Realisierung aller Utopien durch das Regiment einer überintelligenten Technik. Auf Inseln, unter Wasser, in der Luft, auf Mond und Mars sollten perfekt gesteuerte Welten entstehen – in der unsterbliche Mensch-Maschinen wie Götter über das Universum herrschen.

Die Utopien der Neuzeit waren durchweg totalitäre Gebilde, im Gegensatz zu den meisten Entwürfen der Heiden (Platon ausgenommen). Stalinismus und das Dritte Reich waren politische Transformationen einer biblischen Heilsgeschichte – die Marx in eine materielle, Hitler in eine politische umgetauft hatte.

Träume vom Glück der Menschheit wurden Zwangsbeglückungen, weil die Träumer dem Menschen nicht zutrauten, ihr Glück auf Erden mit humanen Lernfähigkeiten zu realisieren.

Wer böse und entwicklungsunfähig ist, hat wohl ein Recht auf irdisches Glück – muss aber dafür mit totalitärer Unterordnung bezahlen. Menschen gleichen störrischen Kindern, die mit Ruten zu ihrem Glück gezwungen werden müssen. (Faschismus ist eine etwas mildere Form des Totalitarismus.)

Rationaler Kern jeder Utopie ist das Bestreben, humane Verhältnisse auf Erden mit politischen Mitteln zu schaffen. Wer diesen Kern ablehnt, lehnt Humanismus ab – ein giftiges Element des deutschen Sonderwegs.

Jede Zwangsutopie ist verwerflich, ebenso verwerflich die Gleichstellung von humaner und totalitärer Utopie zum Zweck, humane Wirtschaft und naturfreundliche Technik mit pompösen Parolen ablehnen zu dürfen.

Hayeks scharfe Kritik am Naziregime war voll berechtigt. Doch seine Gleichsetzung jeder kapitalismuskritischen Sozialbewegung mit totalitären Bewegungen war eine Schandtat, die bis heute alle linken Parteien als pseudototalitär verdächtigt.

Eine gewaltige Fehlleistung von Popper, sich dem Schwachsinn seines Gönners anzuschließen, der es ihm ermöglicht hatte, von Neuseeland – wo er die beiden Bände „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ geschrieben hatte – nach England zu kommen, um von dort aus seine Weltkarriere zu starten.

Popper durchschaute nicht die Machenschaften seines katholischen Freundes, seinen Neoliberalismus durch Verdächtigung aller sozialen Bewegungen gegen jedwede Kritik zu immunisieren. Indem Hayek den Markt sakrosankt setzte, entzog er ihm – in Tradition der Gegenaufklärung – jede Möglichkeit, durch menschliche Vernunft verstanden zu werden.

Hayeks Wirtschaft gleicht einem übernatürlichen Geschehen, das vom anmaßenden Verstandesvermögen nicht entziffert werden kann. An seine Gesetze kann man nur glauben.

Schon Adam Smith hatte den neu gefundenen Wirtschaftsgesetzen durch die Unsichtbare Hand ein christliches Aroma verliehen. Hayek tilgte alle heidnischen Spuren und erklärte die Wirtschaft zum Glauben, den man mit irdischer Vernunft weder verstehen noch beherrschen könne.

Die rechte Einstellung zur Wirtschaft müsse sein: credo, quia absurdum. Ein einziges Kriterium gebe es, um falsche Wirtschaft von der richtigen zu unterscheiden: der Erfolg.

Nur, was erfolgreich ist, kann wahr sein. Erfolg als Kennzeichen des Wahren war nicht nur das Kriterium des Darwinismus, sondern auch des rassistischen Totalitarismus – jener Ideologie, die Hayek scharf kritisiert hatte. So werden Feinde sich ähnlich, wenn sie ihre Urgründe nicht durchschauen.

Freiheit ist für Neoliberale die Berechtigung, alle Gegner und Feinde in bedenkenloser Weise aus dem Feld zu schlagen. Oder, wie es ein Vertreter der zum Verwechseln ähnlichen Konservativen Revolution formulierte: die Ideologie des Raubtiers:

„Das Raubtier ist die höchste Form des freibeweglichen Lebens. Es bedeutet das Maximum an Freiheit von andern und die Berechtigung, sich kämpfend, siegend, vernichtend zu behaupten. Es gibt dem Typus Mensch einen hohen Rang, dass er ein Raubtier ist. Die Welt ist Beute, und aus dieser Tatsache ist letzten Endes die menschliche Kultur erwachsen. Der Kampf gegen die Natur ist kein notwendiges Übel, sondern der große Sinn des Lebens. Die Weltgeschichte schreitet von Katastrophe zu Katastrophe fort, ob wir sie nun begreifen und begründen können oder nicht. Nur dem Menschen eignet der stolze und schwermütige Blick des Wissenden über sein eigenes Schicksal, mit dem unbändigen Machtgefühl in der tatgewohnten Faust, jedermanns Feind, tötend, hassend, zu Sieg oder Sterben entschlossen. Seine Seele steht in unversöhnlichem Gegensatz zur gesamten Welt, von der sie durch ihr eigenes Schöpfertum getrennt ist. Es ist die Seele eines Empörers. Der Natur wird das Vorrecht des Schöpfertums entrissen. Der freie Wille schon ist ein Akt der Empörung, nichts anderes. Der schöpferische Mensch ist aus dem Verbande der Natur herausgetreten, und mit jeder neuen Schöpfung entfernt er sich weiter und feindseliger von ihr. Das ist seine Weltgeschichte, die Geschichte einer unaufhaltsam fortschreitenden, verhängnisvollen Entzweiung zwischen Menschenwelt und Weltall, die Geschichte eines Empörers, der dem Schoße seiner Mutter entwachsen die Hand gegen sie erhebt.“ (Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik, 1932)

Geht’s noch klarer, natur- und menschenfeindlicher als in diesen Texten eines Empörers gegen die Natur? Glaubt wirklich jemand, die Aura dieser Kosmos-Feindschaft sei in alle Winde zerstoben?

Neoliberalismus ist das harmloser scheinende wirtschaftliche Äquivalent des Faschismus. Alle Völker betrachtet er als Konkurrenten, Gegner und Feinde, die er mit allen Finessen und Brutalitäten niedermachen will – militärische nicht ausgeschlossen.

Nach dem Dunkelmann Trump galt Joe Biden als Lichterscheinung. Doch immer mehr erweist sich diese Kontrast-Einschätzung als optische Täuschung. Auch er entlarvt sich täglich mehr als traditioneller Vertreter des militanten Kapitalismus. Der schwarze amerikanische Sänger Tom Morello:

„Powell hat als erster afroamerikanischer Außenminister der USA und als erster schwarzer Generalstabschef eine Decke durchbrochen – aber wohin hat das geführt? Seine Lügen vor dem Irakkrieg haben Hunderttausende Tote verursacht. Er verteidigte das Massaker von My Lai in Vietnam. Er unterstützte die US-Invasion in Panama. Er ist die Definition eines Kriegsverbrechers. Ich lege meine Wahlentscheidung nicht offen. Joe Biden verkörpert genau die Politik, die ich verabscheue: geldgetriebene Oligarchie, die diametral zu den Bedürfnissen der Menschen und des Planeten steht. Es war wichtig, alles Nötige zu tun, um den Putsch der christlich-faschistischen Verfechter einer weißen Vorherrschaft zu stoppen, an dessen Rand wir standen. Ich war froh, dass Trump verlor, aber mir war klar, dass wir Biden vom ersten Tag an wegen unzähliger Punkte bekämpfen würden. In Umfragen wollen die meisten Amerikaner eine Krankenversicherung und ein Ende des Militarismus, aber es gab keinen Kandidaten dafür. Die Linke wird nicht repräsentiert. Und ich stehe auf gegen Antisemiten und für die Palästinenser.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Und tatsächlich, die Kriegsgefahr wächst von Tag zu Tag. Niemand denkt daran, ihre Ursachen aufzudecken. Jeder Politiker plappert daher, die Konkurrenten niemals siegen zu lassen. Versteht sich, dass in Zeiten drohenden Unterliegens der Revolver locker sitzt.

China, der omnipotent scheinende Rivale, darf nicht werden, was in den letzten Jahrhunderte der Westen war: der Despot der Welt. Es sind keine Schlafwandler, die dem nächsten Waffengang entgegen wanken, sondern Machtsüchtige, die gedanken- und erinnerungslos in eine leere Zukunft eilen.

Dabei galt in den Anfängen des Kapitalismus die neue Wirtschaftsform als ideale Möglichkeit, seine Konkurrenzbedürfnisse mit unkriegerischen Mitteln zu befriedigen. Selbst der friedensliebende Aufklärer Kant schreibt:

„Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unter allen Mächten die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte, so sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittlung abzuwehren.“ (Zum ewigen Frieden)

Der Kapitalismus erschien als große und friedliche Alternative zu den permanenten Glaubenskriegen Alteuropas. Und dies, man höre und staune, als Alternative, die auf moralische Beweggründe verzichten könne. Das schreibt der Denker, der in Deutschland als Moralist Nummer Eins gilt. Offensichtlich war er von Adam Smiths Verzicht auf Moral in Wirtschaftsfragen so beeindruckt, dass er in die Fußstapfen des Schotten trat. (Kants Vorfahren stammten aus Schottland!)

Es muss ein ungeahntes Freiheitsgefühl in damaligen Zeiten aufgekommen zu sein, den Fortschritt der Menschheit ohne überlästig gewordene Moral voranzubringen. Die Naturwissenschaften mit der Verheißung, die Welt mit moralfreien Gesetzen zu erobern, waren zum Vorbild aller Denkenden geworden.

Ein gute Staatsverfassung hinge nicht von der Moral ab, sondern umgekehrt: die moralische Bildung eines Volkes hinge allein von jener ab, so Kant.

Nicht Moral sei der Motor des Fortschritts, sondern die „ungesellige Geselligkeit“:

„Nicht die Moral, im Gegenteil, gerade die egoistischen Triebe der „Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht, die den einzelnen antreiben, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen“, befördern die Entwicklung aus der anfänglichen Rohigkeit zur Kultur. Das moralische Ganze ergäbe sich als Ergebnis aus dem Widerstreit der menschlichen Kräfte. Die Ungleichheit unter Menschen, diese reiche Quelle so vielen Bösen, sei gleichwohl die Quelle alles Guten.“

Die Wurzeln dieses mephistophelischen Grundsatzes, durch einen bösen Willen das Gute zu vollbringen, gründete in der mittelalterlichen Theologie, die den Teufel als Werkzeug Gottes zum guten Endzweck aller Dinge erklärt hatte.

Daraus entstand das Dogma des modernen Fortschritts ins Paradiesische allein durch das Böse.

Bei so viel Nobilitierung des Amoralischen im Dienst des Moralischen darf es niemanden verwundern, dass noch unsere Gegenwart von dieser These fast widerspruchslos dominiert wird.

Doch seit Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn der humanen Grundsätze der UN-Charta tat sich etwas grundlegend Anderes zwischen den Völkern. Es begann ein Zusammenwachsen der Völker, die früher nur rivalisierende Nationen waren, zu einem erdumfassenden Weltdorf.

Der einst geltende Machiavellismus der Einzelnationen änderte sich in eine miteinander denkende und fühlende Menschheit, die den Kriegsgeist früherer Jahrhunderte ablegte. Früher war die Ethik der Nationen in zwei Moralen gespalten: in die kaltherzige Staatsraison der Regierungen – und in die mitfühlende Moral der Familien. Das Kind wurde in seinen ersten Jahren zum guten Menschen dressiert. Doch dann kam in der Pubertät der entscheidende Wendepunkt, der von den Kindern als Schock erlebt wurde. Schluss mit sentimentaler Moral, ab jetzt schlägst du zu.

Durch Zusammenwachsen der Völker beginnt sich heute die Trennung der beiden Moralen aufzuheben. Die Völker werden es überdrüssig, ihre Touristenländer und Wirtschaftspartner als Feinde zu betrachten. Sie lernen, die Fremden als Menschen anzuerkennen.

Freilich sind die alten Dämonen noch immer am Werk, die alle Flüchtlinge stante pede dorthin zurückschicken wollen, woher sie gekommen. Dennoch: die Völker empfinden sich immer weniger als Feinde. In dieser Hinsicht sind sie weiter als ihre politischen und wirtschaftlichen Führer, die nichts unterlassen, jeden Rivalen in Grund und Boden zu konkurrieren.

Die These sei gewagt: ginge es nach den Völkern, wäre die ökologische Zusammenarbeit der Welt weiter. Es sind die duckmäuserischen Regierungen, die sich den Handlungsdevisen ihrer Wirtschaftsgiganten unterwerfen: zuerst Profit, dann Profit … bis zum Sturz in den profitfreien Abgrund.

Die Übergangsepoche der Neuzeit, die das Gute mit bösen Mitteln wollte, ist vorbei. Die Nationen sind keine isolierten Egoismusrüpel mehr, sondern Menschen einer Gattung, deren Überleben umso gefährdeter ist, je feindseliger sie miteinander umgehen.

Immer mehr erkennen wir, dass wir Glieder einer einzigen Weltfamilie sind, die nur eine Überlebenschance besitzt, wenn sie ihre dümmlichen Egoismusspielchen endlich einstellt.

Während die Stimme der Vernunft unter der Last des Wohlstands und Reichtums immer mehr zu ersticken droht, ertönt sie in reiner Intonation aus weiter Ferne – die doch so nah ist:

„Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist ein Preis ganz von dieser Welt, und es liegt viel in der Luft, in der er überreicht wird. Zutiefst beeindruckend, wie sich das in der Dankesrede von Tsitsi Dangarembga niederschlug, die für eine „neue Aufklärung“ plädierte. So bewegte sie sich allmählich der Wendung „Wir denken, also sind wir“ entgegen, und schlug schließlich vor: „Wir sind, also denken wir“.“ (Berliner-Zeitung.de)

Wer ruft in unseren philosophisch toten Breiten nach einer neuen Aufklärung? Wer setzt sich mit den eigensüchtigen Ich-Motiven unserer Denker und Dichter auseinander und verändert sie in die Beweggründe einer solidarischen Menschheit: „Wir sind, also denken wir“?

Just aus jener Welt, die von den christlichen Staaten erniedrigt, geschändet und ausgeraubt wurde, hören wir die Botschaft einer neuen Menschlichkeit. Doch kein hiesiger Kommentar, der sich mit dem Ruf nach einer neuen Aufklärung und der Fortentwicklung vom Ich zum solidarischen Wir näher beschäftigt hätte. Stattdessen bescheinigte man der Preisträgerin ein geschliffenes Englisch. Sind wir nicht prächtige Lehrer der Menschheit?

Was aber will uns die zukunftsbelastete Jugend mit ihren Wörtern des Jahres sagen? Die Wörter heißen cringe, sheesh und sus.

„»Cringe« ist das »Jugendwort des Jahres«. Der für das Gefühl von Fremdscham stehende Begriff beschreibt etwas Peinliches oder Unangenehmes. »Sheesh« drückt Erstaunen oder Ungläubigkeit aus, das Wort »sus« als Abkürzung für »suspekt« oder das englische »suspect« heißt so viel wie »verdächtig« oder »auffällig«.“ (SPIEGEL.de)

Verstehen wir die Botschaft dieser Wörter an der Wand – über die nie eine Talkshow debattieren wird?

Galgenfrist. Noch zehn Jahre haben wir Zeit. Dann schlägt der Gong zur nächsten Runde – oder das Sterbeglöcklein?

Fortsetzung folgt.