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nichtsdesto-TROTZ LVII

Tagesmail vom 16.08.2021

nichtsdesto-TROTZ LVII,

Deutsche! Antreten zum Schämen!

„Binnen weniger Wochen haben die radikalislamischen Taliban Afghanistan wieder unter ihre Kontrolle gebracht, nachdem fast alle Soldaten der USA und ihrer Verbündeten das Land verlassen hatten. 20 Jahre dauerte der Einsatz, er forderte etliche Menschenleben, kostete Abermilliarden Euro. Nun droht den Menschen das nächste Terrorregime, fürchten sie Unterdrückung, Folter, Tod. Was für eine Tragödie, was für ein Desaster. Ein kollektiver, moralischer Offenbarungseid, der womöglich Menschenleben kosten wird.“ (SPIEGEL.de)

Nirgendwo ein einziges schamerfülltes Haupt! Jubel aber unter den Antimoralisten. Täglich versinkt Deutschland mehr in Schuld und Scham: welch glänzender Sieg der Moralhasser über die Philister. Wer in der ersten Reihe der Weltsieger mitspielen will, muss sich frei machen von tugendhaften Kammerdienern.

Ein moralischer Offenbarungseid? Welch unwürdige Reaktion auf den lang ersehnten und herbeigeschriebenen Triumph des staatsmännischen Machiavellismus über das Prinzip subjektiv verkommener Moralität.

„Wo es sich handelt um das Heil des Vaterlandes überhaupt, darf kein Erwägen sein, ob etwas gerecht oder ungerecht, mild oder grausam, löblich oder schimpflich ist, sondern jede andere Rücksicht wegschieben muss man durchaus dem Schlusse folgen, der ihm das Leben rettet und die Freiheit erhält.“ (Machiavelli)

Endlich können wir Deutschen stolz sein auf den Siegeszug der Staatsraison über subjektives Meinen und Klügeln. Der mühsam erkämpfte Sieg über eine moralisierende Nation ist einer regierenden Pastorentochter nicht mehr zu nehmen, deren himmlischer Machiavellismus ihren Ruhm in die Bücher der Geschichte tragen wird.

Wo begann das Prinzip des moralisierenden Verderbens?

In Athen, der Wiege der demokratischen Polis, einer Staatsform des Pöbels, die sich der Eitelkeit einer moralischen Politik hingab:

„Das Prinzip der Moralität, das eintreten musste, wurde der Anfang des Verderbens. Die Quelle des weiteren Fortschrittes und des Verderbens war das Element der Moralität, der eigenen Reflexion und der Innerlichkeit. Näher ist die Lehre des Sokrates eigentlich Moral. Bei der Moral ist das Hauptmoment meine Einsicht, Absicht; die subjektive Seite, meine Meinung von dem Guten ist hier das Überwiegende. Moral heißt, dass das Subjekt aus sich in seiner Freiheit die Bestimmungen des Guten, Sittlichen, Rechtlichen setzt. Indem Sokrates auf diese Weise der Moralphilosophie ihre Entstehung gab (wie er sie behandelt, wird sie populär), hat ihn alle Folgezeit des moralischen Geschwätzes und der Popularphilosophie zu ihrem Patron und Heiligen erklärt und ihn zum rechtfertigenden Deckmantel aller Unphilosophie erhoben, wozu noch vollends kam, dass sein Tod ihm das populär-rührende Interesse des Unschuldig-Leidens gab. Dies wird auch häufig so verstanden (sieht so aus), als ob die beste und wahrste Philosophie so eine Haus- und Küchenphilosophie sei … von dem, was man auf der Erde kennen kann, was im täglichen Leben selbst Wahrheit hat, ohne in die Tiefe des Himmels – oder vielmehr in der Tiefe des Bewusstseins- gewesen zu sein.“ (Hegel)

Sittlichkeit ist jene wahre Moral, die, aus Einsicht in die Notwendigkeit, sich der himmlischen Notwendigkeit hingibt. Diese Sittlichkeit des Himmels, erhaben über die Anmaßung subjektiver Autonomie, zeichnet die fromme Kanzlerin aus. Nicht der Mensch, gar der heidnisch-sündige, entscheidet über die Richtigkeit des Verhaltens oder über das Gute, sondern jener, der den Willen Gottes kennt. Das Menschliche ist das bloße An sich, das Himmlische ist das Anundfürsich. Dieses Himmlische ist zugleich identisch mit der „Tiefe des Bewusstseins“, welches die Oberflächlichen nie erreichen.

Warum ist Hegel der deutscheste aller Philosophen? Weil er nicht nur den übernational denkenden Kant, sondern auch den generalisierenden Sokrates – die noch viel zu sehr im oberflächlichen Kopf der Deutschen herumspukten – ein für alle Mal demontierte.

Es blieb einem Pastorensohn vorbehalten, Sokrates endgültig zu Grabe zu tragen:

„Sokrates Wirkung. 1. er zerstörte die Unbefangenheit des ethischen Urteils, 2. vernichtete die Wissenschaft, 3. hatte keinen Sinn für die Kunst, 4. Riss das Individuum heraus aus dem historischen Verbande, 5. dialektische Rederei und Geschwätzigkeit befördert.“ (Nietzsche)

„Goethe plante ein Stück … über Sokrates.“ (Safranski, Goethe)

Warum wurde nichts aus dem Vorhaben? Die Epoche der sokratischen Aufklärung wurde von deutschen Griechenfreunden nicht zur Kenntnis genommen. Sie interessierten sich für nur Mythen und Göttergeschichten.

Der Weg der Deutschen ging bereits zur Macht. Moral stand im Wege. In Schillers Schaubühne als moralische Anstalt spielte sie anfänglich noch eine gewisse Übergangsrolle.

Dann warf die Kunst humane Politik und Moral ab und erklärte sich zur Alleinerbin beider, zur neuen Instanz, in der das Genie nach Belieben die Welt dominiert.

Wenn die Deutschen heute von Freiheit der Kunst reden, reden sie insgeheim von der Politik, die sich aller moralischen Regeln entledigt.

Das Genie wurde zum messianischen Individuum, das in völkischer Einheit mit Gleichgeschalteten der Welt zeigen konnte, wo der biologisch Überlegene und Reine den sakramentalen Wein holt, der die Transsubstantiation (Umwandlung) irdischer in göttliche Macht vollbringt.

In der Nachkriegszeit wurden die bösen Neugermanen dazu verdonnert, die demokratischen Regeln des Westens zu verinnerlichen. Äußerlich gaben sie sich als Musterschüler, doch tief im Innern rumorte unverändert der uralte Ungeist der Feindschaft wider westliche Aufklärung und demokratische Moral.

Nach einem halben Jahrhundert endlich ist das ökonomisch hochgepuschte Selbstbewusstsein so stark geworden, dass es sich seiner Vergangenheit nicht mehr schämen will und den Ungeistern der Vergangenheit Türen und Tore öffnet.

Unterstützt wird die Rehabilitierung des Vergangenen von einer ähnlichen Rückbesinnung der Amerikaner auf das religiös-antidemokratische Erbe ihrer Gründerjahre.

Der Westen ist seinem universellen Ethos überdrüssig geworden. Die westlichen Nationen propagierten zwar, nur in die Zukunft zu schauen, doch in Wirklichkeit wandten sie sich ihrer feudal-religiösen Vergangenheit zu, um sich dort die Erlaubnis zu holen, die Macht, die Gott ihnen gab, ungehemmt der Welt zu zeigen:

„Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?“

„Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan.“

„Meinet nicht, dass ich gekommen bin, Friede auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“

Am Ende der Tage werden die Auserwählten zur Rechten des Vaters sitzen zu richten die Lebendigen und die Toten. Je mehr wir uns dem Ende nähern, umso dringlicher wird es, das Endgericht auf Erden vorwegzunehmen, um den Ungläubigen die wahren Machtverhältnisse zu demonstrieren.

Da darf man nicht vergessen: der himmlische Vater war kein Gegner Machiavellis. Im Gegenteil: seine antinomische Freiheit war das Vorbild des Italieners gewesen, der die Schandtaten der Päpste täglich hautnah erlebte. Da brauchte man keinen Thukydides als papiernes Vorbild.

In Afghanistan hat der Westen endgültig verloren. Katastrophaler kann eine militärische und moralische Niederlage nicht sein. Bislang konnten die christlichen Nationen Ihre Gewaltakte noch immer mit ihrer Zwangsbeglückung zur Demokratie beschönigen.

Aus und vorbei! Die humanistische Vorbildlichkeit der Nachkriegszeit ist perdu. Übrig geblieben ist nur noch eine hemmungslose Doppelmoral, die einerseits Menschenrechte predigt, andererseits mit geladener Schusswaffe die Reichtümer der Welt kassiert. Das endlos lange Kapitel der unseligen Kolonialismuszeit endet – unselig.

Nun werden die Würfel der Weltherrschaft neu geworfen, alles spricht dafür, dass die Zentren der Macht weiter östlich liegen werden.

Man konnte den Machiavellismus des Westens die ganze Zeit noch einigermaßen damit begründen, dass Nationen, selbst mit besten humanen Absichten, ohne moralisch-unmoralische Zweigleisigkeit nicht überlebensfähig sind. Ein friedfertiger Staat ist Opfer jeder feindlich-militärischen Macht.

Diese Epoche souveräner Einzelstaaten geht vorbei. Die Probleme der Menschheit sind global und betreffen alle Völker, sodass es Selbstmord wäre, sie im Alleingang lösen zu wollen.

Die Klimakrise, das größte Problem der Gegenwart, ist ohne globale Zusammenarbeit unlösbar. Entweder zusammen überleben oder zusammen untergehen, ein Drittes gibt es nicht.

Das aber wäre das unwiderrufliche Ende jedes partikularen Machiavellismus. Die Nationen müssen sich endlich als Teile eines Ganzen begreifen, das sich keine internen Machtspielchen mehr erlauben kann.

Die anderen Nationen sind nicht unsere Feinde. Sie sind unsere Verbündeten – und wenn nicht, so müssten wir um sie werben. Das schaffen wir nur, wenn nicht jede Nation misstrauisch wartet, bis die anderen vorangehen, sondern, indem sie selbst die Friedensfahne hisst.

Die Geltung der Binnenmoral – sofern sie demokratisch ist – muss zur terrestrischen Moral aller Völker ausgeweitet werden. Und das heißt: die bigotten Zeiten des Machiavellismus sind vorbei. Wir schaffen keinen Frieden, wenn wir uns waffenmäßig immer mehr einigeln, die anderen immer mehr bedrohen, vor allem die Globalisierung einer hemmungslos aggressiven, ausraubenden und naturvernichtenden Ökonomie überlassen.

All dies haben die deutschen Politgenies noch nicht begriffen. Sie kennen nur die Stichworte: endloses Wirtschaftswachstum, Digitalisierung, Fortschritt, Bewunderung der Milliardäre und gnadenlose Konkurrenz. An ernsthaftes Lösen des Klimaproblems glaubt niemand von ihnen. Aus Wahlkampfgründen müssen sie lediglich beweisen, dass sie in säuerlichem Ton gewisse Formeln herplappern können.

In welchem Maß der CDU-Kandidat an die Rettung der Natur glaubt, macht schlaglichtartig das Treffen Laschets mit Milliardär Musk deutlich:

„Die Wassertafel Berlin-Brandenburg ist der Ansicht, dass die Ansiedlung das Trinkwasser und die natürlichen Ressourcen gefährdet. Musk wies das zurück. „Diese Region hat so viel Wasser. Sehen Sie sich um!“, sagte er lachend auf eine Frage in Grünheide. „Es ist hier überall Wasser. (…) Es regnet viel.“ Laschet lachte dabei mit.“ (BZ-Berlin.de)

Nun wissen wir, warum der Politiker gerne lacht. Er lacht immer, wenn er bemerkt, dass andere es ernst meinen mit dem, was sie sagen. Das kommt ihm unfasslich – und lächerlich vor.

Milliardäre zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie in immer geringerer Zahl einer immer größer werdenden Majorität der Menschheit das Geld aus der Tasche ziehen, sondern im selben proportionalen Maße die Natur schänden:

„Ganz konkret verursachten die zehn reichsten Prozent der Menschheit nach Angaben der Forscher 36 bis 45 Prozent der weltweiten Emissionen. Das sei zehnmal so viel wie der Beitrag der ärmsten zehn Prozent. Dieses Zehntel der Weltbevölkerung habe lediglich drei bis fünf Prozent zu verantworten.“ (SPIEGEL.de)

Mitten im Wahlkampf hält es ein Kandidat für richtig, zusammen mit einem verantwortungslosen Geldbubi, besorgte Umweltbeschützer zu verlachen. Und Merkels Partei hält es für richtig, diesen Kandidaten nicht sofort in die Wüste zu schicken.

Da fehlt nur noch der gemeinsame Satz der beiden: „Kanzlerkandidat und Tesla-Chef für Abbau von Genehmigungshürden“. So also sieht christliche Naturschonung aus.

Stöcker charakterisiert den lachenden Politiker treffsicher:

„Wer beispielsweise bereit ist, der Partei von Armin »weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik« Laschet seine Stimme zu geben, hat das offenbar noch nicht verinnerlicht. Laschet ist so einer, der den Fernseher einschaltet, während es in der Küche brennt. Das Paradies wartet ja sowieso im Jenseits. Die derzeitige Bundesregierung möchte gern noch 17 weitere Jahre lang Kohle verfeuern lassen. Die Küche brennt, der Flur ist voller Qualm, er erreicht bald die Kinderzimmer. Die Bundesregierung kippt noch ein bisschen Sprit in den Flur. Die Eltern sind noch längst nicht wütend genug.“ (SPIEGEL.de)

Wie Milliardäre mitten im Zentrum ihrer unfasslichen Macht ticken, beschreibt einer, der die seltene Gelegenheit hatte, in ein solches Zentrum zu gelangen:

„Für mich war ein Aha-Erlebnis mitzuerleben, wie im kleinsten Kreis dieser Milliardärsfamilie fast das gesamte schwedische Kabinett versammelt war und wie Schuljungen vor den reichen Wallenbergs gesessen hat, abgefragt wurde und die Welt erklärt bekommen hat. Da wurde Herrschaftswissen ausgetauscht, das eine besondere Machtfülle bedeutete. Eliten haben eine phänomenale Autonomie und Unabhängigkeit entwickelt. Sie können sich praktisch vollkommen abkoppeln von den Gesellschaften, denen sie ihr Geld und ihren Einfluss zu verdanken haben. Heute haben wir es zu tun mit etwa einem Prozent der Menschheit, das über einmalige Privilegien verfügt: Sie können sich mobil bewegen zwischen absolut geschützten Standorten und verfügen über Ressourcen, die an die ganzer Staaten heranreichen. Dazu kommen die ungeheuren technologischen Möglichkeiten etwa der Silicon-Valley-Konzerne, die ungeheure Milliardengewinne in der Corona-Krise erzielt haben. Da sind wir bei einer Machtzusammenballung, die für die Demokratie riskant ist. Der Rest der Weltbevölkerung bekommt mit, welche Privilegien diese Eliten teilweise genießen und dass sie nicht mehr eingefangen werden können für das Gemeinwohl der Gesellschaften – zum Beispiel durch Steuern. Man muss versuchen, die Entfesselung der Finanzkräfte seit den 90er-Jahren wieder zurückzudrehen, die Eliten wieder einzuhegen, das Primat der Politik wieder zurückzuholen. Damit kann die Demokratie vielleicht gerettet werden, die weltweit wackelt.“ (Berliner-Zeitung.de)

Die Meinung von Hans Christian Lange ist eindeutig: Reförmchen mit Steuererleichterungen sind sinnlos. Wir brauchen eine neue Wirtschaftsform, die den Totschlag der Moral revidiert und eine ethische Korrektur der globalen Ungerechtigkeit einläutet.

Die EU-Behörden in Brüssel bilden keine Ausnahme. Auch sie unterwerfen sich der Macht der Konzerne:

„In blinder Gefolgschaft zur Pharmalobby halten sie gegen den Rat der Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen daran fest, dass die Hersteller ihre Patente auf die Impfstoffe und das Know-how für die Produktion nicht freigeben müssen. So aber gibt es keine Wettbewerber, und die Monopolisten können die Produktion verknappen und überhöhte Preise kassieren. Dabei ist die Abzocke der Steuerzahler noch der kleinere Teil der Misere. Viel schwerer wiegt, dass in der Folge Milliarden Menschen nicht geimpft werden, weil sie nicht bezahlen können.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Die Moral des Abendlands wurde totgeschlagen a) durch ein antinomisches Christentum, dessen Gott nicht zimperlich ist, b) durch christogen verseuchte Philosophien wie Hegel, Marx & Co, und – festhalten – c) durch Naturwissenschaftler, die von eigenständiger Moral nichts mehr wissen wollten, sondern das Verhalten der Menschen – die sie als Maschinen definierten – allein durch Naturgesetze bestimmen ließen.

Naturgesetze und selbstbestimmte Moral schließen sich aus. Die Natur hat den Geist frei gelassen, damit er souverän über sich bestimme. Sie wollte nicht, dass wir ihre Sklaven seien. Bei Hegel wurden wir zu Sklaven des göttlichen Weltgeistes, bei Marx von heilsgeschichtlich tickenden Naturgesetzen, bei den exakten Wissenschaften von unveränderlich-quantitativen Gesetzen der Natur.

Zur Freiheit sokratischer Selbstbestimmung hat es der Westen nie gebracht.

Friedrich Meinecke war der einzige deutsche Historiker, der unmittelbar nach der NS-Epoche einen kritischen Rückblick schreiben konnte. In seinem Werk „Die Idee der Staatsraison“ aus dem Jahre 1925 beschrieb er die historische Entwicklung der Deutschen, schwankend zwischen Moral und Machiavelli.

Ab Friedrich dem Großen, spätestens ab Hegel wurde Machiavelli zum Heiligen der deutschen Machtpolitiker. Bismarck war die Urgestalt machiavellistischer Nationalpolitik. Seiner Frau schrieb er, mit der Bergpredigt könne er keine Politik machen. Seine Doktrin:

„Mit machiavellistischer Rücksichtslosigkeit und schärfster Berechnung und Ausbeutung der Machtmittel schuf er den deutschen Staat, aber dieselbe Berechnung ließ ihn auch die Grenzen der Macht, zu der Deutschland fähig war, erkennen.“

Bismarck besaß noch die Fähigkeit, Grenzen seiner Macht zu definieren. Bei Kaiser Willem ging diese Fähigkeit verloren. Im Dritten Reich kannte die messianische Beglückungsgewalt keine Grenzen mehr.

Meinecke wusste noch, dass regelloser Machtwille und Moral sich nicht vertrugen. Der Machiavellismus „zermürbte die absoluten Schranken der Sittlichkeit. Seiner dämonischen Wirkung mussten andere Mächte stets das Gegengewicht halten, früher der kirchlich-religiösen Idee, später dem humanitären Aufklärungsideal, dann dem modernen Individualismus mit seinen neuen ethischen Inhalten.“

Zwei Details stimmen nicht bei Meinecke: das Christentum war selbst Machiavellismus eines Gottes, dem keine Mittel zu böse waren, um seine Ziele zu erreichen. Und: die Ethik der modernen Demokratien sind nicht neu, sondern uralt.

Merkel, die von Geistesgeschichte nichts versteht, hat sich einen Haushistoriker angelacht, der ihren machiavellistischen Kurs absegnet:

„Machiavelli denkt die Paradoxie, dass möglicherweise ethisch nicht vertretbare Maßnahmen zu ausgesprochen positiven Effekten führen können. Das ist sozusagen der Schlüssel, und damit wendet er sich gegen den Zeitgeist – wir bewegen uns in einer Zeit, in der Erasmus unter anderem auch schreibt –, der Zeitgeist, der sagt: Eigentlich ist die aufrechte Gesinnung das, was angesagt ist. Und Machiavelli sagt das genaue Gegenteil: Wenn ihr euch an die vier Kardinaltugenden haltet, werdet ihr scheitern. Und das provoziert natürlich viele Leute.“ (Deutschlandfunk-Kultur.de)

Münkler irrt in fast allen Punkten. Was er Paradoxie nennt, ist ein ordinärer Widerspruch zwischen Moral und Machiavellismus, die sich beide ausschließen. Erasmus, der leidenschaftliche Humanist, war keineswegs Repräsentant des Zeitgeistes, sondern entschiedener Gegner des herrschenden Christentums. Bekannt wurde seine große Streitschrift wider Luthers unfreien Willen.

Fehlt noch eine entscheidende Stimme: die von Ex-Bischöfin Margot Kässmann. Wer ist wirklich schuldig am Klimadebakel? Nicht Gott, sondern allein der Mensch.

„Gott hat damit nichts zu tun. Sie sind ­Folge unserer hochmütigen Haltung: Wir ändern einfach nichts, weil es am bequemsten ist. Wird schon nicht so schlimm werden.“ (BILD.de)

Woher weiß sie das? Sie hat mit Gott gesprochen und weiß, was er denkt und tut. Wer das nicht kann, ist zur Bischöfin untauglich. Kässmann schließt mit einem Pauluszitat aus Römer 8, das beweisen soll, dass der Schöpfer keineswegs eine minderwertige Natur geschaffen habe:

„Wie heißt es in der ­Bibel: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.“

Wer den Zusammenhang des heiligen Textes liest, erkennt allerdings das exakte Gegenteil:

„Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.“

Die ganze Schöpfung ist durch den Willen des Schöpfers vergänglich, unfrei, seufzend und „in Wehen“ geschaffen: sehnsüchtig wartet sie auf eine Neugeburt am Ende aller Tage. Gegen diesen Willen des Allmächtigen kommt keine „Schöpfungsbewahrung“ der Grünen an.

Die Zeiten werden härter. Wie in früheren Zeiten schlagen die Kirchen mit allen Mitteln zu. Sogar mit dreisten Verfälschungen von Bibelworten.

Pardon, wir haben‘s mit exquisiter theologischer Hermeneutik zu tun, die sich von Zeitgeist zu Zeitgeist neu erfinden kann.

Deutsche, schämt euch dieser worte-verdrehenden Pastorin, die nicht nur den Schöpfer aller Dinge von jeder Schuld freispricht, sondern auch seine stellvertretende Magd auf Erden, eine nie schuldig sein könnende Pastorentochter.

Kann der Allmächtige amoralisch sein? Nein, sein Wille – und sei er noch so böse – ist das Heil der Menschen.

„… der ich das Licht bilde und die Finsternis schaffe, der ich Heil wirke und Unheil schaffe, ich bin‘s, der Herr, der das alles bewirkt.“

Kann von einer frommen Kanzlerin verlangt werden, dass sie gegen Gottes Willen – politisch agiert?

Fortsetzung folgt.