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nichtsdesto-TROTZ LVIII

Tagesmail vom 18.08.2021

nichtsdesto-TROTZ LVIII,

„Das Ziel der USA in Afghanistan sei nie der Aufbau eines Staates gewesen, sondern allein der Kampf gegen den Terrorismus.“ (Biden)

„Wir wollten ein Land aufbauen mit demokratischer Struktur, das ist nicht gelungen.“ (Merkel)  (SPIEGEL.de)

Zwei verbündete Staaten mit zwei diametral unterschiedlichen Kriegszielen: wie hätte der Krieg des Westens in Afghanistan nicht scheitern können? Von vorneherein war er zum Fehlschlag verurteilt.

Wussten die beiden Staaten von ihren verschiedenen Kriegszielen? Sprachen sie darüber, konnten sich aber nicht einigen? Hielten sie eine Absprache gar für überflüssig? Waren die Amerikaner überzeugt, die führende Macht der Welt werde sich ohnehin durchsetzen? Glaubten die Deutschen, im Schatten des großen Verbündeten könnten sie ihre „wertebasierten“ Ziele unauffällig durchsetzen – um am Ende die Vorbildlichen zu sein?

Als Antwort auf die 9/11-Terroraktion wurde der Krieg gegen die Afghanen vom Jesus-Gläubigen Dabbelju Bush begonnen. Was war das Ziel des Vergeltungsschlags?

„Bush sagte, Amerikas „großartigster Exportartikel ist die Freiheit, und wir haben eine moralische Verpflichtung, sie in der ganzen Welt voranzubringen“.“ (Peter Singer, Der Präsident des Guten und Bösen)

Amerikanische Glaubenswerte müssten verbindlich werden für alle Staaten.

„Wenn die selbstverständlichen Wahrheiten unserer Gründerväter für uns gelten, dann gelten sie für alle.“ (Bush)

Christliche Werte hält der Jesuaner für universell. Eine totale Verfälschung der christlichen Selektion:

„Wer von oben her kommt, der ist über allen; wer von der Erde her stammt, der stammt von der Erde her und redet von der Erde her; wer vom Himmel her kommt, der ist über allen.“ „Warum versteht ihr meine Rede nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr stammt vom Teufel als eurem Vater und wollt die Gelüste eures Vaters tun. Der war von Anfang an ein Menschenmörder und stand nicht in der Wahrheit.“

Die Erde – oder die Natur – ist das Reich des Teufels, der die Wahrheit des Himmels weder hören noch verstehen kann. Darum spricht Jesus in Gleichnissen. Nur die Seinen können ihn verstehen, die Verworfenen sollen im Nebel stehen.

Es gehört zu den Raubtiermethoden der Erlöserreligion, alles, was sie der Aufklärung mit Feuer und Schwert verweigerten, sich nachträglich anzueignen, um sich als Erfinder aufzuplustern. Demokratie, Humanität, Menschenrechte: alles soll die Frucht ihrer Frohen Botschaft sein.

„Ich habe einen Auftrag zu erfüllen, – Einen Gott zu verherrlichen,
Eine unsterbliche Seele zu retten – und auf den Himmel vorzubereiten.
Den Heutigen zu dienen – Meine Berufung zu erfüllen,
O mögen alle meine Kräfte streben – Den Willen meines Herrn auszuführen.“
(Kirchenlied von Charles Wesley, zitiert von G. W. Bush)

Entweder log Biden oder er verdrängte, dass der Afghanistankrieg sehr wohl ein christlicher Kreuzzug war, um die Heiden zu bekehren.

Bush, Biden und Merkel: alle sind Christen. Wie kommt es, dass sie ihre Politik so unterschiedlich betreiben?

Aus Gründen, die von Deutschen ums Verrecken nicht zur Kenntnis genommen werden: „Christen haben sehr verschiedene ethische Auffassungen. Sie waren Neuplatoniker, Aristoteliker, Kantianer, Marxisten und Existentialisten. Protestanten orientieren sich oft an der Bibel, sind aber über ihre Interpretation nicht einig.“ (ebenda)

Da die Bibel alles bietet, was das sündige Herz begehrt – gemäß Paul Feyerabends Motto: Anything goes – muss man sich alle Varianten betrachten, um den Zweck der jeweiligen Auswahl zu würdigen.

„Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Menschen schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Knechte zu dem Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind getan. Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen? Er entgegnete: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt. Lasst beides wachsen bis zur Ernte und zur Zeit der Ernte werde ich den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune!“

Das Böse nicht bekämpfen, die Gesellschaft nicht humanisieren, keine Visionen der Menschlichkeit entwickeln. Wie es ist, so soll es bleiben – und sei es noch so monströs. Nur Gott darf Grundlegendes in der Welt verändern: das ist Merkels Politik.

Deutsche Zeitbeobachter können sich nicht genug echauffieren über die Kategorien Hell-Dunkel, Gut-Böse, ohne wahrzunehmen, dass die Politik ihrer – bislang geliebten – Kanzlerin nichts anderes ist als Wurstel-Exekution von Gut und Böse. Die religiöse Verdrängungsleistung der Luthernation nähert sich der kollektiven Geistesabwesenheit.

Die leidende Kirche nimmt ihr Kreuz auf sich bis zum Jüngsten Tag, wo der Herr sie zu Siegern der Heilsgeschichte erklären wird. Wer auf Leiden als Seligkeitserwerb angewiesen ist, darf die Gründe des Leidens nicht beseitigen.

Die Nationalsozialisten sprachen von Duckmäusern und Kopfnickern, die sie verachteten. Sie waren keine Kirchengegner an sich, sondern Gegner der Geduckten und Leidenden unter den Frommen.

Solange Deutschland politisch ein Nichts war, definierte sie sich als leidende Kirche. Erst als der Aufstieg zur Macht begann, empfand sich die Kirche als stolze Begleiterin der aufsteigenden Obrigkeit. Eine zunehmend militante Obrigkeit wurde unterstützt von einer immer militanter werdenden Kirche.

Hitler verachtete die duckmäuserische Kirche, die nicht ihre Pflicht erkannte, sich rabiat aller Feinde der göttlichen Schöpfung zu erwehren. Zu diesen gehörten die Juden, die sich an der Reinheit der gottgegebenen Rasse versündigten. Da sich die kommenden Messiasse der Welt bereits im 1000-jährigen Reich – dem irdischen Reich des zurückgekehrten Herrn – wähnten, war die Leidenszeit der Kirche für sie beendet. An die Stelle der ecclesia patiens trat die ecclesia triumphans.

Mit diesem Triumph hatten die Deutschen nachgeholt, was die amerikanischen Entdecker des neuen Kontinents von Anfang an empfanden: sie fühlten sich als die Erben der alten Hebräer, die das Gelobte Land neu entdeckt hatten. Von Anfang an herrschte in Gods own land die militante und triumphierende Kirche, die die Ausnahmestellung der neucalvinistischen Kolonisten begründete. „America first“ war keine Erfindung Trumps, sondern der Herren im neuen Kontinent. Im Dritten Reich hatten die Deutschen zum finalen Triumph der Amerikaner aufgeschlossen.

Nach der Niederlage der deutschen Welterlöser kam es zum blitzschnellen Kostümwechsel. Aus der triumphierenden Kirche deutscher Nation wurde über Nacht wieder eine Kirche in Sack und Asche. Sie mussten Buße tun für ihre Nazisünden, um wieder Anschluss zu finden an die Kirchen der Welt.

Inzwischen gehören sie – dank des wirtschaftlichen Aufschwungs ihrer Nation – wieder zur Weltspitze der Ökumene. Ihre riesigen Kirchensteuern, die von einem wertebewussten Staat eingetrieben werden, verschaffen ihnen dank üppiger Gelder für „Brot für die Welt“ karitative Weltgeltung.

Doch langsam wird‘s schwierig für eine Kirche, die untertan sein soll einer finanzstarken Obrigkeit. Die Massen ihrer Schäfchen verlassen in großen Scharen ein sinkendes Schiff, das zur geistlichen Orientierung der Frommen nichts mehr beitragen kann.

Amerikanische Fundamentalisten sind hier eindeutiger und glaubwürdiger. Sie sind überzeugt von der nahen Wiederkehr ihres apokalyptischen Herrn. An solche Fabeln können rational denkende, aufgeklärte Deutsche (noch) nicht glauben.

„Etwa 94 % der Amerikaner glauben an Gott, 89 % an den Himmel und 72% an Hölle und Teufel.“ Zu diesem Glauben gehört die innige Überzeugung vom Ende der Zeit durch Rückkehr ihres Herrn. (Zahlen von 2004)

Das kann man als Grundlage einer apokalyptischer werdenden Politik attackieren, doch im Gegensatz zu schizophrenen Deutschen können sich die Neucalvinisten im Kampf gegen das Böse mit sich im Reinen fühlen.

„Das klarste Anzeichen eines christlichen Einflusses auf die Bushs Ethik ist seine wiederholte Rede vom Kampf zwischen dem Guten und Bösen. Gelegentlich spricht Bush von den „Bösen“, sogar von den Dienern des Bösen. (Reagan hatte das sowjetkommunistische Regime das „Reich des Bösen“ genannt. Just aus diesem Reich erschien dann ein Gorbatschow, der es den Heuchlern des Westens zeigte und den säkularen Weg eines Friedens auf Erden anzeigte. Das ertrug der Westen nicht und unternahm alles, um die Bedeutung des atheistischen Friedenbringers und seiner Nachfolger solange zu minimieren, bis der Kalte Krieg fröhliche Urständ feierte.) Die Sprache Bushs entstammt geradewegs dem apokalyptischen Christentum. Wir müssen daran erinnern, dass viele Millionen Amerikaner an die Apokalypse glauben. Etwa 53 % der Erwachsenen erwarten die „baldige Wiederkunft Jesu und die Erfüllung der biblischen Prophezeiungen einer katastrophischen Vernichtung alles Bösen“. Die Feinde der Nation werden dämonisiert – und genau das tut Bush. Der Sieg im Irakkrieg war für ihn kein Geschenk der Vereinigten Staaten, sondern ein Geschenk „Gottes an jeden Menschen in der Welt“.“

All diese Bestandteile des christlichen Credos, in den USA höchst lebendig, sind in Deutschland zum Verstummen gebracht. Die Verlierer des Zweiten Weltkriegs genießen hier eine geheime Überlegenheit über ihre Sieger – dank ihrer überragenden Aufklärung.

Die bislang engelgleiche Verklärung der Kanzlerin erfährt zurzeit eine rapide Entmythologisierung. Merkels Bilanz hinter dem ehrenwerten Schein verwandelt sich in Windeseile in ein Fiasko.

Ihre bisher treu ergebenen Medien werden über Nacht zu Enttäuschten und Zornigen, die in ihrem neuen Furor nur eines vergessen: Selbstkritik zu üben. Haben sie nicht sich selbst viel zu lang vom Schweigen der Kanzlerin einlullen lassen, indem sie über das Wichtigste – die religiösen Grundlagen der Merkel‘schen Politik – eisern schwiegen?

Der Sturz in die Realität könnte schmerzvoll und gefährlich für die Nation werden. Überall steigt der Pegel des Hasses jeder gegen jeden. Nicht drohender Wohlstandsverlust, nicht mal eine gefährliche Klimaverschlimmerung wären das Ärgste und Bitterste, das auf die Nation zukäme, sondern die Enttäuschung über sich selbst, die sich niemand eingestehen will und die Schuld am kollektiven Versagen seinem Nächsten in die Schuhe schiebt.

Wie sind die Erklärungen des Debakels? Hier die Erklärung von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel und Shimon Stein, dem ehemaligen Botschafter Israels in Berlin.

Wäre es beim Kampf gegen Al Qaida, der Zerschlagung der terroristischen Organisation und ihrer Infrastruktur geblieben, dann hätte die Internationale Streitmacht längst aus Afghanistan abziehen können. Doch eine bloße Vergeltungsaktion genügte dem Westen nicht:

„Denn exakt darum ging es, als der damalige deutsche Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) seine Begründung für die deutsche Beteiligung am Militäreinsatz in Afghanistan gab: Die Freiheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt. Wenn es bei diesem Kampf gegen den Terror geblieben wäre, hätte der Einsatz in Afghanistan mit Gefangennahme von Osama bin Laden im Mai 2011 enden können. Vor genau 10 Jahren hätte es heißen können: Mission accomplished. Inzwischen hatte sich aber fast unbemerkt ein scheinbar gleichrangiges Ziel des Afghanistan Einsatzes in den Vordergrund geschoben: Nun wollte die westliche Militärallianz auch „Nation Building“ betreiben und dem Land eine halbwegs demokratische staatliche Struktur verordnen. Wir erleben deshalb erneut eine Zäsur in der noch relativ jungen politischen Geschichte dieses Jahrhunderts: Wie schon im Irak zeigt auch in Afghanistan die viel gelobte „wertegeleitete Außenpolitik“, dass sie zu grausameren Ergebnissen führen kann, als die viel gescholtene Realpolitik.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Mit kurzen Worten: wäre die deutsche Kriegsstrategie beim ursprünglichen SPD-Schema einer illusionslosen Realpolitik geblieben, wäre uns das Schlimmste erspart geblieben. So aber machte Berlin den verhängnisvollen Fehler, den „bösen Krieg“ in den Dienst eines guten Zwecks zu stellen: den einer „nation building“, sprich, das Land zur Demokratie zu erziehen.

Wenn schon Machiavelli, dann unbefleckt von allen moralischen Wolkenbildungen. Wir müssen ehrlich sein in unserer interessegeleiteten Amoral. Das „Böse“ bedarf keiner Assistenz durch ein schwächlich Gutes.

Ein WELT-Artikel sprach von Gesinnungsethik, die alles nur schlimmer gemacht habe. Das ungeminderte Böse ist das Schöne, das der anarchischen Freiheit deutscher Kunst entspricht.

Nun haben wir sie wieder: die Bilder des Grauens, die für sich sprechen. Waren es nicht ähnliche Bilder vom Abzug der Amerikaner aus Vietnam, die wir bis heute in ikonenhaftem Schaudern genießen?

Kein Regisseur eines apokalyptischen Filmes hätte sich die realen Katastrophen beim Abzug der Alliierten im Traum vorstellen können. Die TV-Nachrichten schwelgen mit opulenten Endzeitbildern. Störende Fragen nach den Ursachen würden den Mythos des Untergangs nur entweihen.

Kein Kontrastbild von der gelöst lachenden Kanzlerin am selben Abend, da sie wieder einmal „mit betont sachlicher Stimme“ ihr Versagen eingestehen musste. Wir müssen uns erschüttert zeigen, auf dass wir klammheimlich genießen können: wir sind nochmal davongekommen.

Kaum sind die schlimmsten Bilder verschwunden, hören wir die Stimmen staatstragender Politkandidaten, die sofort versichern: das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen. Schlagt euch jede Hoffnung aus dem Kopf, ihr Opfer, dass euer Elend von uns aufgefangen wird.

Der hässliche Fleck, der plötzlich auf Bidens fast makellos weiße Weste fiel, wurde nicht von ihm erfunden. Auch nicht von seinen Vorgängern Trump, Obama, nicht mal von George W. Bush, dem Initiator des Kreuzzugs. Er gehört zum religiösen Inventar der amerikanischen Verfassung, einer brisanten Mischung aus Demokratie und Theokratie.

Die Deutschen hatten noch das Vorbildliche der amerikanischen Demokratie erfahren, als sie vom Bösen befreit wurden.

Nichtchristliche Staaten von heute hingegen werden Opfer einer Gottesmacht, die das Teuflische in der Welt vernichten muss. In vorauseilendem Gehorsam muss die ecclesia militans des Westens die Wiederkehr des Herrn vorbereiten, indem sie das Böse auf Erden ausrottet.

Ein prophetischer Dichter ahnte das Grauen voraus:

„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind, in dürren Blättern säuselt der Wind.
„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh‘ es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau.“
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Die böse Welt hat mir ein Leids getan!“
Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.“ (frei nach Goethe)

Fortsetzung folgt.