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nichtsdesto-TROTZ V

Tagesmail vom 16.04.2021

nichtsdesto-TROTZ V,

„In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen. Hätte ich euch sonst gesagt, dass ich hingehe, um euch eine Stätte zu bereiten?“

In seines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen, aber nicht auf Erden.

Also erging das Urteil des Obersten Gerichts an die Regierung in Berlin, in ganz Deutschland für bezahlbare Wohnungen zu sorgen. Begründung:

„Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.”
Das war die Grundfassung des späteren Artikels 1, die Würde des Menschen ist unantastbar.

Diesen Affront ließ sich die christliche Regierung nicht gefallen und erwiderte: Menschen, die sich auf Erden einrichten, suchen ihren Sinn nicht mehr Droben.

„Richtet euren Sinn auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf Erden ist!“.

Urchristen lebten nur noch scheinbar auf Erden. In Wirklichkeit hatten sie mit dem Diesseits abgeschlossen:

„So ertötet nun eure Glieder, die auf Erden sind. Wenn ihr mit Christus den Naturmächten der Welt abgestorben seid, als lebtet ihr noch in der Welt, warum lasst ihr euch, als lebtet ihr noch in der Welt, Satzungen vorschreiben?“

Menschen mit christlichem Wertekanon hätten mit der Natur abgeschlossen. Was sich auf Erden abspiele, sei nur noch Endspiel:

„Jetzt, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr von Ihm erkannt worden seid, wie könnt ihr wieder zurückkehren zu den schwachen und armseligen Naturmächten, denen ihr von neuem dienen wollt? Tage beobachtet ihr und Neumonde und Festzeiten und Neujahrstage!!“

Ihr sollt nicht Schöpfung bewahren, indem ihr die Natur anbetet:

„Gebet das Heilige nicht den Hunden und werfet eure Perlen nicht vor die Säue, damit sie nicht etwa mit ihren Füßen sie zertreten und sich umwenden und euch zerreißen.“

Ihr sollt die Schöpfung bewahren, indem ihr sie dem Tod überlasst, damit sie in Gestalt des Neuen auferstehen kann.

Der Streit zwischen Gericht und Regierung war streng geheim, die Protokolle wurden vernichtet. Die Menschen in Deutschland erhielten keine Wohnungen.

Es zeigte sich: der Staat war nicht um des Menschen willen da. Die Würde geriet in die Fänge des Marktes, der alles Kostbare immer mehr verknappen muss. Nur wer rasende Preise bezahlen kann, hat sich Würde verdient.

Nein, sie werfen ihre Perlen nicht vor die Säue, sondern erobern mit ihnen den Weltraum. Hunde, Säue und Fledermäuse werden getilgt. Diese Ungeheuer aber wehren sich und speien zurück mit Giftcoronas. Also müssen sie noch unerbittlicher vernichtet werden.

Wer glaubt noch an die Güte der Natur? Nur Schwärmer und Esoteriker – wie einst die griechischen Kyniker, die, überdrüssig der überhand nehmenden Kultur und lange vor Rousseau, zurück zur Natur wollten.

Athen war stolz auf den Glanz seiner erstaunlichen Kultur, deren Ruhm sich in der damaligen Welt zu verbreiten begann.

„Aber da mischte sich eine gewisse Übersättigung an der viel zu schnell gewachsenen Zivilisation in das gewachsene Selbstbewusstsein. Diogenes erklärte die ganze Kultur für blauen Dunst, weil sie nur die Bedürfnisses steigere, ohne sie zu befriedigen und er benutzte die alte Antithese von Natur und Tradition (Physis und Nomos), um in den Gassen Athens die Rückkehr zur Natur zu predigen und vorzuleben. Natur wurde zum Losungswort der Zeit und mit der unmittelbaren Freude des landentfremdeten Städters an Baum und Quell, an reifer Frucht und Zikadengesang, verband sich eine romantische Sehnsucht nach dem Leben des Naturmenschen. Bei den Primitiven der Vorzeit oder der Ferne, beim einfachen Manne aus dem Volk fand man die Bedürfnislosigkeit und die Zufriedenheit, die der Kulturmensch schmerzlich entbehrte. Hier meinte man die naturgemäße und darum echte Lebensform des Menschen zu erkennen – natürlich ohne daraus Folgerungen für die persönliche Lebensführung zu ziehen.“ (Pohlenz, Die Stoa)

Übersättigte Kulturen? Darüber lacht die Moderne, deren Glaube an ewiges Wirtschaftswachstum einhergeht mit unendlichen Bedürfnissen. Nicht endliche Bedürfnisse entscheiden über eine begrenzte Wirtschaft, eine unendliche Wirtschaft erzeugt eine unendliche Nachfrage.

Das Gefühl des Übermäßigen freilich hinderte die antiken Naturverehrer nicht daran, die Spirale des Maßlosen noch weiter zu überdrehen. Der Virus war schon in allen Kulturen – freilich in höchst unterschiedlichen Graden und mit höchst unterschiedlichen Heilungsversuchen.

Die Griechen versuchten es mit Kunst und Literatur.

„Gerade in der Poesie drängte die Sehnsucht nach der Natur zum Ausdruck und ein berühmtes Gedicht schilderte das stille Glück in Hekales ärmlicher, aber gastlicher Hütte.“ (ebenda)

Auch die moderne Romantik kannte die Sehnsucht nach früher Vollkommenheit, doch ihr rückwärts gerichteter Blick endete bereits im – christlichen Mittelalter. Nicht die vollendete Natur des Anfangs, sondern Gottes Allmacht auf Erden war das Ziel ihrer Herzenswünsche.

Platons vollkommener Staat war eine Erinnerung an einen legendären Staat der Frühe, der noch keine Schäden des Unmäßigen kannte. Er war perfekt, weil er zeitlos war. Doch die Erhaltung des perfekten Staates konnte sich Platon nicht anders vorstellen als durch Gewalt. Sein Urfaschismus war die verzweifelte Bemühung um Rückgewinnung des Zeitlosen.

Die Kultur der Athener wurde nicht bewundert wegen ihrer erstaunenswerten Technik – Technik als Vergewaltigung der Natur war ihnen zuwider –, sondern durch ihre Kunst des Schönen, die in ihrer Perfektion die Reinheit der Uranfänge darstellte.

Etwas, was der angebliche Griechenkenner Marx nicht verstand. Wie konnte eine derart bewundernswerte Kultur keinen Ehrgeiz entwickeln, technische „Wunderwerke“ zu entwickeln? Warum konnte sie sich mit belangloser Kunst zufrieden geben?

Moderne Kunst will keine Schönheit der Natur wiedergeben. Das würde sie für Lügen halten. Am Beginn der Neuzeit wollte sie die Dinge darstellen, wie sie sind: in aller Hässlichkeit und Deformation. Bei Goya beginnt die Abkehr vom Schönheitsrausch des Barock und der Renaissance. Anfänglich als Protest, vielleicht in der unbewussten Absicht, durch Widerspiegeln des Hässlichen eine Sehnsucht nach Wiederherstellung des Vollendeten zu stimulieren. Doch schnell war jede Form perfekter Schönheit zum Ekel geworden: das Darstellen des Missratenen wurde Selbstzweck.

Anhänger des Heilen und Schönen der Vorzeiten wie Hans Sedlmayr konstatierten einen Verlust der Mitte.

„Die Malerei ist in der modernen Zeit die hemmungsloseste aller Künste. In der entfesselten Farbe selbst wohnt ein Element des Formlosen und Chaotischen. Eine tiefe Erfahrung des Traumhaften und Sinnlosen war zum ersten Mal darstellungswürdig geworden. Das Thema ihrer „Träume“ ist die Welt des Ungeheuren, der Dämonen, des Infernalischen. Das sinnlose Wüten der Dämonen in Menschengestalt zeigt den Menschen in aller Brutalität nicht mehr als Ebenbild Gottes, sondern entmenscht, und wenn er tot ist, als Kadaver, den man wegwirft.“ (ebenda)

Bei Caspar David Friedrich wird der verlassene Mensch dargestellt, bei Daumier der entstellte. „Die Methode der Entstellung macht den Menschen zu etwas Untermenschlichem, zu einem abendländischen Höllenbild. Der Mensch wird zur Fratze, zum Zerrbild, zur Missgeburt, zum Tier, zur Bestie, zum Skelett, zum Gespenst, zur Puppe, zum Sack, zum Automaten.“ (ebenda)

Heute wären solche Interpretationen kabarettistische Nummern. Spätestens seit Beuys sind „intellektuelle Deutungen“ ein Graus geworden. Kunst hat mit dem Rest der Welt nichts mehr zu tun. Sie spiegelt nicht, ermahnt nicht, revoltiert nicht, jubelt nicht. Nach unerfindlich-irrationalen postmodernen Willkür-Interpretationen wird Kunst in börsenähnliche Spekulationsprojekte transformiert. Das Medium, das einst am weitesten von jeder ökonomischen Nutzbarkeit entfernt schien, ist zur lukrativen Geldanlage geworden.

Selbst die Literatur wird immer mehr zur reflexionsfreien, jede rationale Deutung ablehnende Herzensergießung, über die nur noch ekstatisch wirkende Kenner etwas zu sagen haben.

Das Schöne, Wahre und Gute ist mit dem Ende der heidnischen Kultur untergegangen, Danach wurde Kunst in den Dienst Gottes gestellt, später in den Dienst der adligen Höfe. Der Ring des Schweigens, genauer: des Verstummens, rund um die Debatten des Politischen wird immer massiver und erschreckender. Wenn es über nichts mehr zu reden gibt, wenn es nur noch um beliebige Impressionen geht, ist die Zeit sinnstiftenden Verstehens und Erklärens vorüber.

Der Verlust der Mitte ist längst in der Politik angekommen mit dem panischen Bemühen der herrschenden Klassen, selbst die Mitte zu besetzen. Alles Lästige und Störende wird dann an die Ränder geschoben. Sucht die Gesellschaft nach Sündenböcken, schwärmen die Agenten der Mitte aus, um auf den Straßen die demonstrierenden Feinde der Gesellschaft zu entdecken. Merkwürdig, dass es einigen Verwirrten im Geiste ständig glückt, die pumperlfeste Stabilität der Gesellschaft ins Wanken zu bringen. Viel Ehr für irritierte Saboteure.

Die Mitte ist per se unschuldig: die Intellektuellen, Gelehrten oder sonstigen Erfolgreichen. Unter ihnen immer die Medien, die ohnehin nur berichten, was ist. Damit kann man sich – hören Sie mal! – doch nicht schuldig machen.

Nehmen wir die Esoteriker.

„Esoterik ist in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs eine philosophische Lehre, die nur für einen begrenzten „inneren“ Personenkreis zugänglich ist, im Gegensatz zu Exoterik als allgemein zugänglichem Wissen. Andere traditionelle Wortbedeutungen beziehen sich auf einen inneren, spirituellen Erkenntnisweg, etwa synonym mit Mystik, oder auf ein „höheres“, „absolutes“ Wissen.“

Ein höheres, absolutes Wissen ist – Glauben. Sollte Esoterik etwa mit Religion zu tun haben? Ausgeschlossen. Sonst wären ja Christen die Systemgegner christlicher Nationen. Zeigt sich hier etwa die untergründige Selbstkritik einer Religion, die schon auf dem letzten Loch pfeift?

Wie aber ist zu erklären, dass esoterische Großreligionen die Gegenwart beherrschen, während kleine Esoteriker die Fähigkeit haben sollen, die erfolgreichste Kultur der Menschheitsgeschichte in Bedrängnis zu bringen?

Die Esoteriker auf der Straße haben sich aber nicht durch Geheimwissen des Jenseits unbeliebt gemacht, sondern durch das Gegenteil:

„Esoteriker glauben schon immer an die Selbstheilungskräfte der Natur. Dann kam die Pandemie, Alte und Kranke sterben. Wie kann man noch glauben, die Natur sei nur gut. Natürlich braucht der Mensch diese Erde, um zu überleben. Wir haben eine moralische Verpflichtung, gut mit den fühlenden Wesen umzugehen, die mit uns leben. Und natürlich sollten wir den Planeten kommenden Generationen in einem einigermaßen guten Zustand übergeben. Aber Mutter Erde ist uns nicht gnädig. Das Verhältnis des Menschen zum Rest der Natur ist ambivalent. Deshalb taugt die Natürlichkeit auch nicht als moralischer Anker. Erst eine gewisse Unabhängigkeit von der Natur – zunächst durch Ackerbau (der zugegebenermaßen zu Beginn eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse bedeutet haben könnte), später durch Glühbirnen, die die Nacht durchleuchteten, und Medikamente, die Leben retteten – hat dazu geführt, dass der Mensch heute in einer vergleichsweise gesunden, geordneten und gewaltarmen Welt leben kann. Dass der Mensch sich von der Natur emanzipiert und zivilisiert hat, hat sein Leben radikal besser gemacht. Wer aber, wie die Esoteriker, die Natürlichkeit zum moralischen Wert erhebt, oder wie Weber für eine Rückkehr in eine Art menschlichen Urzustand plädiert, verkennt etwas Wesentliches: Der Mensch hat sich seiner natürlichen Umgebung aus gutem Grund enthoben. Die Kräfte der Natur sind nicht nur milde und gütig, sondern aus menschlicher Sicht zugleich brutal und unberechenbar. Die Natur hat den Menschen durch ihre Früchte und ihre Tiere ernährt, sie hat ihn aber auch vergiftet, von Raubtieren auffressen lassen. Erdbeben, Wirbelstürme, Fluten und Pandemien haben ihn umgebracht.“ (ZEIT.de)

Das war ein Generalangriff gegen die Natur, die bekämpft, kontrolliert und an die Kette gelegt werden muss, damit sie den schwachen, gutmütigen Menschen nicht in Bedrängnis bringen kann. Mutter Erde ist uns nicht gnädig. Offenbar im Gegensatz zum himmlischen Vater, der die Mehrheit der Menschheit aus lauter Gnade hopps gehen lässt.

Der Mensch konnte sich seine Sicherheit nur erarbeiten durch Domestizierung einer naturfernen Zivilisation. Medikamente sind besser als Naturmittel? Gibt es irgendetwas Menschengemachtes, das nicht Natur wäre und durch die Fähigkeiten des Menschen – eines Naturwesens – zu dem gemacht wurde, was es heute ist?

Selbst das scheinbar Naturwidrigste ist – Natur. Der Geist des Menschen ist das Geschenk der Natur, alle Naturgaben zu prüfen und das Beste draus zu machen. Stattdessen verbündet sich die Natur des Menschen mit naturfernen Überwelten, um die wirkliche Welt zu zerrütten.

Sich von der Natur emanzipieren, um sein ganzes Dasein naturfern zu zivilisieren, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Hier sehen wir einen der Gründe, warum sich die Christenheit nicht mit der Erhaltung der Natur beschäftigen will. Die Gegenwart träumt davon, den Sieg der Menschheit über die Natur festzuzurren. Mit der Natur darf man sich nicht verbünden, sie ist nicht vertrauenswürdig. Vor ihr muss man ständig auf der Hut sein, um ihre lauernden Bosheiten zu bekämpfen.

Rekapitulieren wir. Die Gründerzeiten der Moderne waren geprägt von den Gefühlen der Völker, sich übernommen zu haben oder „zu böse“ geworden zu sein. Naturgeprägte Heiden wollten ihre Fehler gutmachen durch Rückkehr zur ursprünglichen Natur, Schöpfungsreligionen durch Rückkehr zu Gott.

Doch stopp, die Rückkehr zum Paradies war nicht möglich. Heilszeiten sind linear und unumkehrbar. Das Paradies musste am Ende der Zeiten, in der Apokalypse gesucht werden. Die Rückkehr konnte nur eine Weiterfahrt, ein historisches Fortschreiten an das von Gott bestimmte Ende der Zeit sein.

Griechen waren uneingeschränkte Bewunderer der Natur. Gleichwohl konnten sie als Naturwesen auch fehl gehen und sich verirren. Die Therapie für ihre Fehlleistungen konnte aber nur in der Rückkehr zur ursprünglichen Natur bestehen. Das war möglich, weil die Zeiten der Natur zirkulär waren. Was früher war, konnte wieder kommen oder wieder erarbeitet werden. Es war nicht durch Verbot der Rückkehr ins Unerreichbare verschoben worden.

Die sokratische Anamnese als Wiedererinnerung des Früheren und Vollendeten war exemplarisch für den Glauben der Hellenen, dass das einstmals Geglückte der Natur durch Erinnerungs- und Denkarbeit wieder revitalisiert werden konnte.

In der Heilsreligion hingegen diente der Mythos vom Paradies nur zur Kontrastbildung zum Sündenfall, der nie durch menschliches Bemühen korrigiert werden konnte. Selbst die Erinnerung an das Frühere war tabu: „ Gedenket nicht des Früheren, und über die Dinge der Vorzeit sinnet nicht nach!“

Das war Erinnerungsverbot als Denkverbot. Der Gläubige sollte nach vorne schauen und alles dem Herrn der Geschichte überlassen. Das ist das Signum der Gegenwart: Verbot der Erinnerung als Verhinderung des Lernens aus Versuch und Irrtum. Geschichte lehre uns nichts, denn alle Epochen der Vergangenheit seien einmalig und unwiederholbar. Das Gedächtnis der Moderne ist nur ein mechanisches Rekapitulieren von Daten, kein Blättern in der Lerngeschichte der Menschheit, um aus der Vergangenheit klug zu werden für die Zukunft.

Für die Heilsreligion ist Natur das Widrige und Sündhafte, das ohne Wunder keinen Augenblick eigenständig über die Runden käme.

„Anders bei den Griechen: für ihn ist die Natur, das Weltall, der Kosmos etwas Göttliches. Die staunende Bewunderung, mit der er die Welt betrachtete, war für ihn Hauptquelle seiner „Naturreligion.“ Für diese braucht er keine Wunder. Ein Gegensatz von Gott und Welt ist für ihn nicht vorhanden, eine Schöpfung aus dem Nichts ein unvollziehbarer Gedanke. Der Grieche empfindet die Natur als etwas Verwandtes und fühlt sich selbst als Teil von ihr.“ (Nestle)

In der Heilsreligion gab es eine enge und straffe Verbindung zwischen Mensch, Priestern und himmlischem Vater. Politische Beziehungen hingegen waren nachrangig und unbedeutend.

Bei den Griechen war es umgekehrt. Hier wurde Politik zur Essenz des Daseins. Einen dominanten Klerus  gab es nicht. „Man konnte in Athen einen besonderen Priesterstand entbehren, weil der Staat selbst „Kirche“ war. Das „Heil“ der Menschen hing ab vom „Heil“ der Demokratie. Die Frommen hingegen suchten nicht das Wohl der irdischen Stadt, sondern die jenseitige Stadt, in der sie die Seligkeit als Gnadengeschenk erfuhren.“

Platon traute nicht mehr den Fähigkeiten der Natur, des natürlichen Menschen oder der therapeutischen Kraft der zirkulären Zeit. Er flüchtete in die Gewalt der Zeitlosigkeit, der Vorläuferin der übernatürlichen Heilszeit, die ohne Zwangsbeglückung nicht auskam. Hier nähern sich die Kulturen.

Freilich empfanden die meisten griechischen Philosophen den genialen Schüler des Sokrates nicht mehr als genuinen Griechen. Für die Urchristen wurde er zum Vorläufer ihres Jenseitsglaubens, zum heidnischen Zeugen des Glaubens. Die irdische Heilszeit barg in sich keine korrigierenden Kräfte, das endgültige Heil lag für sie am Ende aller Zeiten in der Wiederkehr des Messias.

In meines Vaters Hause gibt es viele Wohnungen, nicht aber auf Erden. Der Mensch wird zum Fremdling im Irdischen. Sehnsucht nach dem Weltall und Opferung der Erde verbünden sich zur Sehnsucht des Gläubigen ins Himmelreich.

Die Frau als Quelle des Lebens spielt keine Rolle mehr in der Ökonomie des Fortschritts. Auf der via triumphalis des Mannes ist sie nur noch Hindernis und lästige Blockade:

„Selig sind die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren haben. Dann wird man anfangen, zu den Bergen zu sagen: Fallet auf uns! Und zu den Hügeln: Bedecket uns!“

„… und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hinunter, etwas aus seinem Hause zu holen; und wer auf dem Feld ist, der kehre nicht zurück, seinen Mantel zu holen. Weh aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Bittet aber, dass eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. Denn es wird dann eine große Bedrängnis sein, wie sie nicht gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder werden wird.“

Das sind die verlockenden Aussichten der Entfremdeten und Unbehausten. Die Erde wird zum unbewohnbaren Planeten.

Fortsetzung folgt.