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Neugermanische Übermenschen

Hello, Freunde der neugermanischen Übermenschen,

die Tage werden härter, Deutschland ist mächtig geworden – höchste Zeit für Nietzsche. Der Grieche ist etwas, das überwunden werden muss. Was der Affe für den Menschen, ist der Grieche für den wiederauferstandenen neugermanischen Übermenschen: ein Gelächter und eine schmerzliche Scham. Ein giftiger Guter wäre, wer Mitleid hätte mit den Griechen.

Neugermanische Übermenschen von Schäuble zu Merkel, von BILD zu SPIEGEL, vom Bund der Steuerzahler bis zum Institut der deutschen Wirtschaft: sie sind keine lügenhaften Guten. Sie üben den kalten, mitleidlosen Blick Zarathustras.

„Sonderlich Die, welche sich die Guten heißen, fand ich als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen in aller Unschuld. Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten nämlich ist unergründlich.“

Noch müssen sie üben, die neuen Übermenschen, noch wirken sie wie Maschinen, denen man vergaß, adliges Hassen einzuprogrammieren. Noch verachten sie die Griechen. Verachten ist keine Tugend echter Übermenschen:

„Ihr dürft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten“.

Zwei griechenverstehende Gute – Ulrike Guérot und Michalis Pantelouris – debattierten gestern in Phönix mit zwei maschinenhaften Neugermanen – Michael Hüther und Reiner Holznagel –, denen nur noch eins fehlte zum aristokratischen Übermenschen: der dionysische Hass gegen alles, was ihre

an reine Höhenluft gewöhnten Nasen beleidigt. Noch verachten sie die Griechen.

Noch ist ihnen jenes Geheimnis wahrer Höhe unbekannt, dass Übermenschen auf ihre Feinde nicht verächtlich herabschauen sollen. „Im Feinde muss man sich noch selber ehren“. Noch ehren sie sich nicht, die deutschen Herrenmenschen, noch verachten sie sich, denn sie verachten andere. Doch das öffentliche Einüben der Möchtegern-Übermenschen oder das obszöne Verachten von Verlierern hat schon begonnen.

Rechtzeitig zum ersten Konflikt mit unterwertigen Verbündeten, die sich anmaßen, Freunde zu sein, beginnen die Deutschen coram publico – auf ihren Stehempfängen mit Champagner grassierte der Virus schon lange – auf minderwertige Nationen, nein, noch nicht mit Herrenstiefeln, aber mit endlosen Zahlenkolonnen einzutreten.

„Wir müssen uns ehrlich machen“, sagte der Obermaschinist der Steuerzahler. Ohne zu merken, wie ehrlich er war, als er zugab, gelogen zu haben. Wenn Deutsche ehrlich werden, wird‘s brandgefährlich. Deutsche Ehrlichkeit findet statt, wenn Menschen als Bestien präsentiert werden. Die Majorität der Menschheit ist, seien wir ehrlich, Ausschussware der Natur.

Deutschland zählt wieder zu den Herrennationen der Welt. Amerika und China werden wir noch schaffen. Die EU haben wir schon im Würgegriff. Früher sprachen sie von Rassismus, heute sind sie cleverer geworden: sie reden ökonomie-rassistisch. Objektive Zahlen können nicht lügen. Die „Qualität“ des Lebens steht vor dem globalen Exitus, Leviathan „Quantität“ hat die Herrschaft über den Planeten angetreten.

Die neue – uralte – Herrennation hat sich die Pöbelnationen vorgenommen:

„Denn es könnte einmal kommen, dass der Pöbel Herr würde, und in seichten Gewässern alle Zeit ertränke. Darum, oh meine Brüder (Schwestern sind nicht übermenschenfähig), bedarf es eines neuen Adels, der allem Pöbel Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt „edel“.“

Den edelsten Wirtschaftsnationen gebührt die Herrschaft über die Welt. Die edelsten sind die skrupellosesten, sie fluten die Welt mit unbarmherzigen industriellen Ergüssen und mit gebotener Überlebenshärte. Schluss mit – so die liebste Formel der BILD – Schluss mit Weicheiern und Griechenverstehern:

„So viel Güte, soviel Schwäche sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und Mitleiden – so viel Schwäche.“

Der neu-nietzscheanische Feldzug gegen schwache, giftige und lügenhafte Gutmenschen begann punktgenau, als der Neoliberalismus Einzug in Deutschland hielt. Über Nacht lagen alle Medien flach. Linke Dogmatismen hatten sie genug gehört: nun wollten sie aufbrechen zu neuen Ufern.

Ernst Elitz, gütig scheinender Großvater der BILD, lässt sich von Altersmilde nicht dominieren:

„Denn die griechische Regierung führt sich auf, als müssten alle andern nach ihrer Pfeife tanzen. Doch mit diesem Irrsinn muss jetzt endlich Schluss sein. Europa darf sich nicht zum Affen machen lassen!“

SPIEGEL-Fleischhauer will die verrückten Affen von Griechenland gar in die Psychiatrie einweisen lassen. Sie lebten in einer psychotischen Wahnwelt. Noch ein kleiner Schritt und wir sind wieder bei lebensunwertem Leben, bei Schwachsinnigen und Verblödeten. „Leider deutet alles darauf hin, dass Tsipras und seine Leute ihren Wahn nicht mehr unter Kontrolle haben.“

Menschen im Wahn ohne polizeiliche Kontrolle können gefährlich werden für ihre Umgebung. Nun wissen wir, warum die EU ein gemeinsames Heer benötigt – um mediterrane Irrläufer, die gefährlich werden könnten, in die Zwangsjacke zu stecken.

Ein gemeinsames Steuer- und Sozialwesen kriegen sie nicht hin, eine gemeinsame Armee aber muss sein. Das hat doch nichts mit militärischer Eskalation zu tun. Zu solchen Bösartigkeiten ist nur der asiatische Irrläufer Putin fähig.

Wir müssen uns ehrlich machen, die Ehrlichkeit gebietet uns, in aller Deutlichkeit auszusprechen, dass Länder ohne Kataster und nennenswertes BIP keine Zukunft mehr auf dem Planeten haben. Griechenland war und ist klientelistisch (vornehm für korrupt) und wird es immer bleiben. So ein historischer Kenner Griechenlands. Die neue Regierung will sogar das ganze Volk zu ihrer Klientel machen.

Der Endkampf um die Weltherrschaft hat längst begonnen, da müssen die Völker sich warm anziehen, um nicht unter die Räder zu kommen. Die Ehrlichkeit aber gebietet uns, die schreckliche Wahrheit auszusprechen: viele Loser werden unter die Räder kommen. Für unnütze Fresser ist kein Platz auf Gottes weiter Erde. Zumal die westlichen Sieger der Geschichte allesamt 500 Jahre alt – oder gar unsterblich werden wollen. Da wird es eng in den geopolitischen Räumen, die von der Sonne nicht versengt werden.

Also höret auf Zarathustras Vision und versucht, „jene ungeheure Energie der Größe zu gewinnen, um, durch Züchtung und andererseits durch Vernichtung von Millionen Mißratener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zugrunde zu gehen an dem Leid, das man schafft und dessen Gleichen noch nie da war!“ (Aus dem Nachlass Nietzsches)

Was Nietzsche noch barbarisch-aktivistisch formulierte, hat Hayek wissenschaftlich und vornehm artikuliert. Die Wirtschaftsgesetze der Evolution können nicht auf alle Menschen Rücksicht nehmen. Nicht die Tüchtigen, die Glücklichen werden Gnade finden. Die anderen werden mangels Masse ins Gras beißen. Da muss man keine Kanonen schicken.

Der Wettbewerb aller Völker mit allen wird seines Amtes walten. Der allwissende Markt wird wissen, was er tut, wenn er ohne sentimentale Sozialpolitik die globalen Fluren bereinigt. Vernichtung und Leid sind produktiv und unvermeidbar. Der wirksamste Gevatter Tod mit der Sichel war noch immer der kathartische Krieg.

Die Menschheit braucht wieder Kriege, sie ist satt und feist geworden. Der Menschheitspott muss wieder umgerührt worden, er ist verklumpt und verknöchert.

Was der deutsche Nietzsche philosophisch und militaristisch, wollte der Österreicher Hayek ökonomisch vollstrecken.

„Gelobt sei, was hart macht. Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig – fließt. Mitleiden ist der tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, so tief sieht er auch in das Leiden.“ – Sprüche Rosenbergs oder des zarten Pfarrersohns?

Europas Wirtschaft muss sich straffen und rüsten zum Endkampf um die begrenzten Erdressourcen. Das geht nicht ohne Opfer. Die Abendländer haben den kinderfressenden Moloch abgeschafft – um den wirtschaftlichen Moloch anzubeten.

Vernichtung muss sein, damit Neues entsteht, so Arno Widmann in der BLZ. Gewiss, ISIS-Horden sind schreckliche Barbaren. Doch barbarische Zerstörungen sind lebensnotwendig, um die Tenne zu fegen für den Empfang des Neuen.

„Sie fallen auch über Götterbilder und Kulturdenkmäler her, vor denen schon seit mehr als zweitausend Jahren kein Gläubiger mehr in Knie gegangen ist. Es ist eine Barbarei, es ist Vandalismus. Wir reagieren völlig zu Recht mit Abscheu darauf. Auch unsere Sprachlosigkeit ist verständlich. Denn für diese Taten gibt es keinen Grund. Sie sind nicht kriegsnotwendig, sie scheinen eine Verschwendung an Energie, ein irrationaler Überschuss, der einer Eroberung der politischen Macht mehr im Wege zu stehen als ihr zu nutzen scheint. Aber es ist genau dieser Überschuss, durch den sie Kraft und Energie zeigen. Dieses scheinbar irrationale Moment ist in Wahrheit Teil eines vernünftigen Kalküls. Uns dämmert, dass alle Kultur auf der Vernichtung einer anderen aufbaut.“ (Arno Widmann in der BLZ)

Die ersten Christen haben die antike Kultur in ungeheurem Maß dem Erdboden gleichgemacht. Heute entrüsten sich die christlichen Priester über das Vandalentum der Ultraislamisten. Ihre eigenen Verwüstungen haben sie längst umgedeutet und umgelogen in Bewahrungsaktionen des griechischen Geistes. Doch das getreue Aufbewahren des Wenigen, was die ersten Mönche übersehen hatten, begann erst im germanischen Mittelalter, als das Christentum sich konkurrenzlos etabliert hatte.

In der Neuzeit hat das materielle Vernichten der griechischen Kultur sich längst in geistiges Vernichten verwandelt: in Verdrängen und Vergessen des griechischen Denkens und seiner besten Ideen und Erfindungen. Demokratie, Menschenrechte sind heute zwangsumgetauft worden in Früchte der Religion – jener Religion, die alles Heidnische in die Hölle verflucht hatte.

Vernunft, Autonomie, Aufklärung, Philanthropie, Freundschaft, Erkennen, Weisheit und Schönheit: die Perlen Athens werden entweder dem süßen Jesulein zugeordnet oder als überhebliche Früchte der menschlichen Vernunft stigmatisiert. Hayeks Gegenaufklärung ist eine einzige Verdammung des selbstgewissen Menschen, der sich anheischig macht, sein Schicksal auf Erden vernünftig zu gestalten.

Arno Widmann bringt das Kunststück fertig, die Gewalttaten der Terroristen zu attackieren – und sie im selben Moment für notwendig zu erklären, um das Neue zu gebären. Dieser Irrsinn ist das Zentrum der Moderne:

„Diese Barbarei, diese Vandalismen sind Teil unserer Geschichte. Wir sollten uns von unserem berechtigten Entsetzen an den Verwüstungen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ nicht dumm machen lassen dafür, wie Geschichte passiert. Sie muss so nicht passieren und jeder Versuch, sie daran zu hindern so zu passieren, ist jeder Mühe wert, aber wir wissen doch auch, dass es nichts Neues gibt ohne die Zerstörung des Alten.“

Warum ist das Christentum wahr? Weil es alle Gegner besiegt hat. Wer siegt, hat Recht. Erfolg ist das irdische Kriterium für das Heilige. Der Erfolg muss nicht auf eigener Leistung beruhen. Er muss von Oben erlassen worden sein.

„Es ist gewiss oft traurig zu sehen, wie die Verteilung der Güter dieser Welt durch bloßes Glück, wenn nicht durch Schlimmeres bestimmt wird und nur so selten im Verhältnis zu erkennbarem Verdienst oder Bedarf steht. Aber wie viel schlimmer wäre es doch, wenn wir alle überzeugt wären, dass jeder das verdient, was er hat – oder nicht hat –, und der, dem es schlecht geht, wüsste, dass alle anderen meinen, er verdiene es eben nicht besser. Ich möchte jedenfalls nicht in einer solchen Welt leben, die heute so viele Menschen machen möchten, wenn sie nur könnten. Wie schon Friedrich Hölderlin gesagt hat: „Immer hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“ (Hayek)

Die Utopie mündiger Menschen besteht nicht in der Kopie einer illusionären, religiösen Fata Morgana, sondern in rationalen Erwägungen des Wünschbaren und Menschenmöglichen. Wer will mit Bestimmtheit erklären, der Mensch sei lernunfähig und könne nicht friedensfähig werden?

Hayeks Neoliberalismus, der heute die gesamte Wirtschaftspolitik der EU verseucht, hat Hölderlin auf den Kopf gestellt. Weil er den Staat zur Hölle selektiver Erwählung macht, schafft er es, das ganze Zusammenleben der Menschheit in ein wachsendes globales Inferno zu verwandeln. (Leider hat Popper diesen Unsinn – gegen den ausdrücklichen Wortlaut seiner Kant- und Sokratesverehrungen – übernommen.)

Europa folgt dem selbsterfundenen Gesetz einer unbegrenzt wachsenden wirtschaftlichen Utopie. Zu diesem Zweck müssen ökonomische Altlasten wie Griechenland geschleift, abgestoßen oder ausgeschlossen werden. Arno Widmann spricht nur aus, was alle technischen und wirtschaftlichen Himmelsstürmer von den Dächern pfeifen.

Die Vergangenheit ist die Summe von Erblasten, die über Bord geworfen werden müssen, damit sich der Horizont der Zukunft öffne. Schauen wir nicht mehr zurück, schauen wir nach vorn: das ist der Tod aller Kultur. Da verblassen selbst ISIS-Kämpfer, die nur das Äußerliche vernichten konnten.

Das Abendland ist zur innerlichen ISIS geworden. Wie Lots Frau sich nicht umschauen soll, so sollen die Sieger der Geschichte alles hinter sich verleugnen und vernichten, was ihren Sturmlauf in die Zukunft behindern könnte. Was sie in Museen aufbewahren, sind nichts als einbalsamierte Leichen, die für Gegenwart und Zukunft bedeutungslos sind.

Seit dem Siegeszug des Christentums besteht der abendländische Fortschritt im systematischen Vernichten des Alten. Das Neue ist die gloriose Umschreibung für den Akt einer permanenten kulturellen Selbstauslöschung. Versteht sich, dass das Christentum eines Tages seinem eigenen Gesetz erliegen wird.

Hier eine Beschreibung frühchristlicher Vernichtungsorgien gegen alles Antike und Heidnische:

„Schon unter den Söhnen Konstantins wird gegen den alten Glauben der Griechen ein förmlicher Vernichtungskampf proklamiert. Der „Aberglaube“ soll aufhören, der „Wahnsinn der Opfer“ ausgerottet und damit „den Verlorenen die Möglichkeit des Sündigens“ genommen werden. Daher wird der heidnische Kultus direkt untersagt und die Schließung der Tempel befohlen. Wer opfert oder Götterbilder verehrt, den soll das „rächende Schwert“ treffen, sein Vermögen dem Fiskus anheimfallen. Der Gedanke der Toleranz wird von Konstantius geradezu als eine Verruchtheit bezeichnet. Man sieht: schon ganz und gar der mittelalterliche Kirchenjargon, wie er uns später entgegentritt durch Hinweis auf Deuteronomium (5. Mose) 13,6, wo dem Frommen befohlen wird, den eigenen Bruder und Freund, den Sohn und die Gattin zu ermorden, wenn sie versuchen würden, ihn für einen fremden Glauben zu gewinnen! Es sei besser, die Ungläubigen wider ihren Willen zu retten, als sie mit ihrem Willen verloren gehen zu lassen.“ (Pöhlmann, Der Staat und das Christentum)

Wenn in der Phönix-Runde die „Verteidiger“ der Griechen deren Probleme erklären und verstehen wollten, wurde ihnen von Hüther & Co schroff beschieden: das sei alles vergossene Milch von gestern, man müsse nach vorne schauen.

Kaltschnäutzig ausgebremst von einem sogenannten Moderator hatten die Griechenfreunde einen schweren Stand. War Europa durch stillschweigende, langjährige Kumpanei nicht mitschuldig geworden? Ging es nicht um demokratische Defizite der EU, die der Troika diktatorische Befugnisse einräumte? Waren die ökonomischen Gründungsverträge der EU nicht allesamt neoliberal, während die neuen Protestbewegungen in den Mittelmeerländern eine fundamentale linke Kritik an der Despotie der Reichen entwickeln?

Hüther & Holznagel wollten von Ursachen nichts wissen. Sie beteten ihre neoliberalen Dogmen her, die in biblischem Geiste behaupten, dass jede Sanierung schmerzen muss. Ohne Schmerzen ginge es nicht. Was sie nicht sagten, war nur die Kleinigkeit, dass die Schmerzen stets von Unterschichten getragen werden müssen. Oberschichten profitieren immer. Sie profitieren von normalen Verhältnissen, und noch mehr, wenn der Staat Bankrott anmeldet.

Wer Kranke heilen will, sollte klare Diagnosen stellen und folgerechte Therapien entwickeln. Ohne präzise Anamnesen ist beides unmöglich. Die neoliberalen Priester beschränkten sich auf das beschwörende Herunterrattern von Zahlen. Doch Zahlen allein, ohne Verständnis ihres Entstehens, bleiben substanzlos.

Wie kann man Kranken helfen, wenn man ihre Krankengeschichte nicht kennt? Wie kann man sie retten, wenn man ihnen das letzte Blut abzapft? Es ist, als amputierte man einem Kranken beide Unterschenkel, um ihn aufzufordern, nun endlich seine Beine zu benutzen.

In preußischem Ton verlangen die Deutschen von den Griechen strikte Unterordnung. Theoretische Debatten werden verweigert. Varoufakis, weltweit anerkannter Ökonom, wird zum lümmelhaften Traumtänzer reduziert.

Schäuble versteckt seine ökonomischen Defizite hinter autoritären Sprüchen: so lange ihr Griechen eure Beine unter den europäischen Tisch streckt, bestimmen wir, wo Bartels den Most holt.

Der immer nationalistischer werdende SPIEGEL assistiert auf manierierte Art dem strengen, aber verständnislosen Hausvater. Zum Duell zwischen ihm und dem Griechen schreibt er: „Der eine ist griechischer Ökonomieprofessor, immer bereit für theoretische Brillanz. Der andere ist deutscher Praktiker, nüchterner Jurist und skeptisch gegenüber allem, was glänzt.“

In schlichten Worten: Schäuble kann seine Unterlegenheit nicht zugeben und bleibt fixiert auf ordinären Kapitalismus. Die originellen Gedanken des Griechen will er nicht zur Kenntnis nehmen. Merkel kennt keine ökonomischen Grundwerke und hat sich gänzlich neoliberalen Beratern ausgeliefert. In praktischer Wirtschaft ist das deutsche Duo den Griechen so weit überlegen, wie in theoretischer Hinsicht unterlegen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der EU riskiert eine neu gewählte Regierung die Konfrontation mit Brüssel. Seit den 30er Jahren gab es keinen nennenswerten linken Gegenentwurf gegen die neoliberalen Sektierer, die mit Hilfe Margaret Thatchers und Ronald Reagans den Westen eroberten und, nach dem Fall der Mauer, die ganze Welt.

Die EU hat sich aus einem hoffnungsvollen Experiment in eine scheindemokratische Elitenherrschaft verwandelt. Ohne Debatte und ohne nachbarliche Solidarität. Jede Nation ist sich selbst die nächste. Nicht Kants kategorischer Imperativ und Friedensutopie sind die Säulen der EU, sondern die Untertänigkeit unter angebliche Gesetze der Geschichte – in der Tradition der europäischen Gegenaufklärung. Von Mandeville über Ferguson bis Malthus und Darwin.

Die Loyalitätsparolen der Europäer sind hohl geworden. Die Gemeinschaft droht auseinander zu brechen. Hinzu kommt, dass Berlin die juristisch und historisch berechtigten Reparationsforderungen Athens aus der Zeit des Weltkriegs mit schmierigen Tricks abschmettert.

Deutschlands Wirtschaftswunder war nur möglich, weil die Gläubigerstaaten – darunter Griechenland – das Land der Täter in den Reigen honoriger Staaten zurückgeholt haben und ihm die Möglichkeit gaben, seine Schulden im Rahmen des Möglichen zurückzuzahlen. Aus dem großmütigen Entgegenkommen hat das Land nichts gelernt.

Waren sie früher die Schwachen, die von der Souveränität der Starken profitierten, sind sie inzwischen zu Starken geworden, die sich als arrogante neugermanische Übermenschen aufspielen. Die german Angst hat sich als Demutsmaske unterdrückter Geltungssucht entlarvt. Vor lauter Kraft können die Deutschen nicht mehr laufen.

Eine wilhelminische Herrenreitermentalität beginnt sich der deutschen Gesellschaft zu bemächtigen. Willems Flotte mutierte zur wirtschaftlichen Exportwalze Merkels.

Je verbissener sie in die Zukunft schauen, je fester hat Vergangenheit sie am Kragen.