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Natur und Weib

Hello, Freunde der Natur,

woran erkennt man tiefgreifende Krisen der Menschheit?

a) am Unterschlupf der hilflosen Menschheit unter den Schirm der Religion und

b) an der – männlichen – Neuverhandlung über das Weibliche: was will das Weib?

Sollten beide Punkte etwa zusammenfallen? Wird frau problematisch, wenn man zitternd beim Großen Vater Zuflucht sucht?

„Die große Frage, die ich trotz meines dreißigjährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will eine Frau?“ (Freud)

„Der Mann ist leicht zu erforschen, aber die Frau verrät ihr Geheimnis nicht“. (Kant)

Das Rätsel, an dem Freud, Kant und 110% aller Männer scheitern, hat Ulf Poschardt in der WELT mit Bravour gelöst:    

„Frauen wirken als Avantgarde der Ich-Auflösung.“

Ich-Auflösung ist Ich-Destruktion. Wessen Ich destruiert die Frau? Das eigene? Das männliche? Früher nannte man Frauen, die das Männliche in Zweifel stellen, attackieren oder demontieren: Hexen. Der Mann wird von der geheimnisvollen, verführerischen Frau angelockt, von

den Haifischzähnen ihrer Lusthöhle zerlegt und in höhnischer Erbarmungslosigkeit ausgesaugt.

„Die verderbte Hexe stellt die Leidenschaft der Pflicht, den gegenwärtigen Augenblick der Einheit der Zeit entgegen, sie hält den Wanderer der Heimat fern, sie breitet Vergessen über ihn aus“. (Simone de Beauvoir)

Hexen müssen ins Feuer. Nicht so bei Poschardt. Bevor er sie für den Sündenfall verantwortlich macht – stellt er sie aufs Podest und schnurrt auf charmante Art: „Das abendländische Konzept vom Ich als einem langen, ruhigen Fluss erodiert“.

War das ein Kompliment? Nicht nur versenkt die avantgardistische Frau den „Zwang zur Selbsttreue“ im langen ruhigen Fluss, sie leistet auch heftigen Widerstand „gegen die biologische Diktatur des Verfalls und befreit uns vom „alten Diktat von Natur und Biologie.“

Jetzt wissen wir, wer den Menschen in Wahrheit unterdrückt. Es sind nicht die männlichen Despoten, es ist die uralte Hexe Natur, die uns nicht aus ihren scharfen Greifhänden entlässt.

Poschardt, Sprecher der erfolgreichen Männer, kennt keine gütige, im Übermaß spendende Mutter Natur, die uns freigebig mit allem ausstattet, was wir zum guten Leben benötigen. Dieses Muttersöhnchenbild der Natur, von gottlosen Heiden in die Welt gesetzt, war schon im Mittelalter von weiberhassenden Söhnen der Kirche weggefegt worden.

Schon die frühen Bergmänner, die es wagten, mit Gewalt in den Bauch der Mutter vorzudringen, rechtfertigten sich mit dem theologisch korrekten Argument, die Erde sei keine wahre Mutter, sondern die böse Stiefmutter, die die Metalle in ihrem Inneren verstecke und verberge, anstatt sie dem Menschen freiwillig zu gewähren.

Die griechische Bild der nahrungsspendenden Mutter Natur war dekonstruiert zugunsten einer falschen Hexe, die ihren bedürftigen Kindern ihren Überfluss vorenthält. Natur muss man in allen „Winkeln und Ecken“ ausspähen, um ihre boshaft zurückgehaltenen Geheimnisse und Schätze aufzuspüren, so Francis Bacon.

Natur ist etwas, was geplündert werden muss. Sie ist keine gütige Mutter, die ihre Kinder großzügig an ihrem Busen ernährt. „In den Gängen und Einschlüssen der Erde nach Metallen zu schürfen, ist wie das lüsterne Wühlen in weiblichem Fleisch.“

Was im ausgehenden Mittelalter der Bergbau, ist in der Moderne zum direkten Wühlen im weiblichen Unterleib geworden. Die Fortpflanzungsorgane der Frau, die die Männer am heftigsten beneiden und mit allen technischen Mitteln übertreffen wollen, müssen zum Lieblingslabor der Männer werden, um die Frau durch Fertilitationstechnik nach und nach überflüssig zu machen.

In vivo muss in vitro werden. Die Kunst des sexuell beschmutzten Gebärens muss der Frau genommen und ins kathartisch-reine Reagenzglas übertragen werden. Das Leben ist viel zu verunreinigt und kontaminiert, als dass man es der Frau überlassen dürfte.

„Bergbau und Sexualität stellen … die Rückkehr zu Animalität und irdischem Schmutz dar.“ (Carolyn Merchant, Der Tod der Natur). Schon im Alten Testament war das Weib eine Kloake, die sich von der Krone der Schöpfung entfernt halten musste, um den Mann nicht mit ihrem Unflat zu beschmutzen. Selbst der Akt der Geburt war unrein: „Wenn ein Weib Mutter wird und einen Knaben gebiert, so bleibt sie sieben Tage unrein.“

Nicht lange her, dass es die medizinische Mode gab, Frauen bei den geringsten Symptomen „untenrum“ in toto auszunehmen. Prophylaktisch gewissermaßen. Hängen nicht alle Krankheiten mit dem sündigen Unterleib der Frau zusammen?

„Zwischen Schiss und Piss wird der Mensch geboren“, formulierten zartfühlende Frauenfreunde unter christlichen Kirchenvätern.

Jetzt ist Weltkrise, und der nächste Angriff gegen den weiblichen Unterleib und ihre schändliche, kapitalismusunverträgliche Fruchtbarkeit schwappt von Amerika herüber. Was in Silicon Valley, dem Männermekka der Fortschrittler, ausgebrütet wird, muss im technikfeindlichen Deutschland importiert werden.

Die frauenfreundliche Methode, Kinder just in time zu gebären, nennt sich soziales Einfrieren. Sozial deshalb, weil es für Frauen asozial sein kann, dem Gruppendruck gewinnorientierter Männerhorden nachzukommen. Für Firmen kann es von Vorteil sein, Frauen zu beschäftigen, die wissen, was sich gehört.

Es gehört sich nicht, den Unternehmen die besten Jahre der Frau mit Kinderkriegen zu stehlen. Kinder sind Karrierekiller, hörten wir gestern – von niemandem widersprochen – in Jauchs verheißungsvollem Zukunftsseminar, das er bescheiden Talkshow zu nennen pflegt.

Der sündige Unterleib der Frau wird schon wieder ausgenommen – um ihn in eingefrorenem Zustand beliebig zur Verfügung zu haben. Vor allem, um nicht zur Unzeit von ihm belästigt zu werden.

„Scheiße“ hatte der Chef einer exzellenten Karrierefrau ins Telefon gebrüllt, als sie ihm eröffnete, sie sei schwanger. Heute betreibt die Einser-Abiturientin Yoga-Übungen. Hat sie zu diesem Zweck so fleißig an Eliteuniversitäten studiert?

Das Weibliche muss sich nahtlos der männlichen Welt unterordnen. Wie der Mann Ebenbild Gottes, muss das Weib zum Ebenbild des Mannes werden. Nie käme eine Frau auf die Idee, die Männer aufzufordern, sich Frauen zum Vorbild zu nehmen. Karrierefrauen haben auszusehen, zu denken und zu sprechen wie Männer. Die neue Welt ist nicht andro-gyn (mann-weiblich), sondern andro-zentristisch.

Der Feminismus der Nachkriegszeit liegt am Boden. Simone de Beauvoirs Idee einer emanzipierten Frau als perfektes Jean-Paul-Geschöpf ist von den Männereliten nach allen Regeln der Kunst atomisiert worden. Die Frau dachte gleichberechtigt zu werden, indem sie zum Ebenbild des göttlichen Mannes avanciert. Das ist ihr schlecht bekommen.

Die Männerwelt wurde nie in Frage gestellt, alles konnte technisch und ökonomisch bleiben, wie es der Mann seit Jahrhunderten für richtig hält. Vom Männerkuchen wollten die bescheidenen Frauen nur ein bisschen mehr abhaben, das hätte ihnen genügt. Ihre Bedürfnisse sollten nicht unbescheiden sein. Schließlich sind sie mit diesen seltsamen Geschöpfen, mit denen sie konkurrieren, auch noch verheiratet. Am Wochenende, wenn die Helden einfliegen, müssen sie ihnen Geborgenheit und Zuversicht einflössen, damit jene im nächsten Interview sagen: meine Familie ist das Zentrum meines Lebens, sie bedeutet mir alles.

Was haben die Feministinnen übersehen? Nur das Wichtigste: das Sein, das das Bewusstsein der Männer bestimmt. So reden jedenfalls die Männer, um an ihrem Sein nichts ändern zu müssen. Auch Männer wollen Opfer sein. Opfer der Verhältnisse.

Warum können die Frauen die Männerwelt nicht aus den Angeln heben? Weil sie im Zweifel mütterlich denken und ihre gehetzten Bubis für zu schwach halten, um ihnen die Meinung zu geigen und an ihrem Stuhl zu sägen. Lieber unterordnen die Frauen sich ihren tyrannischen Schwächlingen, als dass sie den Bankrott ihrer Helden riskieren.

Frauen wollen zwar konkurrieren – und müssen doch ihre Unterdrücker vor ihrer eigenen Konkurrenz schützen. Nehmt es nicht so ernst, wenn wir tun, als wollten wir euch in die Eier treten. Lieber lassen wir uns unsere eigenen nehmen, damit ihr eure im täglichen Konkurrenzkampf schonen könnt – so reden sie subkutan zu ihren Göttergatten, die sie wie pflegebedürftige Große Knaben behandeln.

Eier haben, das ist seit Fußalltitan Kahn die Beschreibung männlicher Ellbogenpotenz. Versteht sich, dass die Frauen keine haben dürfen, um ihren charakterschwachen Lieblingsfeinden nicht allzu sehr auf die Pelle zu rücken.

Solange der Feminismus nicht die „Systemfrage“ stellt und eine ganz andere Wirtschaft will – eine, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht eitle Bankkonten – solange wird er von einer Falle in die nächste tappen. Ein bisschen Gleichberechtigung kann es so wenig geben wie ein bisschen schwanger sein.

Kapitalismus ist die Methode, systematische Ungleichheit zwischen Geschlecht und Geschlecht, Mensch und Mensch herzustellen. Es gibt keinen anderen Daseinszweck für den Kapitalismus, als durch Dauerkonkurrenz alle Menschen gegen alle aufzuhetzen. Teile und herrsche: das ist die Urlosung der Konkurrenz, die den anderen schädigen muss, um seine eigenen Interessen zu verfolgen.

In einer neuen Weltordnung muss Konkurrenz abgeschafft werden zugunsten des Agons, des Wettstreits aller um den menschenwürdigsten Lebensstil.

Konkurrenz ist Wettkampf, der den anderen schädigt, um sich zu nützen. Agon wetteifert mit den Anderen, um allen zu nützen.

Viele menschenfeindliche Elemente des männlichen Systems werden von Frauen stillschweigend geschluckt – auch wenn sie sie für falsch hielten. Ihre kritische Meinung hielten sie zurück, um die Männer zu schonen. Das hätten jene nicht ertragen und wären zusammengebrochen, fürchteten insgeheim die aggressionsgehemmten Feministinnen.

Dabei hat sich längst gezeigt, dass die Männerwirtschaft Natur und Menschheit ruiniert. Eine umfassende ökologische Emanzipation wäre notwendig, um allen Menschen zu nützen. Wird hier den Frauen zu viel abverlangt? Sollen sie durch ihre Emanzipation die ganze Menschheit erlösen?

Es gibt keine einseitige Emanzipation. Männer können nicht gleichberechtigt sein, solange ihre Frauen minderwertige Mitglieder der Gesellschaft sind. Die Angriffe des Feminismus waren zu ängstlich, allzu viele Bestandteile der Männerwelt hat er geschont.

In Jauchs Scheindebatte kamen die Männer gar nicht vor, höchstens als „durchstartende Konkurrenten“, die es stets leichter haben, nach oben zu kommen als die durch Schwangerschaft gehandicapten Frauen.

Ist es sinnvoll, in Silicon Valley immer mächtigere und gefährlichere Maschinen zu entwickeln? Maschinen, die den Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen und ihre Freiheiten zunehmend einschränken?

Wozu und zu welchem Zweck unbegrenzter Fortschritt? Wozu eine grenzenlos reicher werdende Wirtschaft, wenn sie an ihrem jetzigen Reichtum schon erstickt?

Die Krise der Menschheit ist zur Gesamtkrise geworden. Es wird keinen Frieden geben, solange die Völker in ungerechten Verhältnissen leben. Es wird keine Gerechtigkeit ohne die Lösung der ökologischen Frage geben. Es wird keine Lösung der ökologischen Frage ohne eine fundamental veränderte Wirtschaft geben. Es wird keine fundamental veränderte Wirtschaft ohne Gleichberechtigung der Geschlechter geben. Es wird keine gleichberechtigten Geschlechter geben, solange der Fortschritt mit immer gewaltigeren Maschinen vorangetrieben wird.

Es muss ein Gesamtentwurf von den Völkern entworfen und debattiert werden, damit die Entwicklung der Weltpolitik in die richtige Richtung gelenkt werden kann.

Der Feminismus darf sich nicht länger als partikulares Problem definieren – ohne Zusammenhang mit allen anderen Problemen.

Das asoziale Einfrieren weiblicher Eizellen ist eine Unterfrage des Problems der Freiheit. Sind Frauen wirklich frei, wenn sie mit den Köpfen der Männer denken und in vorauseilendem Gehorsam ihr eigenes Lebensglück opfern, um den Gesamtbetrieb nicht zu beschädigen? Sind sie frei, wenn der Gruppendruck einer Firma auf ihnen lastet?

Es geht nicht darum, technische Hilfsmittel zur Verschönerung des eigenen Lebens zu verteufeln. Technik ist kein Widerspruch zur Natur, sondern selbst Natur, die Erfindung des Menschen, der ein Sprössling der Natur ist. Dennoch muss Technik daraufhin überprüft werden, ob sie dem Menschen nützt oder schadet.

Wer ist der größte Feind der Frau? Die Frau selbst, die sich den Erpressungen und Bestechungen der Männerwelt ergibt. Bemerkt die Frau noch immer nicht, dass der Kapitalismus ein kinder- und familienfeindliches System ist, eifersüchtig auf alle Gefühlsbeziehungen der Menschen, die nicht ihm gelten?

Von Dekade zu Dekade steigt die Zahl der Singles, der alleinerziehenden Mütter, der zerschlagenen Kleinfamilien. Von Dekade zu Dekade sinkt die soziale Kompetenz der Menschen, da sie nur noch per Maschinen miteinander umgehen können.

Wer Followers für Freunde hält, die Anzahl der Emails als Maß sozialer Beliebtheit empfindet, der ist nicht mehr fähig, einer politischen Gruppe beizutreten und verlässliche Basisarbeit zu betreiben. Sich verlässlich zu zeigen, gilt bereits als „idealistische Schwäche“, die von anderen ausgenutzt werden kann.

Die feministischen Debatten leiden an Blutarmut, an Realitätsverlust, an Weltvergessenheit. Welche absonderlichen Themen werden hier debattiert, die mit der Welt der meisten nichts zu tun haben: Liebe Genossen oder liebe GenossInnen? Liebe Mit-glieder und Mit-mösen? – wie Jürgen von der Lippe lästert, der die Gleichberechtigung der Frau in allen Lebensbereichen für Unfug hält und die Frau paschahaft in ihre Schranken weist:

„Bei mir hört es schon auf mit der Forderung nach einer Frauenquote in Aufsichtsräten. Damit ist niemandem gedient“, sagte er im Gespräch mit dem SPIEGEL. Eine Frauenquote würde zu nichts Gutem führen, „da sie Personen in Positionen brächte, nur weil sie das richtige Geschlecht haben.“

Ist es bei Männern anders? Wem Gott ein männliches Amt gibt, dem gibt er auch Verstand? Waren es nicht männliche Eliten, die die Weltfinanzen ruiniert haben? Kann man an neuen Herausforderungen nicht wachsen?

Schillernder als die griesgrämigen Frauenfeindlichkeiten des Komikers sind die vergifteten Lobsprüche Poschardts. Der Frau bescheinigt er, die abendländische Ich-Identität unterminiert zu haben. Doch war Identität nicht der Kern der abendländischen Philosophie? Hatte, wer sein Ich verriet, nicht seine ganze Persönlichkeit verraten? War Treue zu sich selbst nicht der Stolz der autonomen Persönlichkeit?

Identität war keine Starrheit, sie musste täglich lernend vertieft und erweitert werden. Werde, der du bist. Jede Veränderung musste sich befragen lassen, ob das Ich durch sie reifer und weiser geworden war.

Poschardt erweckt den Eindruck, als ob Identität ein Gefängnis sei, aus dem man sich befreien müsse. Wenn das Ich durch Veränderung seine Biografie verleugnet, dann muss die Ich-Auflösung ein pathologischer Wahnzustand sein.

Diesen Ich-Verlust nannte man in früheren Zeiten Gehirnwäsche und beschuldigte totalitäre Despoten, sie würden aus Menschen mit Foltermaßnahmen Roboter und Marionetten machen. Freiwillige Gehirnwäsche soll nun eine avantgardistische Leistung der Frau sein?

Poschardt beschuldigt die Frau nichts weniger, als am Identitätsverlust der abendländischen Kultur schuldig zu sein. Das also ist die Rückseite seiner absurden Komplimente. Offensichtlich weiß Poschardt nicht, dass Gehirnwäsche in einer UNO-Erklärung als Unmenschlichkeit gilt:

„1975 hat die UNO in ihrer Erklärung über den Schutz aller Personen vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Nr. 3452, 9. Dezember 1975) auch die Methode der Gehirnwäsche mittels manipulativer Psychotechniken eingeschlossen.“

Der WELT-Autor huldigt einem christlichen Bild der Natur, die mit dem Sündenfall des Menschen teuflisch geworden ist. Die böse Natur muss bekämpft und vernichtet werden. Der gottgleiche Mensch soll sein eigener Schöpfer aus dem Nichts sein:

„Für viele Menschen ist die plastische Chirurgie eine Erlösung. Sie beendet das Diktat von Natur, Biologie und Vererbung und lässt die Gottähnlichkeit des Menschen in der radikalen Schöpfung des Selbst gipfeln. Ich kann so werden, wie ich bin.“

Es gibt hier kein Ich bin mehr, das sich entwickeln könnte. Denn dies wäre die Identität des Menschen.

Jetzt wird’s noch absurder. Soll die Schönheitsoperation ein Faustschlag gegen die tyrannische Natur sein, dreht sich das Argument um 180 Grad und die neue Schönheit ist plötzlich die – Vollendung der Natur. Die neue Schönheit ist nicht die Fremdleistung eines Chirurgen, sondern die Eigenleistung einer gesunden, disziplinierten Lebensweise:

„Mit dem Adjektiv „gesund“ baut sie den Verklärern des „Natürlichen“ eine Brücke. Das Gesunde ist die Steigerung des Natürlichen. Mehr noch: Das Gesunde ist die Rendite für natürliches Leben und dessen notarielle Beglaubigung. Wer natürlich lebt, bleibt gesund, sagt unsere populistische Naturreligion. Wer sich gegen die Natur versündigt, wird krank.“

Was denn nun? Naturfeindliche Operation – oder naturfreundlich gesundes Leben? Poschardt ist ein Wirrkopf der standardisierten Journaille. Das Weib lobt er für avantgardistisches Tun und macht sie gleichzeitig verantwortlich für den Ich-Verlust der ganzen Kultur. Was auch immer die Frau tat: es war ein Sündenfall. Am Ende nämlich, so Poschardt, gäbe es „keinen Weg zurück zur Unschuld.“

Der ach so progressiv scheinende WELT-Schreiber entlarvt sich als starrer Biblizist. Das Weib ist schuld am Sündenfall. Die Hymne auf das Weib entlarvt sich als religiöse Schuldzuweisung. Die jetzige Krise hat ihre Ursache gefunden: es ist das Weib, das ihrem Ich untreu geworden und vom gottgewollten Weg abgekommen ist.

Weg mit Frauengedöns, Frauenquoten und emanzipatorischem Schnickschnack. Hinter dem schreibenden Charmeur versteckt sich die Arroganz des von Gott privilegierten Mannes, der in gesuchten Worten die Warnung des alttestamentarischen Predigers wiederholt:

„Da fand ich: Bittrer als der Tod ist das Weib, sie ist ein Fangnetz, ihr Herz ist ein Garn und ihre Hände sind Fesseln. Wer Gott gefällt, der entrinnt ihr, wer aber sündigt, wird von ihr gefangen. Unter tausend habe ich wohl einen Mann gefunden, aber ein Weib unter diesen allen fand ich nicht.“