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Natur brüllt! XLIV

Tagesmail vom 29.12.2023

Natur brüllt! XLIV,

Globaler Pan-Pisa-Test – wer macht mit?

Ein Jahr Weltpolitik ist vorbei. Schaun ma mal, was wir zustande gebracht haben.

Wie viele Hungertote?

Wie viele Klimaflüchtlinge?

Wie viele Ertrunkene, allein im Mittelmeer, die ins angeblich sichere Europa flüchten wollten?

Wie viele politisch Verfolgte, Gefangene und Gefolterte, Unterdrückte und Eingesperrte gab es?

Wie groß ist die Anzahl der rasant wachsenden Despoten, Schaumschläger und Militanten?

Wie viele Demokratien sind verschwunden? Wie viele Autokratien rüsten sich zum Endkampf auf Erden?

Wie viele Kriege und drohende Kriege haben wir zurzeit?

Wie hoch sind die Ausgaben für Waffen, einsatzfähige Armeen, Feinde und erdüberwachende KI?

In welchem Maß wird die Natur weiter demoliert, ausgeraubt und zerstört?

Welche Tier- und Pflanzenarten wurden restlos eliminiert?

In welchem Maß wurde die Atemluft ununterbrochen von technischen Ausdünstungen vergiftet?

In welchem Maß sind die Temperaturen gestiegen, dass sie kaum noch erträglich sind?

Wie wächst die Anzahl der Klimatoten pro Jahr?

Wie viele Landstriche mussten verlassen werden, weil sie immer unbewohnbarer wurden?

Wie viele Staaten gibt es noch, in denen die Menschen ruhig, zufrieden, ja glücklich leben können?

Wie verändern sich die Staaten? Rutschen sie nach links und werden immer gerechter? Rutschen sie nach rechts und werden immer religiöser, autoritärer, unfreier und zerrütteter?

Wurden die politischen Auseinandersetzungen in und zwischen den Staaten immer klarer und transparenter oder versanken sie im Müll begrifflicher Intransparenz?

Ist das geopolitische Begriffsklima verständiger und sachlicher geworden oder gibt es immer mehr Missverständnisse, Sticheleien und offene Aggressionen?

Wird die humane Ethik der UN-Charta immer mehr zum selbstverständlichen Kriterium internationaler Auseinandersetzungen – oder wird die universale Ethik immer dreister angegriffen, missachtet und unterhöhlt zugunsten religiöser Sondermoralen, ungleicher Völker und verschiedener Rassen und Kulturen?

Ist internationale Gleichheit aller Staaten das Ziel der Völkergemeinde oder bestimmt das Streiten um Vorrang das weltpolitische Ziel der Völker?

Wie steht es um die wirtschaftlichen Verhältnisse der Staaten? Innerhalb und außerhalb ihrer nationalen Grenzen? Ist internationale Ökonomie weiterhin ein ungezügelter Moloch, um die reichen Klassen noch immer reicher und die armen noch immer ärmer zu machen? Stehen sich die Klassen immer feindlicher gegenüber – oder suchen sie Verständigung und Versöhnung?

Ist die mehr als 2000 Jahre währende Debatte um wirtschaftliche Gerechtigkeit noch immer vergiftet durch Berufung auf schicksalhafte Gesetzgebung, die keine gleichen Menschen kennt, sondern nur bessere und schlechtere, die ihre Prägungen nie überwinden dürfen?

Sind die Menschen noch immer Objekte eines unerforschlichen Schicksals oder haben sie inzwischen ihre Stempel von Oben verworfen und bestimmen ihr Leben durch ihre eigene Tüchtigkeit?

Rücken wir näher an das heutige Europa:

„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ So hat es die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf einem der vielen dramatischen Höhepunkte der Schuldenkrise beschlossen. Eine radikalere Reduktion Europas auf die blanke Ökonomie ist kaum denkbar. Ist Europa tatsächlich nur eine Art Wohlfahrtspakt, eine Chiffre für eine einheitliche Wirtschaftszone, ein Synonym für einen Markt?“ (Weeber, Hellas sei Dank)

Nicht Wolfgang Schäuble war der ökonomische Agitator gegen die Griechen, sondern seine damalige Chefin, deren Name in den Nachrufen stets unerwähnt bleibt?

Ganz Deutschland, das Vorbild in der EU sein wollte, drosch auf das historisch ausgeplünderte Griechenland ein, um ja seinen eigenen Wohlstand nicht zu gefährden.

Die deutschen Gazetten schwappen über von Lobreden auf den verstorbenen Deutschen, der Franzose Delors hingegen, fast gleichzeitig verstorben und weitaus verdienstvoller um die EU als der Deutsche, wird kaum erwähnt. Noch immer muss Deutschland an der Spitze aller Konkurrenzen stehen.

In Deutschland kreist alles um sich selbst. Wenn sie um die Welt reisen, sind sie es, die der Welt durch oberflächliches Bewundern ihren Wert verleihen: schau mal, diese Aussicht, sowas habe ich noch nie gesehen.

Zuhause angekommen, werden sie Flüchtlingen aus jenen Landen mit Nichtbeachtung begegnen. Was ihre Vorväter durch Krieg nicht zustande brachten, bringen sie durch Tourismus zustande: sie sind die voyeuristischen Herren der Welt.

Wenn’s zu ihrer Reputation passt, berufen sie sich auf das hellenische Erbe ihrer Dichter und Denker. Obgleich sie keine Skrupel haben, die Botschaften der Polis ins Gegenteil zu verkehren.

Nehmen wir die Bildung.

„SCHOLE ist ein griechisches Wort und bedeutet Muße – geistvoll verbrachte Zeit, die der Bildung der Persönlichkeit ohne Blick auf eine unmittelbare praktische Verwertung dient.“

Staunen stand am Anfang des Erkennens und damit der ganzen europäischen Wissenschaftsgeschichte. Bei uns steht blinde Bewunderung am Anfang der Nachahmung der Erfolgreichen.

Am Anfang und am Ende der deutschen Bildung steht die Angst. Angst vor der Bewertung durch unfehlbare Quiz-Offenbarer. Was ist heute deutsche Bildung? Das belanglose Wissen unzusammenhängender Fakten, die niemand versteht und verstehen will.

In Griechenland war das Was nicht von dem Warum zu trennen. Wissen war gut, Fragen noch besser. Darin waren sich die Griechen einig, dass ein Was ohne Warum kein wirkliches Erkennen zur Folge hatte.

Was wäre nötig, um in deutschen Schulen das Denken zu lehren?

„Fragen zu stellen und denken zu lernen.“

Es ging den Athenern nicht darum, ihre Erkenntnisse zu vermarkten und materiellen Gewinn daraus zu ziehen, sondern um die – im alltägliche Sinn nutzlose – „reine Betrachtung und Erkenntnis der Dinge.“ Philosophie ist kein albernes Quizraten, nichts, mit dem sich eine Nutzanwendung verbindet. In den Augen der Moderne ist Philosophie eine brotlose Kunst.“

Was hingegen sagen unsere Pisa-Experten?

„Unsere Schulen von heute sind unsere Wirtschaft von morgen.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Woher kommen die Probleme der gegenwärtigen Moderne?

Dass nicht mehr in Muße nachgedacht wird. Was nicht in Geld, technische Überlegenheit und Macht über die Menschen verwandelt werden kann, ist Müll.

Wenn deutsche Schulabsolventen an die Macht gelangen, wissen sie nicht, ob sie sinnvolle Zustände vorfinden – wenn an ihren Produkten keine Preisschilder hängen.

Welt-Eliten – die es angeblich nicht geben darf – fallen beim Lösen des Pan-Pisa-Tests regelmäßig auf die Nase. Sie wissen nicht, welche Gründe ihrer eigenen Stupidität dazu beigetragen haben, den politischen Zustand der Welt zu verwüsten. Aber sie erkühnen sich, ihren Nachwuchs regelmäßig zu überprüfen, ob sie das kranke Denken ihrer Eltern und Vorfahren fehlerlos verinnerlicht haben.

Wie können sie ihre Kinder erziehen, wenn sie selbst nicht erzogen sind? Was qualifiziert sie, ihren Nachwuchs zu überprüfen, obwohl ihr eigener Wissensstand marode ist? Was befähigt sie, andere zu bewerten, wenn sie von der Verunstaltung ihrer Welt nichts, aber auch gar nichts verstanden haben?

Kinder und Jugendliche, befreit euch vom Joch eurer ignoranten Machthaber.

Allen Brüdern und Schwestern wünschen wir ein staunendes und denkendes neues Jahr, um das planetarische Elend von Grund auf durch Verstehen zu beenden und ein Neues zu beginnen.

Fortsetzung folgt.