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Natur brüllt! XLII

Tagesmail vom 18.12.2023

Natur brüllt! XLII,

Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her,
ich bring‘ euch gute neue Mär,
der guten Mär bring‘ ich soviel,
davon ich sing’n und sagen will.
Das hat also gefallen dir,
die Wahrheit anzuzeigen mir,
wie aller Welt Macht, Ehr und Gut
vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut. (Martin Luther, 1535)

Weihnachten, das Fest der Freude, ist die lichterreiche pittoresque Vorwegnahme des Dritten Reiches, wenn der Herr in aller Pracht und Herrlichkeit auf die Erde zurückkommen und die Welt für die Seinen wieder in Besitz nehmen wird.

Was ist das Dritte Reich?

„Das allgemeine Schema von Joachim di Fiores scharfsinniger Deutung fußt auf der Lehre von der Trinität. Drei verschiedene Ordnungen entfalten sich in drei verschiedenen Epochen, in denen die drei Personen der Trinität nacheinander offenbar werden. … Das Grundgesetz des Heilsgeschehens ist das ständige Fortschreiten von der Zeit des „Buchstabens“ des Alten und Neuen Testaments bis zu der des „Geistes“, analog der wunderbaren Verwandlung von Wasser in Wein.“ (Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen)

„Auf lange Sicht lässt sich die Wirkung der joachimitischen Spekulation bis in unsere Gegenwart verfolgen. Joachims Phantasie von den drei Zeitaltern ist beispielsweise in den von den idealistischen deutschen Philosophen Lessing, Schelling, Fichte und bis zu einem gewissen Grad auch von Hegel aufgestellten Theorien wieder zutage getreten; ebenso in Auguste Comtes Interpretation der Geschichte als eines Fortschreitens aus der theologischen über eine metaphysische in eine wissenschaftliche Phase und wiederum in der marxistischen Dialektik von den drei Stadien: primitiver Kommunismus, Klassengesellschaft und künftiger Kommunismus, in dem der Staat überwunden werden und das Reich der Freiheit anbrechen wird. Ebenso zutreffend – obschon noch paradoxer – ist die Tatsache, dass das Schlagwort vom „Dritten Reich“, das vom nationalistischen Publizisten Moeller van den Bruck 1923 erstmals geprägt und später von Hitler zur offiziellen Bezeichnung der angeblich tausend Jahre währenden „Neuen Ordnung“ gemacht wurde, nur geringen Gefühlswert besessen hätte, wenn nicht das Phantasiebild von der dritten und glorreichen Ordnung über die Jahrhunderte hinweg zum feststehenden Bestand der Sozialmythologie Europa gehört hätte.“

Schon früh waren eschatologische Spekulationen um den deutschen Kaiser Friedrich aufgekommen, der „als Kaiser der Endzeit das unfertige Werk zu Ende führen werde – in dessen Person man jenen eschatologischen Erlöser sah, der das Heilige Grab befreien, der Wiederkunft Christi und dem 1000-jährigen Reich den Weg bereiten werde. So wurde das Bild des Kaisers der Endzeit zum ersten Mal auf den aktuellen Herrscher über den Gebietskomplex übertragen, der mit Deutschland als Zentrum im Abendland als das Heilige Römische Reich bekannt war. – Es geht um die Vorstellung von einem endgültigen Vernichtungskampf gegen „die da Oben“ sowie von einer vollkommenen Welt, aus der der Egoismus für immer verbannt sein wird. Ihrer übernatürlichen Legitimation entkleidet, leben revolutionärer Millenarismus und mystischer Anarchismus bis heute fort.“ (Norman Cohn, Die Sehnsucht nach dem Millenium)

Eine erste Ähnlichkeit fällt sofort ins Auge:

„Es wurde gezeigt, wie eng die Phantasien der Nationalsozialisten von einer jüdischen Weltverschwörung mit den Vorstellungen Emico von Leiningens und des Meisters von Ungarn zusammenhängen und wie Desorientiertheit der Masse in diesem wie in früheren Jahrhunderten die Dämonisierung der Juden begünstigen. Parallelen und eine gewisse Kontinuität sind unbestreitbar.“ (Ebenda)

Wir wissen, dass die Welt uns hasst, denken die Juden. Gerade jetzt im Krieg der Israelis gegen die palästinensischen Terroristen wächst der Hass der Welt gegen die Israelis. Könnte eine iranische Atombombe nicht im Nu das ganze Land vernichten?

Im Falle Deutschlands, das seinen früheren Opfern scheinbar alles verzeiht und fast alle Schuld den Palästinensern in die Schuhe schiebt, muss man von der Rückseite der Sichtbarkeit her denken.

Man muss kein Freudianer sein, um zu erkennen, dass hier eine dominante Kollektivschuld auf den Kopf gestellt wird, um die Realität zu ertragen.

Die rituellen Bittgebete an den Altären des Holocaust haben keine andere Funktion, als das Misstrauen der Welt zu zerstreuen und sich selbst etwas vorzulügen. Die schäumenden Antisemitismus-Jäger der Springer-Presse beispielsweise sind nichts anderes als pervertierte Antisemiten, die ihre Schuldgefühle betäuben, indem sie die Kritiker Israels geifernd zur Strecke bringen.

Avraham Burg gehört zu den wenigen, die sich nicht blenden lassen. Sein Buch trägt den Titel: „Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss.“

Auch Masha Gessen gehört zu den wenigen, die die Blindheit der Deutschen nicht der Dunkelheit überlassen:

„Wer so tut, als sei der Holocaust mit nichts vergleichbar und könne sich folglich auch nicht wiederholen, kann die Katastrophe nicht verhindern. Ich sage das, was ich für notwendig erachte, gesagt zu werden. Hannah Arendt war eine große Verfechterin dieser Haltung. Sie scheute sich nicht vor dem Nazi-Vergleich. In Ihrem Text zitieren Sie die US-Philosophin Susan Neiman mit dem Satz, die deutsche Erinnerungskultur sei »völlig aus dem Ruder gelaufen«. … dass sich in der Debatte eine Form von Überwachung eingestellt hat – allen voran in puncto Holocaust-Vergleich. Da geht es schnell um Gleichmachung und Relativierung. Diese Position finde ich historisch, moralisch und politisch problematisch, weil wir den Holocaust damit außerhalb der Geschichte verorten. Das macht den Satz »Nie Wieder« von einem politischen Projekt zu einem Zauberspruch. Der Holocaust steht für sich und wird sich deshalb – wie von Zauberhand – niemals mehr wiederholen. So könnte man es abstrakt beschreiben. In Deutschland herrscht eine Kultur des Silencing, des Mundtot-Machens, eine Verengung der politischen Diskussion. Wie kann man das als erwachsen charakterisieren? Genau das ist normalerweise ein Zeichen für eine unreife und unterentwickelte politischen Sphäre. Israel hat sehr starke Allianzen mit der politischen Rechten in vielen westlichen Ländern geknüpft, etwa in Polen und den USA. Derzeit springen viele Trumpisten auf den Anti-Antisemitismus-Wagen auf: Sie benutzen die Anschuldigung von Antisemitismus, um gegen die Liberalen und ihre Institutionen vorzugehen. Der Antisemitismus ist ein exzellentes Instrument für jedes politisches Ziel, weil man damit Gegner zum Schweigen bringen kann. Grundsätzlich ist der Kampf gegen Antisemitismus nicht schlecht, sondern notwendig für eine Demokratie. Aber hier wird er zur perfekten Waffe. Es kann nicht sein, dass in Deutschland israelkritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Gute Freunde würden es dir sagen, wenn du falsch liegst. Sie würden sagen: Ich liebe dich, egal, was auch passiert – aber du musst damit aufhören. Langfristig ist es für Juden gefährlich, wenn jegliche Kritik an Israel als antisemitisch gebrandmarkt wird: So übersehen wir den tatsächlichen Antisemitismus.“ (SPIEGEL.de)

In einem Punkt hatte Popper Recht – als er Hölderlins Kritik übernahm:

„Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“

Das war eine fundamentale Kritik an der christlichen Geschichtstheorie des deutschen Idealismus. Das Dritte Reich der Nazis war keine materialistische Vorstellung, sondern eine religiöse, die sich in Jahrhunderten in eine politische verwandelt hatte.

In ARTE konnte man eine bemerkenswerte Sendung über das Ende des Dritten Reiches in Deutschland sehen und sein Fortleben als technische Utopie in der amerikanischen Raumfahrt.

Was heute nicht an die große Glocke gehängt wird: es waren deutsche Wissenschaftler um Wernher von Braun, die das Staffelholz der deutschen Raketentechnik an die Amerikaner weitergaben.

Die Amerikaner sprachen alle mit markanten sonoren Stimmen. Sie fühlten die Zeit gekommen, dass sie die Führung in der Weltraumfahrt und somit über die Weltpolitik übernehmen sollten.

Damals hatte noch die Sowjetunion die Nase vorn in allen Weltraumdingen. Juri Gagarin war der erste Mensch, der einen Raumflug absolvieren konnte.

John F. Kennedy, der charismatische Präsident der USA, wollte diesen demütigenden Umstand beenden und beauftragte die letzten aktiven Vertreter des deutschen Dritten Reichs, Amerika in einen Zielort der christlichen Geschichte zu verwandeln.

Nicht mit Gebeten und andächtigen Phrasen, sondern mit der fortschrittlichsten Technik jener Zeit. Das Dritte Reich, von den Amerikanern besiegt, wurde zu ihrem technischen Eigentum. Hegels Weltgeist verließ das besiegte Reich der Deutschen und begann amerikanisch zu sprechen.

Deutschlands Führungsrolle versank unter dem Bombenhagel der Alliierten und emigrierte mit seinen szientiven Resten nach Cape Canaveral. Die höllische Konkurrenz zwischen amerikanischem und deutschem Christentum wurde beendet, die Verlierer wurden – bis zum heutigen Tag – zu Imitationen der strahlenden Weltführer.

Was war geschehen?

„Die Sicht einer künftigen Heils- oder Unheilszeit wird zur Vision eines neuen Aion, der an die Stelle der alten Weltzeit tritt und durch das Werk eines untergegangenen Heilsvermittlers eine Verwandlung der Welt bewirkt. Alles nach dem Wort Jesajas: „Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen; man wird der früheren Dinge nicht mehr gedenken.“ (Friedrich Wagner, Die Wissenschaft und die Gefährdete Welt)

„Auch die „Raumfahrt“ hat ihre mythischen Wurzeln und eschatologischen Ziele.“ „Nicht ewig bleibt die Menschheit auf der Erde.“

Der Sinn der christlichen Prophezeiungen vom radikalen Ende des Alten und der Schaffung eines gänzlich Neuen soll durch Wissenschaft Realität werden.

An Weihnachten erwarten die Gläubigen mit Lichtern, Tannenbäumen und endlosen Geschenken die Wiederkunft des Herrn.

In ihren Laboren entwerfen sie das Ende der Geschichte unter ihrer Regie als Werk ihres mathematischen und technischen Genies.

Wach auf, wach auf, du deutsches Land!
Du hast genug geschlafen,
Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt,
will niemand Wahrheit hören;
die Lüge wird gar fein geschmückt,
man hilft ihr oft mit Schwören;
dadurch wird Gottes Wort veracht’,
die Wahrheit höhnisch auch verlacht,
die Lüge tut man ehren.“

Fortsetzung folgt.