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Natur brüllt! XXXVI

Tagesmail vom 27.11.2023

Natur brüllt! XXXVI,

„Du wirst alle Völker vertilgen, die der HERR, dein Gott, dir geben wird. Du sollst sie nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen; denn das würde dir zum Fallstrick werden. Dazu wird der HERR, dein Gott, Hornissen unter sie senden, bis umgebracht sein wird, was übrig ist und sich verbirgt vor dir. 21 Lass dir nicht grauen vor ihnen; denn der HERR, dein Gott, ist in deiner Mitte, der große und schreckliche Gott. 22 Er, der HERR, dein Gott, wird diese Völker ausrotten vor dir, einzeln nacheinander. Du kannst sie nicht auf einmal vertilgen, damit sich nicht die wilden Tiere wider dich vermehren. 23 Der HERR, dein Gott, wird sie vor dir dahingeben und wird eine große Verwirrung über sie bringen, bis sie vertilgt sind, 24 und wird ihre Könige in deine Hand geben, und du sollst ihren Namen auslöschen unter dem Himmel. Es wird dir niemand widerstehen, bis du sie vertilgt hast. 25 Die Bilder ihrer Götter sollst du mit Feuer verbrennen und sollst nicht begehren das Silber oder Gold, das daran ist, oder es zu dir nehmen, damit du dich nicht darin verfängst; denn das ist dem HERRN, deinem Gott, ein Gräuel. 26 Darum sollst du solchen Gräuel nicht in dein Haus bringen, dass du nicht dem Bann verfällst wie jener, sondern du sollst Ekel und Abscheu davor haben; denn er steht unter dem Bann.“ (5. Mose 7)

Hat das moderne, aufgeklärte Israel diese Unheilsprophetie schon aus seinem Herzen getilgt – oder wirken diese schrecklichen Worte noch immer, wenn auch unbewusst, in ihren traditionsfesten Seelen?

Avraham Burg geht streng mit seinem Volk ins Gericht:

„Unsere Lebensweise ist kämpferisch gegen Freund und Feind. Man könnte sagen, die Israelis verstünden nur Gewalt, Die arrogante israelische Äußerung „Araber verstehen nur Gewalt“ bezog sich ursprünglich auf die arabische Unfähigkeit, uns auf dem Schlachtfeld zu besiegen, und diente als Vorwand für unentschuldbares israelisches Verhalten. Sie verstehen nur Gewalt, sagen wir bevormundend, als ob wir Erzieher wären. Es heißt: „Wer mit der Rute spart, hasst seinen Sohn“, wenn das stimmt, ist es eine wirkungsvolle Politik, Arabern mit Gewalt zu drohen. … Wir verfügen tatsächlich über Gewalt, über viele Gewalt und nur über Gewalt. … Letzten Endes haben wir dasselbe gemacht wie alle anderen Tyrannen der Welt: … wir verstehen jetzt nur noch die Sprache der Gewalt … Ein Staat, der mit dem Schwert regiert und seine Toten glorifiziert, muss in einem ständigen Ausnahmezustand leben, weil jeder ein Nazi, jeder ein Araber ist, alle uns hassen und die ganze Welt gegen uns ist.“ (Hitler besiegen)

Burg gehört nicht zu jenen, die Israels Feinde für teuflische Untermenschen halten:

„Ich gehöre nicht zu jenen, die glauben, im Holocaust hätten Bestien Heilige ermordet. …Es waren Menschen, die Menschen ermordeten. … Solche Dinge passieren, wo Gleichheit fehlt, wo Unrecht seinen Kopf hebt, wo es keine echte, ernsthafte Verpflichtung auf die Menschenwürde gibt.“

Gibt es Juden, die das Böse nicht dämonisieren und inflationieren – weil sie hinter jedem Judenkritiker einen unversöhnlichen Judenfeind wittern?

Im jetzigen Hamas- und Israelkonflikt ist die Welt wieder in Gut und Böse eingeteilt. Nicht im normalen Sinn des Raufens um Überlegenheit in irdischen Konkurrenzen. Sondern im Gegenteil: mein Gegner ist mein unversöhnlicher Todfeind, den ich auslöschen muss, wenn ich selbst nicht ausgelöscht werden will.

Sondern unter dem tödlichen Motto: Entweder – Oder. Ich – oder Du. Ein Drittes gibt es nicht.

Es war die Aufklärung, die die Welt vom theologischen Gut oder Böse, Gott oder Teufel, gereinigt hat. Nun ist die klaftertiefe Trennung der Todfeinde erneut auf der Tagesordnung der Völker.

Wir stehen nicht auf Gottes Seite, des Guten, wir haben das Bitterböse des Teufels, des Feindes Gottes, gewählt. Es geht nicht um einen der vielen Allerwelts-Kriege in der Geschichte, sondern um einen Alles-oder-Nichtskampf, mit dem man Heilszeit gewinnt – oder verliert.

„Mit einer derart gespaltenen Psyche ist die israelische Gesellschaft im Kern entzweit. Was das Land zusammenhält, sind unsere Kriege. Welch ein Glück, dass wir die Araber zu Feinden haben, sonst hätten wir uns schon längst selbst zerfleischt.“

Das Gute und Böse im unversöhnlichen Sinn ist das Prinzip des Faschismus. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Demokratie als dialogischer und versöhnungsbereiter Streit – ausgeschlossen.

Nun schauen wir einmal nach, wie Zionismus und deutscher Faschismus sich zueinander verhalten haben. Die frühen Zionisten in Israel waren alles andere als Freunde deutscher Juden, die den Holocaust überlebt hatten und ins Heilige Land einwandern wollten.

Von den Kibbuzmenschen, den starken und unverwüstlichen neuen Menschen, gab es anfänglich nur Ablehnung der existenzunfähigen „Seifenstückchen“.

„Die frühe Bereitschaft der Führung der ZVfD (der Zionistischen Vereinigung für Deutschland) zur Kollaboration mit den Nazis war also nicht nur durch die Umstände erzwungen. Sie entsprach der Stimmung und Haltung des speziellen zionistischen Mainstreams insgesamt. Nach der sogenannten Machtergreifung der Nazis bemühte sich die ZVfD dementsprechend, sich mit den Nazis zu arrangieren.“

Der Zionismus glaubte, dass „eine Wiedergeburt des Volkslebens wie sie im deutschen Leben durch Bindung an die christlichen und nationalen Werte erfolgt, auch in der jüdischen Volksgruppe vor sich gehen muss. Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewusstsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein.“

„Mit dieser Erklärung streckte der deutsche Zionismus dem Nationalsozialismus die Hand zur Kollaboration aus und erteilte jedem Gedanken an antifaschistischen Widerstand eine Absage.“ (Alle Zitate in Lenni Brenner „Zionismus und Faschismus“)

Heute wird die „historische Kontinuität der Verbindung zwischen zionistischer Bewegung und israelischer Politik konsequent ausgeblendet. Typisch diese Art demagogischen Ressentiments: „Für die planmäßige Vernichtung von Millionen von Menschen gibt es keine Gründe … Die Beschäftigung mit Geschichte, die Erklärung von Zusammenhängen wird hier ganz im Sinne von George Orwells „1984“ gedeutet als die Verweigerung von Erinnerung. Vulgärpsychologie ersetzt Analyse. Das ist der Boden, auf dem ein Henryk Broder so tiefschürfende Erkenntnisse wie die, dass „einer gegen Auschwitz und dennoch Antisemit sein kann“ unter großem Beifall als quasi unumstößlichen Beweis für seine These verkünden kann, dass, wer Israel kritisiert, immer schon Antisemit war und ist. Gerechtfertigt wird dieser Tunnelblick durchweg damit, dass es sich für Deutsche nicht zieme, die israelische Politik zu kritisieren.

Nicht das Bekenntnis zu einem universalen Humanismus soll danach die Lehre aus dem Faschismus sein, sondern die faktisch kritiklose und bedingungslose Unterstützung Israels, das aus dieser Sicht die Opfer des Faschismus repräsentiert.“

Wer erinnert sich noch an Julian Reichelt, – den früheren Chef von BILD- –, der jedes Verstehen eines Fehlverhaltens durch Erforschen der Vergangenheit barsch vom Tisch wischte?

Wer erinnert sich noch an eine Kanzlerin Merkel, die eine kritik- und bedingungslose Loyalität als deutsche Staatsraison für Israel anpries. Mit Machiavelli hat das nichts zu tun, denn dessen Raison musste immer mit durchdachter Delikatesse eingepasst werden.

Ähnliche Ungereimtheiten gelten für die triumphale These von der Unvergleichlichkeit des Holocaust. Auschwitz dürfe man nicht relativieren:

„Meist wird unwidersprochen die These hingenommen, dass Vergleiche mit anderen Völkermorden den Holocaust „relativieren“. Vergleiche der Verbrechen des deutschen Faschismus mit den Verbrechen anderer Regimes relativieren aber weder die Verbrechen des deutschen Faschismus noch die Kriegsgreuel anderer Mächte … Mörder bleiben auch dann Mörder, wenn anderswo und zu anderen Zeiten von anderen, faschistischen und auch demokratischen Regimes ebenfalls Völkermorde begangen werden.

Die Tatsache, dass die Nazis nicht nur an den europäischen Juden, sondern auch an Sinti und Roma mit nahezu denselben Methoden einen weiteren Völkermord begangen haben, der unter anderem mit Hilfe des Dogmas von der Einzigartigkeit des Holocaust aus dem Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit verdrängt wird, ist kaum zu leugnen.“ (alles in Lenni Brenner)

Einzigartig in allen Aspekten ist fast nichts in der Welt, unvergleichlich schon gar nichts. Ohne Vergleichsmöglichkeiten gibt’s kein Erkennen. Exakte Wissenschaft wäre unmöglich. Nur wer penibel vergleicht, erkennt die Dimensionen des Menschlichen in seiner Grandiosität und Grauenhaftigkeit.

Das Maß der subjektiven Trauer ist mit keiner Elle nachzumessen.

Wir sehen, über der Bearbeitung der deutschen Verbrechen hängt ein mit List erdachter Vorhang der Lüge und Verleugnung. Es wird Zeit für die – jaja – die Wahrheit. Eines der schlimmsten Verbrechen von Menschen an Menschen wird benutzt, um ein Erkämpfen globaler Humanität zu zerstören.

Bei den Deutschen sind Begriffe wie universale Menschenrechte oder partikulare Sonderrechte für Auserwählte selten zu finden. So auch kaum in einem Brief von Habermas & Co an amerikanische Kollegen, die den Deutschen eine einseitige israel-unkritische Haltung vorgeworfen hatten.

In der Habermasantwort wird das Kernproblem kaum angesprochen: der Urkonflikt zwischen der religiösen Spezialethik der Israelis und dem humanistischen Universalismus anderer Länder.

Habermas & Co: „Sie erklärten sich mit Israel solidarisch, den Angriff der israelischen Armee auf Gaza prinzipiell für berechtigt, wenn »Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vermeidung ziviler Opfer und der Führung eines Krieges mit der Aussicht auf künftigen Frieden« dabei leitend seien.“ (SPIEGEL.de)

Sie erklärten sich mit Israel solidarisch, den Angriff der israelischen Armee auf Gaza halten die meisten prinzipiell für berechtigt, wenn »Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vermeidung ziviler Opfer und der Führung eines Krieges mit der Aussicht auf künftigen Frieden« leitend seien.

Niemand hat Israel verwehrt, sich gegen Terrorangriffe zu schützen. Doch die Formulierung: “ … wenn »Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Vermeidung ziviler Opfer und der Führung eines Krieges mit der Aussicht auf künftigen Frieden« dabei leitend seien“ ist schwammig wie alles, was aus deutscher Feder stammt. Denn wenn Netanjahu übermäßig die „terroristischen Tiere“ angreifen ließe – was dann? Es geht um Bewertung der Fakten.

Sich verteidigen ist erlaubt, aber so, dass möglichst ein Friedensschluss erreicht werden kann. Nicht aber, um den Gegner zu vernichten oder einen grausamen Kriegszustand zu verewigen.

Der SPIEGEL hat den Konflikt in einem Artikel zusammengefasst, der mehr über Greta Thunberg Auskunft gibt als über das eigentliche Thema. Zur Erklärung der Konflikte trägt das vermutete Verstehen der Biographie Gretas fast nichts bei. Es wurde zur Marotte der Medien, einer delikaten Sache durch Beschreiben der Mitspieler auszuweichen. Doch die Beschreibung der heutigen Konflikte darf nicht dazu dienen, das objektive Geschehen zu psychoanalysieren.

Zwar sind Taten die Folgen einer Gesinnung, doch Gesinnungen lehren uns nicht, die Taten recht zu verstehen.

„Sie hat der Welt gezeigt, wie sie zum Konflikt in Nahost steht, wie ihr Blick auf Israel ist: kalt, distanziert.“ (SPIEGEL.de)

Wer sich nicht mit Israel überidentifiziert wie die holocaust-gezeichneten Deutschen, ist weder kalt noch distanziert. Sonst wäre jede Kritik nichts als neutrale Kälte. Gerade das sollten Medien wissen, die so stolz auf ihre neutrale Objektivität sind.

Greta hat mit dem SPIEGEL nicht gesprochen, deshalb sind dessen Analysen nichts als Vermutungen:

„Dabei kann Greta Thunberg durchaus Mitleid empfinden – für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Und damit hat sie ja auch recht. Den Palästinensern fehlt es an Selbstbestimmung, seit Jahrzehnten ist das so. Im Krieg, den Israel als Reaktion auf den Angriff der Hamas führt, leiden und sterben auch Zivilistinnen und Zivilisten. Auch die Verbündeten Israels müssen die israelische Regierung immer wieder ermahnen, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Aber die Existenz des Staates Israel ist nicht verhandelbar. Jüdinnen und Juden werden seit Jahrhunderten verfolgt. Allein im Holocaust wurden sechs Millionen von ihnen umgebracht.“

Jetzt wird’s ernst. Von der völkerrechtlichen Unterdrückung der Palästinenser redet fast niemand. Die Deutschen kriechen vor Netanjahu und lassen sich vorschreiben, was sie denken sollen. Das ist jämmerlich und unwürdig. Damit erweisen sich die Deutschen nicht als gleichberechtigte Kollegen Israels, sondern als unterwürfige Lakaien, die nichts zu sagen haben.

Dem SPIEGEL scheint nicht aufgefallen, dass viele Völker über Nacht israelkritisch oder gar -feindlich geworden sind. Könnte das nicht daran liegen, dass die Politik Israels vom Westen kaum angegriffen wurde? Von Deutschland schon gar nicht. Hier wurde der Holocaust aus einem Menschheitsverbrechen zu einem unberührbaren religiösen Symbol erhoben, jenseits allen vergleichenden Erkennens und Bewertens.

Eine absolute Sackgasse.

Deutschland, stets überrascht, wenn andere Länder anders denken und bewerten: so unfehlbar fühlen sich die Nachkommen der Täter im Schutz ihrer Dichter und Denker – die sie längst nicht mehr kennen.

Deutschland erwache:
Kein Minister rührt sich, wenn die Regierung spricht.
Für jene die Mehrheit. Gegen uns das Gericht.
Wir sehen. Wir hören. Wir fühlen den kommenden Krach.
Und wenn Deutschland schläft –:
Wir sind wach! (nach Theobald Tiger)

Fortsetzung folgt.