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Natur brüllt! XXVIII

Tagesmail vom 30.10.2023

Natur brüllt! XXVIII,

„Solange Mose seine Hand erhoben hielt, war Israel stärker; sooft er aber die Hand sinken ließ, war Amalek stärker.“

„Wenn Israel nach der Landgabe Frieden gefunden hat, muss das Volk der Amalekiter ausgerottet werden.“

Netanjahu ist Mose. Solange er die Hand erhoben hält, siegt Israel. Die Hamas-Terroristen sind Amalekiter. Unbarmherzig müssen sie vernichtet werden, sagt Moses–Netanjahu seinen Soldaten.

Niemand protestiert, niemand widersetzt sich Netanjahu. Auch nicht im Westen. Kennen Netanjahus Verbündete nicht die Bibel? Ist sie ihnen gleichgültig? Sind sie der Meinung moderner Theologen, die Stelle müsse anders interpretiert werden? Sie dürfe nicht wörtlich genommen werden?

„Samstagabend verkündet Premierminister Benjamin Netanjahu vor der Öffentlichkeit, dass Israel in eine neue Phase des Krieges trete. Er redet von den „Hallen des Bösen“, in denen sich die Bodentruppen Israels nun befinden. Auch eine biblische Referenz webt er ein: „Ihr müsst euch erinnern, was Amelek euch angetan hat, sagt unsere heilige Schrift.“ (TAZ.de)

Netanjahu spielt mit offenen Karten. In Gaza sind die Hallen des Bösen, die allesamt vernichtet werden müssen. Sonst noch Fragen, Olaf?

Ohnehin weiß Olaf, wie seine Vorbilder handeln:

„»Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten«, sagte Scholz beim EU-Gipfel in Brüssel. »Und deshalb kann man sicher sein, dass die israelische Armee auch bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keinen Zweifel.«“ (Jüdische-Allgemeine.de)

Olaf ist stolz darauf, die Bibel einmal durchgelesen zu haben. Es scheint ihm entgangen zu sein, dass Gottes Wort und das Völkerrecht nicht zusammenpassen. Ja, sie widersprechen sich fundamental. Für deutsche Ohren kein Problem, für sie gelten keine logischen Gesetze.

Im Völkerrecht gibt es keine Bösen, sondern mehr oder minder Schuldige, die ihre Gründe haben, „böse“ zu handeln. Man muss diese Beweggründe erforschen, um sie auszuschalten. Meistens verteilt sich die Schuld auf beide Seiten. Völlige Schuld oder Schuldlosigkeit – gibt es selten.

Berlin hat das Denken an Jerusalem abgegeben – was der Kanzler deutsche Staatsraison nennt. Die deutsche Außenministerin Baerbock kennt diese neue Staatsraison noch nicht, weshalb sie es wagte, sich dem Kurs Netanjahus ein bisschen zu verweigern.

Wer in Deutschland der Direktive des Heiligen Landes nicht folgt, dem wird ein unsäglicher Antisemitismus bescheinigt – und ist für immer abgestempelt.

Die Politik des Westens kehrt zurück an ihre Anfänge. Nicht an die demokratischen Anfänge in Athen, sondern an die mosaischen im Heiligen Land.

Deutschland ähnelt einem Hexenkessel. Wer nicht die vorgeschriebenen Wörter kennt oder sich weigert, diese auszusprechen, muss ein Feind des Staates oder ein „unsäglicher Antisemit“ sein.

Niemand weiß, was Antisemitismus ist. Wer aber den völkerrechtswidrigen Kurs Israelis für falsch hält, der muss ein Antisemit sein. Es gibt genügend politische Beobachter im Land, die unfehlbar sind im Beurteilen der Frage: Antisemit oder nicht Antisemit?

Wer es wagt, Israels Kriegskurs zu kritisieren, ohne den Terror des Hamas mit Abscheu zu erwähnen, der muss ein Feind der Israelis sein.

Als man Greta Thunberg diese Sünde vorwarf, verteidigte sie sich mit den Worten: dass man Terror ablehne, hatte sie für selbstverständlich gehalten.

Diese Haltung des „gesunden Menschenverstands“ kennen heute viele Menschen, aber sie trauen sich nicht, ihre Meinung offensiv zu vertreten. Damit nähern sie sich der Position eines „unsäglichen Antisemitismus“. Künftig werden sie ihre Schnauze halten – was von Oben gewollt ist. Deutschland wird – zum wievielten Male? – zum Land der Duckmäuser.

Doch nicht nur in Deutschland: bislang gab es viele nichtchristliche Völker in der Welt, die sich nicht trauten, ihre ablehnende Haltung gegen das heuchlerische Israel kund zu tun.

Sie hatten den Eindruck, Israel sei das Vorzugskind des Westens, das sich fast alles erlauben dürfe, was normalen Demokratien verboten ist.

Doch hier scheint sich momentan etwas zu tun. Diese Völker befreien sich von der Vormundschaft des Westens und wenden sich gen Osten oder gen Afrika, um ihren Widerspruch nicht länger zu unterdrücken. Der Westen verliert seine Vorherrschaft an Asien.

Israel kommentiert diese weltpolitische Wende mit der Bemerkung: wieder einmal zeige es sich, dass die Juden kollektiv von der Welt abgelehnt und für alle Übel verantwortlich gemacht werden würden. Selbst in Dagestan wird ein Flugzeug aus Tel Aviv von einer wütenden Menge empfangen.

Wohin führt das neue Chaos? Zum Frieden?

Von Frieden spricht niemand. Wer Frieden will, müsste die Bedingungen anzeigen, die zum Frieden führen könnten.

Im optimalen Fall wird die Welt friedlicher, je friedlicher die Menschen denken dürfen. Das ganze System der Weltpolitik müsste auf Friedenslosigkeit durchforstet werden.

In vieler Hinsicht nähert sich die Welt heute einem globalen Kollaps. Vom Klima über eine gnadenlose Konkurrenzwirtschaft bis zur Destruktion der Natur, die immer weniger Menschen Zuflucht und Ernährung bietet.

Die Anzahl der Erdenbewohner scheint nicht abzunehmen – im Gegenteil. Die Anzahl der Flüchtigen überschwemmt jene Länder, die vergleichsweise reich scheinen, um Heimische und Fremde zu ernähren. Doch der Widerstand jener, die sich immer mehr von der Flut der Eindringenden eingeengt fühlen, steigt und steigt.

Die negativen Entwicklungen sind nicht erst von gestern. Schon seit Jahrzehnten zeigen sich die verhängnisvollen Tendenzen immer deutlicher. Doch keine Regierung war bislang fähig, sich zusammenzusetzen, um gründlich über die Übel nachzudenken. Man pfuscht sich durch die Zeiten – und wundert sich, warum immer weniger funktioniert.

Die Regierenden fühlen sich dem Tage verpflichtet und weigern sich, zukünftige Perspektiven zu beachten. Dass sich nach längeren Zeiten der Normalität immer beunruhigendere Risse im Untergrund zeigen: nein, das wollen sie nicht sehen. Sie sind im Verlässlichen und Bekannten aufgewachsen und niemand hat ihnen erzählt, dass sich alle Dinge verschlechtern, wenn sie nicht unaufhörlich auf Vordermann gebracht werden.

Um lästigen Veränderungen zu entgehen, neigen die Verantwortlichen dazu, ihre Untertanen hinters Licht zu führen. Nehmen wir das Klima:

Klimaexperte Schellnhuber war der persönliche Berater der Kanzlerin. Wie erklärt er sich, dass sich in ihrer Regierungszeit fast nichts getan hat? Antwort:

„Merkel sagte mir mehrmals: Dieser Vorschlag von Ihnen ist gut, aber wenn ich dem folge, fliegt mir die Fraktion um die Ohren. Selbst die angeblich Mächtigen sind in einem Korsett aus Zwängen, Koalitionen und Kompromissen gefangen. Wer keine Diktatur will, der muss die mühsamen Kompromisse der Demokratie suchen.“ (SPIEGEL.de)

Also wie immer. Die hochintelligente Physikerin studierte eifrig die Papiere der Experten, doch von vorneherein wusste sie, dass sie das neu Gelernte niemals in die Praxis umsetzen würde. Also sagte sie ihren Beratern freundlich Tschüss und – ließ nichts mehr von sich hören.

Diesen blieb nichts anderes übrig, als sich das Nichtstun selbst zu erklären. Natürlich: Politiker müssen Kompromisse einüben. Änderungen auf einen Schlag wären ohne Gewalt nicht denkbar. Merkel erfand solche winzigen Veränderungen, dass kaum ein Mensch sie bemerkte.

Wenn es so gewesen wäre, wie sie es beschreibt: warum hat sie all dies nicht offen und glasklar der Öffentlichkeit mitgeteilt – und mit dieser eingehend debattiert: Leute, wer hat bessere Lösungen? Heraus mit der Sprache. Politiker sind nicht allwissend. Lebendige Demokratien leben nicht nur von Regierenden, sondern von allen, die mitreden können.

Vor allem ein Denkfehler bemerkte die Kanzlerin nicht. Kompromisse kann man nur mit Menschen schließen, nicht mit Gefahren der Natur. Droht eine Lawine, ins Tal abzugehen, kann man nicht mit ihr debattieren und sie bestechen, noch ein wenig zu warten. Hier gilt ein kausales Entweder-Oder.

Was tat Merkel? Sie tat, was sie immer tut, wenn sie nicht mehr weiter weiß: sie schwieg und wurde zur stummen Schlafwandlerin, die freundlich lächelnd alles lässt, wie es ist.

Die Öffentlichkeit wurde entmündigt, alles verhärtete und verschärfte sich. Heute wundern wir uns, warum wir im Chaos aufwachen.

Das Duo Politik-Wissenschaft oder Merkel-Schellnhuber repräsentiert eine Formation, die in der Atomphysik begann. Die Wissenschaft, bis damals eine freie, allen Menschen zugängliche Erkenntnismethode, verschwand aus Macht- und Schutzgründen in den Katakomben. Nur noch wenige Auserwählte hatten Zutritt zu den neuesten Experimenten.

Aus Konkurrenzgründen wurde ein Großteil der Wissenschaft zur Geheimsache erklärt. Durch diese Versteckmethode schied die Wissenschaft aus dem öffentlichen Diskurs über Politik und Wissenschaft aus. Nur wenige beteiligten sich am Streit, was alles getan werden müsste, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Die Wissenschaft verließ das Revier der Aufklärer und wurde zum Geheimkult weniger Insider.

Was müsste getan werden, um uns aus den Fußfesseln unserer Denkverbote zu befreien?

Die Wissenschaften müssten sich aus den selbst errichteten Kerkern ihrer politischen Ignoranz befreien. Wissenschaft müsste wieder heißen: freies Wissen für alle, die etwas wissen wollen.

Die Fesseln unserer religiösen Verdummung müssten gelöst werden. Ultras dürften keine Herrschaft mehr über eine Gesellschaft ausüben.

Beispiel: warum ist Israel so unbeliebt bei den Völkern? Weil es als auserwähltes Volk gilt, das sich arrogant über alle Völker der Welt erhebt. Stimmt das?

„Hat Israel eine Sonderstellung inne, dann nur, insofern es den übrigen Völkern Vorbild sei im rechten Lebenswandel vor Gott und eine höhere Verantwortung, um deretwillen es zur Rechenschaft gezogen werden wird. Das Auserwähltsein der Juden bringt kein Vorrecht, denn alle Menschen haben vor Gott die gleichen Rechte, höhere Leistung wird von ihnen verlangt. In diesem Sinn ist jedes Volk ausersehen, zum Wohlergehen der Menschheit nach seinen besten Kräften beizusteuern, die es durch seine Begabung und seine Bildung besser als die anderen hervorzubringen weiß.“ (Leo Trepp, Das Judentum)

Auserwählung ist keine Gabe, sondern eine Aufgabe, um sich in der Welt zu beweisen. Und ähnelt dem urgriechischen Motto: Immer der Erste zu sein und voranzustreben den Anderen.

Die Ultras der Religion haben die Aufgabe in einen kollektiven Narzissmus verwandelt, mit dem sie die Welt brüskieren, als seien sie etwas Besseres. Die Politik dieses Narzissmus sehen wir heute bei Netanjahu, der sich berechtigt fühlt, anderen Völkern vorzuschreiben, was getan werden muss.

Was geschieht, wenn blinde Gefolgsleute Netanjahus wie BILD-Chef Döpfner seit Jahr und Tag gegen jede Moral schießen lässt, aber plötzlich mit aggressiver Springer-Moral durch die Pforten preschen lässt: Deutschland sei verloren, weil es gegen Israel jede Moral vermissen lässt?

Döpfner, bisheriger Hasser aller Moral, biegt plötzlich um die Ecke und fordert neue Sinai-Tafeln. Mose begnügte sich mit 10 Geboten, Döpfner will mindestens 50 neue.

„Wie ist es denkbar, dass der Kompass so verrutscht, dass das nicht Vergleichbare verglichen und das nicht Relativierbare relativiert wird? Wo ist die Menschlichkeit geblieben?“ (BILD.de)

Döpfner zerlegt die UN wegen ihrer angreifbaren Resolutionen, meint aber den Kern des Völkerparlaments: die UN-Charta. Die aber ist keine Ethik für eine elitäre Gemeinschaft, sondern die universale Moral für alle gleichberechtigten Nationen. Eine wunderbare Errungenschaft der ganzen Menschheit.

In Deutschland gibt es tatsächlich noch schändlichen Antisemitismus. Doch niemand stellt die Frage: woher? Die Stimmungen der Gegenwart zeigen nämlich: ein Großteil der Judenfeindschaft ist die affektive Reaktionsbildung gegen ein überhebliches Netanjahu-Israel. Würde das Land über Nacht einen Friedenskurs einschlagen, würde der Antisemitismus in der Welt schnell in sich zusammenschrumpfen.

Was die jüdischen Aufklärer in Deutschland vollbrachten: die radikale Reform ihrer Religion, ihre Umwandlung in kategorische Ethik, dieser „Reinigung“ müsste sich das ganze Land unterziehen. Jüdische Intellektuelle sind schon seit Mendelssohns Zeiten dabei, die vergilbten Narzissmusformeln in ethische Imperative zu verwandeln. Martin Buber, Leonard Cohen und viele andere wären leuchtende Vorbilder moderner Wahrheitssucher.

„Mensch seyn ist eine Stufe höher als Israelite seyn. Wissenschaften vom Menschen können ohne Gotteslehre existieren und Geltung beanspruchen, umgekehrt gilt das nicht.“ (In Schulte, Die jüdische Aufklärung)

Nur eine radikale Aufklärung könnte Netanjahu dazu bringen, seine amalek-feindlichen Posen für immer einzustellen. Dann wäre Israel ein gleichberechtigtes Volk unter gleichberechtigten Völkern.

Fortsetzung folgt.