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Natur brüllt! XX

Tagesmail vom 02.10.2023

Natur brüllt! XX,

lange wird sie nicht mehr brüllen – die Natur. Die Zeichen mehren sich, dass sie bald nur noch schnurren wird.

Selbst die jetzigen Schäden könnten in gewisser Hinsicht korrigiert werden.

„Wir müssen eine planetarische Müllabfuhr aufbauen, die den Mist, den wir angerichtet haben, wieder einsammelt. Die Technologien dafür gibt es, wir müssen nur die richtigen Bedingungen für ihren Einsatz schaffen. Wenn das gelingt, könnte die Welt nach einer Zeit des »Overshooting« wieder auf den 1,5-Grad-Pfad einbiegen.“

Meint der Klimafolgenforscher Ottmar Edenhofer. (SPIEGEL.de)

Das wäre eine gute Nachricht für die ganze Nation:

„Wenn wir jetzt sicher wissen, dass uns die Erderhitzung ärmer macht, bedeutet das zugleich: Klimaschutz ist Wohlstandssicherung.“

Wäre das keine ideale Lösung? Klimapolitik schützt Wohlstand? Solche Töne hört man selten:

„Das Ermutigende ist: Wir können dieses Zeitfenster nutzen. 2019 hat nicht zuletzt die Fridays-for-Future-Bewegung das Thema in bewundernswerter Weise nach vorn geschoben – bis weit in die gesellschaftliche Mitte. Seither haben die beiden großen demokratischen Blöcke der Welt entscheidende Gesetze verabschiedet: die Europäische Union den Green Deal mit der Ausweitung des Emissionshandels. Und die USA den Inflation Reduction Act …“

Da muss ein deutscher Wissenschaftler kommen, um die Erfolge der Jugend richtig einzuschätzen. Die Medien, im Nebenberuf wuselige Propheten, sind unfähig, die Erfolge der Jugend zu sehen.

Ihr Erfolgskriterium ist einfach: Schon mehrere Jahre aktiv – und noch immer ist die Welt nicht gerettet?

Die Nebenberuf-Propheten sind kritische Menschen. Neue Regierungen überprüfen sie – schon nach einigen Monaten Tätigkeit – mit der Frage: welche Versprechungen hielten sie ein von all dem, was sie uns am Anfang versprachen?

Regierungen, die Zielorientiertes versprechen, gelten heute als fehl am Platz. Höchstens könnten sie versprechen, ihr Anfangsprogramm realisiert zu haben. Selbst das können sie nie.

Denn wissen sie, welche Kräfte auftreten werden, um ihre Pläne zu unterlaufen? Können sie den Zeitgeist vorhersagen? Oder allgemein: kann irgendjemand die Zukunft der Menschheit vorhersehen – wenn der Lauf der Menschheitsgeschichte nicht kausal determiniert ist?

Vorhersagen kann man nur determinierte Gesetze. Der Lauf der Menschheitsgeschichte aber gehört nicht in diese berechenbare Kategorie. Hier regiert das Gesetz des Zufalls und der unbestimmten Zeit – Elemente, die Hayek nur für die Wirtschaft reserviert hat.

Wirtschaft hielt der Neoliberale für eine Naturwissenschaft, aber nicht für ein Mittel, die Geschichte zu berechnen.

Menschen können nicht mal versprechen, was sie programmatisch verkündet haben. Denn Zukunft ist unvorhersehbar. Strikt gesprochen können sie nicht mal versprechen, zu tun, was in ihrem Programm steht. Denn wer weiß, ob ihre Kräfte nicht mitten in actu schwinden?

Wer weiß denn, ob sie mitten im Kampf der Parteien den Glauben an ihr Programm verlieren – und sie haben nicht den Mut, ihre Selbstzweifel an die Öffentlichkeit zu tragen?

Woher sollen die WählerInnen wissen, ob sie stand- und charakterfeste Persönlichkeiten sind oder nur Mitläufer schnell wechselnder Mode-Neuigkeiten?

An diesem schlüpfrigen Überprüfungsschema erkennen wir die Windbeutelei der Medienpropheten. Eigentlich wollten sie nur schreiben, was ist; wissen aber nicht, ob ihre Vorhersagen jemals zum Ist-Bestand der Realität gehören werden.

Was ist, könnte nur vorhergesagt werden, wenn das IST zur ewigen, unveränderlichen Zeit gehört.

Diese Zeit gehört zum Kreislaufdenken der Antike, völlig verschieden von der veränderbaren Zeit-Linie des Christentums.

Gestern Nix, heute Ist, morgen wieder Nix. Wer soll in diesem Verwirrspiel ein konstantes Ist vorhersagen?

Jetzt muss der Edenhofer noch etwas zur umstrittenen Überlebensfrage der Menschheit sagen:

„Es gibt eine lange Geschichte der Menschheit. Wir sind keine Lemminge. In existenzbedrohenden Krisen sind wir nicht den Abgrund hinabgestürzt, sondern haben am Ende immer Lösungen gefunden.“

Warum ist diese zuversichtliche Stimme der Wissenschaft in der Öffentlichkeit unbekannt? Wir hätten uns so viele Streitereien sparen können? Oder wollen die Medien gar nicht, dass ihr Publikum sich in falscher Sicherheit wiegt? Wollen sie eine schwankende Mehrheit, die durch Sensationsmeldungen leicht manipulierbar ist?

Noch wichtiger ist die Frage, woher will Edenhofer wissen, dass Menschen keine Lemminge sind? Gehört diese Meinung zum eisernen Standardrepertoire seines Fachs?

Nein, der Professor flunkert, indem er bewiesene Sätze seines Fachs nicht von seinen Privatmeinungen unterscheidet, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben.

Just das ist die Erbsünde aller Naturwissenschaftler, die ihr Renommee als Szientisten benutzen, um ihren Privatglauben mit wissenschaftlichem Flair zu umhüllen.

Am Beginn der Moderne haben sie die allwissende Religion vertrieben, um sich deren Renommee anzueignen. Seitdem treten sie auf als Wissenschaftler mit bewiesenem Glauben oder als Gläubige mit wissenschaftlichem Fundament.

Das hatte zur Folge, dass ihre eigentlichen Aussagen zum Klima nicht ernst genommen wurden. Jeder Klimakrisenleugner kann sich auf angeblich neue wissenschaftliche Einsichten berufen, die keine anderen Funktionen haben, als ihren Murdochs und Döpfners ihre ökonomischen Nebenerträge nicht zu gefährden.

Wir müssen keine Lemminge sein, um dennoch in den Abgrund zu stürzen.

Seriöse Warnungen sind keine verifizierbaren Prognosen, geschweige himmlische Prophezeiungen. Sie sagen lediglich: Menschen, seid vorsichtig, es bestehen Gefahren – vor denen wir warnen wollen.

Sollten Gefahren tatsächlich bestanden haben, waren Warnungen auf jeden Fall sinnvoll. Sollten sie nicht bestanden haben, waren sie dennoch nicht vergeblich, denn die Gewarnten lernten, noch genauer auf ihren Weg zu achten.

Das Einzige, was vernünftige Menschen versprechen können, lautet: Ich verspreche, alles zu tun, was ich kann. Was ich aber kann, das weiß ich nicht. Das werden wir erst sehen. Mehr zu versprechen, wäre Scharlatanerie.

Wenn man so wenig versprechen kann – wäre es dann nicht vernünftig, jedes utopische Ziel aus seinem Repertoire zu tilgen?

Im Gegenteil. Nur wer ein utopisches Ziel ansteuert, geht in jene humane Richtung, auf welche die ganze Menschheit sich einigen müsste. Allerdings müsste er viel Geduld aufbringen, um das weit entfernte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

In den 1960er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es eine Reihe bedeutender Zeitbeobachter, die vor den realen Gefahren der Atomwissenschaft warnten. Dennoch siegten jene Draufgänger, die den Erfolg ihrer geheimen Wissenschaft unbedingt erleben wollten – um ihre Namen im Lexikon der Genies wiederzufinden.

„Schon im Moment der erfolgreichen Testexplosion im Juli 1945, so erzählte es Oppenheimer Jahre später, habe er an einen Vers aus der heiligen Hindu-Schrift Bhagavad-Gita gedacht: »Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.« »Das ist einer der interessantesten Widersprüche in der Figur Oppenheimer«, sagt Nolan. »Aus all seinen Handlungen nach 1945 sprach das Gefühl einer furchtbaren Schuld. Aber intellektuell dachte er nie, er müsste diese Schuld fühlen.« Für Nolan ist die Erfindung der Atombombe »der dramatischste Moment in der Geschichte der Menschheit«, ein »Wendepunkt in der menschlichen Existenz«. Und Oppenheimer deshalb der wichtigste Mensch, der je gelebt hat. Weil er und sein Team beim damaligen Stand der Forschung von einem Restrisiko ausgehen mussten, die gesamte Atmosphäre zu entflammen und die Welt zu zerstören, als sie auf den Knopf drücken. Weil sie trotzdem auf den Knopf drückten. Und weil die Welt danach eine andere war.“ (SPIEGEL.de)

Es waren nicht Einzelne, die hier schuldig wurden, es war die gesamte Zunft der Wissenschaftler, die den Fluch der modernen Wissenschaft nicht durchschaute. Sie erkannte nicht, dass die christianisierte Wissenschaft – im Gegensatz zur antiken – unkontrollierte Macht über die Natur anstrebte, koste es, was es wollte.

„Schon der Gedanke einer Zerstückelung der Natur stieß in Hellas von vornherein auf die unübersteigbare Schranke einer Natursicht, die auch im Kosmos ein lebendes Wesen sah. Aus solchem Weltsinn wuchs auch die Ehrfurcht, die Hellas aller Natur als einem lebendigen, ja göttlich-dämonischem Wesen erwies und die ihm jeden Zugriff in dieses Leben und freilich damit auch Entdeckungen und Erfolge versagte, die der Fortschritt auf solchem Wege erringt.“ (F. Wagner, Die Wissenschaft und die Gefährdete Welt)

Hybris war für die griechischen Erfinder der Naturphilosophie, sich mit keiner kontemplativen Erkenntnis der Natur zu bescheiden. Sokrates wandte sich ab von seiner jugendlichen Begeisterung für die jonische Naturphilosophie und beschränkte alles Denken auf die Beantwortung der lebensnotwendigen Fragen: was macht uns zu Menschen, worüber müssen wir gemeinsam nachdenken, um das Humanum als Utopie zu retten?

Seit Francis Bacon, Newton und Galilei berauschte sich die Moderne an ihrer Überlegenheit über die Hellenen und konnte den Rachen bis heute nicht vollkriegen.

Die Forscher wollten werden wie Gott und dressierten ihre Wissenschaft zur Aneignung unbegrenzter Macht über den Kosmos.

Der Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki war der schreckliche Höhepunkt einer theologiesüchtigen Wissenschaft, die sich als Herrin über die Schöpfung aufspielen wollte und wenn sie dabei die ganze Schöpfung riskierte.

„Damals wuchs das Gefühl in der Wissenschaft, dass der Mensch einen Zustand erreicht habe, in dem er seine Entdeckungen nicht mehr verstehen kann … und dass der Mensch sich derart entwickelte, dass er die Dinge, von denen sein Schicksal abhängt, nicht länger in seiner Gewalt hat.“

Das Gefühl: es geschieht Ungeheures und wir müssen es prophylaktisch in die Tat umsetzen, um das Allerschlimmste zu vermeiden, hatten die Europäer bereits im ersten Weltkrieg, in voller Wucht im Zweiten.

Dann wanderte das Gefühl zu den Siegern des Zweiten Weltkrieges, die ihren Gesamtsieg über das „Reich des Bösen“ nicht mehr riskieren wollten.

Es waren keine Schlafwandler, die durch die Nacht stolperten. Es waren Christen, die den Herrn erwarteten, von seinem endlosen Ausbleiben enttäuscht, weshalb sie sein Kommen selbst in die Hand nehmen mussten.

Momentan liegt es in der Luft: eine einzige falsche Bewegung, eine einzige Falsche Botschaft – und irgendjemand wird auf den Knopf drücken. Und dann wird das Unmögliche geschehen, das nicht Vorstellbare, das Ungeheure.

Gegen die Utopie des Bösen hilft nur – die Utopie der Menschenfreundschaft. Alles andere ist – Makulatur.

Fortsetzung folgt.