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Natur brüllt! XLVIII

Tagesmail vom 15.01.2024

Natur brüllt! XLVIII,

„Ducunt fata volentem, nolentem trahunt.“ „Den Willigen führt das Schicksal, den Unwilligen zerrt es mit sich.“ (Seneca), Schlusswort von Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“.

Spengler hatte einen außerordentlichen Erfolg mit seinen düsteren Prophetien – die man nicht durchbrechen, sondern nur gehorsam befolgen könne.

Die Festgelegtheit der Zukunft nannte Popper „historizistisch“ und lehnte sie energisch ab. Der Mensch habe einen freien Willen und sei fähig, sein Schicksal selbst zu bestimmen.

„Es handelt sich in der Geschichte um das Leben, die Rasse, den Triumph des Willens zur Macht, und nicht um den Sieg von Wahrheiten, Erfindungen oder Geld. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht: sie hat immer dem stärkeren, volleren, seiner selbst gewisseren Leben Recht gegeben … und sie hat immer die Wahrheit und Gerechtigkeit der Macht, der Rasse geopfert und die Menschen zum Tode verurteilt, denen die Wahrheit und Gerechtigkeit wichtiger war als Taten, und Gerechtigkeit wesentlicher als Macht. Wir haben nicht die Freiheit, dies oder jenes zu erreichen, aber die, das Notwendige zu tun oder nichts.“ (ebenda)

Wollen die Rechten von heute wieder zurück zu Nietzsche und Spengler, zum Willen zur Macht, zur überlegenen Rasse der Deutschen, zur Tragik des Vorherbestimmten? Alle sonstigen Wahrheiten sind entsorgt, selbst das Geld ist belanglos?

„Spengler hatte vorhergesagt, dass auf die Demokratie der Cäsarismus folge, die autoritäre Herrschaft eines Einzelnen. Dieses Prinzip ist derzeit tatsächlich weltweit auf dem Vormarsch. Der Russe Wladimir Putin, der Chinese Xi Jinping, der Türke Recep Tayyip Erdogan, der US-Amerikaner Donald Trump, sie alle verfolgen, mehr oder weniger, einen cäsarischen Herrschaftsstil. Selbst beim Demokraten Emmanuel Macron finden sich Elemente davon. In Deutschland ist zudem der Begriff des Abendlandes zurückgekehrt, als Trotz- und Abwehrwort gegenüber dem Islam. Spengler ist wieder da, pünktlich zum Jubiläum seines Buches. Die Lektüre hilft dabei, die Grundlagen rechtsautoritären Denkens zu entschlüsseln und zu verstehen. Der erste Satz: „In diesem Buche wird zum ersten Mal der Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen.“ Und siehe da: Adolf Hitler übernahm in Deutschland die Macht und schaltete die Demokratie ab. Manchen Zeitgenossen galt Spengler danach als großer Seher. Der Cäsarismus schien sich durchgesetzt zu haben, wie von ihm vorhergesagt. In diesem System herrschen nicht die Adligen, nicht die Parteien, nun herrscht ein Einzelner“ schrieb Dirk Kurbjuweit im SPIEGEL.

Sein Fazit:

„Bei allen Irrtümern war Spengler überraschend hellsichtig, und die wichtigste seiner Prognosen kann doch noch eintreten: dass auf die Demokratie der Cäsarismus folgt, wohl nicht in jedem Land, aber als dominante Kraft einer Epoche. Dies ist die große Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts. Und Spengler hat das kommen sehen.“ (SPIEGEL.de)

Soll man die AfD verbieten, weil sie die Demokratie abschaffen will? Merkwürdig, dass in der heutigen Auseinandersetzung Spenglers Analysen kaum vorkommen, zumindest nicht scharf und klar. Wie immer, wird um den heißen Brei herumpalavert.

Nehmen wir an, die AfD werde demnächst verboten: wäre das kein sekundäres Armutszeugnis der Deutschen: zur Rettung der Demokratie seien sie mit politischen Maßnahmen unfähig gewesen?

Sekundär deshalb, weil das Recht als letzte Bremse gegen das Unheil auch zum demokratischen Abwehrsystem gehört, wenn auch nur in Händen der Talarträger vor dem heiligen Recht, das im Volk ziemlich unbekannt ist.

Wäre es, primär gesehen, nicht notwendiger, die demokratiemüden oder -feindlichen Köpfe wieder zurückzugewinnen? Das wäre ein Kampf der Gedanken und Ideen, die die Menschen am meisten prägen.

Bei einem gerichtlichen Akt hätte Deutschland seine Unfähigkeit bewiesen, seinen Streit auf der Agora durchzuführen. Agora ist der Marktplatz der Demokratie, der Mittelpunkt der Polis.

Nur: wo ist der zu finden?

Ist der Mittelpunkt der Republik der Bundestag, in welchem die Wortgefechte der Abgeordneten zu hören sind? Wer aber hört diesen konturlosen Begriffs-Aggressionen zu?

Sind die Parteien fähig, den abstrakten Kampf um Ideen zu führen? Hört man da nicht oft genug, sie würden sich dabei vor allem mit sich selbst beschäftigen?

Natürlich würden sie das – wäre das aber nicht notwendig? Wie könnte eine Partei siegessicher gegen eine andere antreten, wenn nicht die meisten ihrer Mitglieder auf einer Linie wären?

Da müsste nämlich passieren, was leider nur allzuoft passiert: die Partei-Oberen würden die Hauptlosungen bestimmen, die den Wahlkampf gewinnen sollen. Würden diese Losungen den Wahlkampf gewinnen, wären die Parteien drei Wochen lang stolz.

Doch da sie vermutlich keine satte Mehrheit gewonnen hätten, müssten sie Koalitionen eingehen, die sehr schnell mit siechen Begriffen dahindümpeln würden. Die faulen Kompromisse würden die Krisen nicht lösen, sondern vermutlich noch komplexer und verwirrter machen.

Das interne Gerangel der Parteien hat mit ehrlichen Kompromissen zumeist nichts zu tun. Schon die ersten Fragen der Medien nach der Regierungsbildung lautet stereotyp: werden sie mit diesen Kompromissen in der Lage sein, die Versprechen ihrer Wahlkampflosungen einzuhalten?

Ganz unberechtigt ist die Frage nicht. Denn tatsächlich glauben die Parteien, ihre anfänglichen Standardformeln im Wahlkampf seien „ehrliche Wahlversprechungen“.

Können diese aber gar nicht sein, denn die Parteien müssten wissen, dass sie ohne Koalitionen nicht weiterkommen. Sie hätten etwas versprechen müssen, was sie nie im Leben hätten versprechen dürfen.

Wie nennen wir das? Naivität? Lügen? Dummheiten? Auf jeden Fall wäre es ein weiteres Vergrößern des in alle Ritzen geschlüpften Begriffsmülls – dem kaum jemand nachfragt.

Die Bildung der Kompromisse haben mit echten, gleichmäßig verteilten Zugeständnissen nichts zu tun. Jede Gruppe versteht sich als hochlistige Kampfgruppe, um die Konkurrenten mit doppeldeutigen Begriffen hinters Licht zu führen.

Das ist relativ einfach, denn die abendländische Tradition hat die Begriffe bereits so ausgebeult, verformt und derangiert, dass ein mittelmäßiger Werbefachmann sie schnell zum Glitzern bringen könnte – ohne sie auch nur halbwegs von Grund auf zu erneuern.

Nehmen wir Freiheit und Gleichheit, die beiden Begriffe der Demokratie, die von Athen bis zur Moderne die Hauptbegriffe geblieben sind.

In Athen war Freiheit zerrissen zwischen den Starken und den Schwachen. Für die Starken war Freiheit das Vorrecht, zu tun, was sie wollen. Die Schwachen konnten mit militärischer und ökonomischer Gewalt leicht in die Knie gezwungen werden.

Wie bei Hayek war Freiheit das Recht der Erfolgreichen, die Kleinen am Zügel hinter sich herzuziehen. Freiheit der wenigen war die Unfreiheit der vielen. Freiheit war eine politische, keine individuelle Tugend.

Wie war Gleichheit zu verstehen? Nur rechtlich oder in jeder Hinsicht auch ökonomisch?

Mussten alle Polis-Bewohner bis auf den Cent genau gleich arm oder reich sein? Das hätte geheißen, jeder hätte ökonomisch in gleichem Maße erfolgreich sein müssen, um die Gleichheit mit allen anderen nicht zu verlieren. Das aber war undenkbar, denn jeder Mensch hatte andere Fähigkeiten. Nicht jeder will ökonomisch erfolgreicher sein als sein Nachbar.

Der eine ist gierig, der andere bedürfnislos, der eine arbeitet gern in der Werkstatt oder auf dem Acker, der andere treibt sich auf der Agora herum, um die beste Ethik des homo politicus zu ergrübeln. Welche Funktion müsste besser belohnt werden?

Unlösbare Fragen, die nur willkürlich durch Mehrheiten entschieden werden könnten.

Wie hießen die Wahlkampfformeln jener Tage?

„Auch der Sklave wird geehrt, wenn er zu Reichtum gelangt; der Freie, der arm ist, gilt nichts.

Arm sein heißt missachtet und ehrlos sein.

Und der Arme selbst hat nur zu oft das Gefühl, dass „alles auf ihn herabsieht“.

Viele zwingt die Armut – wider die Natur – sich mit Dingen abzugeben, die ihrer unwürdig sind.“

(Alle Zitate in Pöhlmann, Geschichte der Sozialen Frage)

Was bliebe als einzige Lösung, um den Wirrwarr zu glätten und politisch verfügbar zu machen?

Der Staat müsste eingreifen und allen Polisbewohnern, gleichgültig, was sie nach ökonomischen Kriterien verdienen dürften, das gleiche Monatsgehalt auszuzahlen.

Wie wären die Reaktionen heute? „Faschismus, Totalitarismus etc.“, diejenigen würden am meisten aufheulen, die vom Staat die lukrativsten Subventionen erhielten.

Was wäre der Unterschied zwischen minimalem Bürgergeld und riesigen Subventionsgeldern an die ökonomisch Einflussreichen?

Laut früherer Armenfreunde wie der SPD, wäre Subvention nur ein Vorschuss an die Einflussreichen, um die nationale Wirtschaft zu steigern.

Armengeld wäre hingegen ein verlorener Groschen an Faule, Erfolglose und Verweigerer.

Wo kommen plötzlich die klaffenden Unterschiede her in der Gesellschaft der „Gleichen“?

Gibt es überhaupt gleiche Menschen? Oder sind nicht alle ungleich? Ist Gleichheit nicht ein Begriff von Phantasten, die von einer Menschheit träumen, die es nie gegeben hat und nie geben wird?

Die Verachtung der Armen kann man am besten in der Partei der Arbeiter und Armen beobachten. Da heißen sie Gerhard Schröder oder Hubertus Heil, die die ärmsten Hilfsbedürftigen mit kaum verhohlener Missachtung und jämmerlichen Sozialleistungen an die Wand stellen.

In 2000 Jahren hat sich die Verachtung der Armen durchgesetzt. Die Superreichen sind nicht nur die geheimen Bezugspersonen der Regierenden – hinter den Kulissen. Sie bestimmen auch in großen Zügen die Außen- und Innenpolitik fast aller Staaten.

Wieder einmal zeigen sich die christlichen Staaten als klebrig-unbewegliche Mischprodukte zweier Kulturen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben wollten.

Auf der einen Seite die hellenische Demokratie, bereits in sich gespalten in die Partei der Reichen und die der armen Denker – und in die Partei der Frommen mit dem Motto: selig sind die Armen, denn ihrer ist das Himmelreich.

Gewiss, da kommen pfiffige Theologen, die genau wissen, wie sie solche, heute ärgerlichen Sätze, so interpretieren müssen, dass die Armen keine gerechte Wirtschaft wollen, sondern nur noch stante pede in den Himmel auffahren möchten.

Waren die demokratischen Kernbegriffe ein Wahn? Versprachen sie etwas, was es nie in der besten aller Gesellschaften geben kann?

Ist Demokratie eine Illusion der Antike, die sich nie bewahrheiten wird? Wie viele Althistoriker gibt es, die das antike Geflunker von der Demokratie nicht mehr ernst nehmen?

Entsprechend waren die Folgen dieser illusorischen Gleichheits- und Freiheitsphantasien. In sozialistischen Staaten mit absoluter Gleichheit wuchs die marxistisch-leninistische Ungleichheit in den Himmel; in den kapitalistischen mit absoluter Freiheit die Unfreiheit der Nichtsnutze bis zum Hungertod der Milliarden.

War Gleichheit eine Illusion? Je mehr sich die Demokratie ausbreitete, je mehr wurde sie angezweifelt. Die mächtigste Demokratie der Welt – die amerikanische – ist heute die ungleichste. Das Christentum hatte zwar irdische Gleichheit versprochen – aber zusammen mit der höchsten Ungleichheit im Jenseits.

Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ächzt einer, der den ganzen Tag geschuftet hat gegen den Besitzer: „Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleich gemacht, die wir die Last und Hitze des Tages getragen haben.“

Was ist das für ein Gott, der gerecht sein will und der Ungerechteste war? Selbst ein Gewerkschaftsführer Weselsky wäre an diesem Heiligen gescheitert.

Das Lernprogramm des beginnenden Abendlandes war Freiheit und Gleichheit. In der politischen Demokratie wurde Freiheit zur Freiheit der wenigen Superreichen, in der Kirche zur grenzenlosen Freiheit unfehlbarer Priester.

Gleichheit wurde in der Demokratie zur Scheingleichheit der völlig Unterschiedlichen, in den Kirchen zur irdischen Illusion, die spätestens mit dem Tod platzen wird.

„Man begegnet hier demselben Widerspruch der wirtschaftlichen Entwicklung mit dem politischen Entwicklungsprinzip der Freiheit und Gleichheit, den man als einen spezifisch modernen zu betrachten gewohnt ist.“ (Pöhlmann)

Warum mucken immer mehr Menschen auf und löcken wider den Stachel der Demokratie? Weil immer mehr Menschen die Spuren der chaotischen Widersprüche – der brüchigen Urpfosten unserer Gesellschaft – in sich spüren. Was Freud über die belanglose Sexualentwicklung als ES ins Spiel brachte, ist das eigentliche ES der kulturellen Entwicklung der Menschen.

Nur in Notzeiten spüren die Konsumenten den maladen Ursprung ihrer Kultur. Sie spüren die Ungerechtigkeit der Begriffe Freiheit und Gleichheit. Da sie sich des Denkens ihres Kopfes nicht sicher sein dürfen, verlassen sie sich auf die Scheinsicherheit ihrer uralten Instinkte.

Wo Es war, soll Ich werden. Wo falsche Freiheit und Gleichheit uns verführt haben, soll endlich – im Licht unseres Bewusstseins – eine sichere Basis errichtet werden: echte Gleichheit und echte Freiheit, die von Demokratieverächtern nicht unter der Hand korrumpiert werden können.

Erst wenn uns klar ist, was wir tun, können wir von anonymen Mächten nicht mehr in die Irre geführt werden.

Fortsetzung folgt.