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Natur brüllt! VI

Tagesmail vom 14.08.2023

Natur brüllt! VI,

„Wäre die Natur eine Maschine, was würde sie rumpeln, quietschen und knattern. Was würde der Ozean brodeln, schäumen und donnern, wenn er rund um die Uhr 90 Prozent der von uns produzierten Wärme aufnimmt und bei sich einlagert. Wenn die „Ökosystem-Dienstleistungen“ … krachen, stinken und raufen würden, wenn sie auf der Straße Autoreifen anzünden und ihre Wut rausschreien würden, wenn sich die Moore mit der Polizei prügeln würden und das Wasser im Wasserwerfer streiken würde. Wenn wir mit Wäldern, Seegraswiesen und Mittelgebirgen Tarifverhandlungen führen müssten und uns über ihre unverschämten Forderungen ärgern könnten – es wäre eine bessere Welt. Wenn die Natur endlich mal das Maul aufreißen würde – vielleicht würden wir dann endlich das Gras wachsen hören.“ (TAZ.de)

Pötter hat vollständig Recht. Natur brüllt auf ihre Art. Die Sinnesorgane der Menschen versagen – weil sie nicht funktionieren sollen. Der Himmel selbst ist es, der die Fähigkeiten der Irdischen zertrümmert – Natur wird zum Wunder:

„Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und sie verstehen es nicht. 14 Und an ihnen wird die Weissagung Jesajas erfüllt, die da sagt: »Mit den Ohren werdet ihr hören und werdet nicht verstehen; und mit sehenden Augen werdet ihr sehen und werdet nicht erkennen. 15 Denn das Herz dieses Volkes ist verfettet, und mit ihren Ohren hören sie schwer, und ihre Augen haben sie geschlossen, auf dass sie nicht mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, dass ich sie heile«.“

Das Natürliche und sich von selbst Verstehende wird zum mirakulösen Ereignis. Offenbarung ist kein friedliches Reich oberhalb der Natur, sie ist offensiv und frisst das Natürliche auf. Die Menschen sind verfettet, stumm und still.

Der Sensualismus ist nur ein unbeholfener Versuch, das Natürliche gegen das Übernatürliche zur Geltung zu bringen. Das Ergebnis ist ein Fiasko: allzu oft verliert Natur gegen das Übernatürliche, obgleich es weiterhin als natürlich gelten will.

Nehmen wir den Liberalismus à la Smith, der ihn als göttliche Harmonie verkauft, obgleich er – wenn man ihn genau betrachten würde – alles andere als harmonisch ist.

Wäre der Liberalismus so perfekt, wie er von seinen Erfindern propagiert wird, hätten wir seit Jahrhunderten eine vollkommene Wirtschaftsordnung für die ganze Menschheit. Probleme? Keine.

Nein, die Moderne hat das Böse nicht besiegt. Dieses hat sich nur maskiert und verkauft sich weiterhin als perfekt, obgleich der liberalste Kapitalismus unter der Menschheit darwinistisch wütet, die Ärmsten immer ärmer und die Reichen unermesslich reich macht.

Bertrand Russels Ehrenrettung der Vernunft ist gut gemeint, bleibt aber auf der Strecke:

„Obwohl Locke ein tiefreligiöser Mensch und frommer Christ ist, der in der Offenbarung eine Quelle der Erkenntnis sieht, umgibt er die angeblichen Offenbarungen doch der Sicherheit halber mit rationalen Feststellungen. Das eine Mal sagt er: „Das bloße Zeugnis der göttlichen Offenbarung ist höchste Gewissheit; ein andermal aber: „Offenbarung muss von der Vernunft beurteilt werden.“ So steht letzten Endes doch die Vernunft an höchster Stelle.“ (Philosophie des Abendlandes)

Smith, Schüler der englischen und stoischen Aufklärung, (die Stoa gehörte zur antiken Elterngeneration der modernen Aufklärung), fühlte sich erhaben über die satanischen Elemente des Christentums und im Schoß der perfekten Natur&Offenbarung gelandet.

Die Gesetze des jungen Kapitalismus sind für Smith Produkte der Natur & Übernatur zugleich. Doch er übersieht, dass die kosmologischen Harmonien der Antike das Gegenteil sind der christlichen Welt, die sich im Kampfe zwischen Gut und Böse zerfleischt.

Im Christentum gibt es nichts Harmloses und Harmonisches. Hier wüten die Kämpfe zwischen Gut und Böse – bis das Finale der Heilsgeschichte alles beendet.

Die Welt ist ein Terrain des unerbittlichen, aber fast unsichtbaren Kampfes zwischen Gut und Böse:

„Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. 25 Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. 26 Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. 27 Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? 28 Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? 29 Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. 30 Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.“

Mit anderen Worten: die Welt schläft, wenn der Satan kommt und Unkraut sät. Alles darf ungestört wachsen bis zur Endzeit. Dann allerdings ist alles zu spät, um durch harte Arbeit verbessert zu werden. (Siehe Hayek und Popper)

„Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.“

Rationales Säen und Ernten wäre Arbeit als Folge rational-sinnlicher Erkenntnisse. Da dieses Motto nur zum Teil gilt, ist eine vernünftige Ökonomie nur zum Teil möglich.

Nicht Arbeit wird zum Maßstab des Ernteertrags, sondern die Macht, den Profit willkürlich in seine Tasche zu stecken.

Der Jüngste Tag wird zum Vorbild jeder Ernte-Verteilung in der langen Geschichte:

„Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden 50 und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 51 Habt ihr das alles verstanden?“

Nun könnten wir auch verstanden haben, weshalb es immer noch so viele Klimakrisen-verleugner und Verteidiger des Status quo gibt. Sie verleugnen nicht, was sie sinnlich erleben müssten, sie halten die Katastrophen für vernünftig und rational erklärbar.

Was sie mit ihren Sinnesorganen sehen und erleben, halten sie nach wie vor für natürlich. Kein Grund zur Aufregung: entspannt euch!

Die Entwarner sind immer noch Anhänger der stoischen Lehre, dass die Natur durch überirdische Faktoren nicht ins Unglück gestürzt werden könne. Wenn die Vernunft sagt: es kann keine Wunder geben in der Natur, kann es auch keine bösen Wunder geben.

Entspannt euch, kauft euch herrliche Urlaubsvillen im Süden. Erst wenn die felsigen Steilküsten abstürzen und eure Miniparadiese in den Abgrund mitreißen, werdet ihr – vielleicht – aus eurem religiösen Rausch aufwachen.

Rausch? Ja, Marx hatte nicht in allen Punkten Unrecht. Religion ist Opium. Wie anders könnte man sich den Lauf der Zeit ins kollektive Unheil erklären als durch einen weltumspannenden Absturz?

Welchen Sinn aber soll es haben, einen Rausch zu entzaubern – um ihn durch einen anderen zu ersetzen? Doch vergessen wir nicht: ein Zukunftsrausch ist nicht nur Bestandteil des Marxismus, sondern auch des westlichen Siegeslaufs in unbegrenzte technische Glanzleistungen, die nie vollkommen sein werden. Denn was vollkommen werden kann, hat sein Ziel erreicht. Klare Ziele aber sind mit endloser Entwicklung unverträglich.

Marxismus und westlicher Genielauf haben eines gemeinsam: der Mensch ist Wachsfigur im Getriebe eines übermenschlichen Schicksalslaufs, den er nicht im Geringsten beeinflussen kann.

Die Ewiggestrigen und die Fortschrittlichen sind in einem Punkt identisch: sie können nur glauben; halten diesen Glauben aber für rationale Einsicht.

Nie dürfen wir vergessen: die Theologen des Abendlands waren überaus wendig, um die drohende Niederlage der Kirche im Kampf gegen die Vernunft mit Scharfsinn abzuwenden.

Die wichtigsten Bestandteile der antiken Philosophie verwandelten sie in Ergebnisse des Glaubens an die Offenbarung. So gelang es Thomas von Aquin, die Vernunftaussagen des Aristoteles zum – niederen – Bestandteil der kirchlichen Lehre zu erklären. Nur Glaube, Liebe und Hoffnung wurden zu höheren Erkenntnissen, die kein Heide hätte erfinden können.

Als Aufklärung politisch geworden war, gelang es den frommen Geistesriesen, Menschenrechte und Demokratie in Erbstücke des Nazareners zu verwandeln.

„Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“

Wahrlich, hier sind alle Menschen angesprochen. Was aber nicht bedeutet, dass alle selig werden. Denn das Angebot an alle ist nur ein formaler Akt zur Rechtfertigung eines angeblich universalistischen Heilands.

In Wirklichkeit ist der Universalismus nur die Maske eines unerbittlichen Erwählungsaktes:

„Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. 30 Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“

Wenn dann aber die Verworfenen sich beschweren werden, dass sie ihn niemals bei guten Taten übergangen hätten, wird er ihnen antworten:

„Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“

Gutes tun ist demnach: nicht den Menschen helfen, sondern einem unsichtbaren Erlöser, der in den Menschen steckt. Womit der geheime Sinn des Liebesgebots klar wäre: liebet die Menschen nicht um ihretwillen, sondern um Gottes willen, der unsichtbar in den Menschen steckt. Eine wahrhaft überzeugende Nächstenliebe. Das Tun des Guten wird benutzt, um Glauben an einen unsichtbaren Gott zu erschleichen.

Man kann sich nicht auf seine sinnliche Erkenntnis verlassen. Wenn sichtbare Natur nur die Fassade des Wahren ist, an das zu glauben wäre, können wir die Erkenntnisfunktion unserer Sinnesorgane zum Spottpreis verscherbeln.

Eben das ist unsere Zeit, die das beklemmende Gefühl befördert, sich auf nichts mehr verlassen zu können. Es gibt nichts mehr, dessen wir uns sicher sein könnten.

Schon gar nicht das irdische Eigentum. Gibt es eine strengere eigentumsfeindlichere Religion als das Urchristentum? Hier herrschte strenger Kommunismus. „Alles ist allen gemeinsam und die Reichen sollen nicht mehr haben wollen als Andere.“

Und diese Religion wurde zur mächtigsten Reichtumserwerberin der Weltgeschichte – kann das jemand verstehen? Wahrlich, die Letzten werden die Ersten sein – und sie wurden es.

„Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch? 21 Jesus sprach zu ihm: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! 22 Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt davon; denn er hatte viele Güter. 23 Jesus aber sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, ich sage euch: Ein Reicher wird schwer ins Himmelreich kommen. 24 Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.“

Zeit, Zufall und Gottes Gnade: Hayek ist nur der Modernisierer einer uralten Verheißungsreligion. Hier dürfte niemand auf sich stolz sein. Und deshalb können sie ihre Schnauze nicht höher tragen?

Gab es je mehr Armentode, mehr Reichtumsschwadroneure als heute? Wer will leugnen, dass die Krisen der Welt das Produkt von 2000 Jahren Verleugnung der besten humanitären Kräfte sind?

Wer in dieser Religion vollkommen sein will, muss sich in allen Dingen verleugnen. Nein, Nächstenliebe ist nicht die höchste Tugend, die man erreichen kann. Lebensunfähigkeit ist das Optimum einer selbstlosen Uneigennützigkeit – oder das Vorlaufen zum Tode. Und diese lebensverneinende Religion hat die Erde überwunden??

„Wir haben nichts in diese Welt gebracht, können aber auch nichts mit fortnehmen.“ Sehet die Vögel unter dem Himmel: sie säen nicht und ernten nicht, sie sammeln nichts in die Scheunen und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht und auch spinnen sie nicht.“

Falsch verstandene Freiheit lässt die Natur des Menschen verkommen. Wie könnten wir genügsam leben, wenn wir alle genügsam wären. Momentan geht es mit der deutschen Wirtschaft abwärts.

Nun sollen wir zittern und wehklagen – anstatt zu frohlocken: wir müssen die Natur nicht fleddern.

Wenn wir leben würden, wie Natur es vorgesehen hat, hätten wir noch eine lange Zukunft vor uns.

Warum sind wir so feige und unfähig, die Reichen anzubrüllen: vor allem ihr entzaubert die Erde und ruiniert das Leben der Menschen?

Fortsetzung folgt.