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Natur brüllt! LXII

Tagesmail vom 04.03.2024

Natur brüllt! LXII,

Schon mal eine Doku über Straßenschulen gesehen? Irgendwo in der Dritten Welt?

Wenn ja, wirst du wissen, was eine echte Schule ist: die Vorbereitung auf ein friedliches Zusammenleben.

Die Kinder glühen vor Wissen wollen. Sie möchten keine Karriere machen, sondern Berufe ergreifen, mit denen sie ihre Mitmenschen unterstützen können. Wie sie temperamentvoll auf der Straße singen, tanzen und selbst produziertes Theater spielen – das musst du gesehen haben, um das Gesülze von der deutschen Bildung vollständig zu vergessen.

Bildung ist kein individuelles Genieverfahren, um Wettbewerber und wirtschaftliche Konkurrenten in den Schatten zu stellen.

Bildung ist Wissen, wie man eine Krise vermeiden kann. Zuerst die Krise seiner Umgebung, danach die Krise der Menschheit.

In der deutschen Bildung …

… „muss man sich voranscheitern, und wenig fällt deutschen Unternehmen schwerer, als Projekte zu beginnen, die auch scheitern können – und daraus auch noch offen zu lernen. Deshalb ist Deutschland sehr innovativ – aber nur, was die sogenannte inkrementelle Innovation angeht, also die 1,3-prozentige Verbesserung eines seit 100 Jahren existierenden Dieselmotors. Die derzeit eigentlich gebrauchte, disruptive Innovation – also die marktumwälzende, risikobehaftete Radikalerfindung – könnte von deutschen Eigenschaften kaum weiter weg sein.“ (SPIEGEL.de)

Nicht, um die Natur vor der Bildung der Menschen zu retten, die nichts kann, als den Reichtum der Natur zu schröpfen. Zu keinem anderen Zweck, als unser Wachstum, unseren Fortschritt in Money zu verwandeln.

Wachstum bei der Herstellung von Dingen, die uns schon längst ersticken, Fortschritt in der Beherrschung des Universums, von dem wir umso weniger wissen, je mehr wir zu wissen glauben.

Wir glauben, unser verwüstetes Haus auf Erden in Ordnung zu bringen, indem wir ständig anschwellende Unordnung verbreiten – oder voran scheitern, wie das geniale Wort heißt. Bislang galt: wer scheitert, fällt zurück, heute heißt es: wer scheitert, fällt automatisch nach vorne, einem unbekannten Ziel entgegen.

Früher waren jene am genialsten, die die besten Früchte des Voranschreitens präsentieren konnten. Heute sind jene unübertrefflich, die mit selbstproduzierten Scherbenhaufen zurückkehren.

Die Deutschen des militanten 19. Jahrhunderts, sie wussten, dass sie zuerst sterben mussten, um siegreiche Auferstehung zu feiern. „Dieses ewige Stirb und Werde“.

Gewiss, aus Fehlern kann man lernen. Wer aber Fehler absichtlich produziert und meint, damit die unfehlbare Fortschrittsformel gefunden zu haben, der hat sich in den Finger geschnitten.

Zudem, was haben wir gewonnen, wenn wir von äußerlichen Dingen erstickt und von Geldmengen überschwemmt werden? Kurz vor dem planetarischen Suizid können wir ins Weltall brüllen: Geschafft! Wir sind bereit, erlöst zu werden, denn wir sind unfähig, aus eigener Kraft in die Gänge zu kommen.

Der Altmeister hat es gewusst: „Der Mensch muss ruiniert werden. Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnöten.“ (Goethe)

Intuitiv erspürt er die schöpferische und zerstörende Kraft des aufsteigenden Kapitalismus, diese großen Motors des europäischen 19. Jahrhunderts.

„Erschrocken sieht Goethe in seiner Zeit einen Sieg des „Gemeinen“, das alles Edle, Göttliche tötet: die apokalyptische Zukunft der Menschheit. Der Menschengeist, erregt durch historische Katastrophen, stürzt sich kopfüber in die Pfühle schaler Mythologien, bringt die schlammige Poesie der Tiefe nach oben und erhebt sie zu Glaubensartikeln. Goethe sieht den irrationalen Untergrund in einem plebejischen, für alle Schwärmereien und Wahnsinnstaten anfälligen Volk nach oben kommen – und sich zur Machtübernahme zu rüsten. In tiefem Pessimismus über die Zukunft der europäischen Verhältnisse sagt er: »Man müsste jetzt nur von einem Tage zum andern leben; niemand sei der Sache mehr gewachsen.«“ (alle Zitate in Friedrich Heer, Europa, Mutter der Religion …)

Was geschieht heute? Die Gesellschaften spalten sich. Hier die jungen Revolutionäre, die sich ihre Zukunft auf Erden sichern wollen, dort die „Gemeinen“, die die schlammige Poesie aus der Tiefe heraufwirbeln, um, aus Angst vor dem Ende, das absolute Nichts zu produzieren.

Plötzlich stänkern sie wieder gegen Demokratie und Moral, hetzen gegen Juden und Einwanderer, um die Gesellschaft in Wallung zu bringen. Sie wollen alles verbessern, indem sie alles in Trümmer legen.

Zumeist wissen sie nicht, wie sie die Gesellschaft verseuchen, wenn es ihnen nur gelingt, die Besserwisser und Moralprediger in Rage zu bringen.

Deutschland, die verspätete Nation, bereitet sich vor zum Abstieg in die mythologische Dunkelheit und beschreibt seinen Niedergang in poetischen und romantischen Vokabeln – die selbst von den Franzosen bewundert wurden.

„La vieille Allemagne, notre mere a tous: das alte Deutschland, unsere Mutter, Mutter für uns alle: das bekennt Gerard de Nerval.“ Europa war im 19. Jahrhundert vom deutschen Denken fasziniert. Michelet nannte Deutschland „l`Inde de l`Europe, das Indien Europas.“

Hatten wir nicht gerade eine neue Ausgabe der Mutter Deutschlands, zugleich eine Mutter Europas, die geheimnisvoll und nichtssagend-freundlich sich das Zepter Europas auf das protestantische Haupt setzte – um alles Unheil aus Ost und West widerspruchslos einströmen zu lassen?

Französische Deutschlandkenner wie Mme de Staël sprachen von einem „mittelalterlichen Deutschland.“ Trifft das noch heute zu?

Natürlich, nur das Altmodische hatte eine andere Verkleidung: es war die von Amerika übernommene Mär eines ewig wachsenden Kapitalismus – der keinerlei Kritik ertrug.

Der Neoliberalismus pumpte den VW-Kapitalismus zur neuen Religion auf, die keine Kritik vertrug. Gott und Darwin waren die Erfinder einer untrüglichen Ideologie, die man nur akzeptieren konnte oder untergehen musste.

Schiller war als junger Mann beeindruckt von der Französischen Revolution. Doch als die Guillotine kam, war’s aus mit der Begeisterung des Monsieur Gille. Um seine Landsleute vor dem französischen Politvirus zu retten, versuchte er, sein Land – auf das Gebiet der Kunst zu ziehen.

Mit den Griechen war nichts mehr anzufangen. Die hatten es noch ernst gemeint mit der Demokratie. Nur ihr Prachtstück, die Kunst des Schönen, war auch das Gute und Wahre. Seitdem überlassen die Künstler den Alltag den Praktikern mit den Fäusten.

Sie hingegen verkrochen sich ins Reich der „Innerlichkeit“ mit idealistischer Lyrik, Dramen und Gemälden.

Nun das Merkwürdige: wenn’s in der Gegenwart brisant wird mit Politischem, dann in Kultur-, Theater- und Filmhallen. Nein, die Straße überlassen sie dem naiven Nachwuchs. Sie selbst sind nur bei Caspar David Friedrich zu Hause, bei dem sie sich ins Mystisch-Endlose fallen lassen können.

Und wo bleibt die Apokalypse? Schalt doch einfach deinen Fernseher ein und du wirst sie in allen Variationen erleben. Russland mit der orthodoxen Version, Amerika und Israel mit der biblizistisch-jüdischen.

Deutschland wird eingequetscht zwischen dem unfehlbaren Netanjahu und dem gedächtnisschwachen Biden. Gespannt wartet die Welt, wer die nächste Wahl gewinnen wird: der täppische Greis oder der „Ich-darf-alles-Teufel“ Trump.

Zwar gibt es noch China, das ehemalige Reich der Mitte. Doch ihre einstige philosophische Weisheit haben sie vergraben, nun wissen sie nicht mehr, wohin die Reise gehen soll. Was sie momentan zu bieten haben, ist blanke Macht. Wenn es ihnen nicht gelingt, die antiwestlichen Völker auf ihre Seite zu ziehen, wird’s nichts mit ihnen.

Deutschland hat bis jetzt noch nicht mal bemerkt, dass es sich längst im Krieg befindet. Das hat ihnen dieser Tag T. G. Ash vorgeworfen. Sollte Putin nervös werden und bestimmte Knöpfe drücken, könnte es über Nacht hektischen Alarm geben.

Hat Deutschland keine Erinnerungen seiner früheren Kriege mehr in sich? Bislang war alles merkel-mäßig und scheinbar friedlich. Hätten sie diese Frau kritiklos verehren können, wenn sie nicht das tiefe Bedürfnis nach einer sanften Mutter gehabt hätten, die ihnen alles vergibt, weil sie ihr alles vergeben haben?

Das meint der Österreicher Friedrich Heer:

„In Deutschland besitzt die Friedensbewegung keine Vergangenheit und keine Zukunft. Die Heiligkeit des Krieges (Fichte) ist in deutschen Landen ein Dogma, das von idealistischen Philosophen, Linkshegelianern, Nationalliberalen, von Theologen und Professoren 1810 bis zunächst 1918 einmütig in vielen Stimmen verteidigt wird.“

Nun folgen typische Zitate deutscher Helden.

„Die Hoffnung, den Krieg aus der Welt zu vertilgen, ist nicht nur sinnlos, sondern tief unsittlich. Sie müsste, verwirklicht, viele wesentliche und herrliche Kräfte der Menschenseele verkrüppeln lassen und den Erdball verwandeln in einen großen Tempel der Selbstsucht.“

Ein deutscher Rechtslehrer fordert die Vernichtung „des nationalen Ungeziefers und des westlich aufgeklärten und pazifistischen 19. Jahrhunderts.“

Die Machtphantasien der Deutschen sind keine Gewächse ihrer Generäle und Heerführer, sondern die giftigen Viren ihrer berühmten Philosophen, Theologen und Idealisten: es war das Volk der Dichter und Denker, das die Deutschen ins Chaos trieb.

Und wie kommen wir wieder auf die deutsche Bildung?

„In der Mitte des 19. Jahrhunderts übernahmen Universität und Gymnasium die Aufgabe, Staatsbeamte auszubilden. Berufsausbildung und Spezialistentum treten an die Stelle jener universalen Bildung zum Weltbürger, die Lessing und Kant gefordert hatten und die Humboldt durch seine humanistische Schulreform verwirklichen wollte.“

Nichts war’s mit humanistischer Bildung, nach altpreußischer Weise wurden die Schulkinder zu Helden gedrillt. Deutschland überholte den Westen in Fabriken, Maschinen – oder in Wirtschaftswachstum.

Das waren die Leistungen zukünftiger Judenvernichter und Welteroberer mit einem unfehlbaren Heiland und Führer, der von Papst Pius XII als Retter Europas vor dem Bolschewismus hoch geschätzt wurde.

Wie war das politische Programm der vor-bismarckianischen Zeit?

Für den „phantastischen Nationalismus“ erschien ein aufschlussreiches Dokument, eine Flugschrift mit dem Titel: „Germania Triumphans“. Dort wurden die Ziele der zukünftigen deutschen Weltpolitik aufgezählt: „die baltischen Provinzen Polens, Südafrika, Südamerika, Mexiko, Borneo, Neuguinea etc. Diese Ziele sind zu erreichen durch einen Krieg mit Frankreich, der Westmächte mit Russland, durch einen Krieg der Verbündeten Deutschland und USA gegen – England!!“

Dieses Papier enthielt alle Forderungen Hitlers für eine „Neuordnung Europas“ nach dem Kriege. „Die Saat war schon vorher gesät und alle Massenenteignungen und Massenmorde des Zweiten Weltkriegs waren bereits in deutschen Köpfen drei bis vier Jahrhunderte vorher geträumt worden.“

Diese Projektionen der Welteroberungen lauern heute noch immer im Unbewussten der Nachkriegsdeutschen.

Weshalb das Motto des heutigen Deutschen nur lauten kann:

Erbe einer Heldennation! Willst du wieder groß und mächtig werden, denke nie an den Krieg. Nur dann wird er mit Bestimmtheit zurückkehren und dich an die Spitze der Weltnationen katapultieren.

Fortsetzung folgt.