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Natur brüllt! LV

Tagesmail vom 09.02.2024

Natur brüllt! LV,

Kinderfragen? Leider nein. Grundfragen nach unserer porösen Kultur sind unseren Jüngsten verboten.

Schulen sind Einrichtungen, um richtige Fragen frühzeitig von falschen zu trennen – und nur den falschen zu folgen.

Also – was ist Antisemitismus? Welche Partei steht hier gegen welche? Folgen wir brav dem Lexikon:

„Als „Semiten“ wurde seit 1771 eine Sprach- und Völkerfamilie bezeichnet und von der Sprachfamilie der „Arier“ unterschieden. Der Indologe Christian Lassen und der Orientalist Ernest Renan verwendeten beide Bezeichnungen für entgegengesetzte Nationalcharaktere und Kulturtypen. Indem sie Juden „Semiten“ nannten, stellten sie sie als ethnische Abstammungsgemeinschaft mit minderwertigen Eigenschaften dar. Renan behauptete, das Judentum behindere den politischen Fortschritt der Menschheit durch seine Zerstreuung und sein religiöses Erwählungsbewusstsein.“ (Wiki)

Semitismus ist demnach ein rassistischer Begriff – „nichtarisch, von Geburt an mit minderwertigen Eigenschaften“ – der bei Juden ein religiöses Erwählungsbewusstsein erhielt.

Wie kamen Christian Lassen und Ernest Renan vor etwa 200 Jahren zu dieser „Schmähung“? Gibt es Juden nicht schon wesentlich länger?

Jetzt müssten wir hurtig zu den Büchern von Lassen und Renan greifen, um zu erforschen, wie sie zu diesen merkwürdigen Bezeichnungen kamen. Gelten Juden heute nicht als hochbegabte Mitglieder der Menschheit?

Wären sie tatsächlich hochbegabt: wie sollten sie den Fortschritt der Völker behindern? Wäre es nicht viel wahrscheinlicher, wenn sie ihre Intelligenz unter den Völkern verbreitet hätten?

Doch diese Spur lassen wir fürs erste. Wissen wir doch: wir reden von – Juden. Haben wir nicht im Religionsunterricht gehört, dass Juden ein uraltes Volk aus Palästina sind, das die Heilige Schrift hervorgebracht hat? Zuerst das Alte Testament, dann – in Fortsetzung und Widerspruch – das Neue mit dem Sohn als Erlöser, woran die Christen glauben?

Christen haben auch den jüdischen Glauben? Ja, den sie allerdings gründlich reformiert haben. Nach einiger Zeit trennten sich die Christen von den Juden. Jesus brachte seine Botschaft irgendwann der ganzen Welt. Doch seine Lehre war nur scheinbar eine an die ganze Welt:

„Nicht für die ganze Welt bitte ich euch, sondern für die, welche du mir gegeben hast.“
„Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“

Die Juden hatten auch eine Zeit der Missionierung. Doch nicht lange und sie trennten sich von der Welt. Nur wahre Juden durften an ihren heiligen Versammlungen teilnehmen. Die Teilnahme von Fremden an ihren Gastmählern war strengstens verboten.

Weshalb sie bei den Griechen und Römern in den Ruf kamen, „Feinde des Menschengeschlechts“ zu sein. Denn zusammen zu speisen und fröhlich zu sein, war für die damaligen Herren der Welt ein Zeichen ihres vitalen Kosmopolitismus. Wer diese Gemeinschaft ablehnte, musste der sich nicht für was Besseres halten?

Wer also hat – in alten Zeiten – wen abgelehnt? Die Juden die Welt oder die Welt die Juden? Nicht in allen Dingen lehnten die Juden die Welt ab, sondern nur in Fragen ihrer besonderen Erwählung.

Gottes Lieblingskinder sollten unter sich bleiben und sich nicht gemein machen mit dem unheiligen Rest der Welt. Wen Gott erwählt hatte, der sollte rein und unbefleckt bleiben vom sündigen Rest der Welt. Warum aber sollten sie in die Welt hinausgehen?

„Ich säte sie unter die Völker, dass sie meiner gedächten in fernen Landen und leben sollten mit ihren Kindern und wieder heimkehren. 10 Denn ich will sie zurückbringen aus Ägyptenland und sie sammeln aus Assyrien und will sie ins Land Gilead und zum Libanon bringen, dass man nicht Raum genug für sie finden wird. 11 Und der HERR wird durchs Meer der Angst gehen und die Wellen im Meer schlagen und alle Tiefen des Nils vertrocknen lassen. Da soll dann zu Boden sinken die Pracht Assyriens, und das Zepter Ägyptens soll weichen. 12 Ich will sie stärken in dem HERRN, dass sie wandeln sollen in seinem Namen, spricht der HERR.“

In der Fremde sollen sie lernen, ihre Ängste zu beherrschen und triumphal zurückzukehren. Die Heiden sollten erstaunen über die weltliche und geistliche Exzellenz der Auserwählten.

In ihrer Urzeit waren Hebräer furchtlose Krieger, ihr Gott war noch nicht der Gott der ganzen Welt, sondern nur ihr Stammesgott. Der Stammesgott war Führer im Kampf, er allein war der Sieger.

Zuerst musste ein „gelobtes Land“ erobert werden. Dieser Krieg mit den Ureinwohnern Kanaans gab Gelegenheit, die kriegerischen Tugenden der Eroberer zu zeigen. Dabei ging es auch um den „Einsatz von Hirtenschlauheit, die List und Betrug für höchste Tugend hält.“

Krieg und Religion: das war die ursprüngliche Symbiose der Erwählten, die den Krieg zur heiligen Handlung machten. Sollte der Jude Sigmund Freud nicht falsch gelegen haben, sind diese Urerlebnisse seinem Volk ins Unbewusste implantiert und können unbewusst noch heute das Tun seiner Stammesgenossen bestimmen.

Wer fühlt sich bei der biblischen Schilderung kriegerischer Taten nicht an die Gegenwart erinnert, an den schrecklichen Krieg zwischen Palästinensern und Israel?

Hieße das nicht, Netanjahu und seine superfromme Regierung glaubt, einen heiligen Krieg zu führen? Warum sonst soll er gesprochen haben: „Wir sind Söhne des Lichts“? Die Söhne des Lichts führen einen vernichtenden Krieg gegen die Söhne der Finsternis: „Wir wollen sie total zerstören“. Sind das Worte einer rationalen Kriegsführung oder aber eines himmlischen Totalitarismus?

Wenn Gott befiehlt, können die Kinder Israels zu furchterregenden Kriegshelden werden.

„Ihre Altäre sollt ihr zerstören, ihre Malsteine zertrümmern, ihre heiligen Bäume umhauen und ihre Schnitzbilder verbrennen. Alle Völker, die Jahve, dein Gott dir preisgibt, sollst du vertilgen, ohne mitleidig auf sie zu blicken.“ „Und sie vollstreckten an allem, was sich in der Stadt befand, an den Männern, wie an den Weibern, den Jungen und Alten, an den Rindern, Schafen und Eseln, den Bann mit dem Schwert.“

Bann vollstrecken? „Das nach der Landnahme im 5. Buch Mose verankerte Banngebot verlangte, alle überlebenden Personen einer eroberten Stadt Kanaans zu töten. Dieses Gebot bezeichnen manche Ausleger als Vernichtungsweihe. Diese sollte die Einzigartigkeit der Israeliten bewahren, ethnische Vermischung und Übernahme fremder Kultbräuche tabuisieren.“

Wenn Netanjahu von totaler Vernichtung spricht, vollzieht er den alttestamentarischen Bann.

Ein Experte kommentiert: „Dass unter solchen Anschauungen von Kriegs- und Völkerrecht kaum die Rede sein kann, ist selbstverständlich.“ (Engelhardt, Weltbürgertum und Friedensbewegung)

Nur in seinen Anfängen war das Judentum eine Kriegsreligion. Spätestens, als die Propheten auftraten, wurde Frieden zum Signal des Volkes.

Doch jetzt stoßen wir an die erste Sperrmauer einer heiligen Schrift. Wenn es kriegerische und friedliche Bibelstellen gibt, welche ergeben den wahren Willen Gottes?

„Aus den Widersprüchen, in die wir verstrickt werden, wenn wir erleben, dass Friedensfreunde und Kriegsanhänger sich mit gleichem „absolutem“ Recht auf die Bibel berufen, gibt es … nur eine Rettung; Preisgabe der ewigen Gültigkeit biblischer Schriften – und Erfassung ihrer epochalen Bedingtheit.“ (ebenda)

Eben das ist das Problem, dem der Experte aus dem Weg geht. Ist das Wort Gottes eindeutig und alternativlos – oder kann jeder seiner eigenen Interpretation folgen?

Alle Schriftreligionen kennen bis heute keine klare Antwort. Jüdische Ultras und christliche Fundamentalisten bleiben beim Gehorsam des unfehlbaren Offenbarungswortes. Die Subjektivisten schütteln diese Fessel ab und folgen dem, was sie selbst für richtig halten, dennoch autoritär der Schrift entnehmen müssen. Dieses Kunststück nennen sie – seit dem Ende des strengen Luthertums – ihre Interpretation.

Warmherzige Pietisten waren so erfüllt vom Heiligen Geist, dass sie dessen Einflüsterungen als Botschaft vom Himmel verstanden. Es beginnt die Zeit des relativen Subjektivismus – oder die Postmoderne:

Nein, ich lese den Text anders als du, nein, ich habe andere Assoziationen, nein, ich verabscheue deine objektive Starrheit. Die Moderne wird zur toxischen Müllgrube, in der wir heute untergehen. Die antiken Sophisten hätten sich über ihren verspäteten Sieg durch subjektive Relativierungen der Wahrheit gefreut.

Doch diese endlose Willkür kann uns den Tod bringen, weil wir uns nicht einigen können auf das, was wir tun müssten, um die objektive Malaise am Kragen zu packen.

Die Modernen scharen sich um den objektiv harten Kern ihrer Maschinen und schwafeln sich außen herum grenzenlos ins Beliebige.

Es ist schlimm, wenn sich auf den Straßen kriminelle Taten häufen. Doch wer ist so vermessen mit seiner Deutung, dass es sich um antisemitische Taten handeln müsse? Steht den Tätern ihre Gesinnung etwa auf die Stirn geschrieben?

Warum hat der norwegische Massenmörder Breivik die vielen Jugendlichen erschossen? Wenn jemand die Äußerungen der damaligen Gerichtspsychiater verfolgt hat, wird er festgestellt haben, dass es nur Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen sein konnten. Selbst wenn man all seine Unterlagen gelesen, eine tiefenpsychologische Analyse mit ihm geführt hat: Eindeutiges kann es bei Menschen selten geben.

Taten sind äußerlich objektiv beschreibbar, doch welchen Motivationen sie entspringen, da müssen wir raten und vermuten.

Bei angeblichen Antisemitismus-Taten nicht anders: sind das Rachetaten der Unterlegenen gegen Israel, weil das Land sich einst eine fremde Landnahme anmaßte? Ist es Hass gegen die dogmatische Schuldlosigkeit einer gotterwählten Nation? Gegen die unerträgliche Fehlerlosigkeit eines in der Geschichte nur allzuoft gedemütigten Volkes, das von seinem Gott vor aller Welt rehabilitiert werden will?

Die vielen Deutungsmöglichkeiten sind nichts anderes als vage Vermutungen, die man erheben kann oder auch nicht.

Vor allem: Polizeiprügel taugen nichts, um den Dingen auf den Grund zu kommen.

Was uns fehlt, sind intensive Gespräche mit Tätern und Opfern. Hinweg mit der falschen Sicherheit falscher Experten.

Der FU-Präsident Ziegler hat durchaus Recht, wenn er sich gegen die aufgeblasenen Fragen eines SPIEGEL-Reporters zur Wehr setzt:

„Sicherheit lässt sich aber nicht primär mit schärferen Strafmaßnahmen herstellen. Vielmehr müssen wir an der Universität weiter miteinander in den Austausch gehen. Wir müssen sehr unterschiedliche Positionen verhandeln und zusammenbringen. Und wir müssen diese konfliktreichen Themen auch in Forschung und Lehre behandeln, denn dafür sind wir als Universität da.“

SPIEGEL: Was haben Sie mit Gesprächen bisher erreicht?“ (SPIEGEL.de)

Kaum begonnen: schon soll es einwandfreie Erfolgsmeldungen geben? Medien sind selten an Inhalten interessiert, sondern vor allem an Erfolgs- und Misserfolgsmeldungen, an Prophetien, aber nicht an soliden Prognosen.

Da gibt es Hardliner, die einen eisernen Besen fordern. Doch die Strenge, die hier gefordert wird gehört selbst zu den Taten der Ultrarechten, die mit Gott die Erde säubern wollen. Dieser Rigorismus ist Tyrannen würdig, aber keinem vernünftigen Menschen.

„Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, und der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, forderten, dass Sie eine Exmatrikulation des mutmaßlichen Täters prüfen sollten.“

Diese Antisemitismus-Spezialtruppe will nur Polizeikontrollen, doch weder gegenseitiges Verstehen noch historische Aufklärung.

Ist Antisemitismus nichts anderes als unerbittliche Konkurrenz biblischer Völker um die Spitzenstellung bei ihrem gemeinsamen Schöpfer? Beneiden die Christenvölker noch immer die Juden ob ihrer Bevorzugung beim himmlischem Vater? Das wäre der Grund, warum sie aus dem Weg geräumt werden müssen – auch mit den brutalsten Mitteln.

Antisemitismus ist ein religiös-weltliches Problem. Kein ignoranteres Land in heiligen Dingen als das Land der Reformation, das seine judenfeindlichen Reformer bewundert, von deren satanischem Wüten gegen die Juden aber nichts wissen will.

Vor allem: Deutschland ist unfähig, universalistisch zu denken und beide Seiten gegeneinander abzuwägen. Der Holocaust ist ein Kapitel für sich, niemandem verleiht er die Unfehlbarkeit seiner Taten.

Zur Beurteilung der Taten von heute gilt allein die UN-Charta, doch Netanjahu wütet gegen den UN-Generalsekretär Guterres.

„… unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen.“

Was ist der Kern des heutigen Antisemitismus-Problems? Das ist der verdeckte Virus der heutigen Weltkonflikte: der Kampf zwischen Himmel und Welt. Soll das Jenseits über sie entscheiden – oder die Vernunft der Menschen?

Dieser Kampf war auch der Anfang des Antisemitismus-Problems in der Weltgeschichte. Es ging um den „heimlichen Protest der nichtjüdischen Menschheit gegen den Ausschließlichkeitsanspruch des im Alten Testament bezeugten Gottes, der Aufstand einer an die Natur und ihrer Ordnung und ihrem Kreislauf gebundenen Religion – gegen den in der Geschichte redenden und auf ein Ziel hin handelnden Gott.“ (RGG 3)

Zirkuläre Zeit der in sich ruhenden Natur gegen die lineare Zeit einer göttlichen Heilsgeschichte.

Wer soll, wer kann diese Konflikte auf Erden lösen? Ein unbekannter Gott, dem der Mensch sich in Demut beugen muss oder der Mensch, der sich auf seine Vernunft verlassen kann?

Vor kurzem war Demut noch die ersehnte Tugend einer moralfeindlichen deutschen Intelligenz.

Was aber kommt jetzt? Der allwissende Über-Mut der Himmelsgläubigen?

Fortsetzung folgt.