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Natur brüllt! LI

Tagesmail vom 26.01.2024

Natur brüllt! LI,

„… dann werden wir uns erkennen,“ erklärte Björn Höcke in einer öffentlichen Rede – in weihevoller Atmosphäre.

Es herrschte eine Stimmung wie am Ende der Weimarer Republik, als die Erwachten ihren endgültigen Führer erwarteten.

Wer die Stimme des himmlischen Herrn in der Person des irdischen Gesandten erkannte, gehörte zu den Erwählten.

Erwachen war in Deutschland kein biologischer, sondern ein geistlicher Akt. Sind wir wieder auf dem Weg dorthin?

„Da wurden ihnen die Augen aufgetan und sie erkannten ihn.“

Wissen die Deutschen nicht, was sie tun sollen, wenn ihr Großer TAG den Sumpf des Ordinären weggeräumt haben wird? Hilflos stehen sie und schauen.

Bis heute haben sich die Kirchen nicht durchgerungen, dass sie im Dritten Reich den Führer als Erfüllung ihrer jahrhundertealten Prophezeiung verstanden haben. Noch immer wollen sie, dass er ein Ungläubiger war, damit ihr lächerlicher Widerstand ein Zeugnis für ihre aufrechte Haltung sei.

„Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“ Das war Hitlers Zeugnis für seine heilsgeschichtliche Berufung.

Das ist der überzeugende Unterschied zwischen den Nachfolgern des Joachim di Fiore und den heutigen Gewählten, dass sie mit echten Charismatikern nicht verwechselt werden können.

Seltsam: nicht die Demonstranten fragen am meisten, sondern die Zuschauer, die Beobachter dessen, was Ist, die wissen wollen, wohin die Reise gehen soll. Einige wollen, dass das nationale Erwachen in eine große Bewegung münde, welche sie schon am ersten Tag geahnt hätten.

Die Ungläubigen hingegen ahnen, dass die Folgen des Aufbruchs in einem Sumpf versinken werden.

Die Erwarter des Führers wissen schon heute, woran sie das Bevorstehende erkennen werden:

„Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lasse für seine Freunde.“

Die lügenhaften Kirchen denken bis heute nicht daran, sich rundum schuldig für ihre NS-Brüderschaft zu bekennen. Hatten sie nicht den widerständigen Bonhoeffer? Genügt nicht ein Zeuge für alle Deutschen, um wahres Licht auf die Wirklichkeit zu werfen?

Deutsche Christen waren keine Pazifisten, sondern seit Bismarck nationale Heroen, die, im Kampf gegen die erfolgreichen Nachbarn, das Schwert des Herrn hochhalten wollten.

„Während des Ersten Weltkrieges hatte die Identifizierung der deutschen Sache mit dem Willen Gottes im deutschen Protestantismus ein Ausmaß erreicht, das den deutschen Sieg geradezu als eine Erfüllung der göttlichen Gerechtigkeit erscheinen ließ. Das Bewusstsein von der Überlegenheit des deutschen Geistes, der deutschen Sittlichkeit und Frömmigkeit über die westeuropäische Zivilisation war so verbreitet, das Gefühl, in einem gerechten Verteidigungskrieg zu stehen, so allgemein, dass die Niederlage über die politisch-militärische Katastrophe hinaus das ganze bisher kaum angefochtene deutsch-protestantische Weltbild aus den Angeln hob.: „Wir ziehen in den Kampf für unsere Kultur gegen die Unkultur, für die deutsche Gesittung wider die Barbarei, für die freie deutsche an Gott gebundene Persönlichkeit wider die Instinkte der untergeordneten Masse … und Gott wird mit unseren Waffen sein! Denn mit der deutschen Gesittung hängt aufs engste zusammen deutscher Glaube und deutsche Frömmigkeit. Der „Geist von 1914“ war in Wahrheit der Höhepunkt einer Geschichtstheologie, die Gottes Wege mit dem deutschen Volk offenbar machte und deutete.“ (Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich)

Warum waren die Bismarckdeutschen so allergisch gegen die westlichen Nachbarn, besonders die weltbeherrschenden Insulaner?

Hatten sie nicht den Kapitalismus des Adam Smith übernommen, um selbst die Welt zu erobern? Der merkwürdige Befund: theoretisch lehnten sie ihn ab, praktisch veranstalteten sie eine außerordentliche Aufholjagd, um die englischen Calvinisten in den Schatten zu stellen.

War es nur eine triviale Konkurrenz, um der Welt zu zeigen, wer die Besten seien?

Nein, ohne theologische Gründe ging nichts mehr.

„Wittenberg wollte nicht wie Genf die Hochburg eines Gottesstaates sein. Luther war zutiefst davon durchdrungen, dass die Welt nicht Gottes Reich sei.“

Luther war Anhänger der augustinischen Zweireichelehre, nicht, wie Calvin, ein alttestamentarischer Konkurrent der Juden. Und doch verfluchte er die Juden in die Hölle und wurde der einflussreichste und verhängnisvollste Antisemit Deutschlands. Heute ist er ein religiöses Tabu, das mit Lutherjahren geehrt wird. Kein Aufschrei von niemandem. Das ist die Schande Deutschlands.

Hinter den Briten stand „die große Illusion: dass die Briten wirklich Gods chosen people, die von Gott erwählte Nation seien. Die anderen Völker stehen vor Gott nicht auf gleicher Ebene. Der puritanische Hochmut hatte skrupellos die alttestamentarischen Weissagungen vom Volk Israel auf das britische Volk übertragen.“ (Martin Dibelius, Britisches Christentum und britische Weltmacht)

Luthers politisches Credo stand in Römer 13: seid untertan der Obrigkeit. „Dass die Menschen sündig sind, weiß man ohnehin, trotzdem hat Gott die Obrigkeit bestellt und benutzt sie für seine Zwecke (die nicht die unseren sind). Die Kirche hat sich in weltlichen Dingen zu bescheiden und nur darauf zu sehen, dass die Predigt des Evangeliums ohne Hemmung vor sich gehe“.(ebenda)

Zwischenbemerkung: Eben das war Merkels Politik, dass sie keine „eigene Politik“ betrieb, sondern nur gehorsam dem Lauf der Heilsgeschichte folgte. Politik wird nicht von der Kirche gemacht, sondern von der „Welt“. Politisches Handeln bleibt profan; ein christlicher Einfluss kann sich nur dadurch geltend machen, dass bewusste Christen das politische Handeln als ein „weltlich Ding“ ausüben.“

Merkel verschwieg nichts, sie hatte nichts zu sagen: Gott war ihr Chef, nicht die haltlose Masse. Sie hatte nur zu erkennen, wohin die Reise ging, dann musste sie wortlos folgen.

Engländer und Deutsche konkurrierten darum, die Rolle der auserwählten Juden zu übernehmen. Während die Briten längst das Gefühl hatten, ihre Vorbilder überwunden zu haben, kämpften die Deutschen erbittert darum, die Rolle der Juden zu übertreffen.

Der christliche Westen war keineswegs antisemitismus-frei. Nur der Grad der Feindschaft differierte. Die lange Zeit apolitischen Deutschen, ohne jedes Bewusstsein einer selbstbewussten Nation, hinkten ihren Nachbarn am weitesten hinterher. Sie mussten besondere Leistungen zeigen, um die verachteten Juden zu übertreffen.

Zudem waren die Briten schon fortgeschrittene Demokraten und Bewunderer Athens, während die deutschen Philhellenen nicht zwischen Kunst und Politik unterscheiden konnten. Sie waren monarchisch und bismarckianisch – und damit offen für die Ankunft eines kommenden Messias.

Fontanes Zitat ist bekannt: Sie sagen Christus und meinen Kattun. Dibelius kommentiert: „Der Engländer glaubt, dass Christus ihm das Recht zur Weltherrschaft gegeben habe. Aber Jesus sprach zu Pilatus; Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Mit anderen Worten: die deutschen Barbaren mussten sich erst noch beweisen, dass sie den Juden längst überlegen seien. Deshalb der grausame Holocaust.

Nach der Niederlage schwankt Deutschland erst recht: Merkels unfassliches, undemokratisches und holocaust-feindliches Signal an Israel, die Deutschen seien in bedingungsloser Loyalität immer auf ihrer Seite, zeigt, dass die Deutschen noch nicht wissen, wo sie stehen.

Sollten sie sich ihren einstigen Opfern willenlos untertan machen, oder sollen sie beweisen, dass sie die Folgen ihres Völkerverbrechens gedanklich-emanzipiert überwunden haben?

Israel ist ein befreundeter Staat – und Freunde hat man glasklar zu kritisieren, wenn sie sich vertan haben. Solidarität? Auf jeden Fall, aber keinen Blankoscheck, der den Freund zum hochmütigen Solipsisten aufstachelt.

Deutschland kennt keine Freunde, die Kritik annehmen und zurückgeben können. Das Land begnügt sich mit Ahnungen, die es für unfehlbar hält. Sie schauen in die Welt und imitieren ihre Vorbilder, dann sind sie sauer, wenn sie eine Klatsche kassieren.

Sollen die Deutschen ihre Gegner hassen, um ihren aufrechten Gang zu unterstreichen? Bis gestern haben sie die AfD eher gelangweilt links liegen lassen. Woher also der plötzliche Sinneswandel? Eher stellt sich Hass ein, wenn der Gegner unbesiegbar scheint. Doch an dieser Weggabelung sind wir noch lange nicht angekommen.

Hass macht jedes sinnvolle Gespräch unmöglich. Was jetzt notwendig wäre: Gespräche, Gespräche, um den Gegnern zu beweisen, dass entweder sie sich irren – oder man selbst. Talkshows plappern, zum sorgsamen Nachdenken taugen sie nicht.

Wer kennt die dämlichsten Politbegriffe der Neuzeit? Es sind die Begriffe links und rechts. Zufällige Sitzordnungen und geografische Bezeichnungen sollen wichtige demokratische Auskünfte erfüllen. Links heißt eher frei, gerecht und gleich, rechts eher das Gegenteil: wie die Gesellschaft zufälligerweise ist, so ist sie.

„Für eine Demokratie ist essenziell, dass sich Demokrat:innen bei allen, auch knallharten Meinungsdifferenzen gegenseitig als solche akzeptieren. Ablehnen kann man sich dann immer noch. Der Philosoph Hans-Georg Gadamer sagte im Jahr 2000 im Interview mit dem SPIEGEL: »Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere recht haben könnte.« Man könnte politisch erweitern: Eine Demokratie setzt voraus, dass politische Gegner nicht als Feinde geschmäht werden. Von links aus gesehen sind Konservative Gegner – der Feind aber ist nicht konservativ, sondern rechts und heißt AfD.“ (SPIEGEL.de)

Jetzt tappen wir im Dunkeln. Wenn Feinde der Demokratie rechts stehen, so ist rechts kein demokratischer Begriff mehr, sondern ein Hinweis auf Demokratie-Zerstörer.

Links ist gewöhnlich gerecht, kapitalismuskritisch und aufbauend, rechts hingegen wäre eine Verteidigung des Bestehenden, ob gerecht oder nicht, gleich und frei oder nicht.

Konservare heißt bewahren. Eine christliche Partei könnte nie konservativ sein. Denn sie müsste für Gerechtigkeit sorgen. Wäre denn das Bewahren der Superreichen ein Akt der Gerechtigkeit?

Was soll eine christliche Partei bewahren, wenn sie konservativ sein will? In der fließenden Zeit der Heilsgeschichte könnte niemand Rücksicht nehmen auf die creatio continua oder die stets fließende Zeit.

Gadamer wiederholt das sokratische Klischee: ein Gespräch soll ermitteln, wer recht hat. Recht könnte der windigste Gegner haben. Gewiss, doch auch ich könnte recht haben. Es geht nicht nur darum, den Sieger im Streit zu ermitteln, sondern im mäeutischen Dialog die interessantesten Gedankenreihen als Vorläufer der bewussten Meinung aufzudecken.

Bewahren in fließender Zeit könnte man nur bei gleichbleibender Geschwindigkeit. Hätten wir aber eine gerechte Gesellschaft, was sollten wir dann noch ändern?

Christliche Parteien nennen sich stets konservativ. Würden sie sich wörtlich ans Neue Testament halten, müssten sie das Gegenteil sein. Denn Gerechtigkeit ist erst im Himmel. Jesus war kein Gesellschaftsreformator, sondern im Gegenteil: ein Vernichter des Irdischen, um das Überirdische zu gewinnen. Eine gerechte Gesellschaft wäre für sie immer eine apokalyptische.

Will die AfD eine gerechte Gesellschaft sein? Dann wäre zu ermitteln, wie sie das machen möchte. Unter Ausschluss der Fremden? Das wäre ein absurder Verstoß gegen die gleiche Würde aller Menschen.

Kannst du ein Linker sein, wenn du keinen Wert auf Gleichheit legst? Dann pack dein Bündel. Ultrarechte oder Ultralinke sind nur demokratiehassende Luftnummern.

Es wäre Zeit, dass die Moderne sich von links und rechts, diesen zerstörenden und in die Irre führenden Fassadenbegriffen befreien würde. Willst du eine Gesellschaft mit zufriedenen Menschen: lies vor allem Aristoteles.

Fortsetzung folgt.