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Natur brüllt! IX

Tagesmail vom 25.08.2023

Natur brüllt! IX,

Die Geschichte der Menschheit gleicht einem Fußballturnier.

In der Nachkriegszeit konnten die Deutschen ihre Niederlage mit gewaltigen Leistungen egalisieren. Jetzt ist die Show vorbei:

„Deutschland steigt ab, wirtschaftlich und auch sonst. Deutschland gewinnt nicht mehr. Überall Abstiegsangst. Nicht nur im Fußball. Aber da auch. Und das ist in der Geschichte der Bundesrepublik von besonders symbolischer Bedeutung. Mit großen Fußballerfolgen verbinden sich in Deutschland oft historische (Konjunktur-)Zäsuren.“ (WELT.de)

Es geht ums Gewinnen. Wer nicht vorne liegt, ist ein Rohrkrepierer. Wir müssen uns schämen, auf fast allen Gebieten versagen wir schmählich.

Mathias Döpfner schwelgt in Erinnerungen, bevor er – leider, leider – zu den Gegenwarts-Niederlagen kommen muss.

„Mit dem WM-Sieg 1954 nahm das Wirtschaftswunder seinen Lauf. Mit dem WM-Sieg 1990 begann der Aufschwung zur deutschen Einheit. Und mit dem Sommermärchen 2006, der WM im eigenen Land, kündeten überall flatternde schwarz-rot-goldene Wimpel von einem neuen fröhlich-lässigen Patriotismus.“

Was sind die Ursachen des Aufschwungs? Schwarz-rot-goldene Wimpel und ein neuer fröhlich-lässiger Patriotismus. Erinnerungen an die siegreiche deutsche Geschichte sind verboten: schwarz-rot-goldene Wimpel flattern in einem „neuen fröhlich-lässigen Patriotismus.“

Noch immer sind es Väter, die für ihr Land gewinnen müssen, Frauen spielen keine Rolle.

Döpfner versteht nichts von Fußball, doch er weiß, warum. Die Deutschen haben nicht begriffen, dass weder im Spiel, noch in der Politik Nachlässigkeit und Leistungsverweigerung eine Siegeschance haben.

Stattdessen hat sich im DFB das Motto des leistungslosen Spiels durchgesetzt:

„In Vereinen und Verbänden arbeiten Jugendleiter*innen, Trainer*innen und zahlreiche Helfer*innen am gemeinsamen Ziel, Kindern und Jugendlichen Spaß am Fußballspielen zu vermitteln. Zugleich sollen sie die beste Möglichkeit haben, ihre individuellen Fähigkeiten auf spielerische Weise weiterzuentwickeln. … Um keinen unnötigen Leistungsdruck aufzubauen, wird in den jungen Altersklassen keine Meisterschaftsrunde gespielt.“

Eine gute Gelegenheit, den anti-autoritären Kitas von damals eine Ohrfeige zu verpassen. Wusste doch schon der damalige Medien-Aufsteiger, dass es ohne Mühe und Anstrengung keinen Erfolg geben kann.

„Statt intensiverem Training und härterem Wettbewerb bei der Talentrekrutierung setzt man auf „spielerische“ Elemente und die Vermeidung von „Leistungsdruck“. Es erinnert an die antiautoritären Kindergärten der Sechzigerjahre und das verzweifelte Kind, das seine Kindergärtnerin fragt: „Müssen wir heute schon wieder spielen, was wir wollen?“ Kuschelkurs statt Klartext.“

Abgesehen davon, dass die damaligen Kuschler schon vor 5 Dekaden erzogen wurden, anschließend aber für den deutschen Wirtschaftswunderkurs verantwortlich waren, hätte Döpfner den kausalen Zusammenhang zwischen Spiel und Leistung erklären müssen.

Doch das kann er nicht – und merkt es selbst:

Was hat Fußball mit „der Gesamtmisere des Landes zu tun? Nichts in der Sache. Und doch sehr viel. Denn es trifft den Kern des Problems auf hochsymptomatische Weise. Performance und Leistungsabfall kontert man in Deutschland nicht mit mehr Anstrengung, sondern mit weniger.“

Malochen und Spielen, Natur verwüsten und sich seines Lebens freuen, Geld kassieren und andere in die Armut stürzen: das hat nichts miteinander zu tun. Und doch schreibt Döpfner, als spräche er von 100%igen Kausalgesetzen. Dabei sind es noch nicht einmal Mischungen aus Zufall und Notwendigkeit (Korrelationen).

Ist das jener Klartext, den der Freund der autoritären Erziehung für richtig hält?

Zwischen Leistung und Spiel gibt es keinen Unterschied? Kapitalismus ist ein homogenes Gebäude ohne innerliche Widersprüche? Homo ludens, der spielende Mensch, ist nichts anderes als eine Variante des geplagten, mühsam schuftenden Arbeiters auf dem Acker – der von Gott bestraft worden war?

„Verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“

Welch ein Unterschied zwischen biblischer und griechischer Kultur. In der Bibel gibt es keinerlei Berührungspunkte zwischen mühevoller Arbeit und sorgenfreiem Spiel, wofür der griechische Begriff agon steht.

Für die Frommen ist Arbeit lebenslanger Fluch, selbst für die Erwählten: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nichts essen.“

Heitere Arbeits-Spiele auf Erden gibt es für sündige Menschen nicht.

„Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.“

Hier sehen wir den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen göttlich beherrschter Welt mit lebenslang bestraften Sündern – und einem Kosmos, in dem Menschen die Natur als mütterliche Instanz der Freiheit kennenlernen.

Das erkennt man an der Entwicklung des Begriffes agon, der bereits bei Homer eine gewichtige Rolle spielt und sich aus grausamen Anfängen zum sokratischen Dialog entwickelte.

„Der Kampf der Homerischen Helden erscheint trotz seiner Grausamkeit als Möglichkeit, die chaotische Welt „einer grauenhaften Wildheit des Hasses und der Vernichtungslust durch Reglement zu überwinden.“ So erscheint der Kampf als „das Heil, die Rettung, die Grausamkeit des Sieges und ist die Spitze des Lebensjubels. Dadurch entwickelt der Einzelne alle seine Fähigkeiten, die aber nicht nur ihm selbst, sondern auch der Polis dienen.“ (Ritter, Hist. Wörterbuch der Philosophie)

Die Kultivierung des spielerischen Wettstreites erlebt ihren Höhepunkt bei Sokrates. Der Wettkampf ist zum Streitgespräch geworden. Im Agon als zweckfreiem Tun realisiert sich – nach Burckhardt – die einmalige Freiheit der Griechen, die anderen Völkern unbekannt geblieben ist.

Für J. Huizinga, den Autor des legendären Buches HOMO LUDENS, ist der Agon hingegen ein universaler Zug. „Das Agonale wird für ihn zur Grundlage jeder Kultur, die erst im Lauf ihrer Entwicklung das Spiel mit immer raffinierteren Techniken „des Erwerbs- und Gesellschaftslebens“ verdrängt.“ (zit. bei Ritter, Historisches Wörterbuch der Philosophie)

Was aber nicht bedeutet, dass die Erlösten das Motiv des Agons nicht kennen würden:

„Kämpfe den guten Kampf des Glaubens; ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist und bekannt hast das gute Bekenntnis vor vielen Zeugen.“

„Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. 13 Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“

Auch die Frommen sterben nicht ohne das Gefühl: werd ich wirklich selig? Ohne Furcht und Zittern? Mit 100%iger Gewissheit?!

KI wird zu jenem Spiel, das seinen Bewunderern die Leichtigkeit verleihen soll, von der diese träumten. KI soll alle Arbeit übernehmen, die bislang unter Schweiß und Tränen geleistet werden musste. Das ist das Versprechen der Futuristen.

Gleichzeitig soll die Intelligenz-Maschine Arbeitswelten erschließen, von der die Irdischen bislang nicht mal zu träumen wagten. Bisherige Arbeit soll eliminiert werden, aber nur, um neue Arbeiten zu creieren, die noch lästiger werden könnten.

Döpfner warnt vor der AfD, aber nur, um vor der eigenen AfD-Gefährlichkeit abzulenken. Die wenigen Erwählten des Profits können es sich nicht vorstellen, dass die riesigen und immer noch wachsenden Zahlen der Schwachen und Armen arbeitslos ihre Zukunft fristen.

Die Meuten müssen beschäftigt werden, damit sie nicht auf seltsame Gedanken kommen. Das verbotene Paradies nähert sich als Verführung, Verheißung und Drohung. Auf keinen Fall als Erfüllung.

Döpfner, Reitzle und Kumpane halten sich für eminent fleißig, tüchtig und lebenskundig. Das aber beantwortet nicht die Frage: sind sie wirklich fleißig und arbeitsam?

Was sie tun den ganzen Tag, zeugt nicht von Fleiß, sondern von Gier und Rausch. Sie fühlen sich gern als Tugendführer der unteren Klassen, die von ihnen ins Endlose geführt werden. Hat Adam Smith nicht die UNSICHTBARE Hand entdeckt, die zuerst an ihr eigenes Wohl denkt, damit aber gleichzeitig das Wohl aller anderen bedient? Wau, damit ernannten sich die Reichen auch zu den Wohltätern der Menschheit.

Mit echter Arbeit hat ihr ewiges Konferieren, in der Welt herumdüsen und Profit zählen, nichts zu tun. Sie arbeiten nicht, um ihre Angst vor Hunger und Not zu dämpfen. Ihre Bedürfnisse sind so übermäßig gesättigt, dass sie ständig grübeln müssen, was ihnen noch fehlt – im Vergleich zu ihren Standesgenossen.

Inzwischen beginnen sie sich vor den Massen ins Unwegbare zurückzuziehen. Es ekelt sie vor den hungrigen Ausdünstungen jener, die nicht wissen, wie man sich Eigentum erwirbt.

„In einem solchen Gesinnungssystem ergreift schließlich jeder, der zu keinen besonderen Leistungen fähig oder willens ist, die Gelegenheit, mittels empört-moralisierendem Gehabe Posten, Geld und Prestige abzugreifen. Als Draufgabe gibt es den Seelenfrieden des moralisch überlegenen Menschen. Dadurch verengt sich die Welt des Sagbaren und Zulässigen bis hin zur Entrechtung all derer, die anderen irgendetwas voraushaben oder eine andere Auffassung vertreten. Das Endresultat ist eine jakobinische Gesinnungsdiktatur.“ (Titus Gebel, Freie Privatstädte)

Während die Massen der Überflüssigen die Erde überfluten, beginnen sich die Exzellenten von den Zentren der ordinären Politik abzusondern.

Zu diesen Überflüssigen gehören sie nicht. Sie spalten die Welt in zwei Teile: in den Teil der ruinierten Natur und den – zumindest dem Anschein nach – immer noch intakten isolierten Paradiesen der Tier- und Pflanzenwelt – weit dahinten in den versteckten Teilen der Welt.

Wenn’s irgendwie geht, wollen sie noch weiter hinein ins Universum, wo ihr Heiland Musk schon die Teppiche auf dem Mars ausrollt. Das Menschengeschlecht beginnt sich zu spalten.

Das universalistische Menschen- und Völkerrecht gilt nur noch für die Welt der Verlierer. Weshalb die Besonderen längst ihr eigenes Recht erfunden haben. Wer in der Höhe angekommen ist, weiß, welche besonderen Rechte ihn erwarten.

Die Superreichen werfen den sozialen Moralisten vor, sie hätten nichts anderes im Kopf als eine platonische Gesinnungsdiktatur. Dabei haben sie selbst längst ein solches Reich realisiert – durch die Macht, die übergroße Macht ihres Geldes und ihrer Privilegien. Es ist die Macht ihres Geldes in neoliberalen Demokratien.

Sie können sich längst darauf verlassen, dass alle Wege einer normalen Gesetzgebung in Richtung Plutokratie gehen. Ihre globalen Netzwerke haben die Regierungen der Welt erfolgreich daran gehindert, die ökologische Verwüstung der Welt einzustellen. Wer’s nicht glaubt, schaue einfach aus dem Fenster und er wird vertrocknete Erdmassen, brennende Wälder und abgesoffene Straßen und Keller entdecken.

Döpfner kennt nichts anderes als autoritäre Herrschaft der Etablierten, um für notwendige, hochgebildete Systemknechte zu sorgen. Gerade in den Schulen muss das junge Blut gezähmt werden, um im Leben unter der Knute nicht ausfällig zu werden. Leistung, Leistung, Leistung, um die letzten Ruinen der Kulturen noch ein wenig intakt zu halten.

Dabei wäre es nötiger denn je, das jahrtausendealte Erdherrschafts-Vokabular zu vergleichen mit den wahrhaft humanen Begriffen einer Vandana Shiva:

„Die Freiheit der Bauernbevölkerung muss höher gewertet werden als die der Wirtschaftsmonopole. Das Überleben der Bauern ist mehr wert als die Habgier der Unternehmen. Gandhis Vision der Bewegungen Swadeshi (wirtschaftliche Unabhängigkeit), Satyagraha (Festhalten an der Wahrheit) und Sarvodaya (Wohlfahrt für alle) regt uns an, lebendige Wirtschaftsformen und lebendige Demokratien aufzubauen. In seinem Vermächtnis finden wir Hoffnung, wir finden Frieden und wir finden zu unserer eigenen Kreativität. Gandhi hatte unumwunden erklärt: „Solange der Aberglaube weiterbesteht, dass die Menschen ungerechten Gesetzen gehorchen sollten, solange wird Sklaverei existieren.“

In schroffem Gegensatz zu Döpfner & Co müssen wir wieder spielen lernen. Spiel ist nicht das Gegenteil von Arbeit, sondern die innere Freiheit einer selbstgewählten Arbeit, die uns ernährt und uns mit innerem Wohlgefallen und Freude erfüllt. Wenn wir den humanen Sinn einer Tätigkeit erkennen, halten wir sie für vernünftig. Vernunft aber ist das ersthafte Spiel des Erkennens, um die Wirklichkeit in ihrer Wahrheit zu erfassen. Im Erkenntnis-Spiel gibt es weder Verlierer noch Gewinner, Wahrheit ist für alle da.

„Die mechanistische kartesianische Weltsicht lässt es zu, dass dem anderen eine Position mit Gewalt aufgezwungen wird, in der Überzeugung, dass es zum Wohle des anderen geschieht.“ (zit. bei Shiva)

Diese westliche Gesinnung einer systematischen Naturausbeutung muss beendet werden. Wir müssen wieder spielen lernen. Spiel ist freies Handeln, nicht nur, um das Überleben der Natur zu schützen, sondern um den Vitalen das Leben auf Erden zu erhalten.

Einer Erde, die Shiva ausgezeichnet hat mit dem im Westen unbekannten, geradezu gewaltigen Begriff: Erd-Demokratie.

Fortsetzung folgt.