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Natur brüllt! IV

Tagesmail vom 07.08.2023

Natur brüllt! IV,

„Die meisten unserer führenden Hochschulen verstehen sich heute besser darauf, technokratische Fähigkeiten und Ausrichtungen zu vermitteln, als die Fähigkeit zum Nachdenken über grundlegende moralische und zivilgesellschaftliche Fragen zu schulen. Diese Betonung technokratischen Wissens dürfte über die letzten zwei Generationen hinweg zum Scheitern der regierenden Eliten und zur moralisch verarmten Terminologie der öffentlichen Debatten beigetragen haben.“ (M. Sandel, Vom Ende eines Gemeinwohls)

Aus der geheimen ChatGPT-Bewertung über die gegenwärtigen Eliten, die auf Schleichpfaden an die Öffentlichkeit gedrungen ist.

Während sie selbst mit breiten Gesichtern vor die Kameras treten, um alles, was ihnen zuarbeiten sollte – im Grunde alles – zur Minna zu machen, ist ihre eigene Arbeit als Führer der Zeit von ChatGPT geradezu deklassiert worden.

Sie haben den bösen Staat am Bändel, der die Jugend hinter sich herzieht, welche das ganze System lahm legt: Nicht durch Verweigerung, sondern im Gegenteil, durch Überperfektion.

Zeitenwende! So kann es nicht weiter gehen. Zeitenwende, ein markanter Begriff für Kanzler, die vieles lesen und nichts verstehen.

Zeitenwende? Welche Zeit soll sich gewendet haben? Die Zeit des Heils, das vom Menschen gar nicht reguliert werden kann, weil er von Anfang an zu belanglos gewesen ist? Heilszeiten sind Arenen für Götter und Übermenschen, nicht für Krethi und Plethi.

In Heilszeiten spielen Menschen nur demütige Rollen, sie sind Spielfiguren der Jenseitsmächte. Mit dem Schicksal der Erde haben sie nichts zu tun.

Was soll sich gewendet haben – wenn sich alles mit eiserner Logik genau so weiter entwickelt wie seit erdenklichen Jahren?

Zeitenvollendung: das wäre ein Begriff, über den wir reden müssten. Endlich sehen und fühlen, was wir seit vielen Epochen betrieben haben.

Zeitenentlarvung: nun kriegen wir serviert, was wir seit langem angerichtet haben.

Es ist die Zeit herbeigekommen. Es wird die Zeit über dich kommen. Es gebührt euch nicht, zu wissen Zeit oder Stunde. Schicket euch in die Zeit. Richtet nicht vor der Zeit. Es werden gräuliche Zeiten kommen.

Welche Heilszeit hätten`s denn gern? So viele Zeiten, so viele Wenden? Der bibelkundige Kanzler spitzt das Mündchen, rollt mit den Augen und schaut vergnügt voraus in etwas, was er zu sehen glaubt. Da der Begriff als markant gilt und in Kommandostiefeln daherkommt, ist der Politiker gerechtfertigt. Eine neue Politik ist entstanden – allein durch die Kraft des Wortes. Solo verbo.

Finde das Wort, sprich es aus – dann setz dich und schaue gehorsam nach vorne.

Wäre das kein Unglaube, dem allmächtigen Wort noch etwas folgen zu lassen? Ach was, Goethe misstraute dem Wort und schrieb: am Anfang war die Tat. Danach geschahen schreckliche Taten bis heute. Weg mit ihnen, wir brauchen Worte des Vertrauens.

Seitdem tun wir wieder nichts, pardon, wir lassen die Maschinen laufen. Maschinen, die pro nobis etwas tun – wir wissen nur nicht so genau, was sie tun –, das nennen wir Fortschritt.

Der Erlöser, der pro nobis für uns gestorben und auferstanden ist; die Maschine, die pro nobis für uns arbeitet, das nennen wir Heilszeit.

Nein, nicht dass wir nicht mehr malochen müssten. Wer nicht arbeiten will, der darf nichts essen. Das gilt für alle Zeiten, selbst für Wendezeiten. Kein Fortschritt kann das Heil zur Schnecke machen.

Nein, früher glaubten sie an die Heilszeit, beteten und büßten, um reif zu sein für das Öffnen der Tore.

Heute deklamieren sie, sprechen die richtigen Worte, dann überlassen sie alles den Maschinen, ihren Stellvertretern im Vorantreiben der Zeiten. Und die, gar nicht faul, suchen und suchen das Heil. Erst hienieden auf Erden, doch jetzt sind sie ausgelaugt vom Wühlen und Bohren nach dem Heil. Jetzt müssen die genialen Augen sich in die Weite richten, in die Unermesslichkeiten des Universums, das sie gerade erobern.

„Warum sollte sich eine wahrhaft superkluge KI, die ganz schnell Roboter bauen kann, die alles viel besser kann als Menschen, sich die hirnlose Mühe machen, Menschen zu versklaven? KIs werden natürlich mehr und größere und bessere KIs bauen wollen, dazu braucht man Masse und Energie. Fast alles davon ist aber weit weg von unserer Biosphäre. Also werden KIs auswandern. Zunächst auf den Merkur, der sehr sexy ist, weil er noch mehr schwere Metalle hat als die Erde, mit der Sonne als riesiger Energiequelle in nächster Nähe. Das wird ein paar Hunderttausend Jahre dauern, aber dann wird fast alle KI sehr weit von der Erde weg sein. Sobald es Sender und Empfänger gibt, reisen KIs mit Lichtgeschwindigkeit per Funk. Menschen werden weniger bedeutend sein. Aber trotzdem interessant: Solange sie nicht durch und durch verstanden sind, bleiben sie eine unglaubliche Quelle interessanter Muster, die kein rationaler Wissenschaftler zerstören will, egal ob er ein Mensch ist oder eine KI.

Vorher haben wir immer geviertelt. Multiplizieren wir jetzt mit vier! Wenn der sichtbare Kosmos vier Mal so alt ist wie jetzt, also ungefähr 55 Milliarden Jahre alt, wird er von KI und deren Infrastruktur durchdrungen sein. Das Tolle daran ist, dass der gigantische Weltenraum solchen Systemen einen bisher unerschlossenen Lebensraum bietet, der unermesslich groß ist im Vergleich zur winzigen Biosphäre. Wenn wir begreifen, dass das Universum nicht nur für uns gemacht wurde, sondern dass wir Teil von etwas Größerem sind, können wir schon ehrfürchtig und demütig damit leben. Die meisten Menschen kommen ganz gut damit zurecht, dass sie nicht die Tollsten sind.“ (Sueddeutsche.de)

Jetzt kommt KI, die künstliche Maschine, vieltausendmal genialer als der Mensch – der dennoch weiterhin gebraucht wird.

„Solange sie nicht durch und durch verstanden sind, bleiben sie eine unglaubliche Quelle interessanter Muster, die kein rationaler Wissenschaftler zerstören will.“

Wie der Mensch die Natur ausquetschte, so wird er nun selbst ausgequetscht. Erst, wenn nichts mehr in ihm sein wird, das KI nicht verstanden hätte, geht es ihm an den Kragen. Bis es aber einmal so weit sein wird: ohne Demut geht nichts. Demut ist die Kehrseite der Genialität. Die Ersten werden die Letzten sein, die Letzten die Ersten. Ist das keine wunderbare Kette der Verbundenheit zwischen Ersten und Letzten?

Wo aber bleibt die entscheidende Frage: Was tut ihr genialen Tüftler für den Erhalt der Menschheit in einer symbiotischen Natur?

Nein, das ist nicht ihre Aufgabe. Eine Stabilisierung der Natur auf bekanntem Terrain, das wäre das Ende des ewigen Fortschreitens. Das wäre eine unvergebbare Sünde.

Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss. Dann hat er seine Pflicht getan. Vergessen wir ihn.

Mit anderen Worten: jeder Dollar, der in die Wissenschaft der KI-Eroberung des Universums gesteckt wird, geht dem Menschen verloren. Doch der kluge Mensch fühlt seine Bedeutung, wenn er dabei hilft, die Entwicklung über ihn hinweg zu treiben.

Was hat das Ganze mit Transhumanismus zu tun?

„Der Begriff des „Transhumanismus“ trat 1814 mit einer Übersetzung von Dantes „Göttlicher Komödie“ in die englische Sprache ein. Der Dichter hatte das Wort „trasumanar“ erfunden, um den Transformationsprozess des Körpers beim Aufstieg ins Paradies zu beschreiben. 1947 schrieb der jesuitische Priester Pierre Teilhard de Chardin über den Aufstieg der Menschheit „zu etwas Transhumanem“. Die Evolution widerspreche Gottes Schöpfungsplan nicht, sondern vollziehe ihn vielmehr, der göttliche menschliche Geist verdichte sich im Lauf der Entwicklung immer stärker in einer informationellen „Noosphäre“, bis zum „Omega-Punkt“, dem Ende der Geschichte, an dem die Menschheit reiner Geist geworden ist und die Toten auferstehen.“ (Sueddeutsche.de)

Wie ganz Silicon Valley ist auch KI-Schmidhuber ein Vertreter der Entwicklung der Menschheit ins Jenseitige. Zwar bleibt der Mensch selbst auf Erden zurück, nicht aber seine KI-Geschöpfe, die ins endlose All streben.

Die Transhumanisten sind Übersetzer von Teilhard de Chardin ins Technische. Die Trennung von Materie und Geist will der französische Jesuitenpater und Evolutionsbiologe im Verlauf der Heilszeit am Endpunkt Omega zur Einheit zusammenwachsen lassen.

Das ist Heilszeit, die das christliche Heil übertrumpfen will – das am Ende der Zeiten das Gespaltensein in Gut und Böse, Himmel und Hölle, auf immer existieren lässt.

De Chardin erträgt diese „manichäische“ Gespaltenheit nicht. Ob er’s wusste oder nicht: er kehrt zurück zu Origenes, dem – noch ziemlich altgriechisch denkenden – Urkirchenvater, der das Gespaltensein der Schöpfung nicht auf ewige Zeiten erträgt und die Lehre der Ganzheit des Seienden, wenigstens am Schluss der Heilszeit, retten will:

„Ewige Strafen, wie sie in der später vorherrschenden Vorstellung einer Hölle vorkommen, kannte Origenes nicht. Gestützt auf das Schriftwort aus 1 Kor 15,28: „wenn ihm dann alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrscht über alles und in allem“, war er der Überzeugung, dass selbst Dämonen und der Teufel am Ende erlöst werden. Diese als Apokatastasis panton bezeichnete Lehre wurde 553 auf dem fünften ökumenischen Konzil, dem zweiten Konzil von Konstantinopel, verworfen.“

Und nun das Wunder der Gegenwart: Silicon Valley spürt die unerlöste Last der Schöpfung und will sie wieder zur Einheit bringen. Die künstliche Intelligenz will das Böse aus der Schöpfung verdammen und alles wieder mit allem vereinigen.

In Deutschland völlig unverständlich, ist Silicon Valley ein Teil der Heilsgeschichte – die nicht passiv auf den Erlöser warten, sondern mit technischem Genie die Heilszeit der Menschheit vorantreiben will.

Am Ende muss das Böse verschwunden sein, alles ist wieder eitel Sonnenschein.

„Heute ist in der gesamten Noosphäre das Christentum die einzige Denkströmung, die kühn und fortschrittlich genug ist, um die Welt tatsächlich und wirksam zu umfassen, auf eine Art, die ihr Genüge tut und unbegrenzt vervollkommnungsfähig ist, und bei der Glaube und Hoffnung sich mit Nächstenliebe krönen.“ (Der Mensch als Kosmos)

„Unter der nichtssagenden Hülle der Dinge und unter der Hülle all unserer geläuterten und geretteten Anstrengungen entsteht Schritt für Schritt die Neue Erde.“ (Der göttliche Bereich)

Halten wir inne, was wollte de Chardin?

„In seinem philosophischen Hauptwerk Der Mensch im Kosmos (Le Phénomène humain, 1955) unternahm er den Versuch einer Synthese von naturwissenschaftlicher Evolutionstheorie und christlicher Heilsgeschichte. Er sah die göttliche Schöpfung, den Kosmos, als evolutionären Prozess an, in dessen Verlauf sich Materie und Geist von Beginn an als zwei Zustände des einen „Weltenstoffes“ in wechselseitiger Beziehung gegenüberstünden, um schließlich im Omegapunkt Identität zu erlangen, indem sich die Materie im Menschen ihrer selbst bewusst wird.“

Das aber ist ein uralter Mythos, der, wie in vielen eingeborenen Stämmen, die Zeit als Suche des Mannes nach dem Weibe versteht. Seit Anfang aller Zeiten haben sich beide Geschlechter getrennt, und im Verlauf der Menschengeschichte muss der Mann nach der verlorenen Frau suchen, um sich wieder wie ursprünglich mit ihr zu vereinigen.

Das ist der Prozess der Erlösung, der sich im Verlauf der Geschichte ereignet. Ein Akt des menschlichen Trotzes gegen einen Gott, der Angst hatte, dass der Mensch seine Hand ausstrecke und von dem Baume des Lebens breche und ewig lebe.

„Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. 24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“

Das ist die mythologische Erzählung vom Menschen – besonders vom Weibe –, das werden wollte wie Gott. Auch nach dem Sündenfall wollte der Mensch werden wie Gott und begann mühsam den Ackerbau – und die Forschungsarbeit. Silicon Valley ist ein wesentlicher Teil des geschichtlichen Heils, das der Mensch suchen muss.

Hier wiederholt sich, was im Mittelalter im Bergbau begann.

„Wie eine wohltätige und gütige Mutter spendet die Erde mit größter Freigebigkeit von sich aus und bringt Kräuter, Hülsenfrüchte, Feld- und Obstfrüchte ans Tageslicht. Dagegen hat sie die Dinge, die man graben muss, in die Tiefe gestoßen und deshalb dürfen sie nicht herausgewühlt werden. Doch die neuen Bergbautätigkeiten haben die Erde verändert und aus einer freigebigen Mutter eine passive Dulderin gemacht, die sich die Schändung durch den Menschen gefallen lässt. In den Gängen und Einschlüssen der Erde nach Metallen zu schürfen, ist wie das lüsterne Wühlen in weiblichem Fleisch.“ (C. Merchant, Der Tod der Natur)

Was können wir alldem entnehmen? Strenge Naturwissenschaft ist keine absolut reine rationale Tätigkeit, wie man das heute gerne hätte. Sie ist eine Tätigkeit der Vernunft auf dem Boden des Mythos.

Mit anderen Worten: wir können die Leuchte der Vernunft nur strahlen lassen, wenn wir ihre Abgründe nicht übersehen oder verleugnen.

Fortsetzung folgt.