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Natur brüllt! I

Tagesmail vom 28.07.2023

Natur brüllt! I,

In welcher Sprache?

Müssen wir uns das Brüllen gefallen lassen?

Sollten wir nicht zurückbrüllen?

Würden wir damit nicht zugeben, dass wir schuldig sind?

Sind wir denn schuldig?

Was taten wir, wozu Natur uns nicht befähigt hätte?

Wollten wir nicht, dass sie auf uns stolz sein kann?

Sind wir nicht die Krone der Schöpfung, die mit Brillanz die Erde umgürtet, die Menschheit vernetzt, die Intelligenz der Natur erkannt und zu unserer Dienerin ernannt hat?

Was gibt es denn da zu brüllen, wenn wir nur taten, was wir sollten?

Wer überhaupt brüllt denn da? Die Natur, ihr Erfinder oder ihr Verderber, der die Pflicht hat, am Ende alles zu zerstören?

Stopp, was haben Schauermärchen mit Natur zu tun?

Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen könne.

Diese Märchen haben sich uns eingraviert, eine Natur ohne sie ist uns unbekannt.

Sie sperren den Rachen wider uns auf wie reißende brüllende Löwen.

Und das soll stille Natur sein, die gut sein soll für uns, wenn ihre Geschöpfe uns anbrüllen?

Hatten wir nicht die verdammte Pflicht, die Natur zu verbessern, weil ihr Schöpfer sie versaut hatte?

Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.

Weshalb waren sie so boshaft, diese Menschen? Weil sie von ihrem Gebieter so erschaffen worden waren?

Gegenfrage: Haben sie sich denn selbst geschaffen?

Darum gab auch ich ihnen Gebote, die nicht gut waren, und Gesetze, durch die sie kein Leben haben konnten, 26 und ließ sie unrein werden durch ihre Opfer, als sie alle Erstgeburt durchs Feuer gehen ließen, damit ich Entsetzen über sie brachte und sie so erkennen mussten, dass ich der HERR bin.

Und jetzt kommen die Noahs wieder und wollen den Ruhm ihres Kreators bis auf den Mars tragen?

Müsste hier nicht wahrhaft neu gebrüllt werden, damit die Elemente des Universums ins Wackeln kommen?

„Die Erde brüllt uns an, mit Feuersbrünsten, Stürmen, Hitzewellen auf dem Land. Doch manchmal brüllt sie auch in vermeintlich paradiesischer Stille, unter Wasser, im Meer.“ (SPIEGEL)

Doch die brüllende Natur schweigt uns an.

Die Natur brüllt uns an, weil wir sie zwingen, ihre Geheimnisse zu verraten. Dabei ist offensichtlich, was Heraklit sagte:

Natur liebt es, sich zu verbergen.

Und die Menschen lieben es, die Natur zu entbergen. Wenn nicht freiwillig, dann mit Gewalt.

Gott aber liebt es, die Natur zu vernichten, die erste Natur, weil er sie für minderwertig hält.

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker[1] sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Die Letzten werden die Ersten sein, die erste Natur muss vergehen, um der zweiten und unvergänglichen Platz zu schaffen.

Dann wird das Gebrüll der ersten Natur aufhören und himmlische Ruhe wird einkehren.

Die Grünen sind deshalb so unglaubwürdig, weil sie sich von Theologen hinters Licht führen ließen und Schöpfung bewahren wollten. Wie geht das, wenn der Schöpfer seine erste Schöpfung selbst vernichten musste, um seine letzte unsterblich zu machen?

Die Grünen wollen die Schöpfung bewahren, allein, die erste Schöpfung muss brüllen, um sich in Nichts aufzulösen und eine zweite endlos aus der Taufe zu heben. Was neu geboren werden will, muss zuvor gestorben sein. Das ist zugleich das Geheimnis der politischen Wiederauferstehung der Deutschen.

Die Grünen verstehen ihren biblischen Ungehorsam nicht. Sie haben sich in den Dienst eines endlosen Fortschritts gestellt – der gleichwohl auf keiner biblischen Seite zu finden ist.

So schwankt die Neuzeit ständig zwischen buchstabengemäßem Gehorsam und störrischem Ungehorsam. Sie weiß nicht, was sie will. Nur eins ist sicher, die brüllende Natur darf nie zur Ruhe kommen. Brüllend rast sie in die Zukunft. Schnell alles hinter sich lassen ohne zu wissen, was auf sie zukommt.

Natur hat Einfluss auf die Seelen, die in ihr wohnen. Das hat Deutschlands bester Ökonom Alexander Rüstow bemerkt, als er vor Hitler ins Jonische floh:

„Keine Spur von trüben Tagen, von Nebel, Wolken und Feuchtigkeit, sondern immer der blaueste reinste Himmel, die anmutigste Luft und ein beständig trockener Boden, sodass man sich überall nackend hinlegen möchte. Welcher Gegensatz zwischen der Sonne Homers und den Nebeln Ossians. Hier die ganze Landschaft beherrscht vom Feuchten, Nassen, Kalten: alles triefend dunstend, quellend, eine düster übermächtige Natur. Der griechischen Landschaft fehlt völlig diese den Leib verhüllende feuchte Seelenschicht. Wälder sind selten. Sonst aber liegt der Leib der Erde in Griechenland nackt im hellen Seelenlicht und unmittelbar dem Geist offen. Jedenfalls ist sie von einer unvergleichlich geistbereiten, geistoffenen Leiblichkeit.“ (Ortsbestimmung der Gegenwart Bd. 2)

Im Hellenischen waltete die unvergängliche Natur, das Hier und Jetzt. Hier konnten keine Träume vom vollendeten Jenseits entstehen, denn das Vollkommene – war hier.

Wie anders das Christentum. „Denn da dieses als Erlösungsreligion das Heilige im Transzendenten, Jenseitigen, Überweltlichen sucht, entwertet es die gesamte diesseitige wirkliche Welt, die umso schrofferer Abwertung verfällt, je näher sie dem Vitalzentrum steht.“ (ebenda)

Deutschlands Christentümer brüllen ständig widereinander. Wenn’s der christlichen Union gut geht, ist alles ausnahmslos christlich, was Wohlstand und Reichtum befördern.

Geht’s der Partei schlecht, werden die modrigen Texte aus dem Keller geholt – und siehe da: die Nebel hat das Licht nicht mehr durchdrungen.

Verwunderlich, dass die CDU Ängste hat, mit der AfD verwechselt zu werden. Betreibt sie doch eine angebliche Wertepolitik, während die AfD betont, keine Wertepolitik zu betreiben, sondern eine reine Interessenpolitik. Das wurde allerdings in keiner Gazette gemeldet.

Die CDU hat ein einfaches Muster. Wenn’s ihr gut geht mit reiner Machiavelli- oder Interessenpolitik, schmäht sie alle Kritiker als idealistische Träumer. Geht’s ihr schlecht, werden die alten idealistischen Texte hervorgezogen.

„Eine Partei, die das »C« in ihrem Namen trage, müsse für das Asylrecht eintreten, sagte der 2017 verstorbene Heiner Geißler, konservative CDU-Koryphäe, schon im Jahr 2000. Das Motiv liegt auf der Hand: Nächstenliebe; Hilfe für die Hungernden, die Schwachen und Verzweifelten. Es lässt sich in der Bibel nachlesen. Von einem härteren Vorgehen gegen Geflüchtete oder Pushbacks – also Ausweisungen ohne vorige Prüfung etwa einer Bitte um Asyl –, wie sie Thorsten Frei forderte, steht in der Schrift nichts geschrieben. Die AfD vertritt menschenfeindliche Positionen gegen migrantische und sexuelle Minderheiten, die mit dem christlichen Grundwert Toleranz nicht zu vereinbaren sind.“ (SPIEGEL.de)

Toleranz ist eine christliche Tugend? Nur, wenn auch die Demokratie auf heiligem Boden entstanden ist. Sonst ist Toleranz das pure Gegenteil.

Das interessiert moderne Christen nicht, die mit dem Holzhammer Exegese nach dem Motto betreiben: und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.

Die Deutschen gehören zur Elite der Welt – ergo steht in ihren heiligen Büchern, was sie bestimmen. Jetzt, wo alles schief hängt, kommt Gott zurück. Mögen die Kirchgänger en masse das Weite suchen, die wahren Erleuchteten schätzen die Qualität der kleinen Kreise. Das haben sie von den Superreichen gelernt, die in kleinsten Zirkeln die schönsten Bezirke der Welt besiedelt haben, um die Umweltqualen der kommenden Jahrzehnte am besten zu überleben.

Zu den Nebeln der brüllenden Natur gehört in Deutschland auch die Verrottung der Sprache. Warum sind sie alle so betäubt, so schlafmützig, so wortfaul und des Worts unfähig?

Weil ihre Sprache tot oder fast tot ist. Begriffe, die etwas klären könnten, haben sie längst so vermüllt, dass sie schon stinken, wenn man sie bereits hört.

Setzt euch, haltet die Klappe und lauschet:

Wahrheit – uh, der glaubt noch an die Wahrheit.

Selbstbestimmung des Menschen – uh, der glaubt noch an die Autonomie des Einzelnen. Das dürfte er nur im Ökonomischen, wenn er die geringste Freiheitseinschränkung im Geldmachen als fluchwürdig definiert.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit – uh, der lebt immer noch im Mittelalter, weiß nicht, was Globalisierung ist.

Humanität und die Universalisierung der Vernunft – hu, der glaubt immer noch an die UN-Charta, um befreundeten heiligen Staaten die rote Karte zu zeigen.

Jetzt ergreifen wir mal die Flucht und verschwinden über die feuchten Wälder – heute nicht mehr – in eine ganz andere Kultur: ins Land Gandhis:

„Gandhis Vision der Bewegungen Swadeshi (wirtschaftliche Unabhängigkeit), Swaraj (politische Selbstbestimmung), Satyagraha (das Festhalten an der Wahrheit) und Sarvodaya (Wohlfahrt für alle) regt uns an, lebendige Wirtschaftsformen und lebendige Demokratien aufzubauen. In seinem Vermächtnis finden wir Hoffnung, wir finden Frieden und wir finden zu unserer eigenen Kreativität.“ Schreibt Vandana Shiva in ihrem erschütternden Buch „Erd-Demokratie“.

An ein solches Traumtänzerprojekt glaubt hierzulande niemand. Hier herrscht die christliche Moral: wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird noch genommen, was er hat. Das ist die Interpretation der Nächstenliebe, die man anderswo Goldene Regel nennt.

Die gut klingenden Regeln des Neuen Testaments benutzen die Christen zur Reklame für das weltbeste Religionssystem. Die weniger guten lässt man verkommen, um den guten Schein nicht zu verderben. Das Ganze nennt sich: wertebestimmte Politik.

Kamen aber anfänglich die Grünen mit ihren noch unbereinigten Idealforderungen, wurden sie als Idealisten geschmäht.

Man vergleiche Vandanas fast kindlich-unaffektierte Sprache mit Merkels und Scholzens Geschwulst und lese:

„Eine lebendige Kultur ist der Raum, in welchem wir unserer verschiedenen Wertvorstellungen, Glaubensrichtungen, Bräuche und Traditionen entwickeln und leben, während wir unsere gemeinsame universale Menschlichkeit und unsere Verbundenheit mit anderen Spezies durch Erde, Wasser und Luft bereitwillig annehmen. Lebendige Kulturen basieren auf Gewaltlosigkeit und Mitgefühl, Vielfalt und Pluralismus, Gleichstellung und Gerechtigkeit sowie Respekt für das Leben in all seinen Erscheinungsformen.“

Während hierzulande alle Geldjäger den Abstieg der Deutschen in schrecklich arme Verhältnisse beklagen, wenn wir pro Monat wenige Euros weniger verdienen, wagt es eine indische Frau, den Wahn der Immer-mehr-Verdiener zu beklagen und Humanität, dieses abgedroschene Wort, als Losung für die kommende Menschheit zu benutzen.

Wer sonst soll den Menschen retten – als der Mensch?

Welche Politik soll sonst die zukünftige Menschheit retten – wenn nicht die humane Erd-Demokratie?

Und nicht zu vergessen: Swadeshi, Swaraj, Satyagraha und Sarvodaya. Die deutsche Sprache ist mausetot. Es lebe die indische und all jene Sprachen, die sich ihrer humansten Begriffe nicht schämen.

Fortsetzung folgt.