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Hello, Freunde der Mütter,

gab es einen Garten Eden? Warum denn nicht? Haben die Menschen als Bestien die Welt besiedelt? Halten zu Gnaden, der Garten Eden war das Matriarchat, das Reich der Mütter. Mütter bringen Leben hervor, warum sollten sie es zerstören?

Gab es einen Sündenfall? Gewiss, den Fall aus dem Matriarchat ins jetzige Reich der Väter, das von ihnen – um sich von unterkomplexen Müttern abzuheben – als Hochkultur gepriesen wird.

Der Übergang vom Matriarchat zur maskulinen Hochkultur „könnte in gewisser Weise eine Niederlage der ganzen Menschheit gewesen sein, die sich von einer grundlegend friedlichen, gesellschaftlichen Ordnung abwandte und einer durch Aggression eingeführten hierarchischen Struktur zuwandte. Patriarchalische Gesellschaften gründeten sich auf sozialen Neid, matriarchalische waren egalitär.“ (Erich Fromm)

Es sind die männlichen Hochkulturen, die den Untergang der Menschheit bringen werden – wenn die Männer sich nicht verändern und die Frauen nicht zu Müttern eines neuen Matriarchats werden.

Die männlichen Hochkulturen sind zu Tiefstkulturen geworden. Unter dem Vorzeichen Fortschritt sind sie dabei, ihre riesigen Gräber selbst auszuheben. Die ganze Erde soll zum Massengrab einer zum Untergang bestimmten Fehl-Kreatur werden, damit

einige Amerikaner auf dem Mars eine zweite Chance erhalten.

Auch der Mars wird nicht die Endstation der Sehnsucht sein. Danach beginnt der nicht endende Cowboyritt mit dem sterne-erbeutenden Lasso durchs Universum. Eine unübersteigbare Grenze, eine Frontier, darf es für echte Himmelsstürmer nicht geben. Das Ziel männlicher Hochkulturen ist der endgültige Abgang des Menschen von der Mutter Erde und die Verwandlung der überlebenden Sieger in vor Intelligenz sprühende, unendlich bornierte Menschenmaschinen, Golems und Roboter.

Das 19. Jahrhundert träumte von der Selbstverwandlung lächerlich unvollkommener Menschen in perfekte Überwesen, in Übermenschen mit eisernem Willen, in Herrenmenschen, rechtwinklig an Leib und Seele. Ohne moralinsaures Demutsgestammel, ohne selbsterniedrigende Kasteiungen, ohne Sünd und Schand.

Vergib, dass ich Mensch bin: diesen Seufzer sollte kein Mensch mehr Göttern als Morgengabe bringen, die davon leben, dass ihre Geschöpfe erbärmliche Versager sind. Der aufgestaute Ekel vor einer Religion der Sündenkrüppel verwandelte sich in den glühenden Wunsch, nie mehr schwach zu sein, nie mehr beschämt zu werden, nie mehr als Ausschußware der Schöpfung verachtet zu werden.

„Der Mensch ist etwas, was überwunden werden muss: und darum sollst du deine Tugenden lieben – denn du wirst an ihnen zugrunde gehen.“

Seine Tugenden machen den Menschen nicht vitaler und lebensfreudiger, sie richten ihn zugrunde. Der jetzige Mensch in seiner Schäbigkeit soll zugrunde gehen – also soll er tugendhaft leben.

Wie soll der Mensch besser werden? Ihr sollt besser werden, indem ihr böser werdet. Das Böse ist das einzige Mittel, vollkommen zu werden. Nicht das Gute macht vollkommen, sondern das Böse, das Grausame, das Erbarmungslose. Werdet böser, dann werdet ihr besser und vollkommener.

„Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. Der Krieg und der Mut haben mehr große Dinge getan als die Nächstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglückten. Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Euch rate ich nicht zum Frieden, sondern zum Siege. So lebt euer Leben des Krieges. Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund auf, meine Brüder im Kriege.“

Bezwingt euer Mitleid, euer Erbarmen, werdet hart zu euch selbst. Erst dann könnt ihr vollkommen werden und tun, was nötig ist – den erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen eure Feinde. Der tugendhaft winselnde Mensch ist etwas, das überwunden werden muss. Werdet wahre Menschen, werdet böse.

Grausamkeit und Krieg als Läuterungs- und Perfektionsmittel des Menschen: dieser Sirenengesang erhebt sich wieder in diesen Tagen.

Fast alle deutschen Gelehrten, Weißwascher und Safranskis sind noch immer der Meinung, Nietzsche, der pastorale Prediger des Grausamen, sei ein Gutmensch gewesen, ein Humanist comme il faut, ein Vorbild der höheren Töchterbildung.

Nietzsche, Vordenker des Dritten Reiches? Seid ihr meschugge? Für Postmoderne ist Nietzsches Philosophie nur mit einer „Hermeneutik der Unschuld“ zu entziffern. Von der Rechtfertigung der Sklaverei bis zur Vernichtung der Schwachen – alles nur Metaphern. Wenn man die Bibel nicht buchstäblich nehmen muss, warum dann Zarathustra, den Kündiger der herrlichen Grausamkeit und Mitleidlosigkeit?

Die Deutschen haben es geschafft, sie haben den Terrorismus der Schrift, des Buchstabens überwunden. Warum können, warum wollen sie nicht mehr lesen? Weil sie an sich nicht irre werden wollen, wenn sie lesen – und doch nichts verstehen, wenn sie am Buchstaben kleben wie das Vieh am Trog. Die dumpfen Massen, wie sie sich noch an die Buchstaben klammern.

Die neudeutschen Brahmanen hingegen haben sich längst von der Erdenschwere der materiellen Schrift gelöst. Sie schauen durch den Text hindurch, über ihn hinweg, sie lesen unter und über der Schrift. Toten Buchstaben flößen sie ihren Metageist ein, ihren Übergeist. Und siehe: den Übergeist, den sie in die Buchstaben hineinlegten, den deuten sie auch aus ihnen heraus.

Das ist die zweite Schöpfung aus dem Nichts: die Meta-Deutung. Was in der Heiligen Schrift, was im Zarathustra steht: das wissen sie, bevor sie den Text zur Kenntnis genommen haben. Massen können heute gerade Werbung entziffern, deutsche Brahmanen entdecken in allem Geschriebenen nur noch – sich selbst.

Die fortschreitende Debilisierung der Neugermanen ist die kostbare Frucht ihrer biblischen Hermeneutik. Von Luthers sensus literalis (wörtliche Auslegung) bis zu den Projektionskünsten der heutigen Intellektuellen war nur ein kleiner Schritt. Wer immer nur heilige Schriften deuten muss, der fühlt sich eines Tages selber heilig. Auf die Schriften kann er irgendwann verzichten. Wer den Geist in sich spürt, so Schleiermacher, der kann seine Heilige Schrift selber schreiben.

Wie die Amerikaner im algorithmischen Rechnen unschlagbar wurden, so die Deutschen im freischwebenden Lesen und Deuten. Die Amerikaner schreiben ihre heiligen Bücher in Nullen und Einsen, die Deutschen ihre von Geist überschwappenden Schwarten mit Buchstaben, die ihre irdische Schwere verloren und zu beliebigen Selbstoffenbarungen geworden sind. Warum degeneriert der Westen? Weil er im Rechnen und Lesen unfehlbar geworden ist.

„Der Mann soll zum Krieger erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers: alles andere ist Torheit.“

Heute wollen Amerikaner per Maschine unsterblich werden. Nichts Schlimmeres fürchten sie als den Tod.

„Wichtig nehmen alle das Sterben, aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht. Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein Gelöbnis wird. Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden. Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! Also zu sterben ist das Beste; das zweite aber ist: im Kampfe zu sterben und eine große Seele zu verschwenden.“

Lebten die Deutschen eine Kultur des Todes? Was sonst? Seit 2000 Jahren sind sie Christen. Nietzsche hat den süßen Tod nicht erfunden, sondern nur den leidenden Tod (mors patiens) in den triumphierenden Tod (mors triumphans) verwandelt.

Heutige Historiker kennen nicht mal den Unterschied zwischen leidender und triumphierender Kirche. Da die Nationalsozialisten die leidende Kirche verhöhnten, schließen die Historiker messerscharf, jene seien Neupaganen (Neuheiden) gewesen. Nein, sie waren Uraltchristen, die bereits auf Erden den finalen Sieg der Kirche feierten, der mit dem Staat als Reich Gottes identisch geworden war. Sie waren die besten Schüler des italienischen Mönches Joachim di Fiore, der bereits im Mittelalter das Dritte Reich des Heiligen Geistes voraussagte.

„Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
Komm, führe mich in Friede,
weil ich der Welt bin müde,
ach komm, ich wart auf dich,
komm bald und führe mich,
drück mir die Augen zu.
Komm, selge Ruh!“

Alle Jenseitsreligionen sind Todesreligionen. Denn der wahre Schauplatz des Seins ist nicht hienieden, sondern zeigt sich erst nach dem Tode im Drüben.

Das gilt für alle drei Monotheismen. Insofern ist es Unfug von israelischen Ultrareligiösen, sich selbst eine Kultur des Lebens zu bescheinigen und den Palästinensern eine Kultur des Todes. Die Palästinenser haben den Märtyrertod nicht erfunden. Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Kirche – das war die Überzeugung der Kirchenväter und ist noch immer der Glaube aller Christen. „Da wir jetzt durch sein Blut gerechtgesprochen worden sind, sind wir vor dem Zorn gerettet worden.“

Wenn die Bedingung der Erlösung der blutige Tod eines Menschen sein muss, ist der Erlösungsglaube eine Religion des Todes.

Warum stürzen sie sich nicht alle ins Messer, höhnten die Römer über die ersten Christen – wenn es ihnen hienieden so gar nicht gefällt? Eben drum, jene mussten ihr irdisches Leben als Strafe betrachten und durften die Strafzeit nicht nach Belieben verkürzen.

Das ganze Leben eine Strafe: welch schreckliche Erfahrungen müssen diese Philosophie des Todes aus der Taufe gehoben haben!

Es gibt noch immer männliche Dödel, die das Matriarchat leugnen. Der Herr wird sie persönlich strafen.         

Als die männlichen Hochkulturen das Matriarchat gestürzt und die Herrschaft der Machos eingeführt hatten, dauerte es einige Jahrtausende, bis in der Achsenzeit – so nannte Jaspers die Jahre um 600 vdZ – die Klagen über die unmenschlichen Bedingungen der Menschheit unter despotischen Pharaonen, Priestern, Propheten, Königen und Beamten zu einer Zeitenwende führten.

In Griechenland begann die Phase der philosophischen Aufklärung und der Entwicklung zur Demokratie, die mit der Willkürherrschaft weniger Männer aufräumte.

In anderen Kulturen, in denen das eigene Denken durch strafende Götter untersagt war, entstanden Erlösungsphantasien, um das Elend der Menschen zu beheben.

Auch Religionen sind – wie alle menschlichen Erfindungen – anfänglich von besten Vorsätzen geprägt. Denn es gibt nichts Böses von Natur aus. Zur Entwicklung des Grauenhaften genügt es, wenn gute Vorsätze in die Irre gehen und das Schlechte, das sie daraus ableiten, weiterhin unter dem Blickwinkel ihrer guten Vorsätze betrachten. Jetzt erst entsteht das Grauenhafte – weil das Schlimme als Gutes definiert wird.

So entsteht der Haupt-Effekt der Erlöserreligionen: unter dem Vorzeichen des Guten wird das Verwerfliche als Gutes rechtfertigt. Das ist das Verhängnisvolle der Mischmoralen der Religionen, die das Elend der Menschheit mit einer neuen Botschaft der Liebe beheben wollten, aber nicht bemerkten, dass sie die Brutalitäten der alten Hochkulturen energisch aus ihrem Kanon hätten entfernen müssen. So blieben viele Opfer-, Blut- und Todesriten am Leben und kontaminierten die neue Moral, die doch von den Übeln der archaischen Männer befreien sollte.

Die neuen Religionen vermengten Liebe und Tod, Versöhnung und Gericht, Freiheit und sklavischen Gehorsam. Mein ist die Rache, spricht der Gott, der seinen Sohn in den Tod schickte, um eine neue Liebesbotschaft zu kreieren. Die Liebe sollte für alle gelten, allein, sie galt nur Auserwählten, der Rest war fürs höllische Feuer.

Neue, verheißungsvolle Töne der Versöhnung vermischten sich mit Resten einer unbarmherzigen Männerbrutalität. Anstatt sich von diesen Resten zu befreien und zu einer allumfassenden Liebesreligion zu werden, verschmolzen Liebe und Rache zu einer fürchterlichen Religionsmixtur, in der Liebe zur Vergeltung, Freiheit zur Vorherbestimmtheit, Erlösung zur ewigen Verdammung führten.

Das gefühlte Motiv musste die grausame Konkretisierung des Motivs legitimieren. Liebe – und tu, was du willst. Motiv und Tat verharrten in schrecklichem Widerspruch. Die Liebe durchsäuerte nicht die Tat, die furchtbare Tat blieb unberührt von der hehren Gesinnung.

Das sigillum veri, das Zeichen der Wahrheit, war bei Sokrates die Übereinstimmung von Wort und Tat, von Motiv und Handlung. In der Erlösungsreligion wurde die Einheit lediglich behauptet – aber nie durchgeführt. Seitdem kann man Kinder schänden und die Schändung als Liebestat ausgeben. Man kann Kreuzzüge durchführen, Menschen massakrieren und die Massaker als Liebesakte verkaufen.

Wen Gott liebt, den züchtigt er: das ist die Formel einer religiösen Mischmoral, in der Liebe und Strafe sich gegenseitig fressen. Christus, der Erlöser, liebt alle Menschen – deshalb schickt er die meisten ins ewige Höllenfeuer.

Mit besten Absichten das Schlimmste rechtfertigen, das wurde zum Zentrum der Achsenreligionen. Die gute Motivation deckt alle Brutalitäten zu – das ist der Kern der Erlöserreligionen. Das macht sie so gefährlich und so unangreifbar: sie strotzen von guten Absichten und von bestem Willen.  

Kritik, die sie als bösartig empfinden, prallt an ihnen ab. Sind sie nicht von glühendem Willen beseelt, den Menschen das Heil zu bringen? Ihre Selbstgerechtigkeit ist kein Zynismus, die Widersprüchlichkeit ihrer Heilstaten keine Bigotterie. Sie meinen, was sie sagen, den Widerspruch zwischen ihren Worten und Taten empfinden sie nicht.

Die Immunität des gut gemeinten, aber schrecklich getanen Heiligen: das ist das Verhängnis unserer Zeit, das wir nur überwinden können, wenn wir die Mischmoralen der Erlöserreligionen beenden und zu einer widerspruchslosen Aufklärungsmoral übergehen.

Nietzsche war ein scharfer Kritiker des Christentums, der aber viele Elemente der kritisierten Religion in seine Philosophie einbaute, ohne es zu bemerken. Sein Besserwerden durch Bösesein bringt die christliche Religion auf den Punkt.

Nietzsche, Schopenhauer und Wagner, dieses Dreigestirn war für den jungen Thomas Mann Orientierungspunkt seines demokratie- und moralfeindlichen Kurses. Er bejahte den Ersten Weltkrieg, der die Überlegenheit des heldenhaften Deutschlands erweisen würde. Wörter der „Wünschbarkeit“ wie Liebe, Demokratie hasste er wie die Pest und verachtete jene „Elegants, welche die letzten Ideen und Worte tragen, wie sie ihr Monokel tragen: zum Beispiel „Geist, Liebe und Demokratie“ – so dass es heute schon schwer ist, diesen Jargon ohne Ekel zu hören. Diese alle, die Heulenden, genießen die Freiheit ihrer Nichtigkeit.“

Bekanntlich wechselte Thomas Mann seine politische Ideologie und lief in den 30er Jahren ins Lager der Demokraten über. Der Bruderzwist mit Heinrich war beendet. Das änderte nichts daran, dass die Gedanken der „Konservativen Revolution“ in Deutschland direkten Kurs ins Verhängnis nahmen und die heraufkommende Revolution der Nationalsozialisten bis ins Mark infiltrierten.

In seinem späten Roman „Dr. Faustus“ wollte Thomas Mann die Entstehung des Nationalsozialismus aus ihren Wurzeln herleiten und erklären. Er scheiterte auf der ganzen Linie. Weil er seine eigenen Jugendsünden nicht gründlich verarbeitet hatte?

Noch schlimmer ist: Thomas Manns jugendlicher Hass gegen Menschenrechte, Vernunft und Demokratie bestimmen unterschwellig noch heute die meisten Feuilleton-Artikel deutscher Gazetten. Es ist, als ob sie noch darauf lauerten, der westlichen Zwangsbeglückung eines Tages den Kragen umzudrehen.

Das Reich der Väter hat sich als Irrweg erwiesen. Frauen und Mütter können sich nicht emanzipieren, indem sie sich dem kapitalistischen Patriarchat unterwerfen.

Sie müssen das Matriarchat, den Garten Eden, ins Leben zurückrufen.