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Mittelmeer

Hello, Freunde des Mittelmeers!

„Die Lage im Mittelmeer ist nicht zufriedenstellend“. Frau Merkel.

„Deutschland soll bleiben, wie es ist.“ Frau Merkel.

Die politischen Zerwürfnisse wachsen den Europäern über den Kopf. Das Flüchtlingssterben im Mittelmeer wird zum Völkerverbrechen.

Europa ist ratlos.

Frau Merkel ist schuldlos.

Die Liste der externen Schuldigen ist lang. Der Name Merkel ist nicht eingetragen, er wird von deutschen Schreibern sorgsam vermieden. Die Schreckensberichte sind im Passiv formuliert, sie haben kein Subjekt. Es wird getan, es wird erlitten, es wird gestorben. Niemand tut, niemand bringt andere zum Leiden, niemand tötet. Niemand ist verantwortlich, niemand ist schuldig. am unschuldigsten Frau Merkel.

Seit 15 Jahren wird Deutschland von Frau Merkel regiert. Nach:

a) der Adenauer-Epoche – der rüden Entfernung des politischen Messias aus dem Über-Ich der Deutschen,

b) der Willy-Brandt-Epoche – der Verinnerlichung der Demokratie,

c) der Helmut-Schmidt und Helmut-Kohl-Epoche – der allmählichen Integration in die Reihe der Völker und

d) der Gerhard-Schröder-Epoche – der Niederlage der sozialen Marktwirtschaft und der Machteroberung Deutschlands durch den Neoliberalismus sind wir 

e) in der Epoche Merkel angekommen. Der unumstrittenen Rückeroberung der deutschen Vorherrschaft über Europa. Der unumstößlichen Inthronisierung der Wirtschaftsmacht über die Demokratie. Der Wiedergewinnung des guten deutschen Gewissens, identisch mit jener nationalen Überheblichkeit, die

vor 100 Jahren die europäischen Völker in den Weltkrieg trieb.

Der Philosoph Friedrich Paulsen beschrieb im Jahre 1902 die deutsche Situation:

„Ein überreizter Nationalismus ist zu einer sehr ernsten Gefahr für alle Völker Europas geworden; sie laufen Gefahr, das Gefühl für die menschlichen Werte einzubüßen. Auf die Spitze getrieben, vernichtet der Nationalismus so gut als der Konfessionalismus das sittliche und selbst das logische Gewissen. Gerecht und ungerecht, gut und böse, wahr und unwahr verliert seine Bedeutung; was man, wenn andere es tun, schimpflich und unmenschlich nennt, empfiehlt man dem eigenen Volk, einer fremden Nation anzutun.“ (Zitiert nach Friedrich Meinecke, „Die Deutsche Katastrophe“)

Überreizter Nationalismus, Vernichtung der Menschheitswerte, Konfessionalismus, die Destruktion des Logischen und Vernünftigen, dann begann der Krieg. Wie die Alten sungen, so zwitschern die heutigen Eliten – Kriegsdrohungen inklusive.

Seit Merkels Inthronisierung ist das deutsche Über-Ich nicht länger unbesetzt: die Deutschen haben die Engelgleiche zu ihrer moralischen Instanz „Reinheit & Makellosigkeit“ erhoben. Die Deutschen lieben Frau Merkel. Sie kann tun, was sie will – alle Kritik prallt an ihr ab. Konkurrenten hat sie keine. Wenn der Herr – sein Name sei gelobt – sie morgen aus dem Leben abriefe, versänke Deutschland im Chaos. Die staatstragenden Parteien haben sich alle um sie herum geschart und bilden eine wehrhafte Riesenkoalition.

Frau Merkel verfügt über vollendete Manieren, das gewinnendste Madonnenlächeln, das leidendste Mutterantlitz, die demütigste Kopfhaltung und – den raffiniertesten, ökumenischen ORDO-Machiavellismus, eine geistlich-politische Wunderwaffe, die den Deutschen bis zum heutigen Tage unbekannt geblieben ist, obgleich sie ihre völkische Heimat als uraltes christliches Land bezeichnen.

Sie ist kein Heimchen am Herd, sondern welttätiges Mütterchen mit Altar in der Rechten und der ökonomischen Lederpeitsche hinterm Rücken. Sie redet leise, doch unerbittlich, und immer mit bekümmertem Gesicht, als litte sie am meisten.

Eine sich aufopfernde, an der Welt leidende Mutter befleckt man nicht durch ordinäres Schmähen. Eine Mater dolorosa, die uns die sündbefleckte, schmutzige Tagespolitik abnimmt, all unsere Schuld auf sich lädt, morgens und abends für uns betet, pro nobis gegen das Böse kämpft: diese Magd Gottes ist heilig und tabu. Nichts bleibt an ihr hängen oder haften. Ihrem desorient herumirrenden Volk vermittelt sie das Gefühl: mag alles in der Welt drunter und drüber gehen – in Deutschland herrscht gnadenreiche Ruhe des himmlischen Vaters, der seiner Magd täglich neu bezeugt: Angela, an Dir und Deinem Volk hab ich mein Wohlgefallen.

Die Epoche Merkel ist die Epoche des geistbegabten Palliativs. Ein Palliativ ist eine medizinische Behandlung, „die nicht auf die Heilung einer Erkrankung abzielt, sondern darauf, die Symptome zu lindern oder sonstige nachteilige Folgen zu reduzieren (Palliation). Der Begriff palliativ leitet sich von lateinisch pallium „Mantel“ ab und bedeutet wörtlich „ummantelnd“.“ Frau Merkel hüllt das deutsche Volk in den Mantel ihrer unbegrenzten Sündenvergebung: was sie auf Erden löst oder bindet, soll auch im Himmel gelöst oder gebunden sein.

Hand in Hand mit ihrer Mutter der Nation, die Maria & Martha in einer Person ist, kehren die Deutschen zurück ins unbesiegbare theokratische Reich des Mittelalters. Schon einmal ausgerufen von Novalis und seinen katholisch gewordenen romantischen Kollegen. In seinem Buch „Die Christenheit oder Europa“ schreibt der Herrenhuter Zögling Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis – der Neue Mensch:

„Nur die Religion kann Europa wieder auferwecken und die Völker sichern, und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden in ihr altes friedensstiftendes Amt installieren. Es ist unmöglich, dass weltliche Kräfte sich selbst ins Gleichgewicht setzen, ein drittes Element, das weltlich und überirdisch zugleich ist, kann allein diese Aufgabe lösen. Unter den streitenden Mächten kann kein Friede geschlossen werden, aller Friede ist nur Illusion, nur Waffenstillstand; auf dem Standpunkte der Kabinetter, des gemeinen Bewusstseins ist keine Vereinigung denkbar. Es wird solange Blut über Europa strömen bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt und von heiliger Musik getroffen und besänftigt zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten.“

Mögen die Stürme der Weltpolitik über euch zusammenschlagen, Deutsche, so wisset: alles ist gut, denn alles liegt in der Hand des Herrn – und ich bin seine berufene Dienerin. Übernehmen wir uns nicht, Politik ist kein Handbuch des Glücks. Überfordern wir uns nicht, die Welt ist ein Jammertal. Glauben wir jenen nicht, die sich überheben, das Jammertal in eine Stätte irdischen Glücks zu verwandeln. Wir sind allemal Sünder und ermangeln des Ruhms.

Bei dieser Botschaft schmelzen die Deutschen dahin. Nicht, dass sie noch devote Kirchgänger sein wollten. Doch wenn alles zusammenbricht, bedürfen sie der tröstlichen Verbundenheit mit einer trauten Gemeinde, ja der gelegentlichen Symbiose von Thron und Altar. Ach, wie gern würden sie glauben, wenn sie nur glauben könnten. Auf den Glauben derer, die noch einfältig genug sind, der Botschaft der Hirten zu lauschen, sind sie noch immer angewiesen. Sie wollen, dass man für sie glaubt. Das tut Mütterchen Merkel in vollendeter Demut. Sie trägt ihr Volk in Geduld und bittet vor Gott für alle, die an sie glauben. Dafür haben die Deutschen sie in ihr steinernes Herz aufgenommen.

In der Stunde der Not trifft Europa sich im Kölner Dom und trägt Trauer vor Gott. Im offiziellen Staatsakt predigen Priester vom Leben nach dem Tode. Die deutsche Demokratie erniedrigt sich zum Vehikel der Missionierung einer Religion, die den Menschen zum unveränderlichen Sündenkrüppel degradiert. Nicht das Grundgesetz gilt: Die Würde des Menschen ist unantastbar, sondern der Fluch des Himmels über ein verkommenes Geschlecht: die Würde des irdischen Menschen ist Kot. Nur wer das Knie beugt, wird seine Würde einst im Jenseits erhalten.

In Deutschland, so Novalis, „kann man schon jetzt die Spuren einer neuen Welt aufzeigen.“ Kommen wird die neue Zeit, das Dritte Reich des Geistes: „eine neue goldne Zeit mit dunklen unendlichen Augen, eine prophetische, wundertätige und wundenheilende, tröstende und ewiges Leben entzündende Zeit.“

Das muss in moderne Sprache übersetzt werden. Dann erhalten wir:

„Das neue Deutschland hat die Führungsrolle in Europa, aber ihnen fehlt die Kultur.“ Und weiter: „Deutschland bestraft andere, ist ungerecht und unhöflich.“ Die „Scheinheiligkeit“ derjenigen, die Deutschland regierten, sei „ohne Grenzen“. Das heutige Deutschland sei wie einst der Soldaten-Staat Preußen – nur ohne Militär. In Deutschland habe das Finanzministerium und die Zentralbank den „Platz der Armee“ eingenommen, sie „dominierten“ so ganz Europa.“ So der griechische Außenminister in einer Streitschrift gegen Deutschland. (BILD)

Wer sich erkennen will, kann sich im Spiegel unserer europäischen Freunde erkennen. Sie meinen es gut mit uns.

Schäuble will nicht nur das schwache Griechenland an die Leine legen, selbst die französischen Freunde müssen dran glauben: auch Paris muss man allmählich unter Kuratel stellen, soll der badensische Gemütsmensch in Washington von sich gegeben haben. Die Freunde im Elysee-Palast schäumen.

Die Rückkehr des Novalis zu den mittelalterlichen Schlachtplatten des himmlischen Vaters war eine brüske Abkehr von den Franzosen, von der Aufklärung und – von Kant: „In der Philosophie des französischen Materialismus und in der deutschen Aufklärung konzentrierte sich der Hass gegen das Heilige, gegen allen Enthusiasmus und Poesie.“ (Rudolf Haym, „Die Romantische Schule“)

Die Europa-Schrift von Novalis wurde zu einem Manifest, das den „Gipfel des Staatslebens in dem theokratischen Regiment und dem von diesem garantierten Gottesfrieden erblickte.“

Nicht nur das. Mit der Heimkehr zum himmlischen Vater war das Ende der Griechenfreundlichkeit der Klassiker beschlossene Sache. In der rückwärts gewendeten Geschichtsverklärung des Novalis wird uns „der Gegensatz christlichen Glaubens und Lebens – zu dem Glauben und Leben der Griechen vorgeführt, und Christus als derjenige gefeiert, der das Rätsel der ewigen Nacht, das die heitre griechische Welt ängstigende Todesrätsel gelöst habe.“

Bei Merkel bricht die Überzeugung des Novalis durch: „Die Welt soll sein, wie ich will.“ Sie allein kennt die Gesetze der Welt und bestimmt das Ausmaß der Strafen für diejenigen, die es wagen, gegen das göttliche Verbot des wirtschaftlichen Schuldenmachens zu verstoßen. Schulden machen ist moralische Schuld auf sich laden: das lässt sich Frau Merkel nicht nehmen.

Was die Deutschen können – sich aufreiben für den Profit der Welteliten – das muss jedes andere Volk auch können. Sollen wir uns etwa allein plagen, um wenige Milliardäre zu beglücken? Das kann nicht gerecht sein. Wohl sind die Gesetze der Wirtschaft nicht sündenfrei, aber von Gott der Menschheit zur Strafe auferlegt. Die darf der Mensch nicht in Überheblichkeit von sich werfen. Ohnehin ist der verborgene Glauben das wahre Leben des Menschen, nicht seine äußerlichen Machenschaften. Auch nicht das ganze Tandaradei der weltlichen Politik, die – balde, balde – im Orkus versinken wird.

Merkels unscheinbar daherkommende Theokratie nähert Deutschland dem großen Vorbild Amerika an. Auch die Deutschen erleben ihre finale Eschatologie – im schützenden Mantel des Glaubens der Engelgleichen. „Die übrige Welt der Natur, des Sozialen und Politischen verliert gegenüber der Selbstverwirklichung des Ichs in der Liebe ihren wahren Wert.“ (Hans Wolfgang Kuhn, „Der Apokalyptiker und die Politik. Studien zur Staatsphilosophie des Novalis“)

Die beste Politik ist die, weltliche Politik sein zu lassen und sich dem Eigentlichen zu widmen: „der unendlichen Totalität der Liebe“. Wem dieses Kunststück der Entwertung irdischer Politik gelingt, den nennt Novalis einen Indifferentisten – einen Gleichgültigen gegenüber der Welt. Er nimmt nichts mehr ernst, was sein ewiges Heil nicht betrifft.

In der Disziplin des Nicht-Ernst-Nehmens ist Frau Merkel Weltmeisterin. Hinter der gekonnten Maske der Betrübtheit und nimmer ruhenden Tätigkeit für die Welt verbirgt sie – eine spöttische Gleichgültigkeit gegen alles, was ohnehin dem Gericht verfallen wird. Das ist heiliger Zynismus als Dienst an der hiesigen und jenseitigen Welt:

„In unvollkommenen Staaten sind die Indifferentisten oder echten Zyniker die besten Staatsbürger. Sie nehmen an allem Guten teil, lachen über die Alfanzereien ihrer Zeitgenossen im stillen. Sie ändern nichts, weil sie wissen, dass jede Änderung nur ein neuer Irrtum ist und das Beste nicht von außen kommen kann.“ (Nach Kuhn)

Frau Merkel, die himmlische Zynikerin, will nichts ändern. Deutschland soll bleiben, wie es ist. Es gibt keine Alternative zu ihrer Politik. Muss sie sich nicht merklich mühen, ihren Spott über jene Politiker zurückzuhalten, die ihren demokratischen Job in gravitätischer Gespreiztheit zelebrieren – wie fast alle pfauenhaften Männer?

Dieser nur gelegentlich aufblitzende Spott gegen männliche Konkurrenten ist es, der die Machos in die Flucht getrieben hat. Schäuble ist durch sein körperliches Gebrechen vor dem Spott geschützt. Gabriel ist längst entbeint, Steinmeier mit dem schönen weißen Haupthaar darf noch den außenpolitischen Pastor mimen.

Das Flüchtlingsproblem entspringt der totalen Unfähigkeit des Westens, eine sinnvolle Weltpolitik zu entwerfen. Merkel ist die mächtigste Frau des Westens. (Das willkürliche Times-Ranking wird von BILD und SPIEGEL wie eine unfehlbare himmlische Zensur angebetet.) Dass sich in Nahost so viele Problemfelder ballen, ist der Heuchelei der westlichen Politik geschuldet.

Die unterdrückten Völker wollten frei sei und hoffen auf die Unterstützung der westlichen Demokratien – die gar nicht daran denken, den Emanzipationsprozess der Staaten zu unterstützen. Despotische Regimes sind für den Westen bequemer zu handhaben.

Der Zwiespalt der unterdrückten arabischen Völker resultiert aus dem Widerspruch, sich einerseits vom Westen Unterstützung zu erhoffen, andererseits aber den Westen wegen doppelter Moral tief zu verachten.

Der Westen bietet der Welt keine friedlichen Perspektiven. Handelsverträge wie TTIP oder CETA sollen die christlichen Verbündeten noch stärker machen, doch die nichtchristlichen Ausgeschlossenen schwächen. Die Welt wird in Machtblöcke aufgeteilt. Der Run auf die letzten Bodenschätze sorgt für kriegerisches Potential.

Die Deutschen – also Merkel & Co KG – buckeln vor den Mächtigen und treten die Ohnmächtigen. Hat Frau Merkel sich je mit Aplomb gegen die Untaten der USA gewehrt? Gegen ihre NSA-Überwachung, ihr Guantanamofoltern, ihre Auflösung demokratischer Rechtsstrukturen, ihren Rassismus gegen Schwarze?

Eine feigere Politik gegen Verbündete ist nicht denkbar. In derselben Geducktheit werden Menschenrechtsverbrechen Israels abgesegnet, die Loyalität mit Menschenrechtsverbrechen als Philosemitismus ausgegeben. Türkische Völkerverbrechen gegen Armenier dürfen nicht unmissverständlich auf den Begriff gebracht werden.

Merkels internationale Politik ist an Unterwürfigkeit gegen die Herren der Welt kaum zu übertreffen. Nach oben buckeln, nach unten treten, das erfahren die schwächeren europäischen Staaten täglich. Sie taktiert, finassiert, hält sich bedeckt, wartet, bis die Dinge sich entwickeln – um zur rechten Zeit mit kalkulierten Sprechblasen die Meriten für sich zu kassieren. Bei ihr zeigen sich die „germanischen Erbfehler der dienstbereiten Servilität“ (Julius Ebbinghaus) in stummer Schande.

Mit großen Menschheitsproblemen beschäftigt sich Frau Merkel so gut wie nicht. Einst war sie Umweltministerin. Heute hat sie die Klimakatastrophe unter den Teppich gekehrt: alle ökologischen Übereinkommen der Völker werden von ihr unterlaufen und verhindert. Frau Merkel zeigt sich an der Zukunft der Menschheit desinteressiert. Solche Mega-Probleme liegen für sie in Gottes Hand. Dort liegen sie richtig.

Diese selbstmörderische Ignoranz, garniert als fromme Ergebung, entlastet wiederum die Deutschen, die sich nur um ihren Wohlstand und nicht um die Lebensperspektiven ihrer Kinder kümmern. Was Mutti verschmäht, dürfen die Kinderlein ignorieren.  

Merkels wirtschaftliche Besessenheit, die alles blockiert, was das deutsche BIP einschränken könnte, ist ein Hauptgrund der internationalen Spannungseskalationen, deren Opfer die täglichen Flüchtlingsströme sind.

Allmählich wird das Mittelmeer zur Leichenkloake. Die Dimensionen haben sich zum Völkerverbrechen ausgeweitet. Menschen sterben hier nicht per Zufall oder Unglück. Durch Zuschauen und Abriegeln wird Europa zum verantwortlichen Subjekt eines beginnenden Völkermords. Frau Merkel gehört in die Riege jener europäischen Politiker, die in den Haag wegen eklatanter Verbrechen gegen die Menschenrechte angeklagt werden müssten.

In der gestrigen Jauch-Debatte warfen eisenharte Hayekianer wie Ex-Innenmister Friedrich und der Chefredakteur der schwyzerischen WELTWOCHE, Roger Köppel, den Befürwortern einer humanen Flüchtlingspolitik „verantwortungsloses Treiben“ vor. Gut gemeinte, aber falsche Reize würden immer mehr Menschen nach Europa locken, um als Opfer verbrecherischer Schleußerbanden zu verenden. Köppel hielt sich treu an den darwinistischen Grundsatz seines Lehrers Hayek:

„Wenn wir garantieren, dass jeder am Leben erhalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen. Gegen die Überbevölkerung gibt es nur die eine Bremse, nämlich, dass sich nur die Völker erhalten und vermehren, die sich auch ernähren können.“

Der Hass der Neoliberalen gegen jedwede Humanität, die die Macht des Zasters einschränkt, ist kaum steigerbar.

Wie immer gefiel sich Jauch als Gottvater, der von Gut und Böse gleich weit entfernt war. Eine unter vielen Gefahren dem Tod entkommene Flüchtlingsfrau bezeichnete die Schleußer als Helfer und nicht als Verbrecher. Ohne sie wäre sie mit ihrer Familie heute nicht mehr am Leben. Prantl hatte einen schweren Stand, als er für großzügige Hilfe plädierte. Zumal er Gleiches nicht mit Gleichem vergelten und christliche Sanftmut gegen seine bedenkenlos agitierenden Gegner walten lassen musste. Eine Mehrheit der Flüchtlingsgegner in der Runde sorgte dafür, dass die Debatte nicht mit einem Patt enden konnte.

In der gesamten Debatte fiel der Name Merkel so gut wie nicht. Hierzulande verschluckt man seine Kritik und schont seine Kanzlerin, wenn man vorbildlicher Deutscher sein will.

Ihre steigende Hybris verleitet Frau Merkel zur unterschwelligen Zerstörung demokratischer Strukturen. Schon beginnt sie leichtsinnig und hochmütig zu werden, indem sie ihre anvertrauten Schäfchen zu – königlichen Audienzen bittet, die sie als Dialog mit den Bürgern bezeichnen lässt. Dialoge sind Streitgespräche auf gleicher Ebene. Aber kein Gespräch sorgsam ausgefilterter Massen mit dem elitären Duo Merkel & Gabriel.

Merkel lässt sich private Wünsche vortragen. Demokratische Politik aber beruht auf dem Versuch, private Bedürfnisse zu generalisieren. Wer etwas ändern will, muss sich Mehrheiten suchen. Eine direkte Verbindung zwischen Unten und Oben zum Zwecke unmittelbarer Wunscherfüllung ist Korruption. Geschieht sie vor aller Augen, ist sie eine obszöne Korruption. Eine Kanzlerin ist keine Königin Luise, die sich zufälligen Untertanen gnädig zeigen darf.

Wenn Frau Merkel nach 15 Jahren Regierungszeit nicht weiß, was ihre Untertanen bewegt, sollte sie Konkurs anmelden. Sie tut, als sei die Welt „der Menschen“ für sie eine terra incognita. Geht es noch überheblicher?

Was für ein menschenverachtender Satz: „Ich hoffe immer noch, dass ich das wirkliche Leben sehe“. Sie entscheidet über das wirkliche Leben? Woran will sie das wahre Leben erkennen, wenn sie nicht selbst ein Bestandteil desselben ist? Anstatt sich der Kritik der Bevölkerung zu stellen, bezweifelt sie von vorneherein die Fähigkeit ihres Publikums, das wahre Leben zu beschreiben.

„Wir geben zu, auch nicht alles zu wissen“. Man fasst sich an den Kopf. Wer hätte die Regierung für allwissend gehalten? Sie könne nicht versprechen, die Verbesserungsideen der Menschen zu realisieren. Sie hat überhaupt nichts zu versprechen. Leben wir etwa in einer Kanzlerinnen-Autokratie? Spricht noch jemand vom Parlament, das bei der Gestaltung der Politik ein Wörtchen mitzureden hätte?

Zuerst sollen die Bürger die Frage beantworten: „Was ist Lebensqualität?“ und „Was ist besonders wichtig für mich?“ Andererseits „zeigte sich die Kanzlerin irritiert, dass die meisten Bürger vor allem über sich und ihre eigene Lage, weniger aber über überwölbende Themen wie die Zukunft der Autoindustrie gesprochen hätten.“ (Daniela Vates in der BLZ)

Wie kann man über sich sprechen ohne über sich zu sprechen? Weiß Merkel nicht, dass ihre christlich erzogenen Untertanen daran gewöhnt sind, der Obrigkeit gegenüber kein zoon politicon, sondern isolierte Kinder Gottes zu sein?

Es ist nicht die erste unmittelbare Begegnung Merkels mit dem Volk. Vor Jahren hatte sie bereits 100e von „Optionen“ entgegengenommen. Genau zwei davon wurden realisiert. Eine davon war das Verbot sodomitischen Umgangs mit Tieren.

Merkel verachtet die mühsame Prozedur, legale Mehrheitsmeinungen mit demokratischen Methoden zustande zu bringen. Sie überspringt – mit Gabriel, ihrem SPD-Papageien – in pseudomonarchischer Vollmacht die Instanzen der demokratischen Meinungsbildung und gefällt sich als unmittelbare Königin der Herzen.

Allmählich mutiert Merkel von einer vom Pöbel gewählten zu einer von Gott erwählten Kanzlerin. Auch hier folgt sie den Spuren des Novalis, der im königlichen Paar Friedrich Wilhelm III. und Luise die „Selbstverwirklichung Gottes in der Selbstverwirklichung des Menschen in Glauben und Liebe“ erkennen wollte.

„Jenes himmlische Paar schwimmt hoch auf der Flut, wie die Taube

Und der Ölzweig, es bringt Hoffnung dem Lande, wie dort.“

Mit außerordentlicher Raffinesse und fabelhafter Intuition hat es die Pastorentochter verstanden, die Position der gewählten Bundeskanzlerin in ein theokratisches Gnadenamt zu verwandeln. Die Deutschen fallen nicht nur zurück in die Zeit der Romantik, sondern in jene märchenhafte Urzeit, als Wünschen noch geholfen hat. Einerseits sind sie Maschinenhersteller, die sich das kurze und freudlose Leben mit Maloche zudröhnen, andererseits verharrt ihre psychische Kollektiventwicklung in der magischen Zeit der Märchen.

Den archaischen Wünschen ihrer Untertanen entspricht das unbewusste Sehnen der Kanzlerin, eine Königin Luise in moderner Staffage zu werden. „Wer den ewigen Frieden jetzt sehn und lieb gewinnen will, der reise nach Berlin und sehe die Königin. Dort kann jeder sich anschaulich überzeugen, dass der ewige Friede herzliche Redlichkeit über alles liebt und nur durch diese sich auf ewig fesseln lässt.“ (Novalis)

Mit Merkel betreten die Deutschen die Epoche des Palliativs oder der allgemeinen Seelenberuhigung. Entspannt euch! Alles ist gut, auch wenn die Welt in Flammen steht. Schlummert den Schlaf der Gerechten, Mutter wacht über euch. Man könnte auch sagen: Merkel ist das schlimmste Verhängnis seit Ende des Krieges.