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Mitleid

Hello, Freunde des Mitleids,

die Nebelbildung über deutschen Gehirnen lichtet sich, wir gehen klaren Verhältnissen entgegen. BILD lüftet das Geheimnis seines aggressiven Antisemitismus, der als Philosemitismus daherkommt. Im Leben gibt‘s Sieger und Besiegte. Das betrifft Sport und Politik: „Und Mitleid für Verlierer gibt es da nicht“.

Schreibt Schröders Ex-Pressesprecher Bela Anda, stellvertretender Chef der Postille. Er dankt den Fußballern, dass sie dieses uralte Gesetz, von saft- und kraftlosen Gutmenschen lange verfemt, durch eine mitleidlose Siegesfeier wieder zur Geltung gebracht hätten.

Es ist schön, dass die Spieler uns das wahre Gesicht des Fußballs gezeigt haben.“  (Bela Anda in BILD)

Da Fußball, wie wir in BILD lasen, das wahre Leben sei, muss das Gesetz des Fußballs das Gesetz des Lebens sein. Danke, Bela Anda, für die freimütige Offenlegung der BILD-Ideologie.

Kommen uns diese Töne nicht vertraut vor? Hat Anda – vermutlich wusste er‘s gar nicht, umso schlimmer – ein verstecktes Türchen zur deutschen Vergangenheit geöffnet?

„Herz verschließen gegen Mitleid. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte.“ (Aus Hitlers zweiter Rede vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht vom 22.8.1939)

BILD, eine NS-Postille, Bela Anda, ein zweiter Hitler? Anda hat Bruder Hitler, den jeder Deutsche noch in sich trägt, aus dem tief verborgenen Verließ gelassen.

Können wir den Anfängen wehren, wenn wir keine Anfänge entdecken dürfen, weil

 alle Vergleiche mit der NS-Zeit unstatthaft sind? Es rächt sich, dass die Deutschen alle Begriffe ihrer schönen Sprache plattgewalzt und geschreddert haben. Sie wissen nicht, was vergleichen bedeutet. 

Vergleichen heißt nicht gleich setzen. Wie wollen wir Anfänge dingfest machen, wenn Vergleichen komplett verboten ist? Bis in die 70er und 80er-Jahre war Vergleichen der Epochen die einzige Möglichkeit, unserer unbewältigten Vergangenheit auf die Spur zu kommen.

Seitdem die Deutschen ihre Schandtaten mit der Note Eins plus bewältigt haben, sind Vergleiche verboten. Sie wollen nur noch eine blütenreine Weste haben und sonst nichts mehr auf dieser Welt.

Bei Bela Andas Kollegen, dem weisen und abgeklärten Franz Josef Wagner, muss man froh sein, dass er keine Kalaschnikow im Schrank hat. Gestern bejubelte er noch das einige deutsche Volk in Glück und Liebe. Heute wurde er von abgefeimten Bösewichtern aus dem Paradies verjagt und spuckt Gift und Galle. Schnell in Deckung:

„Ich hasse die Leitartikler, diese Weltverbesserer, die in ihrem Zigarettenqualm um ihre Ideale ringen. Ich weiß nicht, ob sie jemals an der frischen Luft waren. Ich glaube, dass diese Typen nur Gift spritzen können. Sie suchen ihre Story und dann jubeln sie. Für mich sind sie Scheiß-Schreiber.“ (Franz-Josef Wagner in BILD)

Deutschland braucht kein Oberammergau. Es spielt Himmel und Hölle bei einem ordinären Fußballspiel. Gestern im siebten Himmel, heute wird dem Mitleid kein Pardon mehr gegeben. Da hat die deutsche Geschichte – Vorsicht, dass ihr was lernt, ihr weltmeisterlichen Dropskicker – noch manch Exquisites zu bieten:

„Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wie vor tausend Jahren die Hunnen … sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“

Das war aus der berühmten Hunnenrede Kaiser Willems. Sinngemäß könnten wir BILD zur mitleidlosen Hunnen-Postille ernennen. Keine NSA, kein Obama soll uns mehr scheel ansehen und uns vor der Welt lächerlich machen.

Halt, was haben die Gouchos mit der NSA zu tun? Na eben nichts. Schon mal von Ersatzhandlung gehört? Obama tritt uns, wir treten die Gouchos. So ist das Leben. Die Letzten beißen die Hunde.

Im Streit um das haarige Männerballett fällt auf, dass es nur um die gebückte Haltung der Gouchos geht, kein einziges Mal um die einheimische Arier-Gattung, die das Ende der Evolution mit dem aufrechten Gang erreicht haben will. Wir wissen, welche unserer Vorfahren noch gebückt über die Savanne strichen.

Ausgerechnet aber die Deutschen, eines der feigsten Völker der Gegenwart, mit dem aufrechten Gang auszuzeichnen, das ist mehr als Geschichtsfälschung, das ist Selbstüberhebung, die mit nachträglichem Entzug der vier Sterne geahndet werden müsste.

Die Deutschen kriechen vor ihren besten Freunden, machen in neoliberaler Normerfüllung comme il faut, imitieren jeden Schwachsinn aus Hollywood und sind nicht in der Lage, vor aller Welt klar und deutlich für Menschenrechte einzustehen.

Dazu haben sie sich eine passende Weltanschauung gezimmert, das postmoderne Vielleicht oder Vielleichtdochnicht? Wenn sie eine Meinung haben, entschuldigen sie sich. Wenn ein anderer eine Meinung hat, sagen sie – nicht geschwindelt – in vorwurfsvollem Ton: das ist jetzt aber deine Meinung!

Vor jedem Despoten machen unsere hocheffizienten Boni-Nehmer ihren Knicks. Die Hochleistungssportler könnt ihr ganz vergessen. Die küssen Putin die Füße und schauen ungerührt zu, wie in Brasilien die Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, damit sinnfreie Stadions gebaut werden können.

Als die Deutschen beim 7:1 gegen die Gastgeber – dem Sieg „für die Ewigkeit“ (geht’s noch?) – nach Ende des Spiels die Verlierer trösteten, da gab es keinen Bela Anda, der ihnen barsch zugerufen hätte: kein Mitleid mit Verlierern.

Heute Hü, morgen Hott, ganz wie die schwüle Treibhaustemperatur in der BILD-Redaktion es will. Vielleicht hülfe eine ordentliche Klimaanlage, damit die Hunnengehirne einmal am Tag abgekühlt werden könnten?

Und nun zum Schporrrt, auszusprechen wie Spott. Wiki: „Der Begriff Sport entlehnt sich dem spätlateinischen Wort disportare, was so viel heißt, wie sich zerstreuen. Das Wort fand über die französische Sprache („se de(s) porter“) den Weg ins Englische („to disport“) und ins Deutsche.“

Sport machen heißt sich zerstreuen, ein altmodischer Begriff für Freude und Spaß haben. Da ist noch ziemlich Luft nach oben zum heutigen Motto: Sport ist Mord.

Wenn Fußball Sport wäre, dann wäre er ein Vergnügen, kein Instrument zur Ermittlung nationaler Ranglisten. In der SZ nennt Andrian Kreye den Fußball: „diese wunderbare berauschende Zivilreligion“.

Heißa und schon wieder eine Religion. In Deutschland bist du von Religionen von morgens bis abends umstellt. Da gibt’s kein Paninibildchen ohne Aura über dem Haupt der Fußballglaubenshelden. Welcher Flachkopf wollte uns einreden, wir lebten in säkularen Zeiten?

Religion ist die äußerste Bersthülle um die heidnische Demokratie, dass sie nicht in Stücke berste. Religion ist der atomare Kern der Berliner Regierung. Religion ist Ökonomie und Ökologie. Religion ist der ganz besondere Saft, nach dem alle Feuilletonisten süchtig sind. Jetzt also auch der Sport.

Kein Wort zum Sonntag ohne kesse Vergleiche zwischen der roten Karte und der göttlichen Verdammnis. Wenn nach Ketzerverbrennungen die Asche der Todsünder sorgfältig gesammelt wurde, dass sie nicht die Umwelt verschmutze, war dies ein vorbildliches ökologisches Verhalten.

Eigentlich sollte man nicht erstaunt sein über die wundersame Zellvermehrung der Religionen, wenn das abendländische Christentum zum Fast-Nichts geschrumpft ist oder zur „Berührung mit einem Etwas“. Wenn man nicht mehr weiß, woran man glauben soll, dennoch das offizielle Credo nicht verraten will, muss man alles zur Ersatzreligion machen.

Wenn der Bible Belt deutsche Zeitungen lesen würde, würden sie zum Kreuzzug gegen Old Germany rüsten. Denn hohler kann Religion nicht sein, als die, die sich die Deutschen aus allen Versatzstücken zusammenleimen.

Sollte Zivil-Religion bedeuten, dass Religion zivilisiere, warten wir neugierig auf die Beweise, die uns die SZ schuldig bleibt. Und nun eine Zivilreligion, die berauscht. Fehlt nur noch ein kleiner Schritt und jeder Rausch wird zur Religion. Von kollektiven Räuschen verstehen die Deutschen ne ganze Menge.

Schauen wir bei Rauschexperte Nietzsche nach: „Das Rausch­ge­fühl, tat­säch­lich einem Mehr an Kraft ent­spre­chend: am stärks­ten in der Paa­rungs­zeit der Ge­schlech­ter: neue Or­ga­ne, neue Fer­tig­kei­ten. Der Lust­zu­stand, den man Rausch nennt, ist exakt ein hohes Machtge­fühl … die Stär­ke als Lust am Be­weis der Stär­ke, als Bra­vour­stück, Aben­teu­er, Furcht­lo­sig­keit, Gleich­gül­tig­keit ge­gen­über Leben und Tod … Zum Bei­spiel: das re­li­giö­se Rausch­ge­fühl und die Ge­schlechts­er­re­gung […]. Die Grau­sam­keit in der Tra­gö­die.“

Nun, auch was für Sie dabei, meine geneigten LeserInnen? Wie wär‘s mit Kraft, dass man kaum noch laufen kann? Wie wär‘s mit Macht als Furchtlosigkeit gegenüber Leben und Tod: die wahre Tugend führergeleiteter Soldaten? Oder mit dem religiösen Rauschgefühl als Geilheit – die unerlässliche Voraussetzung aller Pädophilie hinter dem Altar? Oder die Grausamkeit, das mitleidlose Element aller BILD-Räusche?

Dank Safranski und sonstiger Weißwascher wissen wir, dass Nietzsche mit NS-Rauscherzeugungsspezialisten absolut nichts zu tun hat. Da sind wir aber froh und singen in dulci jubilo.

In der TAZ gibt’s ein munteres Pro und Contra zur Verhöhnung der Argentinier, die doch nur ein harmloses kindliches Spiel sein soll. Nein, sie soll mehr sein, meint Deniz Yücel, der Raufbold vom Dienst in der TAZ, der sonst keine Hemmungen hat, das repräsentative Deutsche, sagen wir, zu relativieren.

Seitdem jedoch in der deutschen Nationalelf ausländische Namen auftauchen, ist für Yücel das Deutsche an sich gebongt. Die Deutschen können nur Fußballspielen, weil sie das Ausländerverbot aufgehoben haben. Wer wird hier widersprechen? Yücels Meinung könnte man haudrauf-heroisch nennen, echte Duellanten beschimpfen sich zuerst.

Ohne Schmäh kein gutes Spiel: „Respektlos ist, den Gegner keiner Schmähung für würdig zu befinden. Wer sich über die Spieler aufregt, war noch nie im Stadion. Und wer ihnen vorwirft, dem nationalen Ansehen geschadet zu haben, ist selber in nationaler Mission unterwegs. Der Gaucho-Tanz war harmlos. Rassistische, antisemitische oder homophobe Schmähgesänge muss man nicht hinnehmen – die Verhöhnung des Gegners aber gehört zum Sport.“ (Deniz Yücel in der TAZ)

Schwule und Juden darf man nicht verhöhnen, Südamerikaner aber schon? Gründe zu nennen, hat Herr Yücel nicht nötig. Es klingt markig und wird hoffentlich viele Spießer aufregen und also war es richtig. Was würde Herr Yücel sagen, wenn auf der nächsten Genossenschaftsfeier das TAZ-Mitglied Kai Dieckmann aufträte und in Schimpansenhaltung johlen würde: So gehen die TAZler, die TAZler gehen so?

Aber vielleicht meint Deniz Yücel nur, man solle – frei nach Nietzsche – in seinem Freunde noch den Feind ehren. Das wäre in der Tat ein sinnvolles therapeutisches Ritual, um die normale Entmischung zwischen Freund- und Feindschaft mit Empathie zu durchmischen. Dann aber sollte der Tanz vor jedem Spiel in symmetrischer Formation durchgeführt werden und 22 hochbezahlte Ärsche müssten sich attackieren. Die Einschaltquoten der Öffentlich-Rechtlichen überstiegen die 100%-Marke.

Jetzt müssen wir mit dem Märchen aufräumen, Fußball sei ein Sport. Oder Sport sei Sport. Wahrer Sport ist Spiel und mit Spiel hat weder Olympia noch eine Fußball-WM die geringste Ähnlichkeit. Nein, nicht mehr Schillers Zitat: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Obgleich – wer wollte Schiller widersprechen? Auch ein deutscher Dichter könnte ausnahmsweise mal Recht haben. Hätte er aber Recht, dann begrabt euren geldverseuchten, machtkorrumpierten, der Politik hurenhaft dienenden Zirkus an der Biegung des nächsten Flusses.

Der homo ludens, der spielende Mensch, ist der Mensch außerhalb aller Zwänge, außerhalb aller nationalen Selbstdarstellungspflichten und außerhalb aller maßlosen Profitinteressen.

Die WM in Brasilien war das öffentliche Massenbegräbnis des zweckfreien homo ludens. Hättet ihr die Mannschaften nach Losverfahren willkürlich zusammengewürfelt, eure eitlen Nationaltrikots zu Hause gelassen, eure bescheuerten Nationalhymnen verlacht, eure nationalen Funktionäre und chauvinistischen Heimatreporter allesamt in Urlaub geschickt und dann nach Lust und Laune eure Zauberkunststücke gezeigt, dann hättet ihr Sport getrieben, der mit Spiel identisch ist.

Wie konnte es kommen, dass die neoliberalen Großvertreter euren Sieg als Triumph des kapitalistischen Willens über die natürliche Trägheit bezeichnen konnten? Weil ihr euch als Knechte der Reichen und Mächtigen verkauft habt.

Der homo ludens spielt, weil er spielen will. Der homo öconimicus spielt, weil er den Sieg seines politischen Systems beweisen muss. Das Ziel des frei spielenden Menschen liegt im Spiel, das Ziel des unfrei Spielenden liegt außerhalb des Spiels.

Bela Andas zustimmende Widerspiegelung eures Sports müsste euch zu denken geben, ihr Fußballer. Ihr betreibt das mitleidlose Geschäft des wirtschaftlichen Darwinismus. Die Starken müssen gewinnen, die Loser verdienen kein Mitleid. Das war der Nachruf auf einen Sport, der mit Spiel nichts mehr zu tun hat. Die Utopie einer befreiten Menschheit wird nur mit dem homo ludens gelingen.

Die BILD hat ihr geheimes Ethos entlarvt, dass sie stets auf der Seite der Starken gegen die Schwachen zu finden ist. Das zeigt sich in ihrem scheinheiligen Philosemitismus, der auf den ohnmächtigen Palästinensern herum trampelt und Netanjahus Militärmaschine die Stange hält. Das zeigt sich an ihrer Idolisierung eines fremdenverhöhnenden Sports, der keiner mehr ist. Das zeigt sich an ihrer Wut über alle, die ihre nationalistische Selbstanbetung nicht teilen. Das zeigt sich am gnadenlosen Fanal: kein Mitleid mit den Verlierern.

Das war die Agenda der Schröder‘schen Hartz4-Politik, die ein gewisser Bela Anda mit Stolz in der Stimme der Republik kundtun durfte.