Kategorien
Tagesmail

Merkel ist nicht arrogant

Hello, Freunde der Raute,

warum zeigt Merkel die Raute? Das Symbol könnte Vagina bedeuten, Merkels Zeichen wäre dann ein Triumphsignal für den Feminismus. Eine Frau hat’s an die Spitze der Macht gebracht.

Bei Thatcher war’s noch die geschlossene Tasche. Verkehrszeichen in Japan und den USA sind oft rautenförmig und bedeuten: Vorrang, Vorfahrt. Vorfahrt für die Frauenbewegung.

Merkel selber  einmal Physikerin, immer Physikerin  erklärt, das Symbol bedeute nichts. Darf sie nicht triumphieren? Darf sie keine Frau sein?

Jan Fleischhauer hält sie für bodenständig und normal. „Sie lebt seit Jahrzehnten im selben Mietshaus, sie saß noch nie in einem Aufsichtsrat und findet es eher kurios, wenn ständig neue Biografien über sie erscheinen. Alles an ihr ist so normal, dass man es kaum fassen kann. Wer nach einer Antwort sucht, warum sie so wahnsinnig erfolgreich ist, dann liegt sie auch in der völligen Abwesenheit jeder Arroganz.“  (Jan Fleischhauer im SPIEGEL)

Ein aparter Begriff von Normalität. Eine Normalität, die man kaum fassen kann, kann unmöglich normal sein. Normal  die völlige Abwesenheit von Arroganz? Normal  das absolute Desinteresse an Renommee und Insignien der Macht  wie bei SPD-Aufsteiger Schröder?
Weiß Fleischhauer, der nette Hamburger Jung’, nicht, dass seine Kanzlerin eine christliche Sozialisation absolviert hat? Kennt er nicht die normale Sucht nach Glanz und Prestige? Kennt er nicht die Sprüche der Eliten: Mitleid kriegt man

umsonst, Neid muss man sich mühsam erarbeiten?

Die herrschende Psychologie weiß alles über Ödipus und Narzissmus, nur nichts über Wurzeln christlicher Abendländer. Das ist mehr als Seinsvergessenheit. Das ist Finsternis über der Urflut und kein Gott weit und breit, der da sagte: es werde Licht.

In christlicher Erziehung ist eigentlich nichts normal oder sollte es jedenfalls nicht sein. Normal ist die Norm der Heiden und Verworfenen, jene natürliche Welt, die vom aufkommenden Christentum im Sturmlauf auf die Hörner genommen wurde.

Das Christentum ist die Negation des Normalen, die Negation des Natürlichen, die Negation der Welt mit ihren Trieben, Sehnsüchten und Weisheiten. Alles, was in der Welt Ansehen und Reputation genießt, wird in der Frohen Botschaft mit der Axt an den Wurzeln getroffen.
In der Welt herrscht das Prinzip des Besten. „Immer der Erste zu sein und voranzustreben den anderen“, das war die adlige Wettbewerbsdevise bei Homer. Das galt beim Wettstreit um die besten Komödien und Tragödien vor dem ganzen Volk.

(Man vergleiche die heutige Inzuchtskritik professioneller Theaterrezensenten, die unter sich die jeweils besten Inszenierungen ausmauscheln und prämiieren. Das Volk nimmt den kulturellen Elitenbetrieb nicht zur Kenntnis. Schon gar nicht das feuilletonistische Kirchenlatein abgehobener Kritiker. Wie im Mittelalter gibt es bei uns eine sprachliche Urkluft. Früher zwischen Klerus und ungehobeltem Volk, heute zwischen Gebildeten und ordinären TV-Guckern. Ordinär ist das Normale, das von den Gehobenen zum Unkultivierten und Verachteten erniedrigt wurde.

Botho Strauß sprach aus, was fast alle Gebildeten für richtig halten: Abnormität ist die Normalität der Erleuchteten und Intellektuellen. Ausnahmemenschen sind die maßgebenden Menschen. Dass Strauß als „idiotischer Eremit“ sich über die Normalen erhaben fühlt, hat er unterschlagen.

Es ist die Crux des isolierten Ausnahmemenschen, der die Anerkennung jener braucht, die er verabscheut. Dieselbe Problematik bei traditionellen Paaren, wo der Mann der große Denker und sein Weib das naive Heimchen am Herd war. Just die Anerkennung dieses Heimchen suchte der unvergleichliche Mann.

Dessen Urbild ist die Figur des Alten-Testament-Propheten, der als Einziger die Botschaft des Himmels kennt und jenen übermitteln muss, die er in ihrem gotteslästerlichen Treiben verabscheut. Ohne Verbindung nach Oben wäre das Donnerwetter Gottes keinem Propheten gelungen. Ob Botho in der Uckermark seine Verbindung zu Gott gefunden hat? Warum drischt er das vulgäre Volk? Will er doch die Allzuvielen vom Schlafe der Trunkenen erretten  oder grämt er sich, weil er von den Vulgären in seiner Einmaligkeit nicht erkannt und bewundert wurde?

Die Deutschen, die sich gern als „ein Volk, ein Reich, ein Sohn der Vorsehung“ bezeichnen, waren in ihrer Geschichte alles andere als eine homogene Masse von Brüdern. Dichter und Denker die einen, doch was waren die anderen? Die Dichter und Denker waren Erben der Prophetie, die dem schlaftrunkenen Volk das „Erwache“ zuriefen. Sie waren die Abgehobenen, die ihre geniale Unvergleichlichkeit mit Erweckungsdienst am Volk zu bezahlen gedachten.

Der Führer fühlte sich als Nachkomme der Hochkreativen von Friedrich dem Großen über Fichte, Wagner, Nietzsche bis Chamberlain. Er beugte sich zum Volk herab, um die Kluft zwischen Oben und Unten zu überbrücken und dem Volk, das im Finstern wandelt, ein Licht zu sein.
Eine gespaltene Gesellschaft braucht eine göttliche Ausnahmefigur, um sich mit sich selbst zu versöhnen. In diese Rubrik gehört Obama, der kraft seines persönlichen Charmes  das von einer erlösungssüchtigen Welt zum Charisma vergöttlicht wurde  die auseinanderklaffenden Klassen und Nationen miteinander versöhnen wollte. Und nicht mit Hilfe von Debatten, Einsichten und konkreten politischen Umwälzungen.

Bei den Deutschen wurde der Ausnahmezustand zur Legitimation der Machtergreifung. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“  sprach Führerbewunderer Carl Schmitt. Gäbe es demnächst einen Botho Strauß II, ausgestattet mit Machtinstinkt, psychischen Kenntnissen übers Volk und rhetorischen Rampensaufähigkeiten, stünde der nächste Führer vor den Toren. Auch der Führer kam aus der Wüste der Einsamen und Unverstandenen und musste sich seinen Weg zum Volk mühsam bahnen.)

Im Griechentum herrschte der ungebrochene Geist kindlichen Wetteiferns. Wer kann schneller rennen? Wer ist stärker? Die Ägypter hielten die Griechen für große Kinder. Wenn jeder mit jedem ringt und rangelt, kann sich jeder am besten entfalten. (Nicht anders als bei Tierbabys, die sich im ringenden Spiel für den Ernstfall rüsten.)

Das Prinzip „der Erste zu sein“ wurde im Verlauf der griechischen Lerngeschichte immer gehaltvoller und erfahrungsgesättigter. „Beides, ein Meister der Rede zu sein und ein Held der Taten.“ In dieser uralten Sentenz wird die spätere Einsicht vorweggenommen, dass man einen Weisen an der Einhelligkeit in Wort und Tat erkennen kann. Später wird Thukydides den ersten Mann in Athen, Perikles, als „fähigsten im Reden und Handeln“ charakterisieren. Der Agon, der allgemeine Wettkampf, war das Stimulans der Griechen, sich auf allen Ebenen herauszufordern, um sich selbst zu entfalten.

Auch im Streitgespräch des Sokrates galt der Agon. Wer besiegt wen im edlen Wettstreit um die Wahrheit? Im mäeutischen Gespräch ging es im wahrsten Sinne des Wortes um einen Ringkampf der Argumente und des Scharfsinns. Obgleich es äußerlich einen Sieger geben konnte  oft kam es in den Frühdialogen zum ausweglosen Patt , gab es dennoch keinen Verlierer. Auch der Unterlegene hatte hinzugelernt und Erkenntnisse für sich gewonnen.

Die Form der gegenseitig nützlichen Konkurrenz wurde im Christentum zur Sein-oder-Nichtsein-Rivalität, zum Entweder-Oder, zum darwinschen Überleben des Fittesten und dem Tod des Unterlegenen umgedreht. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Die erbarmungslose ökonomische Konkurrenz kennt nur Gewinner und Verlierer. (Der Gewinner gewinnt alles, the winner takes it all; der Verlierer guckt in die Röhre: Himmel für die Erwählten, Hölle für die Verdammten.)

Die Erfindung der Olympischen Spiele diente dem Zweck der körperlichen Ertüchtigung aller. Heute ist die Idee Olympias derart verkommen, dass man sich bemüßigt fühlt, auch das große historische Vorbild zu entlarven. Das Erbe Griechenlands wird systematisch madig gemacht. Die Erlöserreligionen dulden keine Nebenbuhler.

Dass es im Verlauf der Zeiten schlimme Entartungen gab  geschenkt. Im Vergleich zu heutigen Unterwürfigkeitsspektakeln gegenüber China oder Putin bei obszöner Verletzung westlicher Menschenrechte (siehe die Verunglimpfung der Schwulen in Russland) waren die damaligen Spiele noch immer eine vorbildliche Friedensveranstaltung. Während der Spiele hatten alle Waffen zu schweigen.

In Olympia wurde die panhellenische Idee geboren, die Vereinigung aller griechischen Stämme in Frieden und Autonomie der einzelnen Stadtstaaten. Gorgias war ein Vorkämpfer dieser Idee und hielt bei den Spielen eine berühmte Rede, in der er die Griechen aufforderte, alle Streitigkeiten beizulegen und sich zur Einheit zusammenzuschließen.

„Im Frieden begraben die Söhne die Väter, im Krieg begraben die Väter die Söhne“. Der olympische Friede wurde zu einer frühen Quelle der späteren Menschenrechtsbewegung.

Und nun der harte Schnitt. Das Christentum kommt über die Welt und fegt das ganze sündige Heidenwesen über den Haufen, indem es keinen Stein auf dem andern lässt. Als Jesus den Tempel betritt, sprach er zu ihnen:“ Seht ihr nicht dies alles? Wahrlich, ich sage euch: Hier wird kein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerstört würde.“ Womit er nicht nur den Judentempel meinte, sondern das ganze heidnische Treiben.

Die Attacke gegen das Agonprinzip der Griechen ist frontal und unmissverständlich. Unter den Jüngern kommt der Gedanke auf, wer unter ihnen wohl der Größte sei. Wer ist der Erste unter ihnen, der alle anderen übertrumpft?

„Da aber Jesus den Gedanken ihres Herzens kannte, nahm er ein Kind, stellte es neben sich und sprach zu ihnen: Wer dieses Kind aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Denn wer der Kleinste unter euch allen ist, der ist gross.“ „Wer sich selbst erniedrigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht“. „Die Ersten werden die Letzten sein, die Letzten die Ersten.“

Kinder erniedrigen sich nicht. Wer sich der Kinder annimmt um des Heiland willen, hat sich nicht des Kindes angenommen, sondern hat für seine eigene Seligkeit vorgesorgt.

Das ist die Umwertung aller Werte, von der Nietzsche sprach. Die christliche Botschaft trat an mit dem Anspruch, die Großen vom Thron der Welt zu stürzen und die Kleinen und Schwachen auf den Thron zu setzen. Weshalb Träumer, die nicht genau hinschauten, die Meinung entwickelten, das Christentum sei eine sozialrevolutionäre Bewegung und das Urbild aller linken Umverteilungspolitik.

Eine Revolution war das Evangelium. Aber keine soziale, sondern eine totale. Welt und Natur sollten en bloc zertrümmert werden, damit eine Überwelt und eine Übernatur errichtet werden könnten. Verändert eine Revolution alles? Nein, sie tauscht nur Machthaber oder die „Ersten“ aus. Das Gefälle von Oben und Unten bleibt, ja wird verlängert in alle Ewigkeit. Erwählte werden ewig selig, Verdammte ewig gefoltert und gequält.

Die Umwertung aller Werte ist streng genommen nur eine Umwertung aller Mittel, um Sieger und Bester zu werden. Das Ziel bleibt nach wie vor: die Ersten zu werden. Im Heidentum aus eigener Kraft, im Christentum mit göttlicher Allmacht.

Das war die Umwertung der Mittel bei ähnlichen Zielen. Das Ziel, Bester und Mächtigster auf Erden zu werden, bezog sich nur auf die irdische Zeit und konnte von menschlichen Konkurrenten jederzeit revidiert werden. Während die Ersten und Besten bei Gott  die ehedem Letzten und Niedrigsten  irreversibel Sieger in Zeit und Ewigkeit werden.

Heute wird das christliche Dogma  vor allem von „gottlosen“ Edelschreibern, den authentischsten Claqueuren des Klerus  gerühmt, weil es die großen Machthaber der Erde bekämpft habe. Doch zu welchem Zweck? Um die Allermächtigsten in Himmel und Hölle zu verewigen. Die kleinen, sterblichen Despoten auf Erden werden entthront, um die unsterblichen Richter über alle Völker für immer und ewig an die Allmacht zu bringen.
Das kann man Verschlimmbesserung der absurdesten Art nennen. Ein kleiner irdischer Fehler wird korrigiert, um einen unkorrigierbaren Fehler in Ewigkeit zu begehen.
Selbst dieser Aspekt irdischer Machtlosigkeit ist schon lange nicht mehr richtig. Seit Konstantins Erhebung des christlichen Glaubens zur Staatsreligion haben weltliche und überweltliche Macht fusioniert, um theokratische Macht mit staatlichen Mitteln zu sichern. Die einstigen Gegner sind längst zur Einheit des Schreckens geworden. Wenn irdische Drohmittel des Staates nicht mehr funktionieren, predigt der Mann in der Soutane von schrecklichen Folgen in der Hölle.
Wenn die Schäfchen nicht wollen, wie sie sollen, werden sie dem Religionsunterricht überlassen. Danach wollen sie.

Im Vergleich zu diesen irdisch-überirdischen Machtzusammenballungen oder totalitären Systemen waren irdische Despoten ohne himmlischen Glanz kleine Hanswürste.

Zur Einführung seines Markenlogos gebärdete sich das Christentum frontal attackierend. Nachdem der geniale Werbefeldzug sein Ziel auf Erden erreicht hatte, wurde die Kirche schlimmer als alles, was sie bislang angegriffen hatte.

Im Nachhinein erkennen wir die raffinierte Taktik der Christen, sich ans Ruder der Welt zu bringen, indem sie taten, als seien sie der schnöden Welt gänzlich abgeneigt. Der Glaube gibt sich weltlich uninteressiert und jeder irdischen Macht abhold. Bis er mit allen Regierungen dieser Welt vor allem den Despoten unter ihnen  aus einem Becherlein trinkt. Dann vereinigt sich die geistliche Macht der Priester mit der Waffengewalt der Soldateska.

Warum tun die Kirchen in Amerika so staatsfern? Weil sie es sich erlauben können. Ihre Religion ist zur zivilen Religion der Weltmacht geworden. Kein Nichtchrist, der in Amerika die geringste politische Karriere zustande brächte. „Und das ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube“.

Hegel hat den Kampf des Christentums gegen Natur und Welt am präzisesten auf den Punkt gebracht:

„Der Geist ist nicht natürlich, er ist nur das, wozu er sich macht; die nicht hervorgebrachte, natürliche Einheit ist die geistlose; der Prozeß in sich, diese Einheit hervorzubringen, dagegen ist die geistige. Zu dieser gehört die Negation des Natürlichen, weil es nur das Unmittelbare, das Geistlose ist. Das Fleisch, das Natürliche ist das, was nicht sein soll; die Natürlichkeit ist das, worin der Mensch nicht bleiben soll. Die Natur ist böse von Hause aus, der Mensch ist an sich das Ebenbild Gottes, in der Existenz nur ist er natürlich; und das, was an sich ist, soll hervorgebracht werden. Die erste Natürlichkeit soll aufgehoben werden. Dies ist die Idee des Christentums überhaupt.“ (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie II)

Hier sehen wir die wahre Umwertung aller Werte. Griechen und Heiden stehen für Erhaltung der Natur und des natürlichen Menschen, Christen für Vernichtung aller Natur und der Welt  zugunsten einer illusionären Übernatur. Im Namen jenseitiger Allmacht wird jede irdische Macht und Kompetenz des Menschen angegriffen und vernichtet. Das ist der Sinn der Weltgeschichte des christlichen Westens. Hier gilt nur ein Entweder-Oder.

Wer Natur durch technischen Fortschritt langsam, aber unerbittlich vernichtet, dessen Glauben muss als Bedrohung der menschlich bewohnbaren Welt an den Pranger gestellt werden. Die meisten „Christen“ wissen von all diesen Dingen nichts oder wollen nichts wissen. Sie tun aber bewusstseinslos, was sie bewusst nie wollen könnten. Aus Angst, ihren „Glauben“ zu verlieren, nehmen sie ihre heiligen Bücher nicht zur Kenntnis.

Wüssten sie, was dort steht, würden sie mit allen Anzeichen des Entsetzens diesen Glauben in den tiefsten Löchern dieser Erde versenken. Die Halbwertzeit des strahlenden Atommülls ist ein Klacks gegen die Verstrahlungsmächte dieses natur- und welthassenden Credos.

Und wo bleibt Merkels ganz normale Nicht-Arroganz? Seit der Umwertung aller Werte ist die Psychologie des normalen Menschen ins Absurde verkompliziert. Gläubige dürfen weder arrogant, noch dürfen sie die Ersten sein. Sie müssen die Letzten sein  um paradoxerweise Erste zu werden. Die Bescheidenheit und Demut der Gläubigen ist die radikalste verborgene Arroganz, die je erfunden wurde.

Wer Erster sein will, muss Letzter werden. Also muss er, um nichtarrogant zu scheinen, Erster sein, um nicht Letzter zu werden, der Erster sein will. Die paradoxe Psychologie des Abendländers ist bodenlos. Der wahre Christ ist immer alles oder nichts. Ist er arrogant, muss er Gottes Strafe fürchten. Ist er demütig, muss er auch die Strafe Gottes fürchten, denn seine Demut ist nur das Mittel, um Erster zu werden. Und so weiter in alle Ewigkeit.

Diese Moral ist so glatt wie eine spiegelblanke Eisfläche. Alles ist möglich und das Gegenteil. Jedes Urteil hat seine Gründe und sein Gegenteil. Die christliche Umwertung aller Werte hat zur Entwertung aller Werte geführt. Alles ist erlaubt, wenn es nur im Glauben geschieht. Alles ist verwerflich, wenn es ohne Glauben geschieht.

Nietzsche hat mit scharfem Blick die Umwertung der Werte im christlichen Credo analysiert. Die Konsequenz, die er aus der Analyse für seine eigene Philosophie zog, war ganz im Sinne des antinomischen Christentums. Denn er rief zur Vernichtungsschlacht wider alle Moral auf. Wo sollte die Menschheit der Zukunft sich ansiedeln? Im Jenseits von Gut und Böse.

„Wer, gleich mir, mit irgend einer räthselhaften Begierde sich lange darum bemüht hat, den Pessimismus in die Tiefe zu denken und aus der halb christlichen, halb deutschen Enge und Einfalt zu erlösen, mit der er sich diesem Jahrhundert zuletzt dargestellt hat; wer wirklich einmal mit einem asiatischen und überasiatischen Auge in die weltverneinendste aller möglichen Denkweisen hinein und hinunter geblickt hat  jenseits von Gut und Böse, und nicht mehr im Bann und Wahne der Moral , der hat vielleicht ebendamit, ohne dass er es eigentlich wollte, sich die Augen für das umgekehrte Ideal aufgemacht: für das Ideal des übermüthigsten lebendigsten und weltbejahendsten Menschen.“

Es waren die besten Schüler Nietzsches, die sich als die übermütigsten lebendigsten und weltbejahendsten Menschen der Weltgeschichte jenseits von Gut und Böse betrachteten: die NS-Schergen, die ihren Zarathustra im Tornister trugen.