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Hello, Freunde der Menschen,

sind Juden Menschen? Sind Palästinenser keine? Sind Juden höherwertige, Palästinenser unterwertige Menschen? Gelten Menschenrechte nur für bestimmte Menschengruppen, für andere nicht? Heißt das Wort universell nicht alles umgreifend, allgemein gültig, niemanden ausschließend? Sind universelle Menschenrechte nicht Menschenrechte aller Menschen?

Muss man in Deutschland schon wieder auf die Straßen gehen, um gegen Juden-Hass ein Zeichen zu setzen? Unbedingt.

Muss für Deutsche das Wohl aller Juden besonders verpflichtend sein? Unbedingt – wie das Wohl aller Menschen.

Ist das Überleben des israelischen Staates für Deutsche besonders schützenswert? Unbedingt – wie das Überleben der Palästinenser, Syrer, Ukrainer und aller anderen bedrohten und gefährdeten Völker und Nationen auch.

Alles ist besonders schützenswert, was besonders bedroht ist. Niemand ist schützenswerter als sein Nachbar, weil er einer bestimmten Rasse, Religion oder Nation angehört. Oder weil er sich selbst für wertvoller hält als den Rest der Menschheit.

Sind diese Sätze nicht Trivialitäten? Nein, sie sollten es aber in einer Demokratie sein.

Der deutschen Regierung sind sie unbekannt. Dem Großajatolla der Regierung, einem Herrn Diekmann, sind sie ein Ärgernis. Er – und seine bedingungslose Assistentin

Angela Merkel – kennen keine universellen Menschenrechte. Sie unterteilen die Menschheit in Besondere und Belanglose. Das Schicksal der Letzteren kann man vernachlässigen, deren Leid und Verfolgung ignorieren, besonders wenn es ihnen von Besonderen zugefügt wurde.

In BILD werden universelle Menschenrechte täglich verletzt. Das schreckliche Schicksal der Palästinenser ist BILD kaum eine Zeile wert.

80 Jahre nach der Epoche einer katastrophalen Unterscheidung zwischen Übermenschen und Untermenschen, weiß BILD schon wieder, welche Menschen wertvoller sind als andere.

Nach 80 Jahren einer katastrophalen Selektion der Menschheit in Erwählte und Verworfene praktizieren BILD und die von ihr abhängige Große Koalition schon wieder Selektion.

Die Schlussfolgerung ist unvermeidbar: BILD & Merkel & Steinmeier & Gabriel und all ihre gleichgesinnten Kohorten müssen sich vor Internationalen Gerichtshöfen wegen permanenter Verletzung der in der UN-Charta formulierten Universellen Menschenrechte verantworten.

Wie einst das Russell-Tribunal Amerika wegen Völkerrechtsverletzungen gegen das vietnamesische Volk anklagte, muss Deutschland wegen krimineller blinder Solidarität mit der Jerusalemer Regierung und wegen Menschenrechtsverletzungen gegen das geschundene palästinensische Volk zur Rechenschaft gezogen werden.

„Wir Journalisten bei BILD fühlen uns dem Schicksal Israels besonders verpflichtet! Das Land, der Staat, in dem sich vor fast 70 Jahren die jüdischen Überlebenden des Holocaust zusammengefunden haben. Warum? Sehr einfach: Wer als Deutscher die Lehren und die Verantwortung aus dem Holocaust ernst nimmt, dessen Platz muss immer an der Seite Israels sein, wenn die Existenz des jüdischen Staates bedroht ist.“ (Kai Diekmann in BILD)

Ist Diekmann gegen jedwede Kritik an Israel? Theoretisch nicht. Von der Höhe seines Ajatolla-Sessels herunter erlaubt er den Leserhorden, von ihren kritischen Rechten Gebrauch zu machen. In Deutschland gibt es eine neue Grundgesetz-Erlaubnis-Klasse. Diese Klasse gewährt in großzügiger Weise dem Volk, seine vom Grundgesetz garantierten Rechte tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

Dieser Klasse muss man dankbar sein. Früher gab es Klassen mit dem Recht, per Heilsschlüssel den Zugang zum Himmel zu öffnen. Heute gibt es Klassen, die den Gebrauch des Grundgesetzes erlauben. Früher hieß es, willst du wissen, was sich ziemt, frag bei edlen Frauen an. Heute heißt es, willst du wissen, was sich ziemt, frag bei Diek- und Graumann an. Wahrlich, die Evolution ist ein unaufhaltsamer Fortschritt.

„Wobei es eine ganz andere Frage ist, ob ausgerechnet wir Deutschen mit unserer, dem Holocaust für immer verbundenen Geschichte die Richtigen sind, ausgerechnet dem jüdischen Staat Ratschläge zu geben, wenn es um die Verteidigung des Lebens seiner Bürger geht.“

Wenn das eine echte Frage war, muss die Antwort lauten: gerade wir Deutschen, als ehemalige Täter, müssten unsern Opfern klar machen, dass sie bei ihren palästinensischen Nachbarn zu Tätern geworden sind. Noch einmal: nicht zu Tätern auf der Ebene der Nationalsozialisten, sondern auf der Ebene der Menschenrechtsverletzer.

Gerade wir Deutsche müssten beweisen, dass wir aus den „Fehlern“ der Vergangenheit gelernt haben. Es geht auch nicht um Ratschläge in militärischer Verteidigung, sondern um schärfsten Protest gegen Völkerverbrechen. Wir müssen beweisen, dass wir die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Holocaust gezogen haben: above all, keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Gerade wir Deutschen sollten das israelische Volk vor fanatischer Landnahmepolitik warnen. Durch solche Verbrechen gefährdet es sich selbst. Die ach so judenliebenden Deutschen wollen nicht wahrhaben, in welch galoppierender Kollektivkrise sich der junge Staat befindet. Erbarmungs- und empathielos sehen Diekmann & Merkel zu, wie sich die israelische Gesellschaft selbst zerlegt.

Obwohl immer mehr Israelis die Deutschen zu freimütigen Meinungsäußerungen auffordern, denken diese gar nicht daran, sich an den zermürbenden Selbstfindungsprozessen zu beteiligen. Aus der Distanz könnte man vieles deutlicher sehen als aus der Mitte des Getümmels. Unterlassene Hilfeleistung durch unterlassene Kritik: das ist den Deutschen vorzuwerfen.

Immer mehr israelische Jugendliche verlassen das Land, weil sie nicht mehr ertragen, was ihr Militärapparat in Gaza veranstaltet. Die linken Selbstkritiker – penetrant als Selbsthasser verfemt – werden beschimpft und angegriffen, wenn sie ihre Kritik öffentlich äußern. Gideon Levy kann sich nur noch mit Begleitschutz durchs Land bewegen.

Den deutschen Judenfreunden ist das schnuppe. Das Land muss sich ohne Beistand seiner besten Freunde atomisieren. Der Philosemitismus der Freunde entlarvt sich täglich mehr als maskierter Antisemitismus, dem das Schicksal des Landes gleichgültig ist. Oder gibt es schon hintergründige Schadenfreude bei BILD?

Aus der Psychopathologie kennt man das Gesetz des Umschlagens eines forcierten, unauthentischen Gefühls ins pure Gegenteil. Unter der Maske der unerbittlichen Philosemiten formieren sich längst die zukünftigen Antisemiten, die eines Tages den verdrängten Teil ihrer wahren Gefühle nach außen stülpen werden. Es gibt kein antisemitischeres Kampfblatt als die philosemitisch posaunende Giftgazette aus dem Hause Springer.

Merkel verspricht bedingungslose Solidarität mit Israel. Weiß sie noch, was sie redet? Bedingungslose Solidarität ist der zweifelhafte Kitt, der Mafiabanden und Verbrecherkohorten zusammenhält. Echte Solidarität ist an klare Bedingungen gebunden: an die Einhaltung demokratischer Gepflogenheiten und an das peinlich genaue Verfolgen der Menschenrechte.

Uri Avnery nennt die ultrareligiösen Politiker des Jerusalemer Kabinetts Faschisten. Die israelische Regierung treibt immer mehr in die faschistische Ecke. Wer sie blind und bedingungslos unterstützt, unterstützt eine faschistische Abenteurerhorde.

„Israel ist eine Erfolgsgeschichte. Es hat nicht nur eine mächtige Militärmaschinerie und glaubwürdige nukleare Fähigkeiten, sondern ist eine technologische Macht und hat eine vergleichsweise gesunde wirtschaftliche Basis. Aber messianischer Fundamentalismus, eng verbunden mit einem extremen Nationalismus, diktiert jetzt unsern Kurs. Die zionistisch-religiöse Partei und ihre fanatischen Rabbiner – viele von ihnen ausgesprochene Faschisten – sind seit Jahren bemüht, ihre Leute systematisch in das Armee-Offizierskorps zu infiltrieren. Es ist ein Prozess der natürlichen Auswahl: Offiziere, die nicht gern in den besetzten Gebieten als Kolonialherren agieren, verlassen die Armee und werden hochtechnisierte Unternehmer, während messianische Fanatiker dorthin gesandt werden, um ihren Platz auszufüllen.“ (Uri Avnery)

Solch schonungslose Sätze werden in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen. BILD & Merkel bestimmen, wer wahre Juden und wer selbsthassende Nestbeschmutzer sind. Die messianischen Faschisten sind die wahren, die anderen werden nicht zur Kenntnis genommen oder an den Pranger gestellt. Bei NS-Schergen war es nicht anders. Wer Jude ist, bestimme immer noch ich, sagte der Führer.

Am Sonntag gibt es in Berlin eine große Demonstration gegen Judenhass. Hauptrednerin Frau Merkel. Das manifeste Ziel der Demo ist notwendig und vortrefflich, das latente mehr als verwerflich: die Ablehnung des Judenhasses soll umgemünzt werden in Zustimmung zur menschenfeindlichen Politik Netanjahus.

Graumann, eine Synthese aus Papst und Netanjahu, lässt keinen Zweifel an seiner doppelzüngigen Strategie. Wer dem ausgesprochenen Motto: contra Judenhass, seine Zustimmung verweigern sollte – und wenn er der beste Freund aller Juden wäre –, weil er das unausgesprochene: pro Netanjahu nicht unterstützen wollte, muss ein Antisemit sein. Das ist eine niederträchtige Erpressung, um mit einem guten Mittel ein schändliches Ziel zu verfolgen.

Graumann hat nicht die geringsten Skrupel, die jesuitische Devise: das gute Ziel heiligt die bösen Mittel, auf den Kopf zu stellen: das gute Mittel heiligt das böse Ziel.

Streng genommen ist Graumann kein Heuchler. Er sagt in aller Öffentlichkeit, was er denkt. Ist er selbst ein ultrareligiöser Messianist? In der Abtreibungsfrage wehrte er sich vehement dagegen, ein besonders gläubiger Jude zu sein. Religion ist für ihn Machterhaltungsmittel, sonst nichts.

Noch immer müssen die meisten deutschen Juden mit besonders „vaterlandstreuen“ Aktionen den Makel kompensieren, dass sie Israel mit seinen Problemen nicht vor Ort unterstützen. Ihre verbale Militanz will als gleichwertiger Ersatz für Abwesenheit an der wirklichen Front anerkannt werden. In einem ausgezeichneten Artikel in der SZ analysiert der israelische Autor David Ranan die Situation der deutschen Juden:

„Unausgesprochen gilt für viele Israelis eine Art Deal mit den Diaspora-Juden: „Wir machen die schwere Arbeit, bauen das Land auf, kämpfen und fallen in den Kriegen, um das Land zu verteidigen, dafür bekommen wir von euch, die ihr bequem in Europa und Amerika lebt, jede Unterstützung, die wir verlangen.“ Aus dieser Sichtweise lässt sich Israelkritik von Diaspora-Juden freilich als Verrat verstehen.“ (David Ranan in der SZ)

In den Anfängen des zionistischen Staates gab es noch keine Kluft zwischen demokratischer Denkungsart und den Prinzipien der israelischen Politik. Erst der gewonnene 6-Tage-Krieg, spätestens die Ermordung Rabins sorgten für einen Umschwung. Es begann die Phase der ultrareligiösen Infiltrierung und die Absegnung einer theokratischen Landnahmepolitik:

„In den ersten Jahren nach der Gründung Israels gab es keinen Zwiespalt zwischen den Werten und der Politik Israels und der gesellschaftlich liberalen Weltanschauung der Mehrheit der im Westen lebenden Juden. In den USA beispielsweise wählen Juden traditionell die Demokraten und nicht die Republikaner. Doch je mehr sich Israels Politik nach rechts entwickelte und darauf beharrte, die Gebiete, die 1967 erobert wurden, zu behalten und zu besiedeln, desto größer wurde die Dissonanz zwischen den Werten der liberalen Juden und ihrem Wunsch, Israel zu unterstützen.“ (Ranan)

Das israelische Volk hat seit mehr als 2000 Jahren keinen eigenständigen Staat. Teils freiwillig („ihr sollt ein Licht unter den Völkern sein“), teils unfreiwillig lebt es unter fremden Völkern. Das machiavellistische Problem des Unterschieds zwischen Staatsraison und privater Moral stand bei ihnen selten zur Debatte. Der hohe moralische Anspruch jüdischer Minderheiten wurde von einer gegenläufigen Staatsmoral selten in Frage gestellt.

In den zionistischen Anfängen war der säkular-sozialistische Anspruch der Pioniere außerordentlich hoch. Doch die Eroberung Jerusalems war die Pforte der regressiven Versuchung. Den Ultrareligiösen gelang es, verschüttete religiöse Elemente zu aktivieren und die Landnahmepolitik biblischer Schriften als Vorbild für eine aktuelle Expansionsbestrebung darzustellen. Hier entstand die Kluft zwischen Jahwe und heidnischer Demokratie, biblischen Urphantasien und modernem Völkerrecht.

Bis heute hat sich die Kluft unaufhörlich erweitert, weil es der israelischen Gesellschaft – wie allen andern religiösen Westnationen – nicht gelingt, die prinzipielle Kollision zwischen Synagoge und Polis wahrzunehmen und penibel zu erklären. Aus Minderwertigkeitsgründen verwandelten sich die deutschen Juden in reaktionäre Gefolgsleute der immer religiöser werdenden Regierung in Jerusalem.

Ranan attackiert zu Recht die Unterwürfigkeit Graumanns gegen das Netanjahu-Kabinett:

„Ist es also Sache des Zentralrats der Juden in Deutschland, Israels Politik, deren Handlungen und Feldzüge zu verteidigen? Oder sollte er nicht vielmehr deutlich machen, dass die Vertretung der deutschen Juden eben kein Ansprechpartner sein kann in Fragen, die Israel betreffen? Der einstige Zentralratspräsident Ignatz Bubis bekam einmal Neujahrswünsche der damaligen Oberbürgermeisterin Frankfurts – mit der Bemerkung, sie hoffe, dass der „Friedensprozess in Ihrem Lande“ weitergehe. Bubis wies sie darauf hin, dass er Deutscher sei wie sie selbst.“

Sind die Deutschen noch immer antisemitismus-verdächtig? Unbedingt. Bei BILD und der Springerpresse ist der als Gegenteil kostümierte Hass gegen die Juden, die empathielose Gleichgültigkeit gegen die israelische Gesellschaft mit Händen zu greifen. Die folgenden Selbstzweifel jugendlicher Israelis in Ranans Artikel sind in keiner Springerzeitung vorstellbar:

«Wenn ich glaube, Israel tut etwas Falsches, dann halte ich mich lieber zurück». Oder: «Ich finde, es gibt genug Leute, die gegen Israel sind, die gegen Israel ankämpfen, ich muss sie nicht noch verstärken.» So erklären junge deutsche Juden ihr Bedürfnis, Israel zu verteidigen. Sie geben zu, in manchen Dingen die israelische Politik schlimm, manchmal sogar sehr schlimm zu finden, sind aber nur in wenigen Fällen bereit, Israel öffentlich zu kritisieren.“

Wie stark ist der Antisemitismus der Deutschen? Theoretisch ließe sich sagen, in welchem Maß sie Christen sind, in diesem Maß sind sie Antisemiten. In welchem Maß aber sind sie Christen? Zwar nennen sich die meisten Christen, doch die Selbstbezeichnung ist sinnlos, denn von christlichen Dogmen haben sie keine Ahnung.

Bewusst wollen die meisten Anhänger eines demokratischen Humanismus sein, der nicht auf religiösem Boden gewachsen ist. Dennoch ist die Majorität nicht in der Lage, sich von der Nostalgie ihrer christlichen Romantik zu lösen.

Hinzu kommt die Schwierigkeit, unbewusste Antisemitismus-Regungen mit sozialpsychologischen Messmethoden zu erfassen. (Darauf hat vor Jahrzehnten Erich Fromm hingewiesen.) Es sind die unbewussten Antisemitismus-Faktoren, die gefährlich sind, weil sie leicht ignoriert werden können. Die kriminellen Akte rechter Kreise gegen Juden sind vergleichsweise „harmlos“, weil sie Sache der Polizei sind. Es sind die ungelüfteten Ressentiments der Mittelschichten und Eliten, die die Politik eines Staates bestimmen.

Die gegenwärtige Antisemitismus-Forschung ist von allen guten Geistern verlassen und ein willfähriges Instrument der bigotten Philosemitismus-Haltung der deutschen Regierung. Jüngstes Beispiel für die vollständige Geistesabwesenheit der Antisemitismus-Forscher liefert ein Artikel in der WELT.

Früher stellte man die Frage, ob Israel mehr Einfluss und Macht in der Welt habe, als einem kleinen Staat zustünde. Wer mit Ja antwortete, saß in der Antisemitismus-Falle. Inzwischen prahlt Jerusalem selbst mit seiner Macht in Washington, Netanjahu macht Obama in aller Öffentlichkeit zur Minna – also musste die Frage ausgetauscht werden. Nun wird’s noch intelligenter. Wer der folgenden Behauptung zustimmt, muss ein ausgekochter Antisemit sein:

„Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches ihren Vorteil zu ziehen.“ (Felix Sternagel in der WELT)

Hier beginnt man an der Grundintelligenz der deutschen Wissenschaft zu zweifeln. Sollen Juden keinen möglichen Vorteil aus den Erfahrungen des Holocaust ziehen?

Hoffentlich ziehen sie Vorteile, sie hätten alle Vorteile dieser Welt verdient. Nicht, dass heutige Vorteile die Taten der Vergangenheit ungeschehen machen könnten. Als kleines Zeichen der Rehabilitierung aber wären sie absolut notwendig. Am wenigsten auf materieller Ebene.

Die Nachkriegsleistungen der deutschen Juden, den Verbrecherstaat zu resozialisieren und in die Reihen der Völkergemeinde zu integrieren, müssen unumwunden anerkannt werden. Man stelle sich vor, die Rollen wären in der Geschichte umgekehrt gewesen. Die Juden hätten den Deutschen angetan, was die Deutschen ihnen antaten. Wie fürchterlich hätten sich die Deutschen für erlittenes Unrecht gerächt.

Was taten die Juden? Sie halfen den Deutschen, wieder zu Menschen zu werden. Das muss ein ewiges Ruhmesblatt der jüdischen Humanität in der deutschen Geschichte sein.

Sollten die Juden noch immer Nachteile für ihre alptraumhafte Vergangenheit erleiden? Doch nicht nur sie, auch die Deutschen sollten Vorteile aus ihren schrecklichen Taten ziehen: dass sie endlich verstünden, welch messianischer Furor sie antrieb, um Jüngstes Gericht auf Erden zu spielen. Ohne den Vorteil, aus der Geschichte gelernt zu haben, wären sie noch immer in der Gefahr, ihre Gräueltaten zu wiederholen.

Wenn man fast täglich in deutschen Edelgazetten lesen muss, die Menschen lernten nichts aus der Geschichte, kann es einem angst und bange werden. Intelligente Wesen erkennt man daran, dass sie aus erlittenen Nachteilen Vorteile, aus Not eine Tugend machen können.

Welche Folgerungen aus dem Holocaust wirklich gezogen werden müssten, haben Holocaust-Überlebende in einem offenen Brief an die New York Times beschrieben, der in unseren Medien so gut wie nicht erwähnt wurde:

„Als jüdische Überlebende und Opfer des Genozids der Nazis verurteilen wir mit allem Nachdruck sowohl das Massaker an den Palästinensern in Gaza als auch die andauernde Besetzung und Kolonisierung des historischen Palästinas. Wir klagen an, dass die USA und die anderen westlichen Staaten Israel weiterhin finanziell unterstützen und alle diplomatischen Hebel in Bewegung setzen, um Israel vor internationaler Kritik abzuschirmen. Der Genozid beginnt mit dem Schweigen der Welt.” (Aus dem „Offenen Brief“ von über 300 Holocaustüberlebenden und deren direkten Nachkommen)

Wie viele Menschen rund um den Planeten haben gegen die Menschenrechtsverletzungen Israels protestiert?

War Mandela ein Antisemit, weil er sich mit den Palästinensern verbrüderte? Ist Bischof Tutu ein Antisemit, weil er gegen die Verbrechen Widerspruch einlegt? Ist amnesty international eine antisemitische Organisation, weil sie der Netanjahu-Regierung Menschenrechtsverletzungen vorwirft? In Deutschland kann man vor lauter lügenhaftem Philosemitismus nicht mehr aus den Augen schauen. (Siehe Desmond Tutu in Haaretz)

Die Deutsche Bewegung – die ideologische Vorbereitung des Nationalsozialismus – hasste alle kosmopolitische Philanthropie und alle universellen Menschenrechte. Ich kann keine abstrakte Menschheit, ich kann nur konkrete Menschen lieben, sagte Carl Schmitt, einer der führenden Intellektuellen des Dritten Reiches. Die Deutschen selektierten die Menschheit in Übermenschen und vernichtenswerte Untermenschen.

Heute unterteilt die deutsche Regierung die Menschheit erneut in Erwünschte und Unerwünschte, Privilegierte und Missratene. Sie ist unfähig, den Kampf gegen Juden- und Palästinenserhass als Einheit zu sehen. Pflichtgemäß lieben sie die Juden – und hassen die Palästinenser. In Wirklichkeit hassen sie die Juden und übertragen den Hass auf unschuldige Palästinenser. Als Gläubige kennen sie keine gleichen Menschen, sondern nur Spreu und Weizen, Verworfene und Erwählte.

Wer zum Kampf gegen Antisemitismus bläst, ohne zum Kampf gegen die Verletzungen universeller Menschenrechte aufzurufen, der bleibt ein Feind der Menschheit.