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Eliten

Hello, Freunde der Eliten,

wir – Plebs, Pöbel, Shitstorm-Kohorten, Überflüssige – müssen uns anklagen, unsere Eliten nicht ausreichend geliebt zu haben, sie beneidet, bekämpft, mit Unflat überzogen und in ummauerte Vororte gejagt zu haben – in denen sie ihres Lebens nie mehr froh sein werden. Wir bedrohen ihren Reichtum, rufen zum Aufstand, zur Empörung, zum Widerstand gegen die Besten, die nichts anderes tun, als überragende Leistungen zu bringen, Arbeitsplätze zu schaffen, für uns zu denken und zu sorgen, uns zu erziehen und unsere Undankbarkeit und unseren Starrsinn langmütig zu ertragen.

Um den unerträglichen Zustand ihrer Ungeliebtheit durchzustehen: was bleibt den Eliten übrig, als ihre innere Leere und Hohlheit mit immer mehr Reichtum und Arroganzgebärden zu kompensieren und zu tun, als lebten sie wie epikuräische Götter weit ab im Paradies der Seligen.

Wir, meine hohläugigen Brüdern und Schwestern, sind daran schuld, dass die Reichen immer reicher werden müssen. Dass die Kluft zwischen ihnen und uns immer größer werden muss. Wir, meine missgünstigen Geschwister, sind schuld am zunehmenden Versagen der Eliten, die darunter leiden, dass sie die Probleme der Welt nicht lösen können, obwohl sie dafür gewählt werden, dass sie das Weltlabyrinth am besten durchschauen, am gründlichsten analysieren, am

eindrucksvollsten – an ihm scheitern.

Nur sie wissen, dass Probleme komplex und unlösbar sind. Das wollen wir dumpfen Massen auf der Straße, wir Wirtschaftsfeinde und mürrischen Konsumenten, wir besserwissenden Drückeberger und schwarz-sehenden Verantwortungsverweigerer nicht wahrhaben. Und schieben alle Schuld auf sie, die sich rund um die Uhr pro nobis abrackern, ihr prosperierendes Kreuz auf sich nehmen und pro nobis lächerlichen Luxus anhäufen, nur, damit der Rubel rollt.

Oh, wie irrte jener, der den Kapitalismus dafür pries, wie unabhängig vom Wohlwollen der Mitmenschen er diejenigen mache, die sich alle Gefühle kaufen könnten. Hegels Kampf um Anerkennung ist verschwunden, wenn alle Beziehungen durch Mammon „sachlich, unpersönlich und rechenbar“ geregelt sind:

„Das ist die Freiheit im äußeren Leben des Menschen, dass er unabhängig ist von dem Wohlwollen der Mitmenschen. Diese Freiheit ist kein Urrecht des Menschen, sie hat es im Urzustand nicht gegeben, sie ist erst im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung erwachsen; ihre volle Ausbildung ist ein Werk des entwickelten Kapitalismus. Der Mensch der vorkapitalistischen Zeit hatte über sich einen gnädigen Herrn, um dessen Gunst er werben musste. Der Kapitalismus kennt keine Gnade und Ungnade, er unterscheidet nicht mehr gestrenge Herren und gehorsame Knechte, alle Beziehungen sind sachlich und unpersönlich, sind rechenbar und vertretbar. Mit der Rechenhaftigkeit der kapitalistischen Geldwirtschaft steigt die Freiheit aus dem Reich der Träume in das der Wirklichkeit herunter.“ (Ludwig von Mises, Gemeinwirtschaft)

Das ist die geheime Vision der Geldanbeter: die Verwandlung der gefühlsabhängigen Empathiegesellschaft in eine gefühle-käufliche Sachgesellschaft. Wer Liebe will, muss nicht liebenswert, sympathisch und verlässlich sein, sondern einen Scheck zücken, mit dem er seinen täglichen Bedarf an Liebe – wie viel Pfund Liebe darf‘s denn heute sein, Herr Meier, morgen haben wir ein besonders günstiges Angebot mit Rabatt? – pro Tag einkaufen kann.

Die Willkür der Gnade und Ungnade, die Mängel einer unberechenbaren Erlösungsreligion, sollen aus dem „Himmel der Träume“ in eine quantitative, für jedermann handhabbare irdische Nüchternheitsgesellschaft verwandelt werden.

Das ist die gerechte Gesellschaft der Neoliberalen. Wer Vorteile haben will, muss keinen Gott auf den Knien anbetteln. Er muss nur seinen Geldbeutel öffnen und seine himmlischen und irdischen Privilegien kaufen.

Früher sprach man von Ablass. In einer Ablassgesellschaft hätte jeder die gleiche Chance, der Ungnade zu entgehen, indem er leistet und reich wird. Jeder? Sind Leistungen nicht abhängig von Fähigkeiten, die man sich nicht selbst verdankt? Ist Reichsein nicht auch das Werk blinder Zufälle und unberechenbarer Glücksereignisse?

Hayek, Schüler von Mises, sieht keine leistungsgerechte Belohnung im Kapitalismus. Das Schicksal ist nicht machbar, Evolution – oder Gott – zahlen nach Lust und Willkür.

„Und ich wandte mich um und sah unter der Sonne, daß nicht die Schnellen den Wettlauf gewinnen, noch die Starken die Schlacht, daß nicht die Weisen das Brot erlangen, auch nicht die Verständigen den Reichtum, noch die Erfahrenen Gunst, denn sie sind alle von Zeit und Zufall abhängig.“ (Pred. 9,11)

Vertreter des Kapitalismus hassen religiöse Willkür-Gnade und wollen sachliche Leistungsgerechtigkeit – und erhalten eine unberechenbare, durch Zeit und Zufall gelenkte Geld-Gnade.

Ob jemand fähig ist, per zufälliger Leistung soviel Geld zu verdienen, dass er menschliche Beziehungen einkaufen kann, hängt nicht weniger vom Zufall ab als die ungerechte Religionsgnade.

Ach, warum ist es uns romantischen Kitschiers nicht gelungen, den Eliten die falschen Träume von der Bezahlbarkeit menschlicher Beziehungen zu nehmen, damit sie menschlich werden konnten und sich nicht länger auf ihre Macht und ihren Mammon verlassen mussten?

Die Eliten sind am Ende und wir, wir Fabrikware der Natur, sind schuld daran. Wir waren ihnen kein Vorbild, wir haben sie nicht besser verstanden als sie sich selbst, wir haben sie nicht so geliebt, wie sie hätten geliebt werden müssen, dass sie ihren Irrweg hätten einsehen können.

Jeder hat die Eliten, die er verdient. Wenn in Demokratien die machthabenden Eliten versagen, sind alle daran schuld, die diese Eliten passieren ließen. Jetzt haben die Welteliten uns den Schlamassel der globalen Verirrungen und Verwirrungen eingebrockt und wir begnügen uns, mit dem Zeigefinger auf sie zu zeigen, anstatt vor der eigenen Tür zu kehren.

Oh lasset uns reuig und bußfertig werden, Genossen und Genossinnen – und die Eliten endlich zum Teufel jagen. Wie lange wollen wir noch umanand irren wie Schafe, anstatt unsere Angelegenheiten energisch in die Hände zu nehmen?

Gestern war Elitentag in Berlin. Die gesamte deutsche Crème de la Crème war am Brandenburger Tor versammelt. Ihr Thema war ernst und wichtig, aber ach, sie haben’s versiebt und vermasselt.

Der Weg ins Verhängnis ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Sollte man nicht annehmen, dieser Spruch sei auch den Eliten bekannt? Sollte man nicht vermuten, sie denken über die rechten Mittel nach, um ein gutes Ziel angemessen zu erreichen?

Gestern haben die Eliten alles nur verschlimmert. Anstatt Wege aufzuzeigen, wie das Los der Juden in Deutschland verbessert werden könne, zeigte die von Polizei beherrschte Demonstration, wie schlimm es um die jüdische Befindlichkeit stehen muss. Allmählich muss man verstehen, warum immer mehr Juden die neu-arische BRD verlassen wollen, weil es für sie kaum erträglich ist, mit Beschimpfungen und Morddrohungen überhäuft zu werden.

Nur verbale Luftblasen im Dunkel der Anonymität? Sind nicht schon genug Verbrechen gegen Juden verübt worden? Gibt es eine einzige jüdische Einrichtung, die von Polizei nicht geschützt werden muss? Halten wir das für normal? Wollten wir selbst rund um die Uhr von waffenstarrenden Polizisten begleitet werden, damit wir unbeschädigt nach Hause kommen? Hat Deutschland seine Lektion doch nicht gelernt?

Die Deutschen haben sich bemüht, ihre Lektion zu lernen, allein, schon seit Einbruch des Neoliberalismus und den überhand nehmenden Weltkatastrophen fallen sie zurück und verdrängen wieder, was vor zwei Dekaden Konsens schien.

Vor zwei Dekaden schien es Konsens,

a) dass man aus der Geschichte lernen muss, auf dass sie sich nicht wiederhole. Heute heißt es: Geschichte wiederholt sich nicht. Lernen aus der Geschichte ist Unfug. Das ist der Boden des Antisemitismus, nicht dümmliches Abhaken von Klischees. Die geistesabwesende Antisemitismus-Forschung fragt nicht nach der ideologischen Grundlage des Antisemitismus. Sie seiht Mücken und schluckt Elefanten.

b) dass Vergangenheit erinnert werden muss. Unbewältigte Vergangenheit steht unter Wiederholungszwang. Heute heißt es neoliberal und altbiblisch: wir schauen nur nach vorn und gedenken nicht mehr des Vergangenen. Wie können wir unsere Vergangenheit bewältigen, wenn wir sie nicht anerkennen und alles Gewesene verdrängen?

c) dass Neues und Sinnvolles nur entstehen kann, wenn das Alte durchgearbeitet ist. Heute muss das Alte achtlos auf den Müll geworfen werden, damit der Fortschritt sich täglich neu erfinden kann. Doch das Alte wird man nicht los, wenn man es verleugnet.

Die Philosophie der Postmoderne, die keine Wahrheit zulässt – wie kann sie die Wahrheit der schrecklichen Vergangenheit erforschen? Wer objektive Wahrheit leugnet, verleugnet den Holocaust und seine objektiven Schrecken. Wenn alles nur eine Sache des persönlichen Blickwinkels ist, dann ist gegen die persönliche Leugnung des Holocaust durch Neonazis kein Kraut gewachsen.

d) Antisemitismus ist ein religiöses Gewächs, das sich im Laufe der Zeit in ständig neuen Maskierungen präsentiert hat. Dennoch ist er der alte geblieben. Über Religion sprechen Antisemitismus-Forscher nicht.

Religion wird im gesamten christlichen Westen nicht kritisch gesehen. Religion ist reine Liebe, sagen die Apologeten der Religion, oder sie ist keine.

Welch ein Satz des mächtigsten Mannes der Welt, keine Religion erlaube es, Unschuldige zu töten. Also kann ISIS nur die Instrumentalisierung einer Religion, aber nicht die Frucht derselben sein. Obama ist Rechtsgelehrter. Das wäre ja noch was, wenn Religion die Tötung Unschuldiger gebieten würde. Also spricht sie prophylaktisch diejenigen schuldig, die sie mit Drohnen durchsieben will.

Jeder ist automatisch schuldig, der sich der Sache der Guten und Auserwählten in den Weg stellt. Wenn der Präsident am Schreibtisch des Weißen Hauses die Opfer seiner Fernwaffen ausgesucht hat, hat er sie schuldig gesprochen. Wer im Namen der Religion spricht, spricht im Namen eines Gottes, der nach Belieben tötet und lebendig macht.

Rechtfertigung? Gibt’s keine. „O Mensch, jawohl, wer bist du, dass du mit Gott rechten willst? Wird etwa das Gebilde zum Bildner sagen: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus der nämlichen Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Unehre zu machen?“ „Gott tötet und macht lebendig, er stößt in die Grube und führt herauf. Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und er erhöht.“

In der gestrigen Veranstaltung belog Kardinal Marx die ganze Republik, vor Gott seien alle Menschen gleich.

Eine Antisemitismus-Forschung, die den Begriff Religion verschmäht, die nicht weiß, was postmoderne Wahrheitsleugnung ist, auch das Motto des Neoliberalismus nicht kennt, stets nach vorne und nie zurück zu schauen, ist das Geld nicht wert, mit dem man sie subventioniert.

Wer nicht auf die Barrikaden geht, wenn historisierende Gelehrte das Vergangene als vergangenes Amüsement betrachten, der ist antisemitismus-verdächtig. Die gesamte gegenwärtige Geschichtswissenschaft ist antisemitismus-verdächtig, alle postmodernen Zeitgeistschwätzer sind antisemitismus-verdächtig, alle neoliberalen Wachstums- und Fortschrittsfanatiker sind antisemitismus-verdächtig, alle Politiker, die sich auf die Schultern klopfen, wie toll sie die Vergangenheit beiseite geräumt hätten, sind antisemitismus-verdächtig.

Alle deutschen Eliten, die die Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung und die Leiden der palästinensischen Bevölkerung nicht zur Kenntnis nehmen, sind antisemitismus-verdächtig. Alle deutschen Politiker, die die Selbstkritik linker Juden übergehen, sind antisemitismus-verdächtig. Das Schicksal der israelischen Gesellschaft ist ihnen gleichgültig. Kalt und erbarmungslos schauen sie zu, wie Ultrareligiöse die säkulare Gesellschaft unterminieren und ihre faschistische Landnahmepolitik durchsetzen.

Besonders antisemitismus-verdächtig sind deutsche Philosemiten, die es verstehen, ihren tief verborgenen Judenhass als bedingungslose Solidarität aufzuputzen, als sei das israelische Volk ihr Privateigentum. Wer hat bei der gestrigen Heuchelparade der Crème de la Crème nicht das große Wort geschwungen? Der Oberajatolla Diekmann vom heuchlerischsten antisemitischen Hetzblatt der BRD.

Sie hat es schon wieder getan. Merkel schilt im Savonarolastil die deutsche Bevölkerung, sie sei antisemitisch verseucht, weil sie die Völkerrechtsverbrechen Jerusalems nicht hinnehmen wolle. Schon in der Schule lernen alle Deutschen die Menschenrechte. Doch wenn sie zeigen, dass sie ihre Lektion gelernt haben, werden sie von denselben Autoritäten geprügelt, dass die Funken fliegen.

Double Bind nennen‘s die Fachleute, man kann schlicht von Heuchelei sprechen. Ehre die Menschenrechte, aber nicht im Falle der von den Israelis geschundenen Palästinenser.

Wowereit, abgelebter Bürgermeister, „bekennt sich zum Existenzrecht des israelischen Staates“, um seine Duckmäuserei vor den Netanjahu-Funktionären zu rechtfertigen. Gibt es noch jemanden, der das Existenzrecht Israels leugnet? Nein, nicht mal die Hamas. Oft genug hat sie die Hand ausgestreckt und wurde von der Gegenseite zurückgewiesen, weil Jerusalem die „jüdische Paranoia“ (Avraham Burg) pflegen muss, die ganze Welt hasse die auserwählten Kinder Gottes. Wenn das Gefühl der Auserwähltheit sich nur einstellt, wenn man sich von der Welt abgelehnt fühlt, muss man alles tun, damit die Welt einem ablehnt.

In den letzten Tagen hat eine israelische Eliteeinheit ihren Dienst quittiert, weil sie nicht länger die inhumane Politik ihrer Führung unterstützen kann. Ratet, ob diese Aktion gestern mit einem einzigen Wörtchen zur Sprache kam.

Die ganze Veranstaltung hatte den einzigen Zweck: mit Hilfe eines guten Mittels die schändliche Netanjahu-Politik zu unterstützen. Es gab eine kleine Gruppe jüdischer „Selbsthasser“, die gegen diese Strategie protestierten. Ratet, wie die Polizei mit diesen Gruppen umging.

Auf dem ganzen Platz standen mehr Polizisten mit und ohne Uniform als Teilnehmer der Demonstration. Die Crème de la Crème, sorgsam abgeriegelt, musste vor ihrem Volk geschützt werden. Wenn ein Alien vom anderen Stern das absurde Spektakel gesehen hätte, wäre er nicht auf die Idee gekommen, eine demokratische Aktion auf der Agora zu konstatieren.

Szenen einer rapide verfallenden Elitokratie, die sich dreist Volksherrschaft nennt. Auf den Podien stand die ganz große Koalition aus Popen und Politikern. Schließlich muss der Segen des Herrn auf die theokratische Veranstaltung beschworen werden, damit nicht Schwefel auf Sodom und Gomorrha falle.

Doch halt. Haben Merkel und Graumann nicht Recht, wenn sie die übermäßige Israelkritik der Bevölkerung als antisemitismus-verdächtig einstufen?

Gegenfrage: Was wäre, wenn hierzulande Israelkritik so erlaubt wäre wie Kritik an Putin und Saddam? Gäbe es dann noch immer die unheilvollen und angsterregenden Übertreibungen?

Merkel schreckt nicht davor zurück, jedwede Israelkritik in Bausch und Bogen als Antisemitismus zu verdammen. Der Zweck ihrer Verfluchungspolitik liegt auf der Hand. Je antisemitischer die Kritik an Netanjahu, je mehr ist sie berechtigt, dessen Politik als Existenzsicherung zu verteidigen und ihr Kotau-Verhalten als Solidaritätsleistung hochzurechnen.

Die Konsequenz aus dem Holocaust sind für Merkel & Co: alles ist erlaubt, was die kriegswütigen Eliten Israels für erlaubt halten. Universelle Regeln mögen für Gojim gelten, aber nicht für die erwählten Kinder Gottes, die „ihr“ uraltes biblisches Land mit allen Mitteln zurückerobern dürfen.

Täter und Opfer haben sich in einer neuen jüdisch-christlichen Synthese gefunden. In einer kollektiven Bigotterie-Synthese – auf Kosten unschuldiger Dritter, der Palästinenser.

Freud hatte beobachtet, dass Opfer sich mit ihren Tätern überidentifizieren – um an deren Macht virtuell teilzunehmen. Diesen neurotischen Akt gibt es auch als gegenläufige Überidentifikation der Täter mit den inzwischen mächtig gewordenen Opfern.

Die Täter glauben, einen Teil ihrer Schuld abzutragen, wenn sie ihre Opfer für unfehlbar erklären. Früher, ihr Juden, wart ihr der Abschaum der Menschheit, doch heute wissen wir: ihr seid die Größten, Intelligentesten und Kreativsten. Kein Schatten soll auf euer Image fallen. Diese unterwürfige Bewunderung ist der Kern der deutschen Vergangenheitsbewältigung, die man als neurotische Reaktionsbewegung betrachten muss.

Dennoch: kann es nicht sein, dass uralte Antisemitismus-Reste sich hinter dem Etikett der Israelkritik verstecken? Das kann man nie ausschließen. Jeder selbstkritische Deutsche täte gut daran, sich genau zu überprüfen, welche Stimme wirklich aus ihm spricht.

Dennoch: die Motivation einer Kritik ändert nichts an der Richtigkeit eines moralischen Urteils. Ob jemand Israel hasst oder nicht: wenn Israel gegen internationale Gesetze verstößt, muss jeder Zeitgenosse sagen dürfen: das Land hat Gesetze gebrochen.

In der Tat ist es möglich, dass uralte Antisemitismus-Reste mit neuen Antigefühlen gegen Israel assoziativ zu einer Einheit zusammenwachsen. Hier wächst zusammen, was nicht zusammen gehört. Uralter Hass wird zu einem neuen unheilvollen Gebilde aufgebauscht. Solche hybriden Gefühlsassoziationen könnten in der gegenwärtigen Szenerie tatsächlich eine Rolle spielen. Nur: was folgt daraus?

Es kann nur eine sinnvolle Folgerung geben. Das Zusammenwachsen der heterogenen Gefühle muss mit allen Mitteln verhindert werden. Das geht nur, wenn Israelkritik als legitim anerkannt und nicht in blindem Furor als Antisemitismus verworfen wird.

Merkel & Co züchten mit ihrer hinterlistigen Strategie genau das, was sie angeblich verhindern wollen: Hass gegen die Juden. Da fragt man sich: wollen sie Antisemitismus wirklich verhindern? Oder handeln sie – bewusst, unbewusst? – nach der Devise: viel Feind, viel Ehr? Brauchen sie einen bösen Feind, um sich als Gute zu definieren? Nicht anders als Amerika, das gar nicht daran denkt, die ISIS zu vernichten. Sie brauchen ISIS, um unentwegt das Böse bis an die „Pforten der Hölle“ zu verfolgen. Nur im totalen Kontrast können sie sich als Vorzugskinder des Himmels feiern.

Wie viele israelische Fahnen waren gestern zu sehen! Das war mehr als eine Provokation, das war ein Fehler. Man sollte sich nur dann als lupenreiner Antisemitismus-Gegner empfinden, wenn man Netanjahus Völkerverbrechen absegnet. Nur die TAZ hat diesen Aspekt scharf kritisiert (Daniel Bax in der TAZ), die meisten Kommentare der Medien bewegen sich erbarmenswürdig auf der Linie der Regierung. 

Die meisten Sätze der gestrigen RednerInnen sollten wie Peitschenhiebe klingen: „Schluss mit dem Judenhass!“ Seit wann werden Gefühle durch autoritäre Imperative geändert? Kein einziger Beitrag zur Erklärung des Phänomens war zu hören.

Wie kann man verändern, was man nicht verstanden hat? Was läuft etwa schief in der deutschen Erziehung, dass Deutsche gegen Juden noch immer mulmige Gefühle haben? Wie kann man die heterogenen Gefühlsanteile auseinander halten?

Doch schon hört man von der Politik: weg mit solchen Subtilitäten, wir haben keine Zeit für Selbsterkundungen. Wenn eine Pastorentochter die Gesinnungsumkehr befiehlt, stehen die Deutschen Gewehr bei Fuß. Alles muss martialisch klingen wie einst bei Kaiser Willem, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Die Eliten konnten gestern mit sich zufrieden sein, die deutsche Bestie wurde gehörig mit der Neunschwänzigen gezüchtigt. Wen Merkel liebt, den stellt sie an den antisemitischen Pranger.

Das Schlimmste kommt am Schluss. War die ganze Aktion ein spontaner Akt des Wohlwollens der Deutschen mit den Juden – aus der Mitte der Gesellschaft? Mitnichten. Die Juden mussten alles selbst organisieren und die Deutschen zur Gefolgschaft geradezu nötigen: wer Israel nicht bedingungslos liebt, muss ein Antisemit sein.

Das war kollektive Erpressung, kein freiwilliger Akt der Versöhnung. Warum hat nicht die philosemitische BILD zur Demo eingeladen? Warum nicht die nächstenliebenden Kirchen? Die Gewerkschaften, die judenliebende Regierung? (Dazu Klaus Hillenbrand in der TAZ)

Wie schon immer: wenn es um Jüdisches geht, fragen die Medien bei Juden nach. Die besten Freunde Israels fühlen sich nicht angesprochen, wenn es um das Wohl ihres befreundeten Landes geht.

Es steht schlecht um die jüdische Sache in Deutschland. Vor allem bei den Eliten, die dem Volk mit List und Tücke Antisemitismus aufoktroyieren, um selbst im besten Licht zu erscheinen. Hinter markigen Sprüchen und martialischem Polizeiaufgebot entlarvten sich gestern die deutsch-jüdischen Beziehungen zur illusionslosen Kenntlichkeit.

Es wird Zeit, dass ein grundlegender Dialog zwischen Opfern und Tätern beginnt. Deutschland und Israel dürfen sich nicht zur unheilvollen theokratischen Synthese verbünden.