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Marx und Marx

Hello, Freunde Oskars,

der sich von SPD-Urvater August Bebel verabschiedet und dem Papst in die Arme geworfen hat. Für Bebel waren Sozialismus und Christentum wie Feuer und Wasser, für Oskar ist Nächstenliebe identisch mit – Sozialismus? Dieses riesige Wieselwort nimmt Oskar nicht in den Mund. Er hat es in viele mundgerechte Wieselwörtchen aufgeteilt.

Nächstenliebe ist Mindestlohn oder das Verbot der Leiharbeit. Mit BGE (Bedingungsloses GrundEinkommen) hat Nächstenliebe aber nichts zu tun, da würden die Menschen den ganzen Tag nur rumhängen, so Benediktiner-Chef Wolf. Der Begründer seines Klubs erfand das Motto: ora et labora, bete und arbeite. Da hat das BGE keine Chance. Es stehet geschrieben: „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nichts essen.“ Nur Arbeit berechtigt zum Überleben.

„Arbeit macht frei“ – das Nazimotto am Tor von Auschwitz ist ein christlicher Satz. Gerichtet gegen Juden, die als körperlich arbeitsscheu galten und nur mit Mammon wuchern könnten. Durch Zwangsarbeit sollten sie auf das ethische Niveau christlicher Nazis gehoben werden.

Nächstenliebe gilt nur denen, die biblisch verordneter Sünden- und Strafarbeit nachkommen. Faulenzer und Bettler fallen aus der Nächstenliebe heraus. Puritanische Kapitalisten – Thatcher, Cameron, selbst der „linke“ Blair – sind dafür bekannt, dass sie Bettlern auf der Straße keinen Penny geben. Die wollten doch nur ehrbaren Leuten das Geld aus der Tasche ziehen.

Wären die Puritaner konsequent, müssten sie alle Reichen als gottlose Gegner des Paulus ächten. Denn Lichtgestalten arbeiten nicht und

leben wie Gott in Frankreich. Sie tun, als ob sie arbeiteten. Sie machen Beschäftigungstherapie, indem sie ihre rostfreien Schätze durch günstige Anlagen bewahren und vermehren. Wer den ganzen Tag nur wichtig herumtelefoniert und mit Privatjet um die Welt düst, der arbeitet nicht. Der kujoniert seine Abhängigen und animiert seine Geldmassen, sich ungeschlechtlich zu vermehren.

Die ungeheuren Billionen, die täglich um den Planten flottieren, hassen die Kopulation mit solider Arbeit, Placken und Mühen, stinkenden Fabriken und mürrischen Malochern. Sie haben sich ein ätherisches Revier oberhalb der Menschen eingerichtet, wo tiefengereinigte Geldmassen nur mit ihresgleichen zu tun haben. Dieses kathartische Revier ist selbstbestäubend. Durch innige Berührung mit sich selbst, vermehrt es sich wie Schimmelpilz an feuchten Wänden.

Für Aristoteles stand noch fest: Geld heckt nicht, durch sich selbst kann es sich nicht vermehren. Die Sterilität des antiken Geldes hat das moderne Geld überwunden. Es folgt dem biblischen Motto: seid fruchtbar und vermehret euch, indem es sich eingeschlechtlich vermehrt. Die Geldmassen – auch wenn sie nur virtuell vorhanden sind – sind wie Myriaden Samensporen, die keinen Geschlechtspartner benötigen, sondern es mit sich selbst treiben.

Normaler Reichtum war Frucht der Arbeit, Arbeit die Kohabitation mit der weiblichen Natur. Diese steinzeitliche Fortpflanzung hat der moderne Finanzkapitalismus überwunden. Wie moderne Techniker sich von der weiblichen Natur lösen und alles aus Nichts erfinden, so benötigen männliche Geldspermien keinen Kontakt mit Mutter Natur.

Aus Nichts erschaffen bedeutet: ohne Weib erschaffen. Der Mann will seine Unvergleichlichkeit durch Eliminieren aller weiblichen Elemente beweisen. Keine Natur, kein Arbeitskontakt mit der Natur. Der Ingenieur ist mit sich allein, das männliche Geld ist mit sich allein. Die Männer bewundern ihre kreativen und finanziellen Ejakulationen, die keinen weiblichen Pol brauchen. Ohnehin war frau nur minderwertige Gebärmaschine, von der man sich allmählich lösen wollte.

In Indien werden weibliche Embryos und unnütze Witwen getötet und verbrannt. Der Westen hat elegantere Methoden. Er hat naturunabhängige Technik und einen sich selbst befruchtenden Mammonismus. Der gegenwärtige Feminismus merkt nicht mal, wo die wahre Schlacht geschlagen wird.

Das sinnenfreudige Frankreich nähert sich allmählich Saudi-Arabien mit einer allgegenwärtigen Sittenpolizei. Bei unseren Freunden ist Prostitution nicht verboten, nur die Anwendung derselben. In simpler Reaktionsbewegung wurde der Mann zum Bösewicht, die Frau von aller Schuld losgesprochen. Wird der Mann beim Freien erwischt, muss er in einen Gesinnungskurs, demnächst in ein Umerziehungslager.

Der Kapitalismus verliert seine Faszination, die entstehende Leere muss gefüllt werden. Was bietet sich an? Frühere Gewissheiten, auf die man sich zurückfallen lassen kann. Je mehr der Kapitalismus seine identitätsstiftende Wirkung verlieren wird, je mehr regrediert die Moderne in die Welt des Glaubens. Alternativen stehen keine zur Verfügung.

Die Welt hat den Rückwärtsgang eingelegt. Die Nachkriegsträume von einer demokratischen Völkergemeinschaft sind zerstoben. Überall nationale Abkapselungen mit beginnender Kriegsgefahr. Die Ökologie ist in der Versenkung verschwunden. Amerika hat keine Vision außer einer gottähnlichen Weltüberwachung. Die Linke steht kurz vor der Konversion ins katholische Lager. Nach dem Marx’schen Heilssurrogat will sie zum Original zurück. Auch sie ist reif zur Koalition mit der CDU.

Bald erleben wir die nationale Versöhnung aller verlorenen Söhne und Töchter unter den Bildern des deutschen und argentinischen Papstes. Und Oskar wird der Kanzler der Apokatastasis panton, der Wiederbringung aller. Am Ende finden wir uns wieder in völkischer Harmonie:

„Lafontaine kam dabei den ganzen Abend lang nicht aus dem Schwärmen heraus. „Dieser Papst ist eine Freude“, sagte er beseelt lächelnd. Und: „Er hat mich verblüfft, weil er die Nächstenliebe so klar definiert. Mit Nächstenliebe verträgt sich nämlich nicht, Leiharbeit zuzulassen.“ Die Thesen des Papstes unterstützt Lafontaine natürlich uneingeschränkt: „Wer heute nicht sieht, dass diese Wirtschaftsordnung tötet, der ist blind“, stellte er klar.“ (Alexander Jürgs in der WELT)    

Oskar ist erfreulich konkret. Welcher Mindestlohn ist Nächstenliebe? Darf der Staat drauflegen, damit das Maß an Liebe gerüttelt und geschüttelt voll ist?

Nun kommt die katholische Soziallehre mit Macht, Frau Käßmann und Herr Huber verschlafen den Zeitgeist und erwähnen nicht ihre evangelische Sozialethik. Husch husch. Was fehlt noch? Die neue Partei Schwarzer & Käßmann FdH, Feminismus für den Herrn. Sex ist wieder Sünde. Lust ist Energieverschleuderung und darf dem Arbeitsprozess nicht länger vorenthalten werden. Malocht und fresst Staub, aber mit Lust.

Seltsam nur, dass die Katholiken sich nicht einig sind, was katholische Soziallehre im Einzelnen bedeutet. Der Dritte Weg? So viele Dritte Wege sind schon über den Jordan gegangen. Oskar begnügt sich mit Kleinwieselwerk. Ein bisschen mehr Rente, minimale Hartz4-Erhöhungen: fertig ist das deutsche Liebesbollwerk.

Doch sein katholischer Bruder im Herrn, Notker Wolf, gelegentlich bei der INSM auf der Seite der Neoliberalen, gibt am Ende eine „erstaunliche, für eine Talkshow absolut unübliche, aber ehrliche Antwort: „Ich weiß darauf keine Lösung. Und das lässt mich nicht in Ruhe.“

Wenn Geistbegabte keine Lösung haben, liegt sie bereits vor: sie warten auf die neuesten Erkenntnisse des Papstes, der ihnen sagen wird, was sie denken sollen. (Franziskus soll sich inzwischen nicht mehr mit einem Zimmerchen begnügen, die ganze Etage des Gästehauses hat er für sich räumen lassen. Das Geheimnis des Glaubens ist Expansion im Namen der Liebe.)

Oskar hat mit Marx ohnehin nie was anfangen können, weswegen er sich seine junge Kollegin Sarah Wagenknecht angelacht hat. Sollten sie sich demnächst unter dem Segen des Kardinals Marx das Ja-Wort geben, ist die große Wiedervereinigung von West und Ost erreicht. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Und jeder geht zufrieden aus der Körsche (korrektes Ossideutsch für Kirche). Zwei links, zwei rechts, zwei fallen lassen.

Warum ist die Orgel zum Instrument Gottes geworden? Weil sie ein so ungeheures Register hat. Da kommt jeder auf seine Kosten. Da gibt’s nichts im Angebot, was es nicht gibt. Von grellen Drommeten über Posaunen von Jericho bis zur ätherischen Harfe: die Kirche hat alle Flötentöne drauf.

Aus einem widersprüchlichen System folgt Beliebiges. Beliebigkeit ist das Zeichen des Himmels. Nur Heiden haben es nötig, sich an Natur- und Denkgesetze zu halten. Gott spricht, Gott dementiert, der Name des Herrn sei gepriesen.

Jetzt seid endlich mal ernst auf den billigen Plätzen dahinten und beantwortet mir die Frage: Wie kann ein demokratischer Oskar die spirituelle Despotie eines einzigen Mannes über Milliarden von Menschen für richtig halten? Hier versinkt alles.

Wenn Glauben bedeutet, die Grundlagen der Demokratie zu leugnen, wenn man das Münster betritt, dann leben wir bereits in einem christlichen Ajatollastaat. Das ist der geheime Eiterherd der deutschen Demokratie. Unsere führenden Eliten haben hier keine bleibende Stadt, die Gottesstadt suchen sie noch immer. Es geht den Frommen gar nicht um Vereinbarkeit von Glaube und Volksherrschaft, sondern um Kostümierung ihrer anonymen Theokratie mit demokratischen Fetzen. Nicht anders als in Gottes eigenem Land.

Unsere Eliten nehmen Demokratie nicht ernst, für sie ist es ein amüsantes Kinderspiel. Wenn der Ernst der Geschichte kommt, ist Schluss mit heidnischem Karneval. In der Stunde der Not werden die Postdemokraten mit den Stiefeln aufs Pflaster donnern und erneut den Kairos ausrufen. Gott mit uns. Und wer nicht für uns ist, der ist wider uns. Hatten wir das nicht vor kurzem?

Oskar feiert seine Privatmesse im Öffentlich-Rechtlichen mit seligen Augen – und alle sind beglückt. In Ost und West, in Nord und Süd. In allen Parteien. Und die Vierte Gewalt bereitet schon das Te Deum vor für die Missa solemnis, in der sich Kirche & Staat endgültig vermählen werden.

Weg mit Europa, weg mit Willkommensschalmeien für Flüchtlinge, weg mit lächerlichen Friedensutopien. Was steht stattdessen an? Das Luther-Jahr.

Ein feste Burg ist Europa,

Ein gute Wehr und Waffen.

Der gottlose Feind,

mit Ernst er’s jetzt meint,

groß Macht und viel List,

sein grausam Rüstung ist,

auf Erd ist nichts seinsgleichen.

Und wenn die Welt voll Terroristen wär,

und wollten uns verschlingen,

so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen.

Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Karlchen Marx und Kardinal Marx – der sich nicht entblödet, sein Buch „Das Kapital“ zu nennen. Auf diesem Firlefanz-Niveau bewegt sich die deutsche Debatte. Die alte Strategie der Kirche: erst verdammen; wenn das nicht ausreicht, vereinnahmen.

Blätter wie die WELT kommen jetzt in die Bredouille. Einerseits waren sie immer Stiefelknechte des rechten Glaubens, andererseits Knechte des rechtgläubigen Kapitalismus. Jetzt japsen sie und wollen dem Argentinier aus den Pampas die soziale Marktwirtschaft erklären. Hat Franziskus noch nie vom Freiburger Ordoliberalismus gehört? Hat er nicht ein völlig falsches Bild vom menschenfreundlichen Kapitalismus, der die Gattung von der Armut erlöste? Mag er Fehler haben, der Welt hat er Wohlstand und Reichtum gebracht!

„Man stelle sich vor, dieser Papst hätte einmal die Antriebskraft des Kapitalismus gelobt, der eben doch die Menschen aus der Armut katapultiert, was die globale Entwicklung der letzten Jahre eindeutig beweist. Ein Lob der Marktwirtschaft aus seinem Munde, das hätte der Welt gutgetan.“ (Andrea Seibel in der WELT)

Just unter demselben Aspekt hat Marx die Entwicklungskraft der Bourgeoisie über den grünen Klee gelobt: “Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. […] In kaum 100 Jahren hat die bourgeoise Klassenherrschaft mehr Produktivkräfte freigesetzt als in der gesamten menschlichen Geschichte davor freigesetzt wurden.”

Unter arm versteht der christliche Westen das Leben anderer Kulturen, die im Einklang mit der Natur leben. Wenn die Primitiven der Welt keinen Kühlschrank und kein Auto haben, sind sie arm wie Kirchenmäuse. Man muss ihnen sagen, dass sie reich werden müssen, um mit westlichen Staaten gleichzuziehen, die sich anmaßen, die entwickelten Kulturländer zu sein. Im Gegensatz zu allen unterentwickelten Indianerstämmen am Amazonas und sonstigen geistlosen Naturgläubigen.

Wie das Christentum mit Gewalt und List der Welt den alleinseligmachenden Glauben brachte, so hat die Bourgeoisie die Welt zur Zivilisation hochgerissen. Man könnte auch sagen, zwangsbeglückt. Zwangsbeglückung ist Faschismus. Marx bewunderte die faschistische Zwangsbeglückung des Bürgertums, das der Welt sein Heil aufnötigte.

Der Kapitalismus hat der Welt vorgeschrieben, was reich und was arm sein soll. Die heidnische Welt hat kein Recht, auf ihrer natursymbiotischen „Armut“ zu beharren, wenn’s dem Westen nicht gefällt. Völker, ihr habt reich zu werden. Genau so, wie wir über Jahrhunderte reich geworden sind, indem wir uns mit Mühe und Arbeit aus den Fesseln der Natur befreiten. Marx, identisch mit jedem beliebigen Priester, versteht sich als wohlstandsbringender Zwangsmissionar.

Geschichte ist eine Expansionsgeschichte, in der der Mensch etwas aus sich zu machen hat. Er soll seine Fähigkeiten entwickeln und nicht verderben lassen. Die Fähigkeiten, durch Arbeit die Natur so zu verändern, dass der Mensch sich als ihr Herr und Meister deklarieren kann. Besitz ist nur durch Arbeit legitimiert. Erst menschliche Arbeit vergeistigt die Produkte der Natur.

Warum haben die Weißen den Indianern zu Recht den ganzen Kontinent entrissen und sie fast gänzlich ausgerottet? Weil die Ureinwohner des Kontinents nicht würdig waren. Sie hatten keine nennenswerte Zivilisation entwickelt, beschieden sich mit einem naturnahen Leben.

Die Natur hatten sie so gut wie nicht verändert. Den Pflug lehnten sie ab, weil sie den Bauch ihrer Mutter Natur nicht aufschlitzen wollten. Bei jedem Baum, den sie fällten, bei jedem Tier, das sie erlegten, entschuldigten sie sich. Nahmen sie den Tieren Nahrung aus deren Nestern und Höhlen, versuchten sie, für Ersatz zu sorgen.

Eindrucksvoller kann man nicht im Einklang mit der Natur leben. Waren sie arm? Sie verließen sich auf den Reichtum der Natur. Wenn die Hochkulturen sich längst das Grab geschaufelt haben, werden sie so lange weiterleben, wie es der Natur gefällt.

Diese Symbiose mit der Natur schmähen die Europäer als Leben in Armut. Warum die ökologische Frage abstirbt, hängt mit der Angst der Zivilisierten zusammen, auf ein primitives Lebensniveau zurückzufallen. Lieber in überflüssigem Tand untergehen, als in Einfachheit überleben. Man müsse sich, sagen unsere Luxusapologeten, Vorräte zulegen, malochen und schuften, um sich von der Natur unabhängig machen.

Natur muss in menschliche Kultur transformiert und hochgezüchtet werden. Bloße Natur ist roh und minderwertig. Rohstoffe müssen in Fabriken zu Plastik und Chips veredelt werden. Natur im Urzustand ist ein ungeschliffener, unscheinbarer Edelstein. Erst die Arbeit des Menschen macht ihn zum vergeistigten Juwel.

Geistlose Natur muss zerstört werden, sie hat kein Lebensrecht. Machet euch die Erde untertan, heißt, zieht sie auf eure geistige Höhe. Wie der Mann die minderbemittelte Frau auf sein Niveau ziehen soll, so der Mensch die Natur auf die Höhe des gottebenbildlichen Menschen.

Alle Verteidiger des Kapitalismus gehen vom Recht der westlichen Christenheit aus, die Völker der Welt mit Gewalt zu pädagogisieren. Sie wollen die Heiden davor schützen, sich an der Natur und ihrem Genie zu versündigen, wenn sie nichts aus sich machen. Mit Verhältnissen, wie sie sind, darf man sich nicht bescheiden.

Genügsame Christen sind Feinde Gottes, die seinen Befehl ignorieren, mit ihren Pfunden zu wuchern. Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden ist der Befehl, aus allem mehr und immer mehr zu machen. Wer sein geschenktes Pfund versenkt, um es unverändert zurückzugeben, ist des Todes würdig. (Das ist die Widerlegung der Merkel‘schen Sparpolitik. Mit Geld muss gewuchert werden, damit es Frucht bringen kann. Die schwäbische Hausfrau hat den Sinn des Wucherns noch nie verstanden.) Er hat den Willen seines Herrn ignoriert.

Nur, wer wachsen lässt und ständig expandiert, ist ein braver Knecht. Wer seinen Groschen in den Sparstrumpf steckt, anstatt ihn auf die Bank zu bringen, um Zins und Zinseszins zu gewinnen, der ist kein Liebling Gottes. Insofern sind Zocker und Spekulanten die Vorzeigeschüler des Himmels.

Hier liegt die Lizenz zur Gründung des unendlich wachsenden Kapitalismus. „Denn jedem, der hat, dem wird gegeben werden und er wird Überfluss haben. Dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen, was er hat. Und den unnützen Knecht stoßet hinaus in die Finsternis, die draussen ist. Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Matth. 25,14 ff)

Es versteht sich, dass deutsche Herz-Jesu-Marxisten diesen Text nie erwähnen. Er passt nicht in ihre Preisung der Armut. Doch Gott preist nicht die Armen, sondern die Armen im Geiste. Seine Kritik an den Reichen ist keine Kritik ihres Reichtums, sondern ihrer Werkgerechtigkeit, mit Zaster den Himmel zu gewinnen.

Kein Reicher kann als Maulheld seines Reichtums die Seligkeit gewinnen. Aber auch kein Armer mit eitler Armut. Nicht der gewinnt den Himmel, der sich auf seine eigenen Mittel verlässt, sondern der alles der Gnade des Herrn überlässt. Alles ist erlaubt und möglich – im Glauben. Alles ist verboten und vergeblich – im Nichtglauben. „Ich weiß, in Niedrigkeit zu leben, ich weiß auch Überfluss zu haben, in alles und jedes bin ich eingeweiht, sowohl satt zu sein, als zu hungern, sowohl Überfluss zu haben, als Mangel zu leiden. Alles vermag ich durch den, der mich stark macht.“

Kapitalismus ist Fleisch vom Fleische des Christentums. Wer kapitalistische Zwangsbeglückung überwinden will, muss den Geist des Christentums überwinden. Wenn der Papst sagt: Kapitalismus tötet, sagt er gleichzeitig: Christentum tötet. „Wer sein Leben liebt, verliert es, und wer sein Leben in der Natur hasst, wird es ins ewige Leben bewahren“. Hass auf die Natur tötet die Natur.

Die Bescheidenheitsgeste des Papstes ist Strategie. Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden.

Wer mit Armut selig werden will, muss sich von seinem Heiland sagen lassen, dass es Wichtigeres gibt als Arme karitativ zu versorgen: dem Herrn mit allem zu dienen – auch mit Reichtum und kostbarer Salbe: „Die Armen habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.“

Wem gehört die Welt? Gott, dem Schöpfer. Wer wird zu Miterben des göttlichen Eigentums? Seine Erwählten. Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Reich der Himmel; selig sind die Sanftmütigen – denn sie werden das Erdreich besitzen.

Wer Erde und Himmel besitzt, besitzt alles.