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Lesbarkeit

Hello, Freunde der Lesbarkeit,

„Wenn du mich anschaust
Dann weißt du, dass du nicht leicht durchschaubar bist

Ich weiß nicht, wer du bist.
Wie lange können wir noch so tun, als ob?

Wenn es nichts mehr gibt, über das wir sprechen können
Denn du weißt, die Flamme wird immer schwächer
Zwei Herzen, die noch verbrannt werden können,
Bleiben übrig. Und uns bleibt beiden davon nur Rauch.

Schwarzer Rauch
Uns bleibt beiden nur Rauch
Schwarzer Rauch“

Bevor Ann Sophie gesungen hatte, hatte Angela bereits verloren. Null Punkte für Germany im gruppendynamischen Sympathie-Wettbewerb der Völker, den man einst Politik nannte. Der Sängerin war nicht bewusst, dass sie ein Abschiedslied auf Frau Merkel sang. „Du weißt, dass du nicht leicht durchschaubar bist.“ Sie wusste nicht, dass ein mächtiger Mann der BRD die Kanzlerin fast mit den gleichen Worten beschrieben hatte:

„Ich respektiere sie, aber ich kann sie nicht richtig erkennen.“ (Gauck, zitiert bei Gertrud Höhler, Die Patin)

Wie kann man jemanden respektieren, den man nicht erkennen kann? Wenn sich

hinter der Unerkennbarkeit ein Ungeheuer versteckte? So regieren uns Stumme und Einäugige.

Merkels Unlesbarkeit und Undurchschaubarkeit tarnt sie mit dem Schein des Gegenteils. Ihre rhetorische Devise lautet: „Rede geheimnislos und ohne Leidenschaft, dann wird keiner deiner Sätze umgegraben.“ (Höhler)

Welch Zufall, dass Ann Sophies – auf Knopfdruck abrufbare – Gesangesleidenschaft ebenfalls geheimnislos wirkte. Wenn Maschinen Menschen werden, müssen Menschen maschinenförmig werden.

Höhlers, auf den ersten Blick intelligent wirkende, Kampfschrift gegen die Patin Merkel leidet am Grundmangel, dass sie nicht über die Deutschen schreibt. Demokratische Politik ist reziprok. Wenn eine Kanzlerin mit ihrem Volk zu verschmelzen scheint, müssen beide komplementär sein. Höhler scheint das Grundprinzip Demokratie noch nicht verstanden zu haben. Jedes Volk hat die Eliten, die es verdient. Schreib über Merkel und du beschreibst die Deutschen.

„Ich fürchte mich vor einem modernen Politikertyp, der völlig auf Inhalte verzichtet“, schreibt Gauck, der fromme Einäugige. Doch Merkel & Deutschland verzichten auf alles, nur nicht auf den Inhalt Wirtschaft. Wirtschaft ist zum Inhalt aller Inhalte geworden. Nachdem Religion Wirtschaft wurde, musste Wirtschaft zur Religion werden.

Es gibt auch verhängnisvolle Symbiosen. Deren gemeinsames Ziel ist nicht das Leben (Bios = das Leben). Biologen reden von Anti-biose, der Vergesellschaftung zum Tod. Wenn Merkel und die Deutschen eine antibiotische Vergesellschaftung eingegangen sind, verstehen sie nicht das Tun des Andern. Sie verstehen nicht, dass sie sich – unter dem Deckmantel der Verbundenheit – gegenseitig beschädigen und vernichten.

Aber sie handeln, als ob sie sich verstünden. „Wie lange können wir noch so tun, als ob?“ Pfarrerstochter Höhler, die der anderen Pfarrerstochter die Augen auskratzt, kann nicht wissen, dass das „Tun-als-Ob“ zum dogmatischen Kern des christlichen Glaubens gehört.

„Denn wiewohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knechte gemacht, auf daß ich ihrer viele gewinne. Den Juden bin ich geworden wie ein Jude, auf daß ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz stehen, als ob ich unter dem Gesetz stünde, auf daß ich die, so unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, als ob ich ohne Gesetz wäre (so ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz Christi), auf daß ich die, so ohne Gesetz sind, gewinne. Den Schwachen bin ich geworden wie ein Schwacher, auf daß ich die Schwachen gewinne. Allen bin ich alles geworden, auf daß ich allenthalben etliche selig mache. Solches aber tue ich um des Evangeliums willen, auf daß ich sein teilhaftig werde.“ (1.Kor. 9,19 ff)

Sich der Welt anpassen, um sie des eigenen Weges zum Heil zu führen, das ist die Erfindung der modernen PR-Künste. So tun, als ob man jemandem schmeichelt – um ihn um den Finger zu wickeln. Überlisten und überrunden durch den Schein der Unterordnung und Anpassung. „Wer unter euch der Erste sein will, der sei euer aller Knecht.“ Der Glaube soll die Welt besiegen, indem er tut, als ordne er sich allem unter.

Hegels Knecht war dem Herrn überlegen und würde ihn eines Tages von der Tenne fegen. Dem Hegel‘schen Knecht entschlüpfte Marxens Prolet, der sich erst erniedrigen lassen muss, bis er nichts mehr zu verlieren hat außer seinen Ketten. Dann wird er aufsteigen zum strahlenden Messias der desolaten Menschheitsverhältnisse.

Merkel handelt nur als ob. Als ob sie für richtig hielte, was sie tut. Davon kann keine Rede sein. Alles Irdische hält sie für grundverdorben – oder für erbsündig. Höhler spricht vom Werterelativismus der Kanzlerin. Das ist nicht mal die Hälfte der Wahrheit. Merkel ist christliche Absolutistin – alles Weltliche aber hält sie für relativ wertlos oder für absolut unrettbar. Man wirft Merkel vor, ohne Prinzipien zu sein. Ein Verblendungssatz christogener Schreiber, die nicht wissen, dass sie selbst christlich fühlen und denken. Nur wer absolut ist im Glauben, der kann die Welt relativieren.

Kein Alien könnte es verstehen. Da gibt’s eine dominante Religion, die stolz ist auf ihre Werte. Aber mit der Welt haben diese Werte offenbar nichts zu tun. Wohl haben sie mit der Welt zu tun, sofern sie gut, kostbar und dax-fähig ist. Alles Schlechte und Perverse aber entstammt dem Pool des satanischen Reichs dieser Welt. Die ungläubige Welt ist für das Böse zuständig, die gläubige für die Glanzleistungen einer Mutter Theresa.

Ihre politische Mutter Merkel haben die deutschen Untertanen durch konstant hohe Umfragewerte bereits in ihrer Regierungszeit selig gesprochen. Zwischen der katholischen Mutter und der protestantischen gibt es verblüffende Ähnlichkeiten. Beide ziehen jungfräulich durchs Leben. Oh doch, Angela ist eine protestantische Jungfrau, der Brunhilde ähnlich, die sich von keinem Mann aufs Kreuz legen ließ. (Siegfried musste zaubern und tricksen, um die eiserne Lady mannbar zu machen.) Merkel lässt sich von keinem Mann „erkennen“. Das bisschen Körperlichkeit im Sauer‘schen Ehebett betrifft nicht die spirituelle Unberührbarkeit der Jungfrau von Orleans-Templin.

Heilige zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Berührungsängste mit dem irdischen Bodensatz haben dürfen. In jedem Pfuhl, in jedem Sündenmorast müssen sie suhlen können – ohne sich im Geringsten zu beflecken. Den Reinen ist alles rein. Selbst wenn sie mitten in der Kloake hantieren.

Von der heranwachsenden Angela wird berichtet, dass sie überall mitmachte – ohne mitzumachen. Sie beobachtete und blieb stumm. Das ist die Merkel‘sche Variante des Als-Ob. Heute lässt sie andere beobachten – und bleibt noch immer stumm.

Keiner Drecksarbeit geht sie aus dem Weg, denn sie weiß mit Paulus: „Ich weiß, dass nichts an und für sich unrein ist, sondern nur für den, der meint, es sei etwas unrein, für den ist es unrein.“ Was Angela mit gläubigem Herzen verrichtet, das muss rein sein. Ihr Herzchen wird durch tägliches Beten und Flehen grundgereinigt.

Fromme können à la longue nicht schuldig werden, ihre Schuld wird ihnen regelmäßig vergeben. Und vergib ihnen ihre Schuld: dann können sie über ihre historische Schuld pathetisch drüberweg schwadronieren. Nur Gottlose sind unrettbare Schuldner. Geschieht ihnen Recht, warum beugen sie nicht die Knie an der richtigen Stelle?

Ann Sophie weiß es nicht. Doch sie erahnt bereits das böse Ende der Antibiose zwischen Merkel und den Deutschen. „Uns beiden bleibt nur schwarzer Rauch.“ Das ist die Kunst der Poesie, Dinge auszusprechen, die sie selbst nicht versteht.

Merkel verrichtet nur die Drecksarbeit, die Gott ihr vor die Füße geworfen hat. Retten lässt sich ohnehin nichts mehr. Der Karren ist verfahren. Nur noch glimpflich über die Runden kommen, bis das apokalyptische Glöckchen schrillt. Dann vor den höchsten Richter treten und sagen: „Ich bin eine unnütze Magd, hab nur getan, was ich zu tun schuldig war.“ Dann wird der gnädige Vater zu ihr sagen: Wohl getan, meine Tochter, setz dich zu meiner Rechten – zu richten all deine Feinde auf Erden, die dich verhöhnt und gelästert haben um meinetwillen.

Höhler wirft der Merkel einen außerordentlichen Machtsinn vor. Unsinn. Niemand aus der Horde der larviert pessimistischen Westeliten wollte den Karren aus dem Dreck ziehen. Scharenweise flohen sie in die Wirtschaft, als die Magd Gottes erschien, um dem Bösen zu wehren, solange der Herr es befiehlt. Die Deutschen sind froh, dass es jemanden gibt, der noch kurz vor dem kollektiven Suizid tut, als ob alles normal wäre. In dieser Disziplin ist Angela unschlagbar.

Als sie den Vatermord beging und Kohl beerbte, glaubte sie tatsächlich, an die Macht gekommen zu sein. Heute weiß sie, dass Macht im Dienste ihres Herrn vor allem eine Last ist. Ach, wenn die Öffentlichkeit nur wüsste, wie sehr sie des Nachts vor Gott hadert und fleht: Ach Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Doch tapfer, wie sie ist, wird sie das Schifflein durch die verseuchten und verschmutzten Fluten steuern, solange es der Himmel will.

Es war nicht ihr erster Vatermord. Angela, man sieht es ihr nur selten an, ist eine geübte Vatermörderin. Schon den roten Kasner – ihren leiblichen Vater, der Christentum wie Sozialismus las – hatte sie kalt abserviert, als sie sich aus einer antikapitalistischen Sozialistin in eine der härtesten Neoliberalen Europas verwandelte. (Cameron ausgeschlossen, doch der will jetzt gehen.)

Seitdem die Gehorsame ihre Väter beseitigt hat, kennt sie keine Probleme mehr mit windigen Machokarrieristen aus dem Westen, die sie im Dutzend auf einen Streich erledigt. Kein einziger aus der anfänglichen Männerriege, die dem Pfälzer nachfolgen wollte, der noch in Berlin, um Berlin und um Berlin herum zu sehen wäre.

Mater dentata watet in Männerblut. Wen sie anfängt, wie ein Honigkuchenpferd zu begrinsen, der ist bereits verloren. Darunter all jene Deutschen, die es fertig bringen, zu ihren „Bürgerdialogen“ zu wallfahren, um persönliche Wünsche zu äußern. Man könnte von unwürdiger persönlicher Bettelei sprechen. Wie Wallfahrer hinterlegen sie in der Grotte der Madonna persönliche Memo-Kärtchen. Das Kurzzeitgedächtnis des Heiligen Geistes ist auch nicht mehr, was es früher war.

Artig bedankt sich Merkel für die vielen Vorschläge – endlich hat sie das wahre Leben gesehen, sonst muss sie immer im falschen herumirren – um das Fazit zu ziehen: „Damit Deutschland bleiben kann, wie es ist.“ Das sind die besten Verbesserungsvorschläge, die alles lassen, wie es ist.

Doch die ehrlosen Deutschen sind selber schuld. Zum Reinlegen bedarf es immer zweier Parteien: eine, die reinlegt und eine, die sich reinlegen lässt. Die Deutschen ahnen längst, dass sie reingelegt werden, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruht. Solange sie die Eliten nicht zum Teufel jagen, wähnen die sich im Recht.

Da es keine Männer mehr gibt, die das Konkursunternehmen final abwickeln wollen, ist die massa perditionis – die Mehrheit der Verdammten – dem Schicksal dankbar, dass wenigstens Muttern durchhält. Wenn einem so viel Gutes widerfährt, ist das schon ein bisschen Betrügen wert.

Man könnte sogar behaupten, Merkel sei das Opfer der kaputten westdeutschen Gesellschaft geworden. Sie glaubt, zu schieben und wird geschoben. Im Gegensatz zu Großschwätzern wie Obama – der noch immer die Stadt Gottes am Ende des Tunnels sieht, obgleich er alle Tunnel zugebaut hat – ist die Magd Gottes ehrlich geblieben. Sie verspricht nichts. Außer, dass sie ständig beteuert: keine besonderen Vorkommnisse.

Das allerdings ist auch ein Versprechen, das die Deutschen als täglichen Beruhigungstrunk benötigen. Der Psychoanalytiker H. J. Maaz behauptet, Merkel sei eine Mutter, die sich weigere, eine Mutter zu sein. Doch genau das ist die Definition einer harten deutschen Mutter.

Sollte Merkel eines Tages nicht mehr wollen und den Deutschen den Bettel vor die Füße werfen, gehen hierzulande die Lichter aus. Die oberen Etagen hat sie zur tabula rasa gemacht. In keiner Partei gäbe es jemanden, der sich anböte, Mutters Nachfolger zu werden. Alle wollen nur mit ihr, niemand ohne sie das Ruder übernehmen. Der versteckte Ingrimm der diskriminierten Ossis – die all ihre Honeckers auf einen Schlag verloren – will den Wessis beweisen, dass sie als Weltkapitalisten keinen Deut besser sind als die abgehalfterten Sozialisten.

Ann Sophie hat alles vorausgesehen:

„Du weißt, wir betrügen uns nur selbst, wenn wir so weitermachen
Denn wir kämpfen für etwas, das wir nicht wollen.

Ich weiß, wir beiden haben nicht den Mut es zu sagen.“

Für diesen selbstkritischen Song hätte die Dame mit der gellenden Stimme den ersten Preis verdient. Mindestens. Man vergleiche den deutschen Beitrag mit der hohlen Optimismusformel des siegreichen Schweden (hier erkennt man die Berechtigung der Schopenhauer’schen Schelte des „ruchlosen Optimismus“):

„Wir sind alle Helden, egal, wen wir lieben, mit wem wir zusammen sind, wer wir sind.“

Wer einen solchen Satz in der jetzigen weltpolitischen Lage äußern kann, ohne schamrot zu werden, der hat wahrlich einen Hauptpreis verdient. Die arme Ann Sophie hat den Völkern einen merkel- und deutschenkritischen Song angeboten, doch die Völker haben es ihr nicht gedankt.

Natürlich war es eine subkutan-politische Wertung, alle Gesänge und Auftritte ähnelten ja einander wie ein Ei dem andern. Die ESC-Kenner hatten nichts zu melden außer: das war doch ein flotter Song, flott gesungen, flott dargeboten.

Erkenntnisloser geht es nicht mehr. Texte spielten überhaupt keine Rolle. Der romantische Putsch der Deutschen gegen den Buchstaben weitet sich aus zum Genocid an allen Texten. Sinn der Texte? Da lachen alle Hühner. Dann wundern sich die medialen Sinn- und Buchstabenkiller, dass die Menschen sich ohne klare Rede weder verstehen noch sich verständigen können.

Geringste Differenzen der Lichtchoreografien und Kameraeinstellungen müssen zur Beurteilung herhalten. Dies alles in der Nachfolge christlicher Lichtmetaphorik: „Und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht vom Himmel her und er stürzte zu Boden.“ Heute muss man vom Hocker fallen, wenn die Lichtkaskaden nicht von rechts, sondern von links kommen.

Die Gesänge selbst: ein uniformes Rufen und Gellen in höchsten Tönen um Anerkennung und Geliebtwerden. Gepaart mit uniformen Selbstanpreisungen der ordinärsten Postpubertät. Die Kunst in der individualisiertesten Epoche aller Zeiten ist ein kaum erträglicher Unisono-Einheitsbrei.

Und doch, welch ein Hunger nach Akzeptanz. Man stelle sich vor, der Contest wäre ein unreglementiertes Treffen der Weltjugend, die ihre Sehnsucht nach Frieden in allen Darstellungsformen hätte präsentieren dürfen. Auch hier verarschen die mächtigen Alten die Jugendlichen um die Möglichkeit, sich für den Planeten verantwortlich zu zeigen und sich gemeinsam an die Rettung der Erde zu begeben.

Dank der neuen ökonomischen Großmachtpolitik Merkels, die von den Deutschen immer mehr abgesegnet wird, erlebte Deutschland im Sängerwettstreit ein Debakel. Es wird keine Satire sein, wenn Matthias Matussek, Papist mit feuriger Engelszunge, durch die Blamage Deutschland das Ende der EU realisiert sieht. Kein einziger Freund unter allen Nachbarn. Griechenland müsste endlich aus dem EURO gejagt werden. Nicht mit einem Punkt bedankten sie sich bei uns für unsere nimmermüde Geduld, sie zu rösten und zu degradieren.

„Hat sich einer von diesen angeblichen europäischen Friedensfreunden mal gefragt, wie wir uns fühlen? Wie das bei uns ankommt? Wie das ist, wenn man keinen einzigen Punkt kriegt? Ich glaube, an diesem Abend ist die Idee Europa ein für alle mal zu Grabe getragen worden. Da schuften wir uns ab und geben unsere D-Mark her für den Euro und pauken die südlichen Nachbarn raus – und was ist der Dank?“ (Matthias Matussek in WELT.de)

Und doch und doch: ein Sängerwettbewerb ist eine wunderbare Idee. Man dürfte sie nur keinen hirnfreien Show-Illusionisten überlassen. Solange die Völker miteinander – na, sagen wir hintereinander – singen, solange machen sie keinen Krieg. Brandgefährlich wäre es, wenn die Sendung aus Quotengründen ersatzlos gestrichen würde.

Das feuilletonistische Pendant zum Sängerwettstreit ist ein Assheuer-Halleluja in der ZEIT auf den Heiligen Geist, welcher als Brückenbauer zwischen den Menschen gerühmt wird, doch im selben Moment die Menschheit in Gläubige und Ungläubige aufspaltet.

Thomas Assheuer gehört zu den deutschen Allmachts-Deutern, die zum Buchstaben der heiligen Schrift sagen: was du zu bedeuten hast, bestimme noch immer ich. Der romantische Hass der Deutschen gegen den eindeutigen Sinn der Buchstaben – A ist A und nicht B – ist ins Grenzenlose ausgeufert. Gottähnliche Hermeneutiker bestimmen, was in der Bibel steht, gottähnliche Regisseure bestimmen, was in Tragödien und Komödien steht, gottähnliche amerikanische Juristen bestimmen freihändig und willkürlich, was in ihren Gesetzen steht.

Zuerst das Einigende und Verbindende des Heiligen Geistes: „Gleichwohl verbürgt der egalitäre „Heilige Geist“ die Einheit ihrer Unterschiede; er verbürgt das Gemeinsame jenseits brutaler Trennungen, jenseits von Herkunft und Religion. Pfingsten ist Differenz ohne Feindschaft und ohne Gewalt.“

Dann der Schlag ins Gesicht aller, die es wagen, dem Heiligen Geist zu widerstehen: „Und doch schildert die Bibel ein Transzendenz-Ereignis, das dem nicht religiösen Bewusstsein aus verständlichen Gründen verschlossen bleiben muss. Die revolutionäre Rede vom „Heiligen Geist“ gehört in das Reich der Religion; im Leben der liberalen Gesellschaft gibt es keine Transzendenz von außen.“

Dazwischen eine kleine, verflixt giftige Verfälschung der griechischen Welt in ein menschenfeindliches Schlachtfeld: „Gibt es einen friedfertigeren Einspruch gegen die blutige Welt Homers als diese biblische Erzählung? Gibt es eine sanftmütigere Kritik an der antiken Feier von Gewalt und Rache, von Opfer und Selbstopfer?“

Dass Friedensutopien und Menschenrechte aus der griechischen Philosophie stammen, scheint Herrn Assheuer unbekannt. Von historischen Fundamentallügen ernährt sich der christliche Glaube, dessen ewige Rach- und Höllenphantasien nicht mehr zu übertreffen sind.

Warum sprach Jesus in Gleichnissen? „Euch ist es gegeben, die Geheimnisse Gottes zu erkennen, den übrigen aber in Gleichnissen, damit sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht verstehen.“ Wen erleuchtete das Wehen des Geistes? Nur Gläubige und Prädestinierte. Wahrhaftig, ein leuchtendes Beispiel für „Sprachphilosophen“:

„Noch heute lässt die Pfingsterzählung das Herz eines jeden Sprachphilosophen höherschlagen. Ist es nicht wunderbar, dass schon vor zweitausend Jahren das rein Symbolische – die menschliche Sprache – über die unerbittliche Faktizität gesellschaftlicher Macht den Sieg davontrug? Gibt die Bibel nicht dem Philosophen Walter Benjamin recht, der sagt, die Sprache sei die eigentliche Sphäre der Gewaltlosigkeit?“

Und das bei einem Ereignis, das mit göttlicher Selektion die einen rettet und die anderen für immer verdammt. Indeed, ein wahrhaftes Wunder an Gewaltlosigkeit. Vorsicht vor gottähnlichen Hermeneutikern, die aus Steinen Wasser, aus himmlischer Gewalt Frieden und aus jedem Text ein Wunschkonzert schlagen.

Exakt dies war das Programm des Romantisierens bei Novalis: „Romantisieren heißt: dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten geben.“

Sprache soll zu einem Offenbarungsinstrument, der Buchstabe zu einer unbegrenzten Projektionsfläche, der Text zu einer magischen Wünschelrute werden, die die Menschheit in Erleuchtete und Verdammte trennt. Assheuer sprach: es werde Heiliger Geist – und also ward Heiliger Geist.

Der Glaube war den Romantikern kein Glauben an einen objektiven Gott. Gott wurde durch den Akt subjektiven Glaubens erst erschaffen. Der Gläubige erschafft Gott aus Nichts, denn er ist selbst Gott. „Alle Überzeugung beruht auf Wunderwahrheit, alle Erfahrung ist Magie und nur magisch erklärbar.“

Assheuer ist ein Magier der Heiligen Schrift, die ZEIT eine Postille der Wunder-Wahrheit. Noch immer sind die Deutschen fanatische Romantiker. Sie hassen die Eindeutigkeit der vernünftigen Rede und verfälschen den Sinn des schlichten Buchstabens ins Unbegrenzte.

Wo endete die Romantik? In der Begeisterung für den Tod. „Das Leben ist eine Krankheit des Geistes, das Sterben ein echt philosophischer Akt.“

Wenn die Deutschen für sich und andere erkennbar sein wollen, müssen sie lesbar und durchschaubar werden. Lesbar werden sie nur, wenn sie von der grenzenlosen Verfälschung des Buchstabens Abschied nehmen.