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Leibowitz

Hello, Freunde des Jeshajahu Leibowitz,

des 1994 verstorbenen israelischen Naturwissenschaftlers und Religionsphilosophen, der einer der schärfsten Kritiker seines jungen Landes war und den Begriff „Judennazis“ geprägt hatte. Nach seinem Tode nannte ihn Präsident Ezer Weizman „eine der größten Gestalten im Leben des jüdischen Volkes und des Staates Israel in den letzten Generationen“.

Aus dem Blickwinkel des Simon-Wiesenthal-Zentrums müsste er einer der schlimmsten jüdischen Antisemiten aller Zeiten sein.

Max Blumenthal, Sohn eines früheren jüdischen Clinton-Beraters, hatte – aus Zorn über Gregor Gysis Vorwurf, ein Antisemit zu sein – den Fraktionschef der Linken auf dem Weg zur Toilette „bedrängt“. Ein Video mit dem „Bedrängungsakt“ landete im Internet. Zwei weibliche Abgeordnete der Linken, die Blumenthal und seinen Kollegen David Sheen zu einem Vortrag geladen hatten, haben sich inzwischen bei Gysi entschuldigt. Um einen Saal im Bundestag zu ergattern, hatten sie ihrem Frontmann Lügen aufgetischt. Mit Hinweis auf die Entschuldigung hat Sahra Wagenknecht die Affäre mittlerweilen für beendet erklärt.

Die TAZ hat Blumenthal nach seinen Gründen für die „Klo-Affäre“ befragt. Blumenthal:

„Ich wundere mich nur, dass kaum ein Journalist meine Seite der Geschichte hören wollte. Ich habe sogar bei der Bild-Zeitung angerufen, aber der zuständige Redakteur hat es abgelehnt, mit mir zu sprechen. Wie soll man reagieren, wenn

einem Antisemitismus vorgeworfen wird? Ich bin empört. Das erinnert mich an die McCarthy-Ära. Da hieß es auch: Du bist Kommunist. Eine Verteidigung wollte man gar nicht hören, das Urteil stand schon vorher fest.“ (TAZ-Interview mit Max Blumenthal)

TAZ: Gysi behaupte, nie den Vorwurf ausgesprochen zu haben.

Blumenthal: „Gysi hat sich den Vorwurf aber zu eigen gemacht und mit dafür gesorgt, dass wir in Berlin nicht auftreten konnten. Das Simon Wiesenthal Center wird von niemandem in den USA ernst genommen, außer am äußerst rechten Rand der Gesellschaft. … Ich habe in meinem Buch jemanden zitiert, der das Wort „Judeo-Nazis“ benutzt hat – den orthodoxen Philosophen Jeschajahu Leibowitz, einen der berühmtesten Israelis, die je gelebt haben, der zu seinen Lebzeiten in Israel eine ganze Generation von Wehrdienstverweigerern inspiriert hat. … Juden sind normale Leute. Sie können auch rassistisch und rechtsextrem sein. Das ist die Realität. Dieses Land und sein Umgang mit seiner Geschichte aber kommen mir bizarr vor. Ich habe noch nirgendwo ein intellektuell so rückständiges Umfeld erlebt wie hier.“

Nicht jeder, der Antisemitisches sagt, ist automatisch ein Antisemit. Nicht jeder, der nichts Antisemitisches sagt, ist per se keiner. Der Antisemitismus in Deutschland hat es verstanden, sich als sein Gegenteil zu präsentieren. Der Philosemitismus der BILD ist die getarnte Form des puren Gegenteils. Die Gleichgültigkeit gegen die existentiellen und politischen Probleme des jungen Zionistenstaates können von niemandem übertroffen werden.

Dem Axel-Springer-Verlag ist das Schicksal des heiligen Landes Jacke wie Hose. Je mehr das Land im Morast der eigenen Widersprüche versinkt, umso weniger sind Springers Erben bereit, diese Hilferufe wahrzunehmen und den angeblichen Freunden den Liebesdienst einer kritischen Diagnose zu erweisen.

Israelis sind keine Nazis. Wer aber aus Wut und Verzweiflung zu solchen Begriffen greift, könnte ein Leidender an seiner Nation sein, der in schrillen Tönen provozieren muss, um sich Gehör zu verschaffen.

Die Bewertung eines Menschen als Antisemiten erfolgt zurzeit nach der Pawlow‘schen Methode. Dem festgesetzten Reiz folgt der berechenbare Reflex. Nach dem Glockenton fließt der Speichel der Unbeirrbaren. Die Auslösesignale sind nicht das Werk einer Wissenschaft, die sich nach vielem Mühen und Streiten geeinigt hat, sondern papistischen Bullen vergleichbar, die kraft höherer Schlüsselgewalt das Anathema sprechen. Wer die Tabuformeln nicht kennt und die autoritär erlassenen roten Linien überschreitet, der sei verflucht.

Auch der in Deutschland beliebte israelische Schriftsteller Amos Oz habe schon die Formel von den Judaeo-Nazis verwendet, so Blumenthal in einem anderen Interview. Doch was Zeus gebühre, gebühre noch lange nicht dem Ochsen.

Die Attacken wegen angeblichem Antisemitismus sind in sich verwirrend, widersprüchlich, und scheinen von Launen und politischen Stimmungen abhängig zu sein. Unberechenbares Konditionieren, das weiß man aus der Verhaltenspsychologie, ist die wirksamste Methode der Abschreckung und Einschüchterung. Was man berechnen und voraussehen kann, lässt sich auf listigen Umwegen und mit nicht normierten Ersatzbegriffen umgehen. Wenn das Damoklesschwert jederzeit, in göttlicher Willkür und ohne Vorwarnung hernieder prasseln kann, zieht jeder in prophylaktischer Schockstarre das Genick ein. Lieber nichts sagen als aus Versehen das Falsche.

Das Gelände ist sorgsam und unkalkulierbar vermint. Die Rache der jüdischen Antisemitismus-Wächter ist nachzuvollziehen. Verglichen mit der schrecklichen Furcht und Not, die sie und ihre Lieben in der Shoa erleiden mussten, ist die Nachkriegsbredouille der Deutschen ein Nichts.

Man muss kein Mitleid mit den Deutschen haben. Das Klima der unabwägbaren Gnade und jähen Ungnade haben sie sich redlich verdient. Wenn da nicht die Kleinigkeit wäre, dass die Atmosphäre des heuchelnden Duckens, Wegsehens und Ignorierens die Beziehungen zu Israel flächendeckend vergiftet und die Beziehungen zu den Palästinensern zur inhumanen Farce gemacht hätte.

Israel schadet sich selbst, wenn es in seinem voraussehbaren heiligmäßigen Koller jede Kritik an seiner schrecklichen Besatzungspolitik als Antisemitismus verdammt. Wer Netanjahus und Liebermans – in Deutschland: des Zentralrats – Meinung nicht teilt, der sei verflucht.

Kritik ist für ultrareligiöse Juden – dazu gehört schon längst ein Großteil der israelischen Eliten – eine indirekte Selbst-Entlarvung und bedeutet: Israel, ich bin dein Feind. Wer sich duckt und sein Denken in Jerusalem abgibt – wie die ganze deutsche Regierung und vor allem BILD –, sagt: Israel, betrachte mich als deinen Freund.

Das sind die Wirkungen einer intoleranten dualistischen Religion, die nicht nur im Alten Testament, sondern auch im „ethisch höher stehenden“ Neuen Testament zu finden ist: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. So aber, weil du lau bist und weder warm noch kalt, will ich dich aus meinem Munde speien.“ Schwarz oder Weiß, dazwischen gibt es nichts.

(Interessant, dass im deutschen Feuilleton der graue Bereich als unfehlbare terra sacra gepriesen wird – als unbewusstes Aufbegehren gegen jene Religion, die das Fundament des Abendlands sein soll, von der man sich aber auf keinen Fall trennen will. Diese Reaktionsbildung des christlichen Es, das nicht zum religionskritischen Ich werden darf, wird nun seinerseits als schwarz-weiße Heiligsprechungs- oder Verdammungsmethode benutzt. Wer eine klare Meinung äußert, die mit der der medialen Scharfrichter nicht übereinstimmt, der sei verflucht.

Warum können die Deutschen nicht streiten? Weil sie ihre gegen Null gehende Kommunikationsenergie im schwarz-weißen Verfluchen und Anbeten verschleudern müssen.)

Zu Recht empfindet der israelkritische Jude Blumenthal die deutsche Atmosphäre als schwer erträglich. Hier kann ad libitum verflucht, zum Antisemiten gestempelt oder unberechtigt frei gesprochen werden, dass Gott erbarm. Die Deutschen haben aus dem Holocaust vor allem eins gelernt: hab keine Meinung über Israel, als ehemalige Täternation hast du kein Recht dazu.

Aus einem Extrem fallen sie ins andere: dieses Volk der geographischen Mitte ohne jegliches Maß und ohne moralische Mitte. Im Dritten Reich verurteilten sie alle Juden zum Tode, heute verklären sie alle zu fehlerfreien engelgleichen Wesen. Alles oder Nichts, Entweder-Oder. Was nicht schwarz oder weiß ist – das will nicht in ihren Dichter- und Denker-Quadratschädel – ist noch lange nicht grau, sondern differenziert, reziprok-verstehend, allen Beteiligten in ihrem Beziehungsgeflecht gerecht werden wollend.

Ich kann mich nicht verstehen, wenn ich meinen Nachbarn nicht verstehe. Zoon politicon heißt auf Deutsch: wer das soziale Netz nicht versteht, in dem das Individuum lebt, wird es nicht verstehen.

Der politisch denkende Psychoanalytiker Klaus Horn bewertete alle, die nur eine Privatsprache sprachen, als Neurotiker und Psychotiker.

Die Griechen nannten die außerhalb der Polis Stehenden – Idioten. Ein Idiot, wer einen einzigen Menschen erkennen will, ohne die Gesellschaft zu erkennen.

Tat tvam asi – Du bist Ich, so redet jeder verständige Mensch zu seinem Mitmenschen. Das gilt in verstärktem Maß für Täter-Opfer-Beziehungen. Kein Zufall, dass Viktimologie – so heißt die entsprechende Wissenschaft – in Deutschland nicht die geringste akademische Chance hatte. Dabei hatte schon Freud von der Überidentität des Opfers mit dem Täter gesprochen. Das Verbot des Vergleichens hat die Analyse solcher Beziehungsgeflechte verhindert.

Vergleichen wurde mit Gleichsetzen verwechselt, alle Beteiligten wollten unvergleichliche Individuen sein. Individuum est ineffabile, der Einzelne ist unvergleichlich. Heißt das, Menschen hätten nichts Gemeinsames?

Der politische Liberalismus versteht sich als Lehre vom unvergleichlichen Konsumenten und egozentrischen Profitjäger. Seltsamerweise wurde der Neoliberalismus zum Schleifstein aller uniformen Schnäppchen- und Erfolgsjäger, jeder in einheitlichen blauen Nietenhosen und jeder kurz vor dem generellen Burnout.

In der Individualisierung der Moderne erkennen wir ebenfalls ein unbewusstes Auflehnen gegen die theologische Lehre der generellen Sündhaftigkeit aller Menschen. Vor Gott sind alle Menschen gleich? Vor Gott sind alle Menschen gleiche Sünder! Erst durch Besonderung und Berufung zum Gläubigen kann der Einzelne seine verlorene Ur-Individualität zurückgewinnen.

Sündig sein heißt uniformes Wesen einer einheitlichen Gattung zu sein. Dieser entwürdigenden Sünden-Uniformierung wollten emanzipierte Menschen der Moderne entgehen und erfanden die Unvergleichlichkeit jedes Menschen.

Zwar hatten schon die Griechen die Lehre von der undefinierbaren Einzelheit der Menschen gelehrt. In der aufkommenden Gleichheits- und Menschenrechtsbewegung aber bedeutete das nicht, dass der Mensch kein soziales Wesen sei: jeder Mensch war dem andern durch Vernunft ähnlich und verwandt.

Die Bewegung der maßlosen Individualisierung fand ihren Platz im englisch-kapitalistischen Liberalismus und – in der deutschen Romantik. Im Kapitalismus gibt es – nach der eisernen Lady – keine Gesellschaft. Jeder ist sich selbst der Nächste und der Unvergleichliche. Die Geldgesellschaft ist nur die Rennbahn für die Unvergleichlichen, die beweisen müssen, welches Treppchen sie durch individuelles Eilen und Raffen besteigen dürfen.

Was im englischen Liberalismus in ökonomischer Quantität gemessen wird, wird in der Romantik in emotionaler und philosophischer Einmaligkeit gemessen. Nein, eben nicht gemessen. Messen setzt schon einen gemeinsamen Maßstab voraus. Das seit Galileo Galilei zum Dogma gewordene Messen und Gemessenwerden sollte im Bereich des Menschlichen verhindert werden.

Nicht unterschiedlich-messbare Quantitäten, sondern nicht messbare Qualitäten zeichnen den Menschen aus. Das war die Botschaft der Romantiker, die den theologischen Status der sündenfreien Unvergleichlichkeit jedem Menschen zubilligten. Alle Menschen waren dadurch gleich, dass sie – unvergleichlich waren. Das ist die Paradoxie der übertriebenen Einmaligkeit. In den Formulierungen des romantischen Theologen Schleiermacher:

„Lange genügte es mir, die Vernunft gefunden zu haben; die eine gleiche Menschheit betete ich als das Höchste an und warf mich nieder vor der abstrakten Pflicht; lange glaubte ich, es gebe nur ein Rechtes für jeden Fall, es müsse das Handeln in allen dasselbe sein. Aber anders jetzt. Mir ist klar geworden, dass jeder Mensch auf eigene Art die Menschheit darstellen soll, in einer eigenen Mischung ihrer Elemente, damit auf jede Weise sie sich offenbare. Mit anderen Worten: wie die Menschheit in den Individuen tausend verschiedene Formen gewonnen hat, so ist auch das Gesetz der Menschheit, die Pflicht, eine nach den Eigentümlichkeiten verschiedene; aus eigentümlichen Wollen, aus den Äußerungen eigentümlicher Freiheit setzt sich das Reich des Guten zusammen.“

Wie immer in der europäischen Geistesgeschichte wird das Gesetz Gottes mit dem Gesetz der Vernunft verwechselt. Die unbewusste Auflehnung gegen das alle unterdrückende Gottesgesetz wird umgelenkt in die Auflehnung gegen das Gesetz der Vernunft, die alle Menschen zu gleichwertigen und selbstbewussten Schwestern und Brüdern macht. Das Gesetz der Vernunft wird vom Tisch gewischt. Jeder Einzelne hat das Recht, kraft seiner Unvergleichlichkeit sich über das demokratische Gesetz der Gleichen und Freien hinwegzusetzen.

Das Ergebnis der Revolte gegen gleiche Gesetze ist kapitalistischer Egozentrismus, in dem jedes Ego unvergleichlich ist – und das deutsch-romantische Sonderwegbewusstsein, das sich von den „gleichmacherischen“ demokratischen Gesetzen des Westens absetzt. Deutschland wollte nicht das verwechselbare Exemplar einer Gattung sein. Die Deutschen wollten das unvergleichliche messianische Volk sein, das allen uniformen Völkern der Welt die Gesetze des Seins diktieren darf.

Seit der Romantik schert Deutschland aus dem gleichmachenden Bund der westlichen Demokratien aus und bildet sich ein, jenseits von Gut und Böse das Volk einer antinomischen Gesetzlosigkeit sein zu dürfen. Übermenschen sind durch allgemeine Kategorien nicht zu erfassen. Das unvergleichliche Individuum ist nicht durch Vergleich zu verstehen, sondern durch begriffslose, intuitive Empathie.

Wie bei allen maßlosen Übertreibungen konnte die Paradoxie nicht ausbleiben: das Volk der unvergleichlichen Individuen wurde zum Volk der völkischen Uniformiertheit. Nicht anders, als die überzüchtete Einmaligkeit des kapitalistischen Liberalismus zur homogenen Masse der Raffer und Aufsteiger.

Das Urproblem des jüdischen Volkes ist die Besonderung, die Einmaligkeit, die Erwähltheit vor allen Völkern. Im Vergleich mit allen Heiden sind die Kinder Israels unvergleichlich. Die Besonderung ist ein theologisches, kein politisches Prinzip, schon gar kein demokratisches.

Ein ultrareligiöser Jude lehnt alle Vergleiche mit heidnischen Völkern ab. Er will von keinem Goj verstanden werden. Für ihn gilt, was Paulus für die Christen reklamierte: „Der natürliche Mensch aber nimmt die Dinge, die des Gottes sind, nicht an. Denn Torheit sind sie ihm, und er kann sie nicht erkennen, weil sie geistlich beurteilt werden müssen. Der geistbegabte dagegen beurteilt zwar alles, er selbst aber wird von keinem beurteilt.“

Die Allergie gegen Verglichen- und Verstandenwerden von der falschen Seite ist ein Wesensmerkmal des religiösen Juden. Das Gesetz der Unvergleichlichkeit gilt aber auch für alle säkularen Juden, insofern sie die emotionalen Reste ihrer frommen Erziehung noch nicht überwunden haben. (Das gleiche trifft für säkulare Christen und Muslime zu, die ihre Religionskritik nur halbherzig durchführen.)

Was Jahwe zum Propheten Jeremia sagte, gilt für das ganze Volk Israel: „Noch ehe ich dich bildete im Mutterleibe, habe ich dich ausgesondert (erwählt), ehe du aus dem Schoße hervorgingst, habe ich dich geweiht.“

Kann man überhaupt von dem Juden sprechen? Gibt es den Juden – oder ist es ein verbotenes Klischee, von dem Juden zu sprechen.

a) den Juden gibt es nicht. b) den Juden gibt es doch.

a) Man muss aufhören, alle Juden als religiöse Juden zu bezeichnen. In der Geschichte der Juden waren die Ultras meistens Minderheiten, die sich jedoch als Repräsentanten des Jüdischen kraft ihrer Rituale und ihrer religiösen Kohäsionskraft durchsetzen konnten. Immer wenn Juden sich zu sehr mit anderen Völkern mischten, wurde ihre Assimilation mit einer Katastrophe geahndet – und die religiösen Scharfmacher durften sich im Recht fühlen. Hitler war die Strafe Gottes für die übermäßige Anpassung der Juden an die Deutschen. Hatten nicht die meisten säkularen Juden vergessen, dass sie überhaupt Juden waren? Nach der Shoa sagten die Ultrareligiösen ihren Landsleuten: Haben wir‘s euch nicht gesagt: wer fremd geht mit heidnischen Göttern, der wird vom eifersüchtigen Jahwe bestraft.

b) Aus dem Blickwinkel eines kollektiven Unbewussten gibt es den Juden doch. Denn die meisten säkularen Juden – wie die meisten Christen – konnten die emotionalen Reste ihres indoktrinierbaren Kinderglaubens nicht überwinden. Ohnehin war es nach dem Holocaust klar, dass alle Juden, schon aus Solidaritätsgründen mit den Opfern, ein einig Volk in aller Not und Gefahr sein wollten.

Da die Kinder Israels sich als privilegiertes und besonderes Volk verstehen, sind sie allergisch gegen alle generellen Vergleiche, die ihre Einzigartigkeit tangieren könnten. Leibowitzens Vergleich mit den Tätern („Judennazis“) muss sie besonders hart treffen.

Kein Deutscher darf sich anmaßen, diesen Vergleich zu ziehen, um eigene Schuldgefühle loszuwerden: siehste, die Juden sind auch nicht besser als wir. Wer als Deutscher so denkt, hat seine Vergangenheit nicht verstanden.

Der Vergleich der Juden mit Nazis ist – als wissenschaftlicher Vergleich – falsch. Doch die Juden wären gut beraten, sich die Frage zu stellen: sollte der unmäßige Vergleich nicht ein Appell an uns sein, endlich über das Maß unserer Schuld gegen die Palästinenser genauer nachzudenken und ein völlig neues Kapitel der Versöhnung aufzuschlagen?

In dem Buch „Gespräche über Gott und die Welt“ erklärt Leibowitz, (der selbst ein frommer Jude war, seinem Glauben aber nicht erlaubte, seine unbedingte Humanität zu unterlaufen):

„Heute wiederhole ich mit Nachdruck den Ausdruck „Judennazis“! Die Besetzungspolitik ist eine nazistische Politik! Vergessen wir nicht, dass sich die Nazis nicht nur an den Juden vergriffen haben, sondern auch an ihren eigenen Volksgenossen. Der Tatsache, dass der Mann, der heute Ministerpräsident des Staates Israel ist, in den vierziger Jahren – eben zu der Zeit, in der Waldheim in Saloniki tätig war – zu den Anführern der jüdisch-nationalen Untergrundorganisation „Lechi“ gehörte, die Hitler ihre Dienste angeboten hatte, braucht wohl nichts hinzugefügt zu werden. Tatsache ist, dass Shamir zu den Führern dieser Organisation gehörte, ob er nun von den Kontakten zu den Nazis wusste oder nicht.“ … „Israel ist kein Staat, der eine Armee unterhält, es ist eine Armee, die einen Staat besitzt. Die Welt bringt heute dem Staat Israel keinerlei Achtung und Wertschätzung mehr entgegen, von aufrichtiger Sympathie erst gar nicht zu sprechen, so wie es in den ersten Jahren nach der Staatsgründung in weiten Kreisen üblich war. Aber noch viel entscheidender ist, dass der Staat Israel den meisten Juden selbst immer fremder wird – und gerade nicht den Schlechtesten unter ihnen –, weil der Staat in seinem heutigen Zustand keinen Lorbeerkranz für das jüdische Volk darstell.“ … „Überhaupt hat Israel aufgehört, ein Staat für das jüdische Volk zu sein. Israel ist zu einem Machtmittel zur Erhaltung einer Gewaltherrschaft über ein anderes Volk geworden.“ … „Kann es wirklich unsere Angelegenheit sein, ja, sind wir dazu überhaupt befugt, zu entscheiden, ob das palästinensische Volk in der Vergangenheit existierte oder ob es heute existiert? Auf jeden Fall wissen wir recht gut, was der Slogan „Es gibt kein palästinensisches Volk“ bedeutet – das ist Völkermord! Nicht im Sinne einer physischen Vernichtung des palästinensischen Volkes, sondern im Sinne der Vernichtung einer nationalen oder politischen Einheit.“ … „Dieser Staat wurde nicht wegen des Judentums gegründet, nicht auf Anregung des Judentums und nicht für das Judentum. Der Staat Israel ist der Rahmen der staatlichen Unabhängigkeit des jüdischen Volkes, aber daraus den „Anfang unserer Erlösung“ zu machen, das ist eine Entweihung des Begriffes „Erlösung“. Das Gebet um das Staatswohl haben wir erfunden. Es gehört nicht zum Gottesdienst, sondern zur Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse.“ … „Der messianische Ballon wird platzen, das ist ganz klar. Wir wissen sehr wohl, das jemand, der die Armee für heilig hält, kein religiöser Mensch sein kann.“ … „In dem Moment, in dem man Staat und Nation als oberste Werte betrachtet, ist alles erlaubt; selbst Hitlerist darf man dann sein. Dafür trägt Rabbi Kook eine große Verantwortung, weil er den jüdischen Nationalismus auf die Stufe der Heiligkeit gehoben hat.“

Diese Sätze wurden 1994 geschrieben. Heute ist die Situation ungleich schwieriger und verfahrener. Immer mehr jugendliche Israelis kehren ihrem Staat den Rücken und kommen nach Berlin, weil sie keine Hoffnung mehr haben, der immer bigotter werdende Staat könnte eine Kurskorrektur vornehmen. Der renommierte Friedensfreund und Dirigent Barenboim mahnte die deutsche Regierung, mehr Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Doch Avigdor Lieberman ließ knallhart mitteilen, Jerusalem werde den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten nie aufgeben. (TAZ)

Die Beziehungen Israels, selbst zu ihren besten Freunden USA und Europa, verschlechtern sich von Tag zu Tag. Deutschland hat sich alle Sinne verklebt, will von der Not seiner Opfer nichts sehen und nichts hören. Das nennt die Nation der ehemaligen Täter: Philosemitismus, bedingungslose Solidarität und unverbrüchliche Freundschaft.

Deutschland hat seine Vergangenheit mitnichten aufgearbeitet. In klammheimlicher Genugtuung schaut das beliebteste Volk der Welt zu, wie Israel, eines der unbeliebtesten Völker, in seinem Elend versinkt.