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Kunst

Hello, Freunde der Kunst,

ein halbes Jahrhundert lang wuchs die Welt zusammen. Nun driftet sie wieder auseinander, spaltet und zerlegt sich. Die Welt wird zum Tollhaus, wie Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg, verehelicht mit Stefanie Anna Charlotte Gräfin von Bismarck-Schönhausen in fränkisch-bayrischer Prophetengeste dem pegadierend-claquierenden BILD-Publikum offenbarte. (Noch jemand da?)

Wenn die Welt im Argen liegt, müssen Priester und Blaublütige wieder das Ruder übernehmen. Das ist das Gesetz des ewigen Pendelschlags der Geschichte: es müssen geborene Herrschernaturen sein, die der Menschheit den Weg weisen – und BILD rollt ihnen in vorauseilendem Bückling den blutig roten Teppich aus.

Die moderne Demokratie hat auf der ganzen Linie versagt. Die wildgewordenen Massen und Horden müssen wieder eingefangen werden, sie haben ihre Unfähigkeit bewiesen, den ehernen Gesetzen der Geschichte zu folgen. Die von der Hochkultur der Männer erfundene Zweiteilung der Menschheit in Ober- und Unterschicht, Eliten und Überflüssige, vollwertige Menschen und Menschenmaterial muss re-habilitiert (bei Guttenberg: re-promoviert) werden.

Ein scharfsichtiger Althistoriker, der nicht mehr unter den Lebenden weilt (unter den Lebenden gibt es keine Scharfsichtigen) schrieb:

„Die Oberschicht wurde erzogen zu Herrschsucht, Hochmut, Stolz, Überheblichkeit, Härte, Grausamkeit, Sadismus – die Unterschicht zu Unterwürfigkeit, Fügsamkeit, Untertanenhaftigkeit, Knechtssinn, Charakterlosigkeit, Rückgratlosigkeit und Masochismus.“

(Zwischenfrage: warum haben zurzeit – rein zufällig – Filme und Bücher

mit sado-masochistischer Verklärung Hochkonjunktur?)

Seit 200 Jahren begehren Proleten mit ihren Herren gleichberechtigt zu sein, ihre Hybris müssen sie mit präapokalyptischen Krisen schwer bezahlen. Oder wie ein antiker Demokratiegegner formulierte: „Für solche Menschen ist Unfreiheit nützlich, und sie werden sich unter Herrschaftsdruck wohler fühlen, weil sie sich in Freiheit unwohl gefühlt haben.“

(Warum legt Kardinal Lehmann soviel Wert auf die Feststellung, der Islam gehöre nicht zum christlich-jüdischen Europa? Weil christlich-jüdische Ultras ihre Macht nicht mit muslimischen teilen wollen. Vor kurzem erst liebten deutsche Christen Juden nicht sonderlich.

Wenn CDU-Kauder das Christlich-Jüdische als Alleinstellungsmerkmal des rechtgläubigen Europa beschwört, beruft er sich auf die theologische Unfehlbarkeit Hans-Jürgen Papiers, eines ehemaligen Oberrichters aus Karlsruhe. Die Karlsruher Verfassungsschützer sind im Nebenberuf theologischer als die Theologen, päpstlicher als der Papst und die besten Wächter kirchlicher Schariarechte. Was Hans-Jürgen Papier für die Katholiken, ist Udo di Fabio für Lutheraner und Böckenförde für den frommen Atheisten Habermas. Merke: nicht nur der Talar, auch die Juristenrobe verpflichtet zur unermüdlichen Bemühung, Gott im Regimente zu halten.)

Der Niedergang des Westens ist die selbstverschuldete Folge seiner moralisch-politischen Selbstzerfleischung und Unglaubwürdigkeit – behauptet der Historiker Heinrich August Winkler. Er hat Recht.

Dass das christliche Credo aber – im Gegensatz zum totalitären Islam – das Prinzip der Gewaltenteilung kenne, gehört seit den 70er-Jahren zum stupiden Phrasenkatalog deutscher Gelehrter. Gebt dem Kaisers, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist, begründet keine Gewaltenteilung, sondern ist Hinweis auf die verschobene Parusie. Ordnet euch der weltlichen Macht unter, morgen ist sie perdu. Christen verstehen bis heute nicht, warum ihr Herr seine Zusage brechen konnte, bereits zu Lebzeiten der Urjünger in Triumph zurückzukehren.

Kritiklos schreibt Daniel Haufler in der BLZ über Winkler. (Es wäre ein Wunder, wenn deutsche Edelschreiber an der theologischen Front kritische Fragen stellten.)

Was hat all dies mit Kunst zu tun? Mit Kunst an sich nichts, aber mit deutscher Kunst. Ursprüngliche Kunst verherrlicht die Natur, selbst da, wo sie Hässliches und Deformiertes zeigt. Auch das Hässliche ist das Schöne und Wahre – auf negativer Kontrastfolie. Moderne Kunst, die den Abfall der Industriegesellschaft in die Galerie holt, will den fortschrittssüchtigen Müll-Produzenten den Spiegel vorhalten.

Doch die Spiegelfunktion der Kunst ist lange vorbei. Beuys war der letzte, der Kunst und Politik zu vereinigen suchte. Seitdem ist die Epoche der neofeudalen Dekoration, des luxuriösen Glitters angebrochen. Kunst ist komplett in die Hände der Magnaten gefallen. Wenn die Börse strauchelt: mit Kunst kann man noch immer fette Gewinne erzielen.

Hegel hat die Chose früh geahnt und sprach vom Ende der Kunst. Kunst als Katalysator radikaler Veränderung der Gesellschaft gibt’s nicht mehr. Die erfolg-reichen und erfolg-predigenden Künstler sind zur Oberschicht aufgestiegen. Die andern, die Loser, werden mit Hartz4 sanktioniert. Oft garniert mit dem zynischen Spruch: echte Kunst ist brotlose Kunst.

Medien und Kunst sind zu eisernen Bestandteilen der Eliten geworden. Wie Bill Gates sich mit Agape schmückt, um dem fauligen Geruch des schnöden Mammons zu entgehen, schmücken sich andere Geldsäcke mit Kunst, um ihren Reichtum mit dem Wächteramt der Kultur zu rechtfertigen. Wie barocke Fürsten und Bischöfe ihre Schlösser und Kirchen mit Kunst schmückten, lassen heutige Mäzene das Rüchlein ihrer zusammengerafften Beute mit affirmativ-sündteuren Skurrilitäten übertönen.  

Nehmen wir Damien Hirst: „Unter Umgehung von Galeristen ließ Hirst 2008 in einer zweitägigen Auktion bei Sotheby’s 287 seiner Werke direkt aus dem Atelier versteigern; sie erzielten einen Erlös von 172 Mio. Dollar. In Management-Kursen von Business Schools dient Hirst als ein erfolgreiches Fallbeispiel für „strategische Innovationen“, der sich „neue Vertriebskanäle“ und neue Kundengruppen erschließt: „Hirst vertraute nicht auf traditionelle Kunstliebhaber, sondern suchte sich gezielt russische Oligarchen, arabische Ölscheichs und angelsächsische Hedge-Fonds-Manager als Abnehmer“.“

Nur die Kunst in totalitären Regimes hat noch nicht aufgegeben und leistet den Despoten hartnäckigen Widerstand. Außer, dass sie bei uns gelegentlich gönnerhaft erwähnt wird, spielt solche exotische Kunst bei uns keine Rolle. Ai Weiwei ist zur Alibifigur geworden, um das Elend der inländischen Kunstszenerie zu überdecken.

Warum spielt die Kunst in Deutschland keine politische Rolle? Weil sie seit dem postrevolutionären Schiller keine Rolle mehr spielen darf. Die jungen Stürmer und Dränger waren noch von der Französischen Revolution begeistert. Spätestens seit Robespierre wandten sich die zartfühlenden Deutschen von der schmutzigen Politik ab – und wurden deutsche Ästheten.

Kunst ersetzte Politik. Man könne keine neuen Verhältnisse schaffen, wenn man selbst nicht zum neuen Menschen werde, so die Lehre des nach Weimar geflüchteten Ex-Räubers Schiller, dem sein großer Freund und Mentor Goethe – Minister in Weimar und Verächter der Meute – endgültig die Politik austrieb. Fortan musste der schwindsüchtige Schwabe seine politische Utopie auf der Bühne ausagieren.

Wo Realität war, sollte moralische Anstalt werden. „Sire, ich fordere Gedankenfreiheit“, ließ Friedrich schmettern und kein Fürst erhob Einwände. Gedanken sind frei? Warum nicht, wenn dieselben sich nur nicht auf die Straße verirren. Zudem muss man Gedanken erst haben, damit sie frei sein können.

(Als die Pegadisten nicht mit der Presse sprachen, taten sie, als ob sie viel in petto hätten, ihren Gedankenreichtum aber nicht vor die Säue werfen wollten. Gemäß dem Motto: hättet ihr geschwiegen, hätte ich euch für geistreiche Demokraten gehalten.)

So weit, so schlecht. Doch was geschieht, wenn Menschen nicht politisch, sondern nur ästhetisch werden dürfen? Jetzt kommt die List der Vernunft: wenn politische Realität auf der Bühne zum schönen Schein verkommt, drängt Bühne in die Realität.

Das Gesamtkunstwerk, das die Welt neu erfinden sollte, wurde zur Vorlage der schnöden Tagespolitik. Hitler wurde Führer – beim Hören von Wagners Rienzi. Seine Berufung war die Antwort der Straße auf die Verführungen der Kunst. Joachim di Fiores Vorstellungen eines Drittes Reiches hatten in Cola di Rienzo, dem römischen Volkstribunen (heute würden wir ihn einen Populisten nennen), einen leidenschaftlichen Parteigänger gewonnen.

Denken ist Probehandeln, sagte Freud; Kunstausüben desgleichen. Doch wenn Kunst phantastisch wird, muss sie phantastische Politik gebären. Der Wagner‘sche Extrakt aus allem, was deutsche Herzen entzünden konnte: heiliger Gral, kollektiv-sexuelle Rückkehr in den Mutterleib der Venus, Neuschöpfung der Erde nach prophylaktischer Zerstörung ins Nichts, wurde zur messianischen Deklaration des homo novus germanicus. Die Deutschen waren das wahre auserwählte Volk und hatten sich aller Pseudo-Erwählten zu entledigen.

Der deutsche Triumph sollte das Ende der Geschichte besiegeln. Kunst, das Muster der deutschen Politik, war innerhalb von 100 Jahren aus dem jämmerlichen Status gehorsamer Innerlichkeit zum omnipotenten Himmelreich auf Erden metastasiert. Hier und nur hier trifft zu, was Popper von Hölderlin entlehnte: „Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“ (Hyperion)

Wie konnte es geschehen, dass deutsche Kunst derart ins Übersteigerte und Gottähnliche gewuchert war? Bei Schiller sehen wir erst zaghafte Anfänge, doch bei seinen Nachfolgern, den aufklärungsfeindlichen Romantikern, wurde Kunst zur absoluten Feindin der Vernunft.

Zum Formideal der Dichtung und aller Ästhetik überhaupt wurde nicht die Kultur des Rationalen, sondern die irrationale Form der Natur, wobei Natur zur Quelle alles Amoralischen, Grenzen- und Gesetzeslosen dämonisiert wurde.

Die Zeiten der Bewunderung für Rousseau waren vorbei, nicht länger war der Edle Wilde ein Produkt der reinen, unberührten Natur. Natur regredierte zur christogenen Sündenkloake, zum Reich des Mephisto: „Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt“, wie dieser dem rasenden Faust verspricht.

Maß- und Ziellosigkeit jenseits aller menschlichen Grenzen wurde zum Ich-Ideal der Deutschen, die noch heute alle Grenzen sprengen und überspringen müssen, um sich selbst zu erproben. Und wenn sie am Ende scheitern müssten. Scheitern ist die Lieblingsutopie der nachromantischen Deutschen. Der Geisterchor bringt‘s trefflich auf den Punkt:

„Weh, weh! Du hast sie zerstört, die schöne Welt, Mit mächtiger Faust; Sie stürzt, sie zerfällt! Ein Halbgott hat sie erschlagen! Wir tragen die Trümmer ins Nichts hinüber und klagen Über die verlorene Schöne. Mächtiger Der Erdensöhne. Prächtiger Baue sie wieder, In deinem Busen baue sie auf! Neuen Lebenslauf beginne mit hellem Sinne Und neue Lieder Tönen herauf!“

Die Trümmer der schönen Natur ins Nichts hinübertragen – das war die Agenda der deutschen Politik der letzten zwei Jahrhunderte. Nichts davon war metaphorisch gemeint. Bis zum letzten Jota wurde die Höllenphantasie in Tod und Verderben verwandelt.

Die Grundlagen dieser Ästhetik gelten noch heute für alle deutschen Feuilletons und Kunstliebhaber. Was ist der wildgewordene tyrannische deutsche Regisseur anderes als die lächerliche Imitation des tyrannischen Führers, der seine Sänger und Schauspieler beliebig zur Minna macht?

Das Ganze in Prosa. Das höchste Ideal der deutschen Kunst „ist der natürliche Mensch. Der ungebildete, unverbildete, der unmoralische, lebensvolle, der geschmacklose, der ungeschminkte, der naive kraftvolle, urwüchsige Mensch, der nicht vernunftgeformt ist, sondern unmittelbar aus der Fülle des Herzens handelt. Nur da ist Kunst, wo die regellose Einfalt der Natur über den Aberwitz der Vernunft, über die Unsittlichkeit der Moral triumphiert und wo wir am Unwert des Naturfeindlichen unsere Freude haben.“ (H. A. Korff, Geist der Goethezeit)

Der Inbegriff des Vernunftlosen ist Religion. Religion, so Schleiermacher, der Theologe der Romantik, ist der leidenschaftliche Kampf gegen alle Moral. Religion ist „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“, also die Ästhetik einer grenzenlosen Gedankenausschweifung. Aufklärung hingegen war das „schlechthin feindselige Prinzip gegen alle Religion“.

Auf dem Standpunkt der Aufklärung wird Religion nicht verachtet, sondern vernichtet. Ihr eigentliches Wesen ist die Hinwendung zum Endlichen, das Unendliche verschwindet aus dem Horizont des Menschen. Das Verständige und Nützliche, die Wut des Verstehens und Erklärens, das sind die schnöden Interessen der Aufklärung.

(Versteht man allmählich, warum Verstehen und Erklären noch heute verteufelt werden? Wir befinden uns in einer Wiederholungsschleife der romantischen Vernunftverachtung.)

Aufklärung sucht immer Zweck und Absicht, erbärmliche Allgemeinheit und leere Nüchternheit sind ihre Ideale. Sie will nichts als eine jämmerliche eudaimonistische (glückssuchende) Politik.

An die Stelle des objektiven Moralismus der Aufklärung tritt der grundsätzliche Relativismus – der in der Postmoderne seinen Gipfelpunkt erreicht hat. Wahre Kunst lässt sich nicht an generellen Vernunftmaßstäben messen, sondern ist immensurabel subjektiv und individuell. Ihr Ursprung ist nicht die „regelnde Vernunft, sondern das eigenwillige Leben.“

Diese Kunst des Unvergleichlichen ist die Kunst des Originalgenies, der Ausdruck ursprünglichen Menschentums, das sich nicht an klassischen Mustern und rationalen Gesetzen messen lässt. Das logisch nicht nachvollziehbare Genie ist noch heute das Urmuster aller feuilletonistischen Edelschreiber, die nichts mehr hassen als die Folgerichtigkeit eines Gedankens. Je impulsiver, unberechenbarer und sprunghafter, umso genialer der Kommentar.

All diese Verwüstungen im Namen unvergleichlicher Genialität bleiben nicht ohne Folgen. Das Unvergleichliche ist einmalig, das Einmalige rassistisch. Wer nicht zur unvergleichlichen Rasse gehört, kann kein vollwertiger Mensch sein. Er mutiert zum Untermenschen. Die irrationale Kunstauffassung führt zum künstlerischen Nationalismus, ja, zur Ästhetik des Faschismus.

Nach der übernationalen Kunstauffassung der Aufklärung beginnt – schon im Sturm und Drang, der Vorläuferbewegung der Romantik – die Forderung nach echter deutscher Art und Kunst. Die Deutschen hatten auf allen Ebenen die Genialität für sich erobert. Das Genie aller Genies aber ist der Messias. Die deutsche Nation, so lange im Staub der Erniedrigung gelegen, erhob sich, um Heiland der Welt zu werden.

Warum ist der französische Autor Houellebecq zum Liebling der deutschen Literaturkritiker geworden? Weil er alle Vernunft und Aufklärung über den Haufen wirft, Demokratie und das europäische Projekt für gescheitert erklärt und seinem literarischen Vorbild Huysmans nacheifert, der am Ende seines Lebens resigniert – ins Kloster ging. Die Voltaire‘sche Aufklärung habe alles Wertvolle vernichtet. Kritiklos und bewundernd stellt Iris Radisch in einem ZEIT-Interview fest:

„Es macht Ihnen sichtlich Vergnügen, mit der gesamten Moderne aufzuräumen.“

Die Unterwerfung unter den Schöpfer sei das höchste Glück, so der verwahrlost-genial aussehende Franzose, der alle nihilistischen und vernunftfeindlichen Erwartungen deutscher Ästheten voll befriedigt. Nur ja keine Moral, nur ja nichts Konstruktives und demokratisch Aufbauendes, nur ja keine klare Position oder diskursfähige Meinung, die ein Beitrag zur Lösung unsrer Probleme sein könnte. Das wäre etwas für Langweiler und Spießer:

„Was ich denke, ist ganz unwichtig. Es gibt auch Bibelstellen, die die Freiheit infrage stellen. Und wenn wir die Freiheit verlieren, verlieren wir schließlich nicht alles. Wir verlieren die Kathedralen nicht, wir verlieren Bach nicht. Es gibt sehr vieles im Westen, das uns erhalten bleibt, wenn wir die Aufklärung hinter uns lassen. Jedes Mal, wenn ich auf eine Beerdigung gehe, spüre ich, dass der Atheismus unserer Gesellschaften unerträglich geworden ist.“

Muss ein Autor in seinem Buch moralische und politische Positionen beziehen? Solange er die Wirklichkeit beschreibt, muss er mit dem objektiven Auge des Chirurgen wahrnehmen, der die Realität sehen muss, wie sie ist. Doch nach der unverzerrten Wiedergabe des Seienden muss die wertende Therapie folgen. Freuds Patient muss seine Triebregungen ohne Zorn und Eifer bei sich beobachten. Dann aber muss sein ES dem urteilenden Ich unterstellt werden.

Solange der Autor die Realität wiedergibt, darf seine Moral nur in unbedingter Wahrheitsliebe bestehen. Doch als Citoyen hat er dieselben Pflichten wie jeder Demokrat. Verweigert er sich der humanen Verbesserung der Gesellschaft, bleibt er ein verantwortungsloser Feind der Demokratie.

Die deutsch-französische Entente, die wirtschaftlich verloren zu gehen droht, findet sich wieder auf dem Felde des – bekennenden Nichts.

Radischs Fazit: „Auf den meisten Fotos sehen Sie aus wie ein lebender Toter. Man muss sich keine Sorgen um Sie machen?“

Nein, man muss sich keine Sorgen um deutsche und französische Intellektuelle machen. Äußerlich scheinen sie noch lebendig, innerlich sind sie schon ziemlich tot. L’art pour l’art. Die Kunst ist nicht fürs Leben. L’art pour la mort. Der Höhepunkt der Kunst aber ist – der Glauben.

„Der Tod ist nicht auszuhalten ohne Glauben? – „Nein, er ist nicht auszuhalten.“

Au revoir und Gottes Segen!