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Knabe

Hello, Freunde des Knaben,

little boy hieß der Erlöser – der Japaner. Wir töten, was wir lieben. Die Erlösung der Welt wird ihre Zerstörung sein.

Little boy – biblischer Kosename für die Hiroshimabombe – ist der göttliche Knabe, der die Welt erretten wird. Bis vor kurzem schien es, als sei die Atombombe für immer geächtet. Nun werden die Atomwaffenarsenale wieder hochgerüstet. Der Abwurf der schrecklichsten Waffen der Menschheit in Japan wird von amerika-gehorsamen deutschen Kommentatoren rehabilitiert.

„Bei der Kernwaffenexplosion starben unmittelbar 20.000 bis 90.000 Menschen; viele der Überlebenden („Hibakusha“) leiden bis heute an den Spätfolgen der aufgenommenen radioaktiven Strahlenbelastung. Drei Tage später wurde auf Nagasaki die zweite Atombombe Fat Man abgeworfen. Diese nutzte Plutonium als Spaltmaterial und war mit 21 Kilotonnen TNT-Äquivalent wesentlich stärker.“ (Wiki)

Nach drei Tagen wurde aus dem unschuldigen Knaben ein fetter Mann – der hässliche Amerikaner –, der die Deutschen von einem Weltübel befreit hatte und sich nun berechtigt fühlte, dem Planeten durch ein diabolisches „Experiment“ das Heil zu bringen.

In der WELT schreibt Hannes Stein:

„Kein Zweifel: Der Abwurf von „Little Boy“ und „Fat Man“ war grausam. Atombomben sind furchtbare Waffen – hoffentlich werden sie nie wieder eingesetzt. Es gibt keine Worte für das Leid einer Mutter, die ihr Kind verliert. Aber die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki hat nicht nur den Amerikanern, sondern auch der japanischen Zivilbevölkerung viel Leid erspart.“

Stein lässt eine japanische Frau zu Worte kommen, die als 21-jährige Mutter die

Katastrophe mit ihrem Kind erlebte:

„Ich hielt meinen Sohn fest und schaute auf ihn herunter. Er hatte am Fenster gestanden, und ich glaube, Glassplitter hatten seinen Kopf durchdrungen. Sein Gesicht war verwüstet, weil Blut herunterfloss. Aber er schaute mir ins Gesicht und lächelte. In meiner Erinnerung lächelt er immer noch. Er verstand nicht, was passiert war. Und so schaute er mich an und lächelte mir ins Gesicht, das blutig war. Ich hatte viel Milch, die er an diesem Tag trank. Ich glaube, mein Kind saugte mir das Gift aus dem Körper. Bald danach starb er. Ja, ich glaube, dass mein Kind für mich gestorben ist.“ (WELT.de)

Kinder lächeln, wenn sie Opfer der Erwachsenen werden. Ihren Eltern wollen sie keine Schuldgefühle hinterlassen, wenn sie von der Weltbühne abtreten. Sind sie diesen seltsamen Wesen nicht überlegen, die vorgeben, ihre Kinder zu lieben – wenn sie sie töten? Das Kind saugte der Mutter das Gift aus dem Leib, um sie sterbend zu retten. Pro nobis. Das göttliche Kind musste für die ganze Menschheit sterben, doch am dritten Tage durfte es auferstehen. Im Auftrag des Vaters darf es nur Wenige erwählen. Der Rest muss verglühen.

Alle Kindergenerationen, die da kommen sollen, wird die Menschheit opfern, wenn sie die Erde in ein Inferno verwandelt. Wehe den Kindern – wenn sie uns nicht erretten. Perfekte Kinder müssen ihren Eltern das Gefühl vermitteln: ihr habt alles gut gemacht. Wir könnten es nicht besser.

Was ist der unwiderstehliche Charme der Kinder? Nicht das Kindchenschema. Sondern das kindliche Messiasschema. Warum machen wir unsere Kinder unglücklich? Weil sie sich weigern, uns die Richtung zu weisen und die Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. „Und er spricht: Bahnet, bahnet, ebnet eine Straße! Räumet meinem Volk jeden Anstoß aus dem Weg!“ Für die Unfähigkeit, ihre Erzieher zu erziehen, müssen die Kinder büßen. Erst, wenn Kinder wieder Kinder sein dürfen und freudig in die Welt gehen können, wird die Menschheit gerettet sein.

„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; er heißt Wunderbar, Rat, Held, Ewig-Vater Friedefürst.“

Warum werden überall in der Welt weibliche Säuglinge abgetrieben und getötet? Warum dürfen Frauen keine Rolle im Weltgetriebe spielen? Weil sie keine Söhne sind.

Nur Söhne können jenes Elend schaffen, aus dem sie die Miserablen erlösen sollen. Frauen und Mütter können leben, sie brauchen keine Erlösung.

Der Sohn ist kein Held aus eigener Kraft, sondern ein Heros aus geliehener Macht und Herrlichkeit. „Wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.“ Göttliche Kinder sind erniedrigte und gedemütigte Kinder, die nur durch Berufung von Oben die Größten werden. „Wer sich selbst erniedrigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ Kinder sind für den Heiligen des Evangelii nur Material. Ihr irdisches Schicksal ist dem angeblichen Kinder- und Familienfreunde gleichgültig:

„Und wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird’s hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben.“

Der Erlöser muss alle emotionalen Stabilitäten und Zufluchtsnischen der Menschen wie Sippen, Familien, Freundschaften zerstören, auf dass Er der Einzige bleibe. Zum Kindermachen braucht der Herr des Universums keine Frauen. Frauen sind überflüssig.

Demnächst zeugen Männer Maschinen, die Maschinen erzeugen. Wozu dann noch Weib und Kinder? Seine künstlichen Kinder zeugt der Macho aus seltenen Erden, Dreck und Stein. Ganz wie der Vater: „Gott vermag aus diesen Steinen Kinder zu erwecken.“

Kinder und Frauen sind die Lieblingsopfer der Männer, wenn sie Kriege führen, schlachtend und mordend die Welt durchziehen. Die Erfindung von Weib und Kind war keine Ruhmestat des Schöpfers. Das reut Ihn bis heute. Seitdem sinnt er danach, sie dem Mann untertan zu machen oder sie aus dem Wege zu räumen.

Was interessiert die Männergesellschaft das Leid junger Mütter, die mit ihren Neugeborenen monatelang alleine bleiben und schwermütig werden? Schnell ergreifen die Väter die Flucht und sind in den Tiefen des Kapitalismus verschwunden, um die Familie äußerlich zu ernähren und innerlich verhungern zu lassen. Die Ökonomie der Maschinen und Maschinistenführer ist weder mit Frau, noch Kind und Vater verträglich.

Kinder kennen ihre Väter nicht und müssen ihre verzagten Mütter auf die Schulter nehmen. Wer wagt es, von menschenverträglicher Habgier und Maloche zu reden, wenn die jungen Familien innerhalb weniger Jahre aufgebraucht und zerrüttet sind?

„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Reich der Himmel kommen.“ Wehrlose Kinder werden unter Angst und Schrecken fürs Himmelreich konditioniert – damit sie auf Erden lebensuntauglich werden. Wenn Erwachsene mit perfiden Methoden verführt und missioniert werden, nennen sie es Populismus. Wenn Kinder mit giftigem Schalmeienklang genötigt werden, der Erde untreu zu werden, nennen sie es Erlösung.

Hiroshima war ein Menetekel der Menschheit – für Hannes Stein das rechte Pädagogikum für bösartige Japaner. „Die Militärjunta, die das kaiserliche Japan beherrschte, kannte wenige Skrupel. Unter ihrem Regime hatte Japan die Mandschurei okkupiert, um sich die Rohstoffe zu sichern. 1937 hatten japanische Soldaten in einem bis heute unvergessenen Massaker, das viele Wochen dauerte, Zehntausende chinesische Zivilisten ermordet. Sie hatten aus dem Hinterhalt Pearl Harbor angegriffen und die Philippinen besetzt.“

Sind Massaker gegen Menschheitsverbrecher keine Menschheitsverbrechen? „Vielleicht“, antwortet Stein. Eine treffliche Antwort: müssen wir denn sofort mit der großen moralischen Keule kommen? Müssen wir herumklügeln und entscheiden, was Völkerverbrechen sind?

Ignoramus et ignorabimus. Gottlob, die Welt besteht nicht nur aus Schwarz und Weiß. Weshalb erfand der Schöpfer das wunderbare, von deutschen Feuilletonisten über alles geliebte, Grau, wenn nicht, um uns hinter ihm zu verstecken?

Was kann eine 21-jährige Mutter für die Verbrechen ihrer männlichen Eliten? Im Krieg ist alles erlaubt – und, ich wiederhole, es war Krieg, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Im Kriege, da ist der Mann noch was wert,
Da wird das Herz noch gewogen.
Da tritt kein anderer für ihn ein:
Auf sich selber steht er da ganz allein.

Ganz allein steht er da, der arme Mann, der die Welt verwüsten muss, damit sein kostbares Herz in Gold gewogen wird. Kein anderer steht für ihn ein. Solidarität ist nicht die Stärke der Männer. Vor Gott steht jeder Mann allein und barhäuptig. Das kann keine Frau verstehen. Diese Qualen der vereinsamten Krieger!

Obamas Drohnenkrieger, die nicht zurückschrecken, Frauen und Kinder in der Ferne zu zersieben, werden neurotisch und quittieren den Dienst: diese Weicheier. Sollte es etwa doch noch Hoffnungszeichen in der Männerwelt geben?

Auf gar keinen Fall darf Amerikas Sünde mit Hitler auf eine Stufe gestellt werden. Nicht mal mit Stalins Schlächtereien, der Gerechtigkeit in der Welt herstellen wollte, indem er seine eigenen Kulaken ausmorden ließ. „Ganz gleich, wie man den Abwurf der Atombomben bewerten mag, es handelte sich um einen Akt des Krieges. Er gehört einer ganz anderen Kategorie an als der Völkermord an den europäischen Juden oder Stalins „große Säuberung“.

Ein trefflicher moralischer Maßstab: alles, was Hitlers und Stalins Satanismen knapp verfehlt, ist vielleicht nicht gut, aber bestimmt nicht schlecht. So lässt sich‘s trefflich durch die Weltgeschichte marodieren. S‘war doch Krieg! War‘s nicht ein „gerechter Krieg“, dass man sich des bösen Angriffsfeindes mit allen Mitteln erwehren durfte?

Solche Fragen werden heute nicht mehr gestellt. Dass der Westen stets eine saubere Weste hat, wird stillschweigend vorausgesetzt. Alles andere ist Nestbeschmutzung, Antiamerikanismus, Hass auf die alleinseligmachende Kultur des Westens.

Und in der Tat, Japan war kein pazifistisches Vorbild. (Heute kehrt das Land seinem Nachkriegspazifismus wieder den Rücken. Nach dem Motto: es kann der Brävste nicht in Frieden leben, wenn‘s den neoliberalen Konkurrenten nicht gefällt.) Nach seiner erzwungenen Modernisierung – der Unterwerfung unter das ökonomische Diktat des Westens – hatte das insulare Land beschlossen, dem Vorbild des Westens zu folgen und eine völkerfressende asiatische Großmacht zu werden. In China und Korea hausten sie mit bestialischen Methoden.

Das war keineswegs der Grund für Amerika, das Land anzugreifen. Auch nicht der Pakt mit Hitler-Deutschland. Nicht mal der Überfall auf Pearl Harbor, den Roosevelt selbst provozierte, um eine Handhabe gegen die „Schlitzaugen“ zu bekommen. Im Gegenteil. Solange Japan seinen Großmachtgelüsten außerhalb des Reviers amerikanischer Interessen nachkam, gab es eine offizielle Billigung seitens der USA:

„Solange Japan ein artiges Mitglied jenes imperialen Clubs von Großmächten blieb, die sich – im Einklang mit der Politik der offenen Tür – die Ausbeutung Chinas untereinander teilten, hatten die Vereinigten Staaten keine Einwände. Sie hatten 1917 Noten mit Japan ausgetauscht, in denen stand: „Die Regierung der Vereinigten Staaten anerkennt, dass Japan besondere Interessen in China hat.“ (Howard Zinn, Die Geschichte des amerikanischen Volkes)

Das Bauernopfer von Pearl Harbor ging Roosevelt mit Bewusstsein ein. „Die Akten zeigen, dass man im Weißen Haus zwei Wochen vor Pearl Harbor einen Krieg antizipierte und diskutierte, wie man ihn rechtfertigen könne.“ (Zinn)

Was war der wirkliche Grund für den amerikanischen Kriegseintritt? „Erst als Japan durch seinen Übernahmeversuch in China potenzielle US-Absatzmärkte bedrohte und insbesondere, als es sich für das Blech, Gummi und Öl Südostasiens zu interessieren begann, bekamen die Amerikaner Angst und ergriffen im Sommer 1941 jene Maßnahmen, die zum japanischen Angriff führten: ein totales Embargo auf Alteisen und Öl.“ (Zinn)

Es waren wirtschaftliche Konkurrenzen, die zum Kriege führten! Der Kapitalismus ist eine kriegsträchtige, kriegslüsterne Sucht nach Weltherrschaft. Und sonst nichts. So viel zu den Ursachen des gerechtesten aller Kriege.

Stein rechtfertigt die apokalyptische Verwüstung von Hiroshima und Nagasaki mit dem Argument: das Schlimme ist der Feind des Schlimmsten. Ohne Abwurf hätten die Japaner den Krieg endlos verlängert, unendlich viele Menschen hätten weiterhin sinnlos sterben müssen. Deutsche Schreiber kennen kein Pro und Contra mehr. Konträre Meinungen werden nicht zur Kenntnis genommen. Der öffentliche Disput ist tot.

Eisenhower und die meisten amerikanischen Generäle waren anderer Meinung:

„Auf der Grundlage einer ausführlichen Untersuchung aller Tatsachen und unter Berücksichtigung der Aussagen der überlebenden beteiligten japanischen Führer, vertritt die Untersuchungsgruppe die Auffassung, Japan hätte auch ohne den Abwurf der Atombomben, mit Sicherheit vor dem 31. Dezember 1945 und aller Wahrscheinlichkeit nach schon vor dem 1. November 1945 kapituliert. [Dies gilt auch dann,] wenn Russland nicht in den Krieg eingetreten und eine Invasion weder geplant noch angedacht worden wäre.“ (KOPP online)

Eisenhower „erklärte damals: «Die Japaner waren zur Kapitulation bereit, und es war unnötig, sie noch mit diesen furchtbaren [Waffen] anzugreifen.» … ich war überzeugt, dass Japan erstens bereits besiegt und ein Bombenabwurf daher völlig unnötig sei, und es zweitens mein Land vermeiden sollte, die Weltöffentlichkeit durch den Einsatz einer solchen Waffe, der nicht länger damit zu rechtfertigen sei, amerikanische Menschenleben zu retten, zu schockieren. Nach meiner Überzeugung suchte Japan bereits nach Möglichkeiten, mit einem möglichst geringen ›Gesichtsverlust‹ zu kapitulieren.“ (KOPP online)

Hanson Baldwin, Militärexperte der New York Times, schrieb kurz nach dem Krieg:

„Der Feind im militärischen Sinn befand sich bereits in einer hoffnungslosen strategischen Position, als am 26. Juli die bedingungslose Kapitulation gefordert wurde. Das war also die Lage, als wir Hiroshima und Nagasaki auslöschten. Mussten wir es tun? Die Antwort ist fast ohne Zweifel: Nein.“ (Zitiert bei Zinn)

Woher wussten die Amerikaner, dass die Japaner kapitulationsbereit waren? Es war ihnen gelungen, den japanischen Code zu entschlüsseln und die japanischen Funksprüche abzuhören. „Wenn doch nur die Amerikaner nicht auf bedingungsloser Kapitulation bestanden hätten – das heißt, wenn sie als einige Bedingung für die Kapitulation akzeptiert hätten, dass die Stellung des Kaisers, der den Japanern als heilig galt, unangetastet bliebe – dann hätten die Japaner zugestimmt, den Krieg zu beenden.“ (Zinn)

Die heutige Öffentlichkeit Amerikas nimmt diese Analysen nicht zur Kenntnis. Das missionarische Heldenimage von Gottes Land darf nicht besudelt werden.

„Die Atombomben, so wurde im Nachhinein offiziös verbreitet, hätten Japans Kapitulation herbeigeführt und damit vielen US-Soldaten und auch Japanern das Leben gerettet, die sonst im Endkampf um Japan gestorben wären. Diese Sichtweise bestimmt bis heute das Geschichtsbild der meisten Amerikaner. Präsident George Bush senior sagte 1991, die Atombomben hätten „Millionen von Leben gerettet“. (ZEIT.de)

Was war der wirkliche Grund für die abscheuliche Tat in Hiroshima? Truman wollte die Sowjetunion, den neuen Feind und Konkurrenten, eindringlich warnen: Sozialisten, glaubt nicht, ihr hättet eine Chance gegen uns. Haltet euch heraus aus dem chinesisch-japanischen Konflikt. Beginnt nicht, die Welt mit eurem totalitären Staatssozialismus zu überziehen.

Stein rekapituliert die offizielle Meinung der amerikanischen Eliten. Wenn Amerika wieder atomar aufrüstet, muss die einwandfreie Vergangenheit der USA als moralische Begründung herhalten. In bester Merkel‘scher Subordination folgen deutsche Medien dem amerikanischen Vertuschungsprozess.

Auf welchem Niveau diese neue Kalte-Krieg-Apologetik erfolgt, zeigt ein Beispiel aus der FAZ. Es sei immer leicht, aus heutiger Sicht ein politisch-korrektes Urteil zu fällen. So Peter Sturm:

„Aus der Perspektive des Historikers ist es leicht, Urteile über Akteure zu fällen. Wer hätte in der Haut Harry Trumans stecken wollen? Eine unter allen Umständen „richtige“ Entscheidung konnte er wohl nicht fällen. Er hat das aus seiner Sicht kleinste Übel gewählt.“

Da es schwer sei, das Ganze zu beurteilen, überlässt Sturm das Urteil dem – Akteur der Geschichte, Harry Truman, selbst. Das ist der erkenntnistheoretische Bankrott eines Edelschreibers. Sonst lehnen sie es ab, die Akteure einer brisanten Tat zu verstehen – und verurteilen nur. Hier will der Schreiber nur verstehen – um das Urteilen zu vermeiden. Deutsche Dialektik in Hochform. In Unterwürfigkeit gegen die Machthaber dieser Welt lässt sich die deutsche Journaille von niemandem übertreffen.

In einem TAZ-Interview von Dorothea Hahn warnt der amerikanische Historiker Peter Kuznick sein Land vor historischen Selbstbelügungen im Falle Hiroshima und einer neuen atomaren Bedrohungspolitik.

„Der Einsatz der Bomben gegen Japan war weder militärisch nötig noch moralisch gerechtfertigt. Das untergräbt den Mythos von der amerikanischen Besonderheit, Uneigennützigkeit, vom Wohlwollen, von Freiheit und Demokratie. Deswegen halten wir so stark an der Mythologie fest, dass die Bomben den Zweiten Weltkrieg im Pazifik beendet und dass sie eine Invasion verhindert hätten, die eine halbe oder eine ganze Million US-amerikanische Menschenleben gekostet hätten.“

Völlig außerhalb des bornierten Horizonts der meisten Tagesschreiber liegt es, sich mit grundlegenden philosophischen Überlegungen zum Thema auseinanderzusetzen. Nehmen wir Günther Anders beispielhaftes Buch „Die Antiquiertheit des Menschen.“ Anders, erster Ehemann Hannah Arendts, hatte sich nach dem Kriege eingehend mit der Hiroshima-Katastrophe befasst. Mit dem Luftwaffen-Piloten Claude Eatherly führte er einen intensiven Briefwechsel.

Für Anders ist Hiroshima ein krasses Beispiel für die Apokalypse-Blindheit der Gegenwart. Die Moderne nimmt die biblischen Ursachen ihres suizidalen Tuns nicht zur Kenntnis. Mit der Erfindung der Atombombe will der moderne Mensch ein „Titan“ sein, der verzweifelt versucht, „wieder ein Mensch zu sein“. Vor seiner Gottähnlichkeit ist dem technischen Titanen bange geworden.

„An die Stelle der omnipotenzbezeugenden creatio es nihilo ist deren Gegenmacht getreten: die potestas annihilationis, die reductio ad nihil – und zwar als Macht, die in unserer eigenen Hand liegt. Die prometheisch seit langem ersehnte Omnipotenz ist, wenn auch anders als erhofft, wirklich unsere geworden. Da wir die Macht besitzen, einander das Ende zu bereiten, sind wir die Herren der Apokalypse. Das Unendliche sind wir.“

Wir sind am Ende der Heilsgeschichte angekommen. Die Weltpolitik vollstreckt jahrtausende-alte religiöse Direktiven. Da die versprochene Ankunft des Messias seit 2000 Jahren ausblieb, hat der Abendländer die Bedingungen zu seiner Wiederkehr durch neurotischen Fleiß und pathologische Kreativität selbst hergestellt.

Kann der Mensch sein irdisches Schicksal beenden, so kann er auch seinen unzuverlässigen Erlöser zwingen, in naher Zukunft an die Türe zu pochen. Durch selbsterfüllende Prophezeiung ist es dem Menschen gelungen, seinen Gott zu zwingen, dem sündigen Willen des Menschen gehorsam zu sein. Die Kreatur hat ihren Schöpfer voll im Griff. Doch nur, wenn sie sich entschließt, ein Sohn des Höchsten zu werden.

„Alle, die vom Geiste Gottes getrieben werden, sind Söhne Gottes.“

Frauen und Kinder sollten auf einen fremden Planeten auswandern.